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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Beziehungen zu den USA Trump ist nicht das größte Problem
Nach den Zerwürfnissen der Trump-Jahre sind die internationalen Erwartungen an den künftigen US-Präsidenten Joe Biden groß. Doch auch er wird Hoffnungen enttäuschen.
Hoffnungsträger haben es nicht leicht. In dem Moment, in dem gewöhnliche Menschen zu Hoffnungsträgern aufsteigen, werden sie von Erwartungen überschüttet. Viele Menschen neigen dazu, all ihre Hoffnungen in einzelne Personen zu setzen. Oft sind das außergewöhnliche Sportler, talentierte Wissenschaftler oder führende Politiker. Meistens werden die vielen unterschiedlichen Erwartungen zur Last für die Hoffnungsträger. Deshalb erleiden am Ende viele das gleiche Schicksal: Sie enttäuschen.
Joe Biden ist spätestens seit seinem Sieg bei der US-Präsidentschaftswahl ein Hoffnungsträger – für viele US-Bürger, aber auch für große Teile der internationalen Staatengemeinschaft. Viele enge Verbündete der USA erwarten von ihm, dass er als Präsident die Zeit zurückdreht – zurück zu der Politik vor Donald Trump. Sie erwarten eine Überwindung der "America First"-Prämisse, die internationale Zusammenarbeit oft unmöglich machte.
Doch diese Erwartungen an Biden sind zum Teil unrealistisch. Mit ihm als Präsidenten werden die USA ihren Führungsanspruch wieder vermehrt wahrnehmen und der Politikstil wird auf internationaler Ebene versöhnlicher gegenüber den engen Verbündeten werden. Aber die Politik des nationalen Egoismus von Donald Trump konnte nur bei so vielen US-Bürgern verfangen, weil sich der Anspruch vieler Amerikaner an die eigene Außenpolitik im letzten Jahrzehnt verändert haben. Sie möchten ihr Land nicht mehr als Weltpolizei sehen.
Trump war das Symptom eines größeren Problems: Die USA ziehen sich als globale Ordnungsmacht immer weiter zurück, weil es für diese Führungsrolle in der US-Gesellschaft kaum noch Akzeptanz gibt. Dieser Tatsache kann sich Biden nicht verschließen. Auch ohne Trump droht daher eine fundamentale Wandlung der derzeitigen globalen Ordnung.
Die kriegsmüde Supermacht
Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Einerseits ist die US-Bevölkerung nach vielen Jahrzehnten der Kriege und Konflikte kriegsmüde. Die USA wurden seit ihrer Staatsgründung nur zweimal auf eigenem Territorium angegriffen – durch Japan im Zweiten Weltkrieg und durch islamistische Terroristen am 11. September 2001. Für andere Kriege warben US-Regierungen oft mit Emotionen und großen Bedrohungsszenarien um Legitimation.
Im Kalten Krieg – in Korea und Vietnam – kämpften US-Soldaten gegen die kommunistische Bedrohung, im Irak ging es um Menschenrechte, aber auch um die Ölversorgung im eigenen Land. In den letzten 20 Jahren stand der Kampf gegen den internationalen Terrorismus im Fokus.
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Kriege bedeuten immer auch eigene Todesopfer und Bomben kosten viel Geld. Da nahezu alle der aktuellen Kriegs- und Konfliktschauplätze für die US-Bevölkerung sehr weit entfernt sind, ist die Akzeptanz dafür, dass eigene Soldaten irgendwo in der Fremde sterben, in den letzten Jahrzehnten stets gesunken.
Zudem kämpfen die USA mit großen sozialen Verwerfungen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Deswegen wünscht sich ein großer Teil der US-Bevölkerung eine Außenpolitik, die in erster Linie den eigenen wirtschaftlichen Wohlstand verteidigt und ausbaut.
Was würde Biden anders machen?
Diese Ausgangssituation muss man sich für Bidens Amtszeit vor Augen halten, um die Möglichkeiten abzuschätzen, die der künftige Präsident außenpolitisch hat. Denn seine Außenpolitik muss von einem großen Teil der US-Bevölkerung getragen werden.
Eine Übersicht über außenpolitische Themen zeigt, dass Bidens Möglichkeiten begrenzt sind:
1. Europa
Die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland sind auf einem Tiefpunkt, auch mit Frankreich hatte die noch amtierende US-Regierung oft Streit. Trump sah viele europäische Staaten eher als Rivalen, nicht als Verbündete.
Biden sagte vor der Wahl: "Das Erste, was ich tun muss – und ich scherze nicht: Wenn ich gewählt werde, muss ich mit den Staatschefs telefonieren und sagen, dass Amerika zurück ist, Sie können auf uns zählen." Unter ihm werden die USA also an viele Verhandlungstische zurückkehren.
Das ändert sich unter Biden: Der Ton wird ein deutlich anderer werden, besonders der Umgang mit engen Verbündeten wird sich verbessern. Biden wird sich zum transatlantischen Bündnis bekennen und im Gegensatz zu Trump auch Deutschland besuchen. Außerdem steht Biden laut seinem "Plan zur Führung der demokratischen Welt" für mehr internationale Zusammenarbeit und für das Ende von Trumps Politik der Alleingänge. Der noch amtierende US-Präsident hat kein Interesse an Einigkeit in Europa – im Gegensatz zu Biden.
