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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Politologe Masala "Darauf ist Putin wirklich aus"

Russland will die Ukraine bezwingen, doch Wladimir Putin verfolgt noch ein ganz anderes Ziel. Davor warnt Carlo Masala. Im Interview erklärt der Politologe, was Russland bezweckt.
Europa steckt in der Klemme: Russland im Osten ist aggressiv und auf Expansion aus, die USA im Westen verhalten sich zunehmend distanziert bis feindselig. Wie schlimm ist die Lage? Welche Ziele verfolgen Donald Trump und Wladimir Putin jeweils? Und was müssten die Europäer nun dringend tun?
Diese Fragen beantwortet Carlo Masala, Politologe und Sicherheitsexperte, im Gespräch. In seinem aktuellen Buch "Wenn Russland gewinnt" spielt Masala ein Szenario durch, wie Russland die Nato entscheidend auf die Probe stellen könnte.
t-online: Professor Masala, Donald Trump droht Panama, stichelt gegen Kanada und begehrt Grönland. Liegt all dem eine Strategie zugrunde?
Carlo Masala: Von Strategie würde ich bei Trump nicht sprechen. Eher von einer speziellen Sichtweise auf die Welt, die er in gewisser Weise mit China und Russland teilt. Trump schaut auf die Weltkarte und entwickelt Interesse für Gebiete anhand bestimmter Fragen: Welche Regionen auf der Weltkugel darf keine andere Macht kontrollieren, damit die Sicherheit der Vereinigten Staaten nicht gefährdet ist? Wo befinden sich natürliche Ressourcen, die die USA brauchen? Wo hat China Einfluss, den Washington beenden sollte? So geht Trump vor.
Wie erfolgreich ist diese "Methode Trump" bislang?
Das bleibt abzuwarten. Zwei Häfen am Panamakanal wandern ja bereits wieder unter Kontrolle von US-Unternehmen, wahrscheinlich will Trump amerikanische Schiffe zukünftig auch zum Nulltarif durch den Kanal fahren lassen. Für die US-Wirtschaft wäre das von Vorteil. Im Falle Grönlands zeichnet sich auch bereits Bewegung ab. Ja, die grönländische Regierung ist wenig begeistert von Trumps Annexionsgerede, aber durchaus bereit zur Kooperation mit den USA.
Zur Person
Carlo Masala, Jahrgang 1968, lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München und ist zugleich Direktor von Metis Institut für Strategie und Vorausschau. Der Politikwissenschaftler diskutiert regelmäßig im Podcast "Sicherheitshalber" über Sicherheitspolitik. Nach "Bedingt abwehrbereit. Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende" (2023) erscheint jetzt mit "Wenn Russland gewinnt. Ein Szenario" Masalas neuestes Buch.
Die Ausbeutung von Grönlands Bodenschätzen wird sich als schwierig erweisen, warnen Experten.
Für Details interessiert sich Trump nicht allzu sehr. Aus geostrategischen Gründen ist eine amerikanische Präsenz auf Grönland allerdings interessant. Falls Russland jemals ballistische Raketen in Richtung USA schicken sollte, wird deren Flugbahn über der Arktis liegen. Da ist eine Raketenabwehr auf Grönland von Vorteil. Wo immer Trump einen Vorteil für die USA sieht, will er präsent sein, bevor Chinesen oder Russen da zu mächtig erscheinen.
Die großen Mächte sollen nach Trump also die Sache unter sich ausmachen?
So ist es. Kleinere Staaten sollen sich ohne Widerworte fügen. Da schließt sich der Kreis zu Wolodymyr Selenskyj und seiner Behandlung im Oval Office durch Trump und J. D. Vance: Die USA haben eine Idee, wie sie diesen russischen Angriffskrieg beenden wollen, die Ukraine soll das gefälligst akzeptieren und keine eigenen Vorstellungen äußern. Vor allen Dingen habe sie aber kein Recht, die Vorschläge der USA anzuzweifeln, so realistisch oder unrealistisch diese auch sein mögen. Gleiches gilt für die Europäer: Sie sollen sich fügen, nicht debattieren.
Nun hat die Ukraine aber die Folgen zu tragen?
Das ist Trump und Vance völlig egal. Nach der Ukraine sind dann die Europäer direkt betroffen, denen hat Vance aber auf der Sicherheitskonferenz den US-Standpunkt deutlich gemacht. Trump blickt nicht über das hinaus, was er als seine Interessen ansieht.
Und Europa gehört nicht mehr dazu?
So scheint es. Lange Zeit war es ein Kernstück amerikanischer Politik, in Europa und Asien vertreten zu sein. Der schlimmste Fall in dieser Konzeption besteht darin, dass fremde Mächte an den Gegenküsten der USA an Einfluss und Macht gewinnen. Es gibt auch durchaus Leute, die vor dem Rückzug aus Europa warnen, denn das wäre es dann mit dem Weltmachtstatus. Von dieser Vorstellung scheint sich Trump zumindest in Hinsicht auf Europa distanziert zu haben.
Was ist mit China?
Wir dürfen die Trump-Administration und seinen erweiterten Kreis von Anhängern und Unterstützern nicht als eine homogene Einheit verstehen. Die Tech-Milliardäre wollen keine Konfrontation mit China. Warum? Weil sie um ihre Geschäfte und wirtschaftlichen Interessen fürchten. Dann gibt es mit Vance und Trumps Berater Stephen Miller aber sehr wohl eine Gruppe, die in China die größte Gefahr sieht. Sie wollen Chinas Aufstieg verhindern oder zumindest hinauszögern. Wohin dieser Richtungsstreit gehen wird, weiß bislang niemand.
Nun hat Trump mit Putin telefoniert, herausgekommen ist lediglich Putins "Zusage", die ukrainische Infrastruktur 30 Tage nicht anzugreifen. Ein für den großsprecherischen Trump wenig beeindruckendes Ergebnis.
Das Telefonat und die gemachte Zusage haben Russland dann auch nicht davon abgehalten, kurze Zeit später die Ukraine wieder massiv anzugreifen. Putins Wort ist wenig wert. Grundsätzlich: Wir haben es hier mit zwei unterschiedlichen Zielvorstellungen zu tun. Russland will im Prinzip nicht über die Ukraine reden, der Kreml erwartet ohnehin, das zu bekommen, was er will. Eigentlich will Russland über europäische Sicherheit und globale Fragen sprechen. Die USA wiederum wollen sehr wohl über die Ukraine sprechen und wie man den Konflikt schnell beigelegt bekommt. Trump will möglichst bald wieder normale Beziehungen zu Russland haben, darunter auch normale ökonomische Beziehungen. Es ist ja bereits vereinbart, dass sich die Arbeitsweisen der jeweiligen Botschaften wieder normalisieren.
In Saudi-Arabien hatten sich die Ukraine und die USA auf einen Waffenstillstand verständigt, Russland blieb eher ablehnend.
Putins Ablehnung bestand in der Verknüpfung eines Waffenstillstands an so viele Bedingungen, dass es einer Ablehnung gleichkommt. Solange Trump und Putin nicht über das Gleiche sprechen wollen, wird es kein Vorankommen geben. So oder so wäre Europa gut beraten, sich nun schnell auf die Realität einzustellen und vorzubereiten. Europa muss seinen Weg finden und ihn dann auch konsequent gehen.
Lange hielten die USA uns Europäern die Hand. Wie bewerten Sie die Beziehungen zwischen Europa und den USA zum derzeitigen Stand?
Es ist ein Desaster. Da ist wenig hinzuzufügen.
In dieser Situation haben Sie ein neues Buch mit dem Titel "Wenn Russland gewinnt" veröffentlicht, in dem sie das Szenario einer russischen Eroberung der estnischen Stadt Narwa und der Insel Hiimumaa skizzieren. Worum geht es Ihnen?
Seit einiger Zeit wird bei uns eine Diskussion geführt, die um die Frage kreist, ob Russland 2029 bereit sein wird, einen Nato-Staat anzugreifen. Diese Debatte geht hin und her, manche argumentieren, dass Russland sich schon in der Ukraine schwertue, wie könnte es da einen Nato-Staat angreifen?
Sie sehen diese Sache anders?
Ja. Russland verfolgt doch ein politisches Ziel – und zwar letzten Endes die nachhaltige Zerstörung der europäischen Sicherheitsarchitektur. Darauf ist Putin wirklich aus. Wie könnte also ein Szenario aussehen, in dem Russland das möglicherweise hinbekommt, aber ohne voll ins eigene Risiko zu gehen? Das ist ganz sicher nicht der militärische Angriff auf Polen, in dem Fall ist das Risiko ziemlich hoch, dass die Nato den Beistandsartikel 5 ausruft. Dann würde Krieg herrschen zwischen Russland und der Nato. Aus russischer Sicht ist eine Kombination aus hybrider Kriegsführung und begrenzten militärischen Operationen ein weit geringeres Risiko, um das System der Nato zum Kollaps zu bringen.
Also trifft es in Ihrem Buch das kleine Estland an der östlichen Peripherie der Nato?
Ich wollte einmal den Ablauf in einem derartigen Fall durchspielen. Alles entlang der Frage: Sind die Staaten der Nato wirklich bereit, für die Befreiung einer kleinen Stadt weit abseits des weltpolitischen Geschehens vollumfänglich den Artikel 5 auszurufen? Dazu erörtere ich, welche Überlegungen angestellt und welche Prozesse ablaufen würden.
Wie Sie ausführen, kennt Russland unsere Schwachstellen ziemlich gut.
Russland reüssiert mit seinem hybriden Krieg gegen uns nicht schlecht. Es gibt die AfD, es gibt das BSW und dann immer wieder diese Angst vor dem großen Atomkrieg. Die Russen sind sehr geschickt darin, bei uns Ängste auszulösen, die letzten Endes dazu führen, dass Leute sagen: Dann sollen sie die Ukraine halt kriegen. Das löst natürlich das Problem nicht. Im Gegenteil. Meine Güte, hier sprechen einige Menschen mittlerweile wieder offen darüber, ob wir nach Ende des Krieges wieder russisches Gas importieren wollen …
Nun löst sich Deutschland aus der Starre, die Modifikation der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben wird enorme Mittel freisetzen.
