Konjunkturprogramm So machen wir die Wirtschaft nach Corona wieder flott
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Wie kommt die Wirtschaft aus dem Corona-Loch? Die drei SPD-Fraktionsvizes Sören Bartol, Matthias Miersch und Achim Post erklären im Gastbeitrag für t-online.de, was sie für unbedingt notwendig halten.
Corona hat Deutschland noch immer fest im Griff, doch täglich mehren sich Stimmen, die eine kontrollierte Wiederaufnahme des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens fordern und bereits konkrete Maßnahmen für Konjunkturimpulse nach der Krise vorschlagen. Aktuell wissen wir allerdings nicht einmal, wie lange der infektiologische Notstand noch anhalten wird, in welcher Verfassung Staat, Gesellschaft und Wirtschaft aus der Krise herauskommen und welche Mittel uns dann noch zur Verfügung stehen, um die Folgen zu bewältigen.
Über die Frage, welche Konjunkturmaßnahmen sinnvoll sind, streiten Lobbyisten und Verbände mit zunehmender Härte. Sie überbieten sich dabei mit einer Vielzahl von Vorschlägen, die aus der jeweiligen Interessenlogik plausibel und berechtigt sind. Eine Gemeinwohlorientierung, die das Land als Ganzes in den Blick nimmt, liefern sie jedoch nicht. Diese im Blick zu behalten, ist Aufgabe der Politik und des Parlaments. Der Staat allein wird eine nachhaltige konjunkturelle Erholung jedoch nicht stemmen können. Er kann aber gezielt die richtigen Impulse setzen, um private Investitionen anzureizen und notwendige Innovationen zu ermöglichen. Staat und Wirtschaft brauchen einander wie selten zuvor.
Leitplanken für die Zukunft
Mit diesem Beitrag wollen wir Leitplanken setzen, aus denen sich konkrete Maßnahmen ableiten lassen, um ökonomisch wieder auf die Beine und klimapolitisch voran zu kommen. Dabei ist das Timing entscheidend. Alles, was wir für die Konjunktur tun, muss zielgenau und parallel mit den Lockerungen des Lockdowns erfolgen, um Wirksamkeit zu entfalten. Bei allem, was wir tun, müssen wir uns an den globalen Leitmärkten der Zukunft orientieren, auf denen deutsche Unternehmen auch in zehn Jahren wettbewerbsfähig sein müssen.
Die drei Autoren sind stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Sören Bartol kümmert sich besonders um die Politikfelder Wirtschaft und Digitales, Matthias Miersch um Umwelt und Energie und Achim Post um Europa und Finanzen.
Der Klimawandel ist nicht nur eine Bedrohung, sondern dessen Bewältigung eines der wichtigsten Wettbewerbsfelder für deutsche Unternehmen. Deutschland und Europa haben die Chance, in den kommenden Jahren die Technologien für klimaneutrales Wirtschaften zu liefern. Dazu dürfen wir die bereits begonnene Transformation unserer Wirtschaft durch ein Abrücken von Klimazielen jedoch nicht abbremsen. Das gilt insbesondere für die Automobilindustrie. Eine Abwrackprämie, die Technologien aus dem letzten Jahrhundert fördert, löst keine Probleme von Morgen. Viel wichtiger ist, einen Absatzschub für klimafreundliche Fahrzeuge zu setzen, zum Beispiel über ein breites Flottenaustauschprogramm für Handwerker, soziale Dienste und kommunale Fuhrparks. Außerdem brauchen wir Erleichterungen und Investitionen beim Ausbau der Ladeinfrastrukturen, sowohl im privaten als auch im gewerblichen und im öffentlichen Sektor.
Auf den Innovationsfeldern der Zukunft werden die Grenzen zwischen industrieller Produktion und Dienstleistungen zunehmend durchlässiger, die Unternehmenswelten komplexer. Mit einem Konjunkturimpuls, der dieser Entwicklung Rechnung trägt, wollen wir unsere Wirtschaft widerstandsfähiger machen und besser gegen Krisen wappnen. Dazu muss die dezentrale, Innovationskraft kleinerer und mittlerer Unternehmen gestärkt werden. Wir müssen vermeiden, dass nach der Krise eine Oligopol-Struktur weniger großer, staatsgestützter Unternehmen übrigbleibt.
Wasserstoff hat zentrale Bedeutung
Dekarbonisierung und Digitalisierung müssen bei einem Konjunkturprogramm einen besonderen Stellenwert bekommen. Nur wenn wir uns auf diese Zukunftsfelder konzentrieren, sind die Innovationsziele angesichts begrenzter Mittel erreichbar. Bis spätestens 2050 wollen wir klimaneutral wirtschaften und leben. Dafür müssen wir den Ausbau der Erneuerbaren Energien deutlich forcieren. Zuvorderst müssen wir die aktuellen Ausbau-Hemmnisse wie den Solardeckel beseitigen. Wir sind überzeugt, dass Erneuerbare Energie auch zukünftig breit zugänglich und bezahlbar sein müssen, sowohl für Verbraucherinnen und Verbraucher als auch für die Unternehmen. Wasserstoff hat in allen Sektoren eine stark steigende Bedeutung. Die für eine nachhaltige Wasserstoffwirtschaft erforderlichen Technologien sind ein zentrales Kompetenzfeld deutscher Unternehmen.
