Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Lage im Nahen Osten In Gaza erfrieren die Säuglinge
Der Nahe Osten kommt nicht zur Ruhe. So ist die Lage in den verschiedenen Ländern der Region.
Krieg in Gaza, die israelische Invasion im Südlibanon, das Ende des Assad-Regimes und ein damit verbundenes Machtvakuum in Syrien – der Nahe Osten kommt auch im Jahr 2025 nicht zur Ruhe.
Am Montag erklärte Amos Hochstein, der Sondergesandte der Vereinigten Staaten für den Libanon, die israelische Armee habe mehr als einen Monat nach Beginn der Waffenruhe zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz damit begonnen, Truppen aus dem südlichen Libanon abzuziehen.
Doch auch in vielen weiteren Regionen des Nahen Ostens ist die Lage komplex. t-online gibt eine Übersicht über die Situation im Gazastreifen, dem von Israel besetzten Westjordanland, Syrien und im Libanon.
Gaza: Behörde berichtet von mehr als 45.000 Toten
Im Gazastreifen geht die israelische Armee nach wie vor mit militärischer Härte gegen die Reste der Terrororganisation Hamas. Auch die Zivilbevölkerung leidet darunter. Zwischen elf und 15 Luftschläge mit Drohnen, Hubschraubern und Artillerie listet die Webseite "liveuamap" pro Tag auf. Außerdem attackiert Israel "liveuamap" zufolge die riesigen Zeltstädte an Gazas Stränden mit Kanonenbooten. Die Webseite bildet Ereignisse in verschiedenen bewaffneten Konflikten und Kriegen ab und wurde ursprünglich von zwei Ukrainern entwickelt, um den Frontverlauf im Ukrainekrieg verfolgen zu können. Mittlerweile hat "liveuamap" seine Dienste allerdings auch auf Syrien und den Krieg Israels im Gazastreifen ausgeweitet.
Wegen dieser massiven Angriffe können humanitäre Hilfsorganisationen nur eingeschränkt im Gazastreifen agieren. Das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) berichtet von fortwährender Behinderung der humanitären Hilfe. UNRWA ist der größte Arbeitgeber im Gazastreifen und wird seit Jahren von Israel kritisiert, unter anderem weil in den Schulen des Hilfswerks antisemitische Inhalte verbreitet worden sein sollen. Außerdem sollen sich Mitarbeiter des UNRWA am Angriff auf Israel am 7. Oktober beteiligt haben – die einzige Quelle dafür sind allerdings israelische Geheimdienstberichte, ein Expertenbericht entlastet das Hilfswerk. Für die Zeit nach dem Krieg hat Tom White, der Direktor des UNRWA, eine unabhängige Untersuchung dieser Vorwürfe angekündigt.
Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) berichtete, dass die Vereinten Nationen zwischen dem 6. Oktober und dem 30. Dezember 2024 164 Mal versucht haben, belagerte Gebiete im nördlichen Gazastreifen zu erreichen. Davon sollen 148 Versuche von den israelischen Behörden abgelehnt und 16 behindert worden sein.
Ein weiteres Problem im Gazastreifen betrifft insbesondere Neugeborene und Kleinkinder. Viele palästinensische Familien wohnen dort mittlerweile in Zelten, da ihre Häuser von israelischen Luftangriffen zerstört wurden. In dem Palästinensergebiet regnet es im Winter häufig, dazu fallen die Temperaturen nachts in den einstelligen Bereich – Säuglingen und Kleinkindern droht so der Tod durch Auskühlung. Mindestens fünf Neugeborene sollen seit den Weihnachtstagen in Gaza erfroren sein, berichtet das UNRWA.
Eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht. Der Generalkommissar des UNRWA, Philippe Lazzarini, teilte auf X mit, dass "Decken, Matratzen und andere Wintervorräte seit Monaten in der Region festsitzen und darauf warten, in den Gazastreifen zu gelangen". Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef berichtete, dass rund 7.700 Neugeborene keinen Zugang zu lebensrettender Versorgung haben.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Laut einem Bericht der Vereinten Nationen sollen mehr als 1,9 Millionen Menschen, also etwa 90 Prozent der Bevölkerung Gazas, mittlerweile vertrieben worden sein und ihre Häuser nicht mehr bewohnen können. Das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium in Gaza berichtet von mindestens 45.541 Todesfällen infolge der israelischen Angriffe. Außerdem sollen mehr als 108.000 Menschen teils schwer verletzt worden sein. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben jedoch nicht.
