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Ukraine setzt neue Raketen-Drohne Paljanyzja im Krieg gegen Russland ein


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Raketen-Drohne
Ukraine mischt Luftkrieg mit neuer Hybrid-Waffe auf


26.08.2024Lesedauer: 5 Min.
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Das südkoreanische Militär feuert während einer Übung eine ATACMS-Rakete ab: Auch die Ukraine verfügt über die Geschosse aus US-Produktion. (Quelle: IMAGO/Defense Ministry/imago)
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Die Ukraine will Ziele in Russland mit westlichen Raketen angreifen, doch die Verbündeten stellen sich quer. Jetzt haben sich die Verteidiger selbst weitergeholfen.

Das ukrainische Wort Paljanyzja bezeichnet ein traditionelles Weißbrot aus Mehl, Wasser, Hefe und Salz. Nach der russischen Invasion der Ukraine 2022 nahm das Wort jedoch eine neue Bedeutung an: Es wurde zu einem sprachlichen Passwort, da Russen es anders aussprechen als gebürtige Ukrainer. Seit Kurzem hat Paljanyzja neben dem Lebensmittel und als Unterscheidungsmerkmal noch eine dritte Bedeutung bekommen. Es ist der Name für eine neue, möglicherweise schlagkräftige Waffe aus ukrainischer Herstellung.

Neue Raketen-Drohne Paljanyzja

"Gestern gab es den ersten erfolgreichen Kampfeinsatz unserer neuen Waffe – einer ukrainischen weitreichenden Raketen-Drohne vom Typ 'Paljanyzja'", schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag auf Facebook. Dieser Hybrid sei in der Lage, Flugplätze zu bekämpfen, von denen russische Kampfjets und Bomber aufsteigen, um ukrainische Städte und Ortschaften zu attackieren.

"In den zweieinhalb Jahren seines großangelegten Angriffskriegs hat Russland fast 10.000 Raketen unterschiedlichen Typs und mehr als 33.000 Gleitbomben auf die Ukraine abgefeuert", erinnerte der Staatschef an die verheerenden russischen Angriffe aus der Luft. Nun habe die Ukraine etwas in der Hand, um das Offensivpotenzial der russischen Luftwaffe zu stoppen.

Auflagen aus Washington erschweren Luftkrieg

Die Entwicklung des Mixes aus Rakete und Drohne habe eineinhalb Jahre in Anspruch genommen, sagte Selenskyj. Der Staat hat dazu Förderprogramme aufgelegt und Deregulierungen verabschiedet, um die private Industrie anzutreiben, berichtete die Spendenplattform "United24". Die Produktion der Raketen-Drohne soll nun rasch ausgeweitet werden, sagte Selenskyj. Zur Reichweite der Paljanyzja machte der ukrainische Präsident jedoch keine Angabe. Nach Informationen von "United24" seien jedoch mehr als 20 russische Flugfelder innerhalb des Radius der Waffe. Welche genau gemeint sind, spezifizierte das Portal nicht.

Damit rangiert die ukrainische Eigenproduktion in puncto Reichweite jedoch weit hinter den ATACMS-Raketen, die sich ebenfalls in ihrem Arsenal befinden. Die ballistischen Kurzstreckenraketen aus amerikanischer Produktion können Ziele in bis zu 300 Kilometern Entfernung treffen. Wegen Auflagen aus Washington darf die Ukraine sie jedoch nicht für Angriffe auf russischem Gebiet einsetzen. Dabei befinden sich viele mögliche Ziele im Radius der Langstreckenwaffen, schreibt die US-Denkfabrik Institut für Kriegsstudien (ISW) in einer aktuellen Analyse zum Krieg in der Ukraine.

250 russische Ziele in Reichweite

"Das ISW schätzt, dass sich mindestens 250 militärische und paramilitärische Objekte in Russland in Reichweite der ATACMS-Raketen befinden, die die Vereinigten Staaten der Ukraine zur Verfügung gestellt haben", heißt es dort. Unter den Zielen sollen sich große Militärstützpunkte, Kommunikationsstationen, Logistikzentren, Reparatureinrichtungen, Treibstoffdepots, Munitionslager und Hauptquartiere befinden. Diese Ziele könnten nur sehr schwer verlegt werden und würden die russischen Truppen derzeit in den Bereichen Führung und Kontrolle, Aufklärung, Logistik und Instandsetzung unterstützen, so das ISW.

Hochrangige Beamte der Biden-Administration hätten argumentiert, dass Angriffe mit ATACMS-Raketen auf russisches Gebiet keinen Sinn ergeben würden, weil der Kreml seine Luftstreitkräfte weiter ins Hinterland verlegt habe. Das sei jedoch zu kurz gedacht, so die US-Denkfabrik. Es wäre falsch, "Hunderte von anderen Einrichtungen nicht zu berücksichtigen, die Russlands Krieg gegen die Ukraine unterstützen".

