t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikTagesanbruch

US-Wahl 2020: Donald Trump und der Schrecken des Machtverlusts


Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Was heute wichtig ist
Nichts ist so vergänglich wie Macht

MeinungVon Sven Böll

Aktualisiert am 09.11.2020Lesedauer: 8 Min.
Die höfische Aura der Macht: Donald Trump bei einem Besuch in Miami im Sommer.Vergrößern des Bildes
Die höfische Aura der Macht: Donald Trump bei einem Besuch in Miami im Sommer. (Quelle: SMG/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

heute schreibe ich stellvertretend für Florian Harms für Sie den kommentierten Überblick über die Themen des Tages.

WAS WAR?

Zumindest theoretisch weiß Donald Trump, wie er mit dem Verlust seiner Macht umgehen sollte. "So true!", twitterte Trump am 24. Dezember 2016, als er den russischen Präsidenten Wladimir Putin zitierte. Der hatte Hillary Clinton nach ihrer Niederlage bei der Präsidentschaftswahl mit auf den Weg gegeben, man müsse in der Lage sein, mit Würde zu verlieren.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

In der Praxis fällt es Trump allerdings schwer, sich an seinen eigenen Maßstäben zu orientieren. "I WON THIS ELECTION, BY A LOT!", schrieb er am Samstag auf Twitter, kurz bevor Joe Biden zum Sieger der Wahl erklärt wurde.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Trump strickte auch am Sonntag an der Legende, er sei durch irgendwelche finsteren Mächte um den Sieg betrogen worden. Wie krude das ist, zeigt ein Blick in die Geschichte: In der Regel fälschen Machthaber in autokratischen Staaten die Wahlen – und nicht in Demokratien die Opposition.

Es lässt sich munter spekulieren, warum Trump sich mit dem Verlust seiner Macht so schwertut, obwohl diese längst erodiert ist. Vielleicht liegt es an seinem Selbstbild, ein ewiger Gewinner zu sein. Vielleicht aber auch daran, dass er einfach Angst hat, was passieren wird, wenn er seine Immunität verliert. Er könnte mit Anklagen konfrontiert werden, die ihn schlimmstenfalls sogar ins Gefängnis bringen.

Das alles sind Vermutungen. Gewissheit haben wir nicht. Was wir jedoch wissen: Trump mag das Loslassen zwar besonders schwerfallen. Aber der Verlust von Macht schmerzt fast alle, die sie besitzen – oder besser: besaßen.

Das gilt für den Firmenpatriarchen, der selbst im hohen Alter noch immer glaubt, mehr von der Zukunft zu verstehen als seine Söhne, teils sogar Enkel, und sich deshalb so lange ans Amt klammert, bis er zur Karikatur verkommt. Das lässt sich aber auch beim gealterten Vorsitzenden des Tennisclubs beobachten, der nach zwei Jahrzehnten wie selbstverständlich für eine weitere Amtszeit kandidiert ("Wer soll es denn sonst so gut machen?").

Doch irgendwann ist eben Schluss. Der Patriarch und der Vereinsvorsitzende verfügen dann immerhin über einen Vorteil gegenüber Politikern: Ihr Entzugsdrama spielt sich nicht vor den Augen der breiten Öffentlichkeit ab.

Dafür bieten einflussreiche politische Ämter wiederum einen großen Vorteil – zumindest solange man sie innehat: Es gibt unzählige Gelegenheiten, seine Macht öffentlichkeitswirksam darzustellen und damit auch die eigene Eitelkeit zu befriedigen.

US-Präsident oder deutsche Kanzlerin zu sein, erzeugt, bei allen Unterschieden, eine nahezu höfische Aura: Fliegen mit der Air Force One / Luftwaffe, Fahren in gepanzerten Limousinen, Türen, die wie von Geisterhand aufgehen. Ständig schwirren Leute um einen herum, die sich kümmern. Es soll in Berlin Abgeordnete geben, die auch nach Jahren nicht allein auf dem kürzesten Weg von ihrem Büro zum Ausschusssaal finden.

Nicht alle, die das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit mit einem machtvollen Job befriedigen, brauchen dafür den öffentlichen Spiegel. Vielen reicht es, wenn sie morgens in den Badezimmerspiegel blicken und sich sagen: "Ich kann's halt." Diese Menschen, deren Macht von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird, können etwa beamtete Staatssekretäre sein, die intern die politische Agenda des Ministers bestimmen, oder Haushaltspolitiker, die hinter den Kulissen das Geld verschieben.

Im Kern bedeutet Macht, dass man andere zu etwas nötigen kann, das sie eigentlich nicht tun wollen. Etwas wohlwollender formuliert lässt sich sagen: Man hat Gestaltungsspielraum. Als Olaf Scholz noch Erster Bürgermeister in Hamburg war, kursierte in der dortigen Verwaltung das Kürzel "OWD". Es stand für: Olaf will das. Was für seine Mitarbeiter so viel bedeutete wie "Du kannst gern Gegenargumente bringen, du solltest dir die Lebenszeit aber besser sparen."