Im Biden-Plan heißt es auch: "Zusammen können und müssen sich Demokratien gegen den Aufschwung von Populisten, Nationalisten und Demagogen stellen." Eine klare Absage an Machthaber wie Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban.
Das bleibt: Biden wird auf mehr Gerechtigkeit im Außenhandel pochen und er wird versuchen, die Ostseepipeline "Nord Stream 2" zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Außerdem ist der Abzug von einem Drittel der 36.000 US-Soldaten aus Deutschland auch weiterhin nicht vom Tisch.
2. Die Nato
Für die Nato waren die Trump-Jahre eine Schreckenszeit. Er sah in der Nato nie einen Nutzen für die USA, nannte sie sogar "obsolet". Aber damit nicht genug: Trump hegte Zweifel an der Einsatzbereitschaft des Militärbündnisses und drohte sogar mit dem Austritt der USA.
Das ändert sich unter Biden: Der künftige US-Präsident gilt als überzeugter Transatlantiker, mit ihm dürften die Existenzsorgen der Nato vorerst vorüber sein. Die USA werden wieder mehr um den inneren Frieden in der Militärallianz bemüht sein – zum Beispiel im Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei.
Das bleibt: Auch Biden wird darauf drängen, dass die Nato-Mitgliedsstaaten ihr verabredetes Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben einhalten. Mittelfristig möchten die USA vermehrt sicherheitspolitische Verantwortung abgeben und auch der Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan wird offenbar nicht rückgängig gemacht.
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3. Welthandel
Unter Trump verhängten die USA Strafzölle gegen die Europäische Union und gegen China. Die reagierten wiederum mit Strafzöllen gegen die USA.
Das ändert sich unter Biden: Es ist unwahrscheinlich, dass sich diese Konflikte mit einem Machtwechsel im Weißen Haus schnell lösen lassen. Biden könnte eine Reformierung der Welthandelsorganisation (WTO) initiieren, aber dafür müssten die USA zunächst die Streitigkeiten mit der EU und mit China beilegen.
Das bleibt: Auch Biden möchte, dass mehr Waren in den USA produziert werden und dass Amerikaner mehr US-Waren konsumieren. Deshalb werden die Zölle wahrscheinlich zunächst bestehen bleiben. "Als Präsident werde ich erst dann neue Handelsabkommen schließen, wenn wir in die amerikanischen Bürger investiert und sie für den Erfolg in der Weltwirtschaft gerüstet haben", versprach Biden im Wahlkampf.
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4. Klimapolitik
Die Klimakrise ist ein globales Problem, das Trump verharmlost. Er trat aus dem Pariser Klimaabkommen aus, sprach von "sauberer Kohle" oder bezeichnete die Erderwärmung als "normales Wetter".
Das ändert sich unter Biden: In der Klimapolitik werden sich die größten Unterschiede zwischen Trumps und Bidens Politik zeigen. Der künftige US-Präsident ist sich der Dringlichkeit des Problems bewusst und hat angekündigt, noch in seiner ersten Amtswoche wieder in das Pariser Klimaabkommen einzutreten. Ein Schwerpunkt seiner Amtszeit wird sein, die Wirtschaft klimafreundlicher zu machen. Damit werden die USA von einem Leugner zu einem Verbündeten gegen die Krise.
Das bleibt: Viele Menschen in den USA fürchten die wirtschaftlichen Konsequenzen einer klimafreundlicheren Politik. Biden steht vor der Aufgabe, eine soziale Klimapolitik zu gestalten, die vor allem auch die Arbeiterschicht nicht vergisst.
5. Internationale Konflikte
Die Konfliktpolitik der USA in den letzten vier Jahren folgte ebenfalls der Ideologie "America First". Die US-Regierung hat sich meist nur dann in Konflikte eingemischt, wenn diese US-Interessen tangierten. Trump traf sich zwar mit Nordkoreas Machthaber Kim Jong-Un oder leistete sich ein Säbelrasseln mit dem Iran, aber damit wollte er sich vor allem innenpolitisch als "Deal Maker" und starker Anführer verkaufen. Beim Konflikt mit Russland ließ er den US-Kongress Stärke demonstrieren, ohne jedoch Putin zu sehr zu provozieren. Der Rivalität mit China konnte auch er nicht ausweichen. Außenpolitisch tat Trump das Nötigste, aber er war meistens plan- und kurslos und damit unberechenbar.
Das ändert sich unter Biden: Unter der kommenden US-Regierung werden die USA wieder einen klareren Kurs fahren, das macht sie für Verbündete und Gegner besser einschätzbar. Biden wird härter gegenüber Russland auftreten als Trump. Durch die nachgewiesene russische Einmischung in die US-Wahlen 2016 hat er dafür in den USA eine große parteiübergreifende Mehrheit. Trotzdem will der Demokrat das letzte große Abrüstungsabkommen mit Russland erhalten: den New-Start-Vertrag, der ohne Einigung mit Moskau nächstes Jahr ausläuft.
