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Syrien: Wie Kinder den Bürgerkrieg in Aleppo erlebten


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Kinder im Bürgerkrieg
Doku-Drama über Aleppo: "Es ist ein Liebesbrief an meine Tochter"

InterviewEin Interview von t-online.de

Aktualisiert am 10.10.2019Lesedauer: 7 Min.
Rebel fighters and civilians wait near damaged buildings to be evacuated from a rebel-held sector of eastern AleppoVergrößern des Bildes
Zivilisten und Rebellen auf dem Weg zur Evakuierung: Sie müssen Aleppo verlassen, bevor die Regierungstruppen einrücken. Wer nicht flüchtet, muss mit dem Tod rechnen. (Quelle: Abdalrhman Ismail/Reuters-bilder)
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Die Filmemacherin Waad trägt ein Baby in ihrem Bauch. Ihre Tochter wird in den syrischen Bürgerkrieg hineingeboren. Ein Film erzählt die Geschichte der Familie – und der Kinder von Aleppo.

Sama liegt im Bett ihrer Eltern in Aleppo. Die Kamera zoomt auf ihr Gesicht. Sie ist ein süßes Baby und lacht aus ihren graugrünen Augen. An ihren winzigen Ohrläppchen hängen goldene Ohrringe. Der Name Sama bedeutet Himmel auf Arabisch. Ihre Mutter sagt, so stelle sie sich den Himmel vor. Doch sie weiß auch, dass vom Himmel nicht nur Gutes kommt.

Als Sama in Aleppo geboren wurde, regnete es fast täglich Bomben, Raketen und Gewehrkugeln. Der Dokumentarfilm "Für Sama" zeigt die desaströsen Folgen des syrischen Bürgerkriegs. Fünf Jahre lang filmte die Regisseurin Waad al-Kateab den Alltag in der Großstadt Aleppo. Davon erzählte sie t-online.de in einem Exklusiv-Interview. Am Mittwoch wird ihr Film beim Human Rights Film Festival in Berlin gezeigt.

Die Geschichte einer starken Familie

Die Aufnahmen von al-Kateab sind schwer auszuhalten: Ihr Ehemann Hamza arbeitete bis Dezember 2016 in einem Krankenhaus, das in der Zone der Aufständischen lag. Die bewaffneten Truppen der Assad-Regierung rückten näher. Immer wieder fielen Bomben auf Schulen, Krankenhäuser oder Bäckereien. In dieser Zeit retteten Hamza und seine Kollegen tausende Menschen - darunter auch schwer verletzte Kinder.

Das Human Rights Film Festival
Am 18. September 2019 beginnt das Human Rights Film Festival in Berlin. Bis zum 25. September laufen in den teilnehmenden Kinos Filme über Menschenrechte und Fluchtursachen. Organisiert wurde das Festival von "Save the Children", "Aktion gegen den Hunger" und der Flüchtlingshilfe Deutschland (NRC).

Immer dabei: die syrische Journalistin Waad al-Kateab. Sie sammelte Beweise für Angriffe auf die Zivilbevölkerung, berichtete für Medien aus dem Westen über Bomben und Folter in Syrien. Doch ihr Film "For Sama" zeigt vor allem, wie Familien und Kinder unter dem Krieg leiden.

In ihrem Film erzählt Waad al-Kateab die Geschichte ihrer Tochter Sama. Sie wurde am 13. Dezember 2015 in Aleppo geboren und verbrachte ihr erstes Lebensjahr unter Dauerbeschuss. Jahrelang lebten Waad, Hamza und Sama inmitten von Sandsäcken und Ruinen. Trotzdem nennt sie den Film "einen Liebesbrief an ihre Tochter".

t-online.de: Der Film "Für Sama" ist keine leichte Kost. Kinder sterben im Krankenhaus, Menschen leiden und Bomben explodieren. Warum haben Sie den Film Ihrer Tochter gewidmet?

Waad al-Kateab: Der Film heißt "Für Sama", weil es ein Liebesbrief an meine Tochter ist. Er soll ihr erklären, was mit uns in Syrien passiert ist und warum wir uns entschieden haben, zu bleiben.

Der Film ist aber auch ein Symbol für alle Kinder Syriens. Ihre Generation wurde im Krieg geboren. Ich hatte einfach das Gefühl, dass wir etwas brauchen, um es ihnen zu zeigen, sie davor zu retten und zu schützen. Sie sollten erfahren, wie normale Menschen diese fünf Jahre erlebt haben. Der Film ist auch eine Nachricht an die Welt, damit jeder erfährt, was wir durchgemacht haben.

Seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 werden auch Schulen und einfache Wohnhäuser bombardiert. Allein im vergangenen Jahr starben mehr als 1.000 Kinder in Syrien, berichtet die UN. Mehr als 2,5 Millionen Kinder sind mit ihren Familien auf der Flucht. Vergangene Woche stellte eine UN-Untersuchungskommission fest: Es könnte sein, dass US-amerikanische, syrische und russische Streitkräfte für Kriegsverbrechen wie Luftangriffe auf Schulen und Krankenhäuser verantwortlich sind.Wie viele Kinder sind im Syrien-Krieg gestorben?

Trotz des Krieges sind Sie mit Ihrem Mann und Ihrer Tochter nicht aus der von Regierungstruppen belagerten Zone geflüchtet. Warum sind Sie in Syrien geblieben?

Waad al-Kateab: Wir haben fünf Jahre mit diesen Leuten in Aleppo gelebt. Das ist unser Zuhause, wir sind Syrer. Es ist unsere Pflicht, zu bleiben und für Freiheit und eine bessere Zukunft zu kämpfen.

Der Film war auch für meine Tochter Sama. Als ich schwanger war und sie geboren wurde, hatte ich noch mehr Gründe, um für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Ich wusste, dass ich möchte, dass meine Tochter an einem sicheren Ort mit Freiheit, Würde und Gerechtigkeit aufwächst. Und ich wollte, dass sie dort aufwächst, wo wir hingehören.

Außerdem ist Hamza Arzt. Wir wussten, wie sehr die Leute dort Ärzte brauchten. Wir wussten, dass ein Arzt einen großen Unterschied machen kann. Einige Ärzte behandelten monatlich Tausende von Patienten. Und es ging auch um meine Rolle: Als Journalist fand ich es wichtig, aus Aleppo zu berichten. Ich musste das in dieser Situation tun.

Ihr Filmmaterial aus Aleppo zeigt, wie das Krankenhaus kurz nach der Geburt von Sama von einer Bombe getroffen wurde. Sie war noch ein Baby, aber sie blieb völlig ruhig.

Waad al-Kateab: Alle Erwachsenen waren geschockt, wenn ein Angriff kam. Aber Sama war manchmal so still, als ob sie verstehen würde, dass sie jetzt nicht in Panik geraten sollte. Es war so seltsam. Ich konnte nicht wissen, was sie dachte, weil sie sich nicht ausdrücken konnte.

Im Dezember 2016 erklärte sich die syrische Regierung dazu bereit, den von Rebellen besetzten Osten Aleppos zu evakuieren. Zehntausende Menschen wurden in Bussen über die Stadtgrenze Richtung Idlib gebracht. Die Verletzten wurden zuerst in Sicherheit gebracht. Erst am Ende verließen auch Waad al-Kateab und ihr Ehemann mit Tochter Sama die Stadt.Die Evakuierung in Aleppo

Wie veränderte sich Sama nach Aleppo?

Waad al-Kateab: Sie hatte Schlafprobleme. Manchmal wachte sie auf und schrie, aber ohne zu weinen. Sie konnte uns nicht sagen, ob es ein Albtraum oder Gefühle waren oder sowas. Die Ärzte sagten uns, dass Kinder unter zwei Jahren Erinnerungen oft als Albträume haben. Du kannst das nicht wirklich lösen, bis sie sprechen können. Also machten wir eine Liste von Dingen, die uns der Arzt geraten hatte. Jetzt geht es ihr viel besser.

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Man kann aber auch sehen, dass Sama ein super praktisches Mädchen ist. Sie macht alles alleine. Sie hat starke soziale Fähigkeiten. Und sie verhält sich viel, viel älter als sie ist. Ihre jüngere Schwester Taima, die erst später in der Türkei geboren wurde, ist in allem sehr unterschiedlich.


Nach der Evakuierung gingen Sie in die Türkei. Inzwischen wohnen Sie in London. Haben Sie die Hoffnung auf ein Leben in Syrien aufgegeben?

Waad al-Kateab: Manchmal denke ich, dass wir sehr naiv waren, als wir dachten, dass sich die Lage in Syrien verbessern wird. Bis wir Aleppo verlassen mussten, hatte ich diese Hoffnung. Ich dachte, dass alles, was wir durchgemacht haben, nicht umsonst sein wird.

Aber als wir Aleppo verließen und sahen, wie alle vertrieben wurden und wie das russische und syrische Regime die Macht übernahmen, verlor ich viel Hoffnung. Doch ein wenig bleibt mir, ich hoffe weiter. Vielleicht habe ich das Vertrauen in die Regierung verloren, aber ich habe immer noch Hoffnung in die Menschen. Ich sehe die Reaktionen der Leute auf meinen Film. Und ich sehe, dass sie verzweifelt helfen wollen.

Einige Menschen in westlichen Gesellschaften behaupten, dass die meisten Syrer gefahrlos zurückkehren können. Ist Syrien inzwischen sicherer?

Waad al-Kateab: Es gibt viele Dinge, die ich diesen Leuten sagen möchte: Wenn Sie keine Flüchtlinge wollen, lösen Sie das Problem. Lösen Sie das Problem mit den Assad-Verbrechen in Syrien, statt Flüchtlinge zu beschuldigen. Der Krieg ist nicht vorbei. Schauen Sie sich nur die Zerstörung dort an.

Ich bitte Sie, sich den Film anzuschauen. Diese Reise hilft Ihnen zu verstehen, was wir erlebt haben. Wie viele Flüchtlinge leben auf der ganzen Welt? Syrien wird nicht sicher sein, solange das Assad-Regime die Kontrolle hat.

Wer ist Waad al-Kateab?
Die 28-jährige Waad al-Kateab hat an der Universität in Aleppo studiert. Während der Proteste in Syrien arbeitete sie als Bürgerjournalistin. Ihre Filme bezeugen etliche Menschenrechtsverletzungen. Sie lebt inzwischen in London und berichtet dort regelmäßig für "Channel 4 News". Ihr Dokumentarfilm "Für Sama" (2019) gewann den Golden Eye Award beim Festival de Cannes 2019.
Waad ist verheiratet mit dem Mediziner Hamza. Das Ehepaar hat zwei Töchter: Sama (3) und Taima (2).

Nach wie vor werden Krankenhäuser in Syrien angegriffen. Die UN unternimmt derzeit nichts dagegen. Sie durften aber einen Ihrer Filme dort zeigen. Wie hat die UN auf Ihren Film reagiert?

Waad al-Kateab: Wir haben den Film dort gezeigt, um zu übermitteln, was wir durchgemacht haben und was die Leute in Idlib jetzt durchmachen. Wir haben ihnen das als Beweis vorgelegt. Leider können sie nicht sagen, wer die Krankenhäuser bombardiert, und sie verstecken sich hinter einer passiven Haltung.

Was glauben Sie: Warum wird in Syrien so oft auf Krankenhäuser geschossen?

Waad al-Kateab: Das Regime macht uns das Leben schwer, wenn wir außerhalb des von der Regierung kontrollierten Sektors leben. Die ganze Zeit attackieren sie Krankenhäuser, Bäckereien, Helfer, Schulen. Das sind ihre Verbrechen gegen das syrische Volk.

Ich ziehe auch westliche Länder zur Verantwortung. Großbritannien, die USA, Deutschland, Frankreich und alle, die über Freiheit, Würde, Verantwortung und Gerechtigkeit sprechen. Sie haben das syrische Volk verlassen, während wir für Freiheit gekämpft haben. Ich hoffe, wir werden in Zukunft mehr Unterstützung bekommen.

Angriffe auf Krankenhäuser
Eine Grafik von "Physicians for Human Rights" zeigt, wie viele medizinische Institutionen in Syrien seit März 2011 angegriffen wurden. Von März 2011 bis September 2019 zählte die US-Organisation 583 Angriffe auf medizinische Einrichtungen.

Diese Übersicht zeigt die Angriffe auf Krankenhäuser.

Vermissen Sie Aleppo? Würden Sie zurückgehen?

Waad al-Kateab: Ja, ich vermisse Aleppo sehr. Ein Zurück ist aber keine Option. Wir kannten Leute dort, die versuchten in die vom Regime kontrollierte Zone zu fliehen. Einer von ihnen war Wachmann im Krankenhaus. Er verschwand – ein Jahr – und danach riefen sie seine Familie an. Die musste dann seinen Leichnam abholen. Er wurde unter Folter getötet. Sie können dem Regime nicht vertrauen.

Und eins möchte ich im Namen der sechs Millionen Flüchtlinge auf der ganzen Welt sagen: Wir leben alle für den Tag, an dem wir nach Syrien zurückkehren können. Das kann aber erst passieren, wenn wir Gerechtigkeit erfahren.

Ihre Tochter ist inzwischen drei Jahre und zehn Monate. Wann wollen Sie Sama den Film zeigen?

Waad al-Kateab: Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Ihre Generation ist so offen für neue Technologien, Social Media und YouTube. Sie weiß schon, dass es einen Film für sie gibt, der "Für Sama" heißt. Sie weiß nur nicht, worum es geht. Aber vielleicht wird sie ihn sich irgendwann aus Neugier ansehen?

Frau al-Kateab, vielen Dank für das Interview.

Herzlich gerne. Ich hoffe jedenfalls, dass wir uns alle eines Tages in Syrien wieder treffen – unter besseren Bedingungen.


t-online.de veröffentlicht hier erstmals und exklusiv den deutschen Trailer von "Für Sama". Kinostart für den Dokumentarfilm mit deutschen Untertiteln von Waad al-Kateab und Edward Watts ist im ersten Quartal 2020. Der Film (FSK 18) erscheint im Verleih von "filmperlen". Er wird auch in einer barrierefreien Fassung veröffentlicht.

Verwendete Quellen
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