Diese Durchsetzungsstärke macht Macht so verführerisch – und ihren Verlust so schmerzvoll. Zumal die Betroffenen oft Jahrzehnte in ihren Aufstieg investiert haben. Wer in der Politik Karriere machen will, engagiert sich oft bereits zu Schulzeiten und sucht sich gezielt ein Studium aus, das viel Raum für Parteiarbeit lässt. Dann arbeitet er sich nach und nach hoch.

Selbst der manchmal jahrzehntelange 24/7-Einsatz garantiert allerdings nicht, dass man das Ende der Leiter tatsächlich erreicht. Wenn man Pech hat, kommt plötzlich ein Aufsteiger à la Karl-Theodor zu Guttenberg aus dem Nichts und lässt eigene Träume platzen. Wenn man Glück hat, räumt der Hoffnungsträger sich dann selbst aus dem Weg.

Für die meisten Menschen ist wenig so mühsam zu erringen wie Macht. Und zugleich ist sie so vergänglich wie kaum etwas anderes. Denn die Erleichterung, endlich an der Spitze angekommen zu sein, hält zumeist nur kurz an. Wer Kanzler, Minister oder Fraktionschef ist, hat viel damit zu tun, es auch zu bleiben. Überall lauern Neider, die nur auf den einen entscheidenden Fehler warten und denen man irgendetwas bieten muss. Mitarbeiter, die einem ehrlich die Meinung sagen oder nur melden, was im Flurfunk zu hören ist, gibt es immer weniger.

Dafür sind alle immer so wahnsinnig freundlich. Das wiederum führt dazu, dass manch Mächtiger im Laufe der Zeit glaubt, all die Aufmerksamkeit und Zuneigung gelte ihm persönlich. Dabei gilt sie dem Amt und nicht der Person.

Weil der Verlust von Macht so schmerzhaft ist, verzichten einige, die nach ihr greifen könnten, darauf. Auch, weil sie selbstreflektiert genug sind, zu merken, nicht die richtigen Voraussetzungen für den Job mitzubringen. Horst Köhler hätte sich vermutlich einiges ersparen können, wenn er das Angebot von Angela Merkel ausgeschlagen hätte, Bundespräsident zu werden. Er war damals bereits seit Längerem im Ausland aktiv und damit fernab der Härten des Berliner Politikbetriebs. Und er war kein guter Redner. Beides war für den Job des Staatsoberhaupts nicht wirklich hilfreich.

Loading...
Loading...
Täglich mehr wissen

Abonnieren Sie kostenlos den kommentierten Überblick über die Themen, die Deutschland bewegen. Datenschutzhinweis

Aus den genannten Gründen dürfte informelle Macht oft angenehmer sein als formelle. Einer, der darüber einiges erzählen könnte, ist Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Die Grenzen der Macht seines Amtes musste er zuletzt erkennen, als er die Bundestagsfraktionen erfolglos zu einer umfassenden Wahlrechtsreform drängte. Umso mehr verfügt Schäuble über eine intellektuelle Wirkmacht. Er wird etwa gehört, wenn es um die großen Fragen der Gesellschaft wie Corona oder um die Zukunft der CDU geht.

Deshalb hat Schäuble an dieser Stelle auch das letzte Wort zu Donald Trumps Weigerung, seine Niederlage einzugestehen. Wenn der scheidende US-Präsident seine Abwahl nicht akzeptiere, sagte er der "Bild am Sonntag", müssten genügend Republikaner da sein, die ihm sagten: "Es isch, wie es isch, und jetzt isch over."


WAS STEHT AN?

Nachdem wir uns tagelang mit den Wahlen in den USA und Counties wie Allegheny (Pennsylvania), Maricopa (Arizona) und Clark (Nevada) beschäftigt haben, dürfte in den kommenden Tagen wieder Corona – und damit deutsche Landkreise wie Herne (Nordrhein-Westfalen), Berchtesgadener Land (Bayern) und Bautzen (Sachsen) – in den Vordergrund rücken. Denn unter anderem dort ist die Sieben-Tages-Indiz besonders hoch.

Was in diesem Zusammenhang hoffentlich auch in den nächsten Tagen aufgearbeitet wird, sind die Ereignisse in Leipzig am Samstag. Während unter anderem Restaurants und Theater geschlossen sein müssen, zogen Zehntausende Kritiker der Corona-Beschränkungen, Rechtsextreme, Esoteriker und Verschwörungstheoretiker bei einer sogenannten "Querdenken"-Demo durch die Stadt. Wie abzusehen war, provozierten die Demonstranten mit der massenhaften Ignoranz der Corona-Vorschriften schließlich die Auflösung. Danach kam es sogar zu Randalen.

Dass es den Demonstranten so schwerfällt, demokratisch legitimierte Regeln zu achten, und dass sie sogar in Kauf nehmen, das Virus nach der Rückkehr von diesem möglichen Superspreader-Event munter zu verbreiten, wirft genauso Fragen auf wie die Deeskalationstaktik der Polizei. Aber auch die Richter am Oberverwaltungsgericht Bautzen sollten darüber nachdenken, ob sie nicht mit dazu beitragen, den Staat vorzuführen: Sie erlaubten die Demo im Zentrum. Die Stadt wollte die Kundgebung auf die Parkplätze der Neuen Messe verlegen.


Es wäre schön, wenn heute der "Tag der Deutschen Einheit" wäre – und nicht am 3. Oktober. Auch wenn es in der deutschen Geschichte an diesem Datum schreckliche Tiefpunkte gab. So wie 1938. Doch der 9. November 1989 ist einfach ein Tag ganz großer Freude. Heute um kurz vor 19 Uhr ist es 31 Jahre her, dass Günter Schabwoski seinen legendären Satz "Das tritt nach meiner Kenntnis ... ist das sofort, unverzüglich" sagte, der noch im Laufe des Abends zur Öffnung der Mauer führte. Die Frage, die letztlich zu Schabowskis eigentlich unbeabsichtigter Aussage führte, stammte vom italienischen Journalisten Riccardo Ehrman. Er ist vor wenigen Tagen 91 Jahre alt geworden. Herzlichen Glückwunsch nachträglich!


Um 11 Uhr stellen die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, der Chef der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, und der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Gerald Haug, ihr gemeinsames Positionspapier zur Frage vor, wie der Zugang zu einem Covid-19-Impfstoff geregelt werden soll. Zumindest ist der Termin ein weiteres Indiz dafür, dass es bald tatsächlich die ersten Zulassungen von Impfstoffen geben könnte.


Die Vorstand der IG Metall berät am Nachmittag über seine Forderungsempfehlung für die Tarifrunde. Das ist deshalb wichtig, weil die Lohn- und Gehaltserhöhungen in der Metall- und Elektroindustrie oft Pilotcharakter haben.


Kurz nach der Amtseinführung seines Vertrauten Luis Arce will Ex-Staatschef Evo Morales aus dem Exil in Argentinien nach Bolivien zurückkehren. Die Karawane soll am 11. November an ihrem Zielort ankommen – genau ein Jahr nachdem Morales das Land verlassen hatte. Im Nachbarland Peru stimmt das Parlament erneut über die Amtsenthebung des Präsidenten Martín Vizcarra ab. Diese beiden Meldungen aus der Ferne nur als Hinweis an all jene, die glauben, Europa sei ein instabiler Kontinent.


WAS LESEN?

Sollten Sie am Wochenende wenig Zeit gehabt haben, alles Wichtige zur US-Wahl zu verfolgen, empfehle ich Ihnen die Porträts unseres US-Korrespondenten Fabian Reinbold über den Sieger Joe Biden und den Verlierer Donald Trump. Mein Kollege Johannes Bebermeier, der zurzeit ebenfalls in Washington ist, hat zudem nachgezeichnet, wie Trump in den Stunden nach der Verkündung der Entscheidung reagierte.


Europa erlebt derzeit die zweite Corona-Welle. Und manche Experten fürchten, dass sie schlimmer als die erste werden könnte. Das war vor mehr als 100 Jahren nicht anders, als die Spanische Grippe im Herbst 1918 Millionen Menschen tötete. Es stellt sich also die Frage, welche Lehren wir aus den Ereignissen von damals ziehen können. Ei-ni-ge, berichtet mein Kollege Marc von Lüpke. Unter anderem, dass Entschlossenheit bei den Maßnahmen Menschenleben rettet. Etwa, indem frühzeitig soziale Kontakte beschränkt werden.


Der blutige Krieg in Bergkarabach erscheint aus deutscher Perspektive weit weg und auch undurchsichtig. Doch der Konflikt hat mit uns mehr zu tun, als wir glauben. Meine Kollegin Anna Aridzanjan zeigt deshalb auf, was wir darüber wissen sollten.


Er ist 21 Jahre, gilt als hochtalentiert, führt die WM-Wertung der Formel 2 an – und ist nach eigener Aussage "ganz eindeutig bereit für Formel 1". Sein Name: Mick Schumacher. Meinem Kollegen David Digili hat der Sohn von Rekordweltmeister Michael Schumacher eines seiner seltenen Interviews gegeben.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ich habe es ja eben schon angedeutet: Die US-Wahl wird in den kommenden Tagen wohl immer mehr in den Hintergrund rücken – und ein anderes Thema wieder dominieren.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die zweite Woche mit geschlossenen Restaurants, Kinos und Theatern ... Morgen schreibt an dieser Stelle wieder Florian Harms für Sie.

Ihr

Sven Böll
Managing Editor t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @SvenBoell

Mit Material von dpa.

Den täglichen Newsletter von Florian Harms hier abonnieren.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



TelekomCo2 Neutrale Website