Wir konzentrieren uns derzeit auf das militärische Material, alles zielt stark auf mehr Panzer, mehr Drohnen, mehr Satelliten, mehr Soldaten und so weiter. Das ist wichtig, aber fast noch wichtiger ist eine Politik, die darauf zielt, gesellschaftlich-politischen Zusammenhalt herzustellen. Abschreckung funktioniert durch zwei Elemente: Einerseits muss ich über die entsprechenden militärischen Mittel verfügen, andererseits muss ich auch die ständige Bereitschaft signalisieren, diese militärischen Mittel einzusetzen, wenn ich dazu gezwungen werde. Daran mangelt es erheblich.
Warum?
Wir haben keine resilienten Gesellschaften in Europa, wir haben auch kein Bewusstsein dafür, dass ein Ende der Nato auch eine Katastrophe für die europäische Demokratie wäre. Unsere demokratische Staatform braucht Sicherheit. Also müssen wir stark daran arbeiten, den Bündniszusammenhalt zu stärken. Diese besteht auch in der Bereitschaft der europäischen Staaten, im Notfall eine kleine Stadt in Estland zu verteidigen. Wenn diese Einigkeit besteht, ist das Risiko für Russland viel zu hoch.
Was sind Ihre Erwartungen an die neue Bundesregierung?
Schnelligkeit. Darauf kommt es jetzt an. Wir müssen schneller werden. Für die Anschaffung und Bereitstellung von militärischem Gerät wäre die Einrichtung einer neuen, kleinen Beschaffungsstelle gerade richtig, damit wir die alte, große Beschaffungsstelle parallel reformieren können. Die zweite zentrale Frage ist die des Personals. Es nützt uns wenig, in zehn Jahren reichlich neue Panzer, Kampfhubschrauber und dergleichen zu haben, aber keine Soldaten dafür. Wir müssen also an die Frage der Kontingentwehrpflicht ran. Beim "Schwedischen Modell" werden die Jahrgänge gemustert, anschließend wird ein Teil der jungen Menschen einberufen. Dieses Modell halte ich für unabdingbar. Tempo ist entscheidend jetzt. Ich kann es gar nicht oft genug wiederholen.
Bleibt die Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Staaten. Sehen Sie hier Bewegung, seit Trumps Absetzbewegungen noch deutlicher geworden sind?
Die neue Bundesregierung sollte sich so schnell wie möglich mit Frankreich, Großbritannien und Polen zusammensetzen und eine enge Koalition europäischer Staaten schmieden. Es geht darum, diese ganze Frage von Verteidigungsausgaben zu koordinieren, um den Kontinent verteidigungsbereiter zu machen. Dann sollten die entsprechenden Politiker mit einem konkreten Plan inklusive verbindlicher Zeitangaben – also keinen reinen Absichtserklärungen – nach Washington fliegen. Der Plan müsste dann dort präsentiert und mit den amerikanischen Abzugsplänen aus Europa koordiniert werden. Dann ließen sich die Dinge zumindest vernünftig koordinieren.
Aber was, wenn Trump nicht mitspielt?
Natürlich gibt es keine Garantie. Aber was würde passieren, wenn Trump heute entschiede, dass die Amerikaner morgen aus Europa abziehen? Es kann nichts Schlimmeres passieren. Also ist es doch empfehlenswert, sich vorzubereiten. Richtig dramatisch würde es, wenn die Russen zuschlügen, während die Amerikaner abziehen und die Europäer noch nicht in der Lage sind, sich selbst zu verteidigen.
Die Europäische Union gilt als behäbig, mit Ungarn ist ein Staat Russland überaus freundlich gesinnt. Wie kann es weitergehen in Sachen europäischer Verteidigung?
Man darf es nicht nur an der EU festmachen. Es braucht eine breite Koalition europäischer Staaten, die entschlossenen EU-Staaten darunter müssen offen sein für europäische Nicht-EU-Staaten. Die Türkei, bei aller sonstigen Problematik, steht in der Frage der Ukraine glasklar. Die Norweger müssen auch dabei sein, die Briten auf jeden Fall. Es braucht eine Koalition der Willigen, die Russland effektiv abschrecken kann.
Die externen Schocks waren groß, nun scheint tatsächlich Bewegung in Europa in Sachen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu kommen. Gelingt dieses Mal der große Wurf?
Zum ersten Mal seit 30 Jahren bin ich verhalten optimistisch, dass Europa nun aus dem Bereich des Rhetorischen in den Bereich des Handelns kommt. Skeptisch bin ich noch immer, ob auch allgemein verstanden worden ist, dass nun Tempo das Gebot der Stunde ist.
Professor Masala, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Carlo Masala via Telefon