Wasserstoff leistet nicht nur einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele, sondern auch zur Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft. Wir setzen daher auf einen schnellen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und konkrete Markteinführungen in zentralen Anwendungsfeldern. Teil eines Konjunkturprogramms muss daher sein, die Produktion von grünem Wasserstoff in Deutschland massiv auszuweiten auf eine Leistung von mindestens zehn Gigawatt und den Betrieb vor allem in der Chemie- und Stahlindustrie sowie im Verkehrsbereich zu fördern.
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Auch im Bereich der Digitalisierung stehen wir vor einer sprunghaften Entwicklung. Nur mit einer mutigen Investitions- und Innovationsoffensive kann Europa seine Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit im Digitalbereich sichern. Ohne eigenes Know-how in den Schlüsseltechnologien der Zukunft verliert Deutschland auch in seinen industriellen Kernkompetenzfeldern und im qualifizierten Dienstleistungssektor absehbar seine Spitzenpositionen. Ein Konjunkturimpuls muss Unterstützung im Bereich Künstlicher Intelligenz und Mobilfunk deutlich erhöhen. Außerdem müssen wir verstärkt in aufstrebende Unternehmen investieren: Dazu schlagen wir einen Innovationsfonds für die Startup-Szene in Deutschland vor, der Digitalisierung und Klimaschutz verbindet.
Anleihen und Investitionszuschüsse in der EU
Für eine Erholung und den Aufbau neuer Stärke braucht es einen starken Fokus auf Europa. Wir wollen die deutsche EU-Präsidentschaft nutzen, um ein nachhaltiges und solidarisches europäisches Wiederaufbauprogramm voranzubringen, bei dem Deutschland einen starken finanziellen Beitrag leistet. In Deutschland erleben wir keinen echten Wiederaufschwung, solange unsere europäischen Partner nicht ebenfalls wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen. Gerade unsere exportorientierte vernetzte Volkswirtschaft ist auf die europäischen Absatzmärkte und intakte Lieferketten im europäischen Binnenmarkt elementar angewiesen.
Um eine wuchtige Wirkung zu entfalten, muss sich das europäische Wiederaufbauprogramm auch auf gemeinsame europäische Anleihen stützen, die nicht nur für Kredite, sondern zu einem erheblichen Teil auch für echte Investitionszuschüsse genutzt werden sollten. Wichtig ist, dass die Europäische Union insgesamt profitiert und so enger zusammenwächst.
Altschuldenregelung für Kommunen
Unsere Kommunen haben während der Bekämpfung der Pandemie Großartiges geleistet. Auch beim Wiederaufleben der Wirtschaft tragen sie eine Schlüsselrolle. Kommunen und ihre Unternehmen sichern die Daseinsvorsorge und garantieren die Umsetzung zahlreicher Investitionsprogramme, die der Konjunkturbelebung dienen. Angesichts wegbrechender Einnahmen müssen wir die Funktionsfähigkeit des Staates gerade auch in den Städten, Landkreisen und Dörfern im Blick behalten.
Dafür ist es dringend erforderlich, einen kommunalen Schutzschirm aufzuspannen, der den Kommunen bei der Krisenbewältigung finanziell hilft, ebenso wie zügig eine faire Altschuldenregelung zu vereinbaren. Zu beidem bedarf es einer gemeinsamen Kraftanstrengung der Länder und des Bundes. Wir müssen gerade auch die strukturschwächsten Kommunen wieder in die Lage versetzen, in die Zukunft zu investieren und den ökologischen Stadtumbau einschließlich der Modernisierung von Bus und Bahn massiv voran zu treiben. Die bereits beschlossene "Nationale Investitionsallianz" von Bund, Ländern und Kommunen muss nun umso dringender vorangetrieben werden.
Ein erfolgreiches Konjunktur- und Transformationsprogramm der Zukunft verbindet Arbeit, Wirtschaft, Klimaschutz und Innovation. Alles, was wir jetzt entscheiden, muss zugleich einen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit leisten. Daher ist eine gerechte Lastenteilung wichtig, ein besonderer Fokus auf Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen und deren Stabilisierung über faire Löhne. Pauschale Unternehmenssteuersenkungen ohne plausiblen Lenkungseffekt und die Absenkung vereinbarter und beschlossener Standards insbesondere im Klimabereich lehnen wir ab.
Wie unter einem Brennglas lässt die Corona-Pandemie politische Haltungsunterschiede wieder deutlicher hervortreten: zurück zum neoliberalen Laissez Faire mittels Abbau von Umwelt- und Sozialstandards oder eine innovative, zukunftsorientierte und ökologische Investitionspolitik mit einem gestaltenden Staat. Wir werben für die zweite Option.
Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online.de-Redaktion.