Ernsthafte Bedrohung für Streitkräfte des Kreml

Die US-Denkfabrik plädiert in der Analyse für eine Aufhebung der westlichen Beschränkungen. Die westlichen Raketen wären im Luftkrieg eine ernsthafte Bedrohung und würden möglicherweise "den Kreml zwingen, seine Streitkräfte im gesamten hinteren Teil des Landes erheblich umzugestalten", so das ISW.

Einen ähnlichen Effekt hatte die Ukraine bereits 2022 erzielen können, als die Armee erstmals Himars-Raketenwerfer einsetzte. Die davon überraschte russische Seite hatte längere Zeit benötigt, sich auf die neue Bedrohung einzustellen und militärische Einrichtungen außer Reichweite zu bringen. Dies habe erheblich dazu beigetragen, "dass Russlands Vormarsch Ende 2022 zum Stillstand kam".

Das ISW analysiert, dass die russischen Streitkräfte über keine ausreichende Luftverteidigung in rückwärtigen Gebieten verfügen würden, um ATACMS-Angriffe zu unterbinden. Das habe unter anderem die ukrainische Drohnenkampagne gezeigt. Zuletzt hatte die Ukraine mit unbemannten Luftfahrzeugen Munitions- und Kraftstoffdepots angegriffen und damit Explosionen und tagelang anhaltende Brände ausgelöst.

Druck-Kampagne auf Bidens Administration

Mit dem Erfolg der ukrainischen Armee in Kursk im Rücken, hat Wolodymyr Selenskyj sich erneut für die Aufhebung der letzten Beschränkungen für den Einsatz von ATACMS-Raketen eingesetzt. Dazu entsandte er ukrainische Beamte, die sich mit Kongressmitgliedern und US-Beamten getroffen und öffentliche Erklärungen abgegeben haben. Ziel der Kampagne ist es, den Druck auf das Weiße Haus im Vorfeld der US-Wahlen zu erhöhen. Deren Ergebnis könnte sich grundlegend auf amerikanische Hilfe für die Ukraine auswirken.

Die ukrainische Seite argumentiert, dass sich die USA nicht länger um eine russische Eskalation sorgen sollten. "Das ganze naive, illusorische Konzept der sogenannten roten Linien" sei durch die Erfolge in Kursk "zusammengebrochen", sagte Präsident Selenskyj. Die Verbündeten und speziell die Vereinigten Staaten müssten Kiew den Krieg nach ihren eigenen Bedingungen führen lassen.

Nach einem massiven russischen Luftangriff am Montag drängte Selenskyj erneut darauf, freie Hand im Waffeneinsatz gegen Russland zu erhalten. "Schwäche, unzureichende Entscheidungen als Reaktion nähren den Terror", sagte er in einer kurzen Videobotschaft. Es seien energische Entscheidungen notwendig, um den Krieg fair zu beenden. Dazu gehöre, dass Beschränkungen für den Einsatz gelieferter westlicher Waffen gegen Russland aufgehoben werden. "Amerika, Großbritannien, Frankreich und andere Partner haben die Macht, uns zu helfen, den Terror zu stoppen."

Hoffnung auf Joe Biden

Doch bislang hat Präsident Joe Biden nicht eingelenkt, berichtet die US-Zeitung "Politico". Sein Team würde die Entsendung weiterer Raketen in Erwägung ziehen, doch keine Änderung der zugehörigen Vorschriften. Die Ukraine verfüge über die nötigen Befugnisse, um den Krieg zu gewinnen, behaupteten hochrangige US-Beamte.

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Trotzdem zeigten sich ukrainische Beamte optimistisch, dass sie die Erlaubnis für den Einsatz von US-Raketen noch erhalten könnten. "Es gibt jetzt einige Anzeichen dafür, dass Biden vor der Wahl etwas Großes in Bezug auf die Ukraine tun will – vielleicht einige der Beschränkungen aufheben – jetzt, da er nicht mehr kandidiert", sagte ein führender ukrainischer Berater. "Es gibt keine Garantie, aber wir haben gehört, dass er darüber nachdenkt".

Selenskyj verspricht "gemeinsamen Sieg"

Im Verlauf des Krieges ist es der Ukraine häufiger gelungen, die Vorbehalte westlicher Partner aus dem Weg zu räumen. So liefern die USA und europäische Verbündete inzwischen Langstreckenraketen, Panzer und F-16-Kampfflugzeuge an Kiew, obwohl sie das zuvor nicht tun wollten. Doch die Beschränkungen für Präzisionsraketen mit großer Reichweite bestehen weiterhin. Auch wenn die ukrainische Regierung seit Monaten darum bittet, auch Ziele auf russischem Territorium angreifen zu dürfen.

Präsident Selenskyj betonte, dass der Einsatz von Langstreckenwaffen wie die ATACMS-Raketen die Verbündeten dem "gemeinsamen Sieg wirklich näherbringen" würden. Doch solange die US-Administration das nicht zulässt, muss die Ukraine auf selbst entwickelte Waffen wie die Paljanyzja zurückgreifen. Die Raketen-Drohne wurde laut Militärexperten erstmals zum Beschuss eines Munitionsdepots im Gebiet Woronesch eingesetzt. Weitere werden wohl folgen.

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