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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schlagabtausch mit China Es fliegen die Fetzen
China rechtfertigt beim Sicherheitsforum Shangri-La-Dialog seinen Kurs im Umgang mit dem Ukraine-Krieg. Doch vor allem eine chinesische Drohung sorgt im Westen für Empörung.
Das Machtgleichgewicht der Welt verschiebt sich. Kein Wunder. Länder wie China oder Indien werden einflussreicher, der asiatische Kontinent wird immer wichtiger. Das rückt Veranstaltungen und Konferenzen in den internationalen Fokus, denen vorher in Europa wenig Beachtung geschenkt wurde. Das gilt insbesondere für das jährliche Sicherheitsforum Shangri-La-Dialog in Singapur – der wichtigsten Konferenz zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der Asien-Pazifik-Region.
Im kleinsten Staat Südostasiens flogen von Freitag bis Sonntag die Fetzen. Im Fokus standen, neben der Sicherheit im Indopazifik, vor allem der russische Angriffskrieg in der Ukraine und der Konflikt um Taiwan im Zentrum der Debatten. Vor Ort waren nicht nur die Verteidigungsminister aus den Vereinigten Staaten und China, sondern auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
China steht aufgrund seiner Unterstützung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf internationaler Bühne immer mehr in der Kritik. Der Ton wurde hier auch in Singapur rauer. Gleichzeitig drohte die chinesische Führung dem Westen im Konflikt um die Inselrepublik Taiwan mit dem "Untergang".
Deutlich wurde darüber hinaus aber vor allem eines: Der wahre Kampf läuft im Schatten. Denn abseits der offiziellen Konferenzen und Staatsbesuche versuchen Peking und Washington momentan, möglichst viele andere Staaten für die eigene Sache zu gewinnen. Mit unterschiedlichem Erfolg.
Wie kompromissbereit ist Xi Jinping?
Nach außen hin gaben sich Washington und Peking bemüht, ihre Beziehungen zu verbessern. Die USA und China reden miteinander, und das momentan viel öfter als noch unter der US-Administration von Donald Trump. Chinas Verteidigungsminister Dong Jun warb nach einem Treffen mit seinem US-Amtskollegen Lloyd Austin für mehr militärischen Dialog zwischen den beiden Supermächten. "Wir glauben, dass wir mehr Austausch brauchen, gerade weil es Unterschiede zwischen unseren beiden Streitkräften gibt", sagte Dong am Sonntag in seiner Rede in Singapur. China sei "schon immer offen für Austausch und Zusammenarbeit" gewesen, führte Dong aus. "Aber dazu müssen beide Seiten einander auf halbem Wege entgegenkommen."
Zur Veranstaltung
Der Shangri-La-Dialog gilt als wichtigstes sicherheitspolitisches Forum im indopazifischen Raum auf Ebene der Verteidigungsminister. Veranstalter ist das Internationale Institut für Strategische Studien (IISS).
Peking zeigt sich also gesprächsbereit, aber ist der chinesische Präsident Xi Jinping wirklich bereit zu Kompromissen? Daran zweifeln westliche Staaten, denn bisher hält China unbeirrbar seinen Kurs. Die Lücke zwischen dem, was chinesische Vertreter sagen und dem, was sie tatsächlich politisch umsetzen, ist groß. Auf Konferenzen gibt es für das internationale Publikum oft leere Worte, eine chinesische Maskerade.
Besonders deutlich wird das im chinesischen Umgang mit dem Ukraine-Krieg. Dem Verteidigungsminister Jun zufolge achtet sein Land darauf, weder Russland noch die Ukraine zu unterstützen. "In der Ukraine-Krise hat China die Friedensgespräche mit einer verantwortungsvollen Haltung gefördert", so Dong. Man habe niemals Waffen an eine der Konfliktparteien geliefert und strenge Kontrollen für die Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck eingeführt. "Wir stehen fest auf der Seite des Friedens und des Dialogs", sagte der Minister.
Doch dieses Narrativ fällt immer weiter in sich zusammen. Natürlich weiß ein Großteil der internationalen Staatengemeinschaft, dass Xi Russland unterstützt. China liefert Dual-Use-Güter an Russland, die auch für die Produktion von Waffensystemen benutzt werden – zum Beispiel Halbleiter. Die Volksrepublik kauft mehr Öl und Gas als vor dem Krieg und baut die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland aus, auch das finanziert Putins Krieg. Außerdem veröffentlichte Südkorea vergangene Woche neue Belege, dass die russische Armee Waffen aus Nordkorea bekommt. Ohne Rückendeckung aus China wäre das unmöglich.
China kommt nicht zu Friedenskonferenz
Auch die chinesischen Friedensinitiativen haben bisher keinen Erfolg gehabt, weil Xi seinen Einfluss auf Putin nicht geltend machen möchte. Die chinesischen Ankündigungen dazu verschafften dem Kreml bislang lediglich mehr Zeit und wirkten der internationalen Kritik entgegen. Auch an der Friedenskonferenz am 15. und 16. Juni in der Schweiz wird China nicht teilnehmen.
Bislang verzichteten viele westliche Staaten und die Ukraine auf zu harsche Kritik gegenüber China. Die Hoffnung war stets, dass Xi seinen strategischen Partner Putin vielleicht doch noch aufgrund seiner eigenen Interessen opfern würde. Doch viele Akteure verlieren zunehmend die Geduld mit der chinesischen Führung.
Selenskyj erhebt schwere Vorwürfe
Dazu gehört in Singapur auch der ukrainische Präsident Selenskyj. Er warf China am Sonntag die Behinderung des Gipfels in der Schweiz vor. Peking arbeite "leider mit Hochdruck daran, Länder von der Teilnahme am Friedensgipfel abzuhalten", sagte der ukrainische Präsident. Er sagte zum Vorgehen Chinas, das Land sei "ein Werkzeug in Putins Händen". Russland nutze chinesischen Einfluss und chinesische Diplomaten, um "alles zu tun, um den Friedensgipfel zu stören". Weiter meinte Selenskyj, mehr als 100 Staaten und Organisationen hätten sich bereits zur Teilnehme am Gipfel bereit erklärt. Er lud Staaten aus dem asiatisch-pazifischen Raum ein, sich ihnen anzuschließen.
Der Vorwurf wiegt schwer und hat eine neue Dimension: China würde bei Putins Krieg nicht nur tatenlos zusehen, sondern auch gegen die Unterstützung für Kiew arbeiten. Das ist der wahre Kampf, der im Schatten tobt. Es geht für die Ukraine darum, möglichst viel Unterstützer hinter sich zu bringen und Russland zu isolieren.
Diese Auffassung teilen auch Bundestagsabgeordnete, die zum Shangri-La-Dialog reisten – etwa die außenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion im Bundestag Deborah Düring. "Viele Staaten, auch in der Region, unterstützen die Ukraine auf unterschiedliche Art und Weise. Dabei ist klar: Es braucht noch mehr Unterstützung", sagte Düring am Sonntag t-online. "Deswegen war es ein wichtiges Zeichen, dass der ukrainische Präsident Selenskyj zum Abschluss der Konferenz eindrücklich um die Unterstützung aller Staaten, insbesondere für die anstehende ukrainische Friedenskonferenz in der Schweiz, geworben hat."
China will seine Feinde "zerschmettern"
Zur Wahrheit gehört aber auch: Für viele südostasiatische Staaten ist der Ukraine-Krieg weit weg, sie haben eigene Sicherheitsprobleme, insbesondere mit China. Die Volksrepublik provoziert mit seinen Gebietsansprüchen im Südchinesischen Meer Konflikte mit zahlreichen Nachbarstaaten, wie den Philippinen, Malaysia, Indonesien, Vietnam, Japan, Indien. All diese Länder rüsten auf, im Angesicht von Grenzkonflikten mit China. Hinzu kommt Australien, das sich gegen chinesische Einflussnahme zur Wehr setzt.
Mit seiner aggressiven Rhetorik in Bezug auf Taiwan verschärfte Verteidigungsminister Dong Jun die internationalen Sorgen. Jeder, der es wage, Taiwan von China abzutrennen, werde "zerschmettert und seinen eigenen Untergang herbeiführen", sagte er beim Shangri-La-Dialog. Dong sagte weiter, dass die chinesische Volksbefreiungsarmee "entschlossen und kraftvoll" handeln werde, um eine "taiwanische Unabhängigkeit" zu unterbinden. Indirekt griff der Verteidigungsminister auch die USA an, die Waffen an Taiwan verkaufen.
"Auf der Konferenz wurde nicht nur die Schärfe von chinesischer Seite in Bezug auf Taiwan deutlich, sondern auch in Bezug auf die Situation in den Philippinen", sagte Düring t-online. Die Grünen-Politikerin fügte hinzu: "Da die Sicherheit und Stabilität im asiatisch-pazifischen Raum für uns sowie die internationale Sicherheitsordnung von enormer Bedeutung ist, müssen wir unseren Fokus auf diese Region intensivieren."
Ein stärkerer Fokus des Westens und insbesondere der USA auf den Indopazifik hat durchaus aktuell ein Momentum. Peking treibt mit seiner aggressiven Politik viele seiner Nachbarn in die Arme der Amerikaner. China hat sich in der Region immer mehr isoliert und seine Nachbarstaaten agieren zunehmend selbstbewusst, zumindest so lange sie Rückendeckung aus Washington bekommen.
Die soll es auch weiterhin geben. "Die Vereinigten Staaten bleiben für die Zukunft der Region von entscheidender Bedeutung – und die Region ist bedeutender denn je für die Vereinigten Staaten von Amerika", versprach US-Verteidigungsminister Austin. Und für alle Fälle erinnerte er daran, dass "das US-Militär die fähigste Kampftruppe der Erde bleibt". Das war die Reaktion auf die Drohungen aus China.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und rtr
- Gespräch mit Deborah Düring
- Eigene Recherche