Auch der Konflikt mit China wird sich verschärfen. Peking will die USA mittelfristig als Weltmacht überholen, deshalb wird die Volksrepublik die Interventionsbereitschaft der Vereinigten Staaten testen – zum Beispiel im ostchinesischen Meer. Freundschaften mit Autokraten – ohne politischen Ertrag, wie die Treffen zwischen Trump und Kim – wird es vermutlich nicht mehr geben.
Das bleibt: Auch Biden wird die USA – wenn nichts Außergewöhnliches passiert – nicht in neue Kriegsabenteuer führen und versuchen, möglichst viele US-Soldaten nach Hause zu holen. Mittelfristig wird auch die künftige US-Regierung versuchen, Verantwortung an enge Verbündete abzugeben, damit Russland und China nicht als Ordnungsmacht an Relevanz gewinnen.
6. Naher und Mittlerer Osten
Die Trump-Regierung folgte im Nahen und Mittleren Ost einer simplen Schwarz-Weiß-Logik. Gute Staaten: Israel, Saudi-Arabien und seine Verbündeten. Böse Staaten: der Iran und seine Verbündeten. Nicht von US-Interesse: Kurden und Palästinenser. Immerhin konnten unter US-Vermittlung die Beziehungen zum Sudan, zu den vereinigten arabischen Emiraten und von Bahrain zu Israel normalisiert werden. Das ist auch Trumps Erfolg, wobei noch unklar ist, was den Golfstaaten dafür als Gegenleistung geboten wurde.
Das ändert sich unter Biden: Im Prinzip kann Biden nicht viel von Trumps Nahostpolitik rückgängig machen. Er wird aber im Nahostkonflikt vermehrt auf eine Zweistaatenlösung setzen und gegebenenfalls Kritik an der Siedlungspolitik Israels üben.
Das bleibt: Biden wird vor allem die Hoffnungen auf Unterstützung der Kurden und Palästinenser enttäuschen. Die neue US-Regierung wird die kurdische Autonomie in Nordsyrien nicht verteidigen und auch die US-Botschaft nicht aus Jerusalem zurückverlegen. Es bleibt bei der harten Linie gegen den Iran und bei den Waffendeals mit Saudi-Arabien, die sehr lukrativ für die US-Wirtschaft sind.
Die globale Ordnung vor dem Chaos
Die Auflistung zeigt, dass sich die US-Außenpolitik zwar in Nuancen ändert, die USA aber ihren groben Kurs beibehalten. Biden wird jedoch die Führungsrolle der Vereinigten Staaten in der Welt wieder offensiver einnehmen – nicht, weil die USA das wollen, sondern weil es dazu derzeit keine Alternative gibt.
Die USA möchten den Weg nicht für China oder Russland freimachen, sondern Verantwortung mit den europäischen Verbündeten teilen. Die EU-Staaten haben sich lange darauf verlassen, dass die USA als Supermacht diese Führungsrolle langfristig einnehmen und für eine stabile globale Ordnung sorgen. Aber dazu werden die Vereinigten Staaten in Zukunft nicht mehr bereit sein, das ist die Realität – auch unter Biden.
Deshalb müssen viele europäische Gesellschaften jetzt für sich zentrale Fragen beantworten – zwingende Fragen, die viele Länder die letzten zwei Jahrzehnte ignoriert haben: Möchten die EU-Staaten global mehr sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen – diplomatisch, entwicklungspolitisch und militärisch? Oder ist das nicht in ihrem Interesse und das Machtvakuum, das die USA hinterlassen, wird von anderen Regional- und Ordnungsmächten wie China, Russland oder auch der Türkei gefüllt? Die Antworten auf diese Fragen werden für die Zukunft der globalen Ordnung entscheidend sein.
Dafür muss das transatlantische Bündnis neu aufgestellt werden, besonders nach dem Scherbenhaufen, den Trump hinterlässt. Darin liegt die Hoffnung, die vor allem europäische Verbündete in die kommende US-Regierung setzen. Es wird einen engen Dialog geben und Biden wird die USA nicht Hals über Kopf aus der Verantwortung ziehen, ohne an die Konsequenzen zu denken. Aber die Staaten, die nun die Hoffnung haben, dass sich die US-Außenpolitik unter Biden dahin zurückentwickelt, wo sie zur Jahrtausendwende war, werden vielleicht enttäuscht. Die politischen Möglichkeiten des künftigen US-Präsidenten Biden sind begrenzt – auch wenn er ein Hoffnungsträger ist.
- Eigene Recherche
- US-Außenpolitik: Keine falschen Hoffnungen (Zeit)
- Biden und Europa: Freude über einen unbequemen Partner (Deutsche Welle)
- Außenpolitik unter Biden: "Viel Veränderung erwarte ich nicht" (n-tv)
- US-Außenpolitik: Was Biden anders machen würde (Tagesschau)
- Nachrichtenagentur dpa