Schwere Kämpfe Aserbaidschan greift Armenien an – mehr als 100 Tote
Seit Jahrzehnten ist die Beziehung zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken angespannt. Im Schatten des Ukraine-Krieges sind nun wieder Gefechte ausgebrochen.
Im Schatten des Ukraine-Krieges sind zwischen Armenien und Aserbaidschan im Südkaukasus erneut schwere Kämpfe mit mehr als 100 Toten ausgebrochen. Aserbaidschan meldete den Tod von 50 Soldaten, Armenien habe laut Ministerpräsident Nikol Paschinjan 105 Mitglieder der Armee verloren.
Die Gefechte zwischen den verfeinden Ex-Sowjetrepubliken begannen in der Nacht und gingen auch am Tag vereinzelt weiter. Gegen Abend habe sich der Artilleriebeschuss etwas beruhigt, teilte das armenische Verteidigungsministerium mit. Die EU, die Vereinten Nationen und die USA schalteten sich ein und drangen auf ein Ende der Kämpfe. Am Mittwoch werde sich der Sicherheitsrat in New York mit dem Konflikt der beiden Ex-Sowjetrepubliken befassen, meldete die russische Agentur Tass unter Berufung auf UN-Quellen.
Angriffe mit Artillerie
Zum Ausbruch der Kämpfe hieß es aus Eriwan, aserbaidschanische Truppen hätten an drei Stellen armenische Stellungen mit Artillerie und großkalibrigen Waffen angegriffen. In Baku sprach das Verteidigungsministerium Aserbaidschans wiederum davon, dass ein großangelegter armenischer Sabotageversuch die Kämpfe ausgelöst habe.
Armenien und Aserbaidschan bekriegen einander seit Jahrzehnten wegen des Gebiets Berg-Karabach. Im Herbst 2020 hatte Armenien einen Krieg gegen seinen Nachbarn verloren. Infolgedessen musste das Land die Kontrolle über den Großteil des mehrheitlich von Armeniern bewohnten Berg-Karabachs aufgeben. Damals wurde eine russische Friedenstruppe zum Schutz der Waffenruhe in der Region stationiert. Allerdings wurde diesmal nach armenischen Angaben nicht die Exklave angegriffen, sondern Stellungen im Kernland Armenien.
Embed
Wegen der angespannten Lage telefonierte Paschinjan bereits in der Nacht mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Dabei habe der Regierungschef um Hilfe der Militärallianz OVKS gebeten, teilte das armenische Fernsehen mit. Das Verteidigungsbündnis OVKS der früheren Sowjetrepubliken Russland, Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan beriet am Dienstagabend. Putin nahm an der Videokonferenz teil, hieß es aus dem Kreml. Ergebnisse wurden zunächst nicht mitgeteilt.
Russland gilt traditionell als Schutzmacht Armeniens im Kaukasus. Aus dem Kreml hieß es allerdings, Moskau rechne auf eine diplomatische Lösung der Krise. Die russische Führung hat derzeit kein Interesse, sich an einem - aus Moskauer Sicht - Nebenkriegsschauplatz militärisch zu engagieren. Russland ist wegen des seit einem halben Jahr laufenden Angriffskriegs in der Ukraine dort gebunden. Zuletzt mussten die russischen Streitkräfte im Nachbarland eine empfindliche Niederlage einstecken.
Auch die EU forderte Eriwan und Baku zu Verhandlungen auf. EU-Ratschef Charles Michel hat angesichts der schweren Kämpfe zu einer diplomatischen Lösung des Konflikts aufgerufen. Es brauche einen vollständigen und dauerhaften Waffenstillstand, schrieb der Belgier auf Twitter. "Es gibt keine Alternative zu Frieden und Stabilität - und es gibt keine Alternative zur Diplomatie, um dies zu gewährleisten." Michel nannte die Berichte über Kämpfe extrem besorgniserregend.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell teilte mit, dass Michel Kontakt zu den Staats- und Regierungschefs der beiden Länder aufnehme. Auch er rief zu einer Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Die EU sei entschlossen, weiter zu vermitteln. Der EU-Sonderbeauftragte Toivo Klaar werde unverzüglich in beide Länder reisen.
"Feindseligkeiten einzustellen"
US-Außenminister Antony Blinken rief ebenfalls zu einem Ende der Kämpfe auf. Blinken habe den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev in einem Gespräch aufgefordert, "die Feindseligkeiten einzustellen", teilte das US-Außenministerium mit. In einer Unterhaltung mit Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan betonte Blinken dem Ministerium zufolge "die Notwendigkeit eines Rückzugs der Streitkräfte". Die USA würden auf ein Friedensabkommen zwischen den beiden Ländern drängen, sagte Blinken demnach zu Aliyev und Paschinjan. Er habe außerdem seine "tiefe Besorgnis" zum Ausdruck gebracht, so das US-Außenministerium.
Und auch UN-Generalsekretär António Guterres "fordert die Seiten auf, unverzüglich Schritte zur Deeskalation der Spannungen zu unternehmen, maximale Zurückhaltung zu üben und alle noch offenen Probleme durch Dialog und innerhalb bestehender Formate zu lösen". Das teilte UN-Sprecher Stephane Dujarric mit. Guterres sei "äußerst besorgt" über die Entwicklung.
Neben der OSZE bot sich zudem der im Süden an Armenien und Aserbaidschan grenzende Iran als Vermittler in dem Konflikt an. Die Türkei – Verbündete Aserbaidschans – wiederum warf Armenien "Provokationen" vor. Eriwan solle sich auf Friedensverhandlungen mit Baku konzentrieren, schrieb der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu auf Twitter.
- Nachrichtenagenturen dpa