Israel: Vorbereitungen auf einen Krieg mit der Türkei?
Israel wird auch weiterhin von den Verbündeten und Proxys des iranischen Regimes in Teheran oder von der Hamas mit Raketen angegriffen. Die Huthi-Miliz aus dem Jemen erklärte am Sonntag, sie habe das Orot-Rabin-Kraftwerk in der israelischen Großstadt Haifa mit Raketen angegriffen und getroffen.
Über den Status der israelischen Geiseln, die sich immer noch in der Gewalt der Terrororganisation Hamas befinden, weiß Israel laut eigener Aussage nicht Bescheid. Die Hamas soll israelischen Delegierten während der Verhandlungen über eine Waffenruhe eine Liste mit Namen von Geiseln übergeben haben, die sie bei erfolgreichen Verhandlungen freilassen würde. "Bislang hat Israel keine Bestätigung oder Stellungnahme der Hamas zum Status der Geiseln auf der Liste erhalten", erklärte das Büro von Premierminister Benjamin Netanjahu.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
"Die Befürchtung ist, dass die Hamas das mögliche Abkommen nutzen wird, um hauptsächlich die Leichen der toten Geiseln zu übergeben. Israel will das vermeiden und in der ersten Phase den lebenden Geiseln Vorrang geben", erklärten israelische Quellen der spanischen Nachrichtenagentur EFE.
Außerdem ist Israel an verschiedenen Militäraktionen in Syrien beteiligt, insbesondere im Süden des Landes. Der Nationale Sicherheitsrat erklärte am Montag in einem Bericht, die Gefahr eines offenen Krieges mit der Türkei auf syrischem Territorium sei deshalb angestiegen. "Die Bedrohung, die von Syrien ausgeht, könnte sich zu etwas noch Gefährlicherem entwickeln als die iranische Bedrohung", heißt es in dem Bericht. Demnach könnten die von der Türkei unterstützten Kräfte in Syrien als Stellvertreter in einem möglichen offenen Krieg zwischen den beiden Ländern auftreten.
Der Bericht empfiehlt außerdem Möglichkeiten, wie sich Israel auf einen offenen Konflikt in den nächsten Jahren vorbereiten könnte, etwa durch die Beschaffung moderner Waffen, Luftabwehrsysteme und der Verstärkung der Grenzsicherung: "Der Iran ist seit Langem unsere größte Bedrohung, aber es treten neue Kräfte auf den Plan, und wir müssen auf das Unerwartete vorbereitet sein. Dieser Bericht liefert uns einen Fahrplan, um Israels Zukunft zu sichern", sagte Netanjahu zu dem Bericht.
Libanon: Israelische Armee zieht wohl aus besetzten Gebieten ab
Im Libanon scheint sich die Lage zu beruhigen. Israel will seine Streitkräfte aus den Gebieten abziehen, die es zuvor mehrere Monate besetzt hielt. Die Einheiten wurden südlich der Blauen Linie in Richtung Israel abgezogen, berichtet die Nachrichtenagentur AFP.
Dieser Rückzug soll fortgesetzt werden, bis alle israelischen Streitkräfte den Libanon vollständig verlassen haben. Zeitgleich erweitert die libanesische Armee ihre Stellungen bis zur Blauen Linie. Diese Demarkationslinie wurde im Jahr 2000 von der UNO zwischen dem Libanon und Israel festgelegt.
Das libanesische Militär stationierte Einheiten rund um Nakura parallel zum Rückzug der israelischen Truppen. Die israelische Armee erklärte der Nachrichtenagentur AFP, dass sie "gemäß den Anweisungen der politischen Ebene handelt und sich zur Einhaltung der Waffenruhe verpflichtet".
Die Waffenruhe zwischen Israel und der pro-iranischen Miliz Hisbollah war am 27. November in Kraft getreten. Beide Seiten hatten sich zuvor zwei Monate lang heftig bekämpft. Das Abkommen sieht vor, dass die israelische Armee den Südlibanon innerhalb von 60 Tagen verlässt.
Der Rückzug der israelischen Armee sowie das Abflauen der Luftschläge haben zur Folge, dass sich die Lage spürbar beruhigt. In der ersten Woche des Jahres 2025 berichtet "liveuamap" von nur sechs israelischen Luftschlