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Ukraine: Russland sucht neue Bündnisse – Putin zeigt seinen Chaos-Plan


Neuer Chaosplan
Putin droht mit Flächenbrand


25.06.2024Lesedauer: 6 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Präsident versucht im Ausland, alte Bündnisse zu reaktivieren.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der russische Präsident versucht im Ausland, alte Bündnisse zu reaktivieren. (Quelle: MANAN VATSYAYANA/reuters)

Der russische Präsident Wladimir Putin nutzt seine Reisen nach Nordkorea und Vietnam, um neue Brände zu legen. Seine Drohungen sind aber nicht nur eine Gefahr für den Westen, sondern auch für China.

Lange Zeit überließ er die Pflege der russischen Beziehungen im Ausland größtenteils seinem Außenminister Sergej Lawrow. Wladimir Putin selbst reiste nur noch selten. Während der Corona-Pandemie blieb er die meiste Zeit in Moskau, das verschärfte sich noch durch den Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Viele Länder wollten Putin seither nicht mehr empfangen. Zu internationalen Treffen wie dem G-20-Gipfel schickte der russische Präsident wiederum Lawrow, wahrscheinlich, um sich der internationalen Kritik an seiner Invasion zu entziehen und um nicht im Ausland verhaftet zu werden. Der Kreml-Chef ließ sich nur in China oder in Ex-Sowjet-Republiken wie Belarus blicken.

Doch das könnte sich nun ändern.

Putin engagiert sich plötzlich außenpolitisch wieder. Vergangene Woche reiste er nach Nordkorea und Vietnam, zuvor hatte er am 12. Juni den türkischen Außenminister Hakan Fidan persönlich in Moskau empfangen. Das war entgegen der diplomatischen Etikette, da Putin als Präsident hierarchisch über einem Außenminister steht. Doch der Kreml-Chef scheint beschlossen zu haben, sich um außenpolitische Probleme wieder mehr selbst kümmern zu wollen. Das ist auch ein Akt der Verzweiflung.

Denn Russland hat durch die Invasion in der Ukraine international viel Einfluss verloren und Putin muss die Ellenbogen ausfahren, um sich zwischen den USA, der Europäischen Union und China zu behaupten. Die Gefahr, erdrückt zu werden, hat die russische Führung erkannt, und sie reagiert nun. Immerhin ist es ein Zeichen des Respektes, wenn Putin persönlich irgendwo erscheint. Russische Angebote werden glaubhafter, Drohungen gefährlicher, wenn der Kreml-Chef diese in einem Vieraugengespräch ausspricht.

Video | Kuriose Szene zwischen Putin und Kim
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Quelle: t-online

Seine Besuche in Nordkorea und Vietnam zeigen in diesem Zusammenhang, welche Strategie Putin nun verfolgt. Er will die russischen Beziehungen stärken, Chaos stiften, den Westen erschrecken. Dabei nimmt er aber auch auf seinen wichtigsten Partner keine Rücksicht: China.

Russland sendet Drohung an den Westen

Dementsprechend liegt es vor allem im russischen Interesse, dass Putins Reisen ins Ausland international eine möglichst große Wirkung erzielen. Dazu gehören dann auch zahlreiche repräsentative Termine, der russische Präsident muss Hände schütteln, bekommt Blumen, Umarmungen. Besonders Nordkorea kostete in der vergangenen Woche den Putin-Besuch für die eigene Propaganda aus. Putin fuhr mit Kim Jong-un Auto, bekam Hunde präsentiert, wurde von Menschen bejubelt, die von der Diktatur zu seinen Ehren in Pjöngjang aufgestellt worden waren.

Das alles für nordkoreanische Waffenhilfe im Ukraine-Krieg und eine Ankündigung, die international den Knalleffekt auslöste, den der russische Präsident im Sinn hatte. Dem wahren Grund seiner Reise.

Russland und Nordkorea haben nicht nur einen Partnerschaftsvertrag unterzeichnet, der eine Beistandspflicht impliziert, wenn eines der Länder angegriffen wird. Sondern beide Regime nennen sich nun auch "unbesiegbare Freunde". Putin drohte zudem damit, Präzisionswaffen an Nordkorea zu liefern. Dies sei eine mögliche Antwort auf die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine, sagte er. Der Westen tue so, als ob er trotz seiner Waffenlieferungen nicht mit Russland kämpfe. Die Nutzung seiner Waffen durch Kiew kontrolliere er angeblich nicht. Im Gegenzug könne aber auch Russland seine Rüstungsgüter in andere Weltregionen verfrachten und sich nicht weiter darum kümmern, wie diese angewendet würden, sagte Putin.

Das soll vor allem eine Warnung an die südkoreanische Regierung sein, die aktuell über Waffenlieferungen an die Ukraine nachdenkt. "Das wäre ein sehr großer Fehler", sagte Putin am Donnerstag in Vietnam. "Sollte das passieren, werden wir entsprechende Maßnahmen ergreifen, die der derzeitigen Führung Südkoreas wahrscheinlich nicht gefallen werden."

Der Kreml-Chef wollte mit dem Schulterschluss mit der Kim-Diktatur vor allem auch demonstrieren, dass er weiteres Eskalationspotential besitzt. Wenn der Westen seine Waffenhilfe für die Ukraine weiter ausbaut, würde Russland Chaos in anderen Regionen der Welt befeuern. Diese Drohung äußerte Putin am Donnerstag in Vietnam nicht einmal versteckt: "Dann behalten wir uns das Recht vor, Waffen in andere Regionen der Welt zu liefern. Und wohin werden diese Waffen dann als Nächstes gehen?" Damit spielte Putin darauf an, dass Nordkorea die Waffen an Schurken verkaufen könnte, die dem Westen feindlich gegenüberstehen.

Spiel mit dem Chaos

Es ist nach den Drohungen mit einem Atomkrieg der nächste Einschüchterungsversuch durch den Kreml. Das Narrativ: Bevor Russland den Krieg verliert, steckt Moskau noch andere Regionen der Welt in Brand und Moskau ist sogar dazu bereit, die UN-Sanktionen gegen Nordkorea zu ignorieren, die Waffenlieferungen verbieten sollen und für die Russland selbst gestimmt hatte.

Das ist alles andere als ein Zeichen der Stärke Russlands, im Gegenteil. Putin weiß, dass vor allem die USA noch weiteres konventionelles Eskalationspotential bei der Unterstützung der Ukraine besitzt. Bislang sind die modernsten westlichen Waffensysteme größtenteils noch nicht auf den Gefechtsfeldern der Ukraine, während Moskau seine Soldaten schon in Panzern setzen musste, die in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts gebaut wurden.

Putin tut nun also das, was er als KGB-Offizier gelernt hat. Er sorgt für Angst, versucht damit, den Westen zu spalten. Denn er weiß: Es unterstützen zwar auch viele Staaten die Ukraine nicht aktiv in ihrem Abwehrkampf, aber es gibt fast gar keine aktive Unterstützung für Russland. Nur Schurkenstaaten wie Nordkorea, Belarus oder der Iran unterstützen Putins Krieg mit Rüstungsgütern, auch weil sie international ohnehin politisch schon geächtet sind, und nicht viel zu verlieren haben.

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Deswegen versucht der Kreml, nun die Bündnisse mit Staaten zu stärken, die seit dem Kalten Krieg eine hohe verteidigungspolitische Abhängigkeit von Russland haben. Zum Beispiel Vietnam oder Indien. Diese Länder können sich nicht von Moskau schlagartig entkoppeln, weil ihre Armeen russische Waffensysteme einsetzen. Das verschaffte Moskau stets großen Einfluss auf die dortigen Regierungen. Putin sieht es wahrscheinlich mit Sorge, dass Nato-Staaten sich in Indien oder Vietnam um eine stärkere Zusammenarbeit bemühen. Der Kreml möchte um jeden Preis verhindern, dass sie ihre Rüstungsimporte diversifizieren – auch das war ein Grund für diese Reise.

Signal an China

Doch das ist auch ein Problem für Russland. Putin sagt im Ausland Waffen zu, die er durch seinen Krieg in der Ukraine eigentlich nicht hat. Er muss versprechen, dass seine Rüstungsunternehmen sie künftig in ausreichender Stückzahl produzieren können, um ausländische Kunden zu beliefern. Dabei musste Russland im Jahr 2022 teilweise Ware aus Indien zurückkaufen, und die indische Führung beklagte sich seit Beginn des Ukraine-Krieges, dass Moskau Lieferzusagen nicht einhält.

Deswegen sind Putins Drohungen, den Osten des asiatischen Kontinents, mit russischen Waffen aufzurüsten, keine unmittelbare Gefahr für die Region. Sie sind als Warnung für den Westen, aber auch als Signal gegenüber China zu verstehen. Denn sollte Russland seine Drohungen wahr machen, schwächt es damit auch die Volksrepublik. Russische Waffen könnten dazu führen, dass Pekings Nachbarn selbstbewusster auftreten und dass sich das Engagement der Amerikaner in der Region noch weiter ausweiten könnte.

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Samuel Greene, Professor für russische Politik am King’s College in London, sagte der "New York Times": "Wenn Putin von Peking nicht alles bekommt, was er will, wird er sich anderswo umsehen, und es gibt nicht viele Supermärkte, die seine Wunschliste abdecken – Waffen, Arbeitskräfte und die Bereitschaft, sich mit Washington anzulegen." Er ergänzte: "Der Punkt ist, dass Putin zwar seine Abhängigkeit von China erkennt, es sich aber nicht leisten kann, Peking den Verlauf der Kriegsanstrengungen diktieren zu lassen." Denn das Schicksal des Kreml-Herrschers sei mit dem Ausgang des Ukrainekrieges verbunden.

Australiens Ex-Botschafter: Putin will "Störenfried" sein

Es ist sicherlich ein Ziel Putins, seinen engen Verbündeten China dazu zu bringen, sich aktiver in den Ukraine-Krieg aufseiten Russlands einzubringen. Bislang liefert Peking lediglich Dual-Use-Güter wie Halbleiter, keine Waffen. Der chinesische Präsident Xi Jinping hatte zuletzt Waffenlieferungen erneut ausgeschlossen, auch der Bau der russisch-chinesischen Pipeline "Kraft Sibiriens 2" stockt. Der russische Präsident war erst Mitte Mai zu Gast in Peking und konnte in beiden Fragen nicht das gewünschte Ergebnis erzielen.

Denn Xi Jinping sitzt am längeren Hebel, Russland hängt seit der Entkoppelung vom Westen am wirtschaftlichen Tropf Chinas. Auch deshalb ist Putins Vorgehen, vor allem mit Blick auf Nordkorea, ein Spiel mit dem Feuer. Denn Peking wird nicht zulassen, dass der Kreml-Herrscher die gemeinsame Nachbarschaft ins Chaos stürzt. Das trifft zwar auch die USA, weil viele US-Soldaten in Südkorea und mit Japan ein enger Verbündeter davon gefährdet ist. Aber eben auch China.

Deswegen ist es für Russland ein Dilemma. Einerseits braucht Putin Geld, will sich mit Waffendeals Einfluss in der Region sichern. Andererseits wird er ein Wettrüsten in Asien verhindern wollen, um China nicht zu verärgern. Ein schmaler Grat, auch weil die nordkoreanische Kim-Diktatur selbst in Peking als unberechenbar eingestuft wird.

Putins Asienreise war ein erster Schritt des Kreml, um dem Westen in der eigenen Nachbarschaft diplomatisch etwas entgegenzuhalten. Putin wollte aber vorerst lediglich für Unruhe sorgen. Peter Tesch, Australiens Botschafter in Moskau von 2016 bis 2019, betonte in der "New York Times", dass Putin es vorziehe, die Welt im Chaos zu halten, weil er glaube, dass Russland davon profitiere, andere Länder aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sein Fazit für die Besuche in Vietnam und Nordkorea: "Putin ist ganz zufrieden damit, dass Russland beim Grillen der stinkendste, furzendste Onkel ist." Das Signal laute: "Ja, ich bin ein Störenfried. Ich kann so handeln, dass ich die Komplexität dessen, was Sie zu bewältigen versuchen, noch erhöhe."

Verwendete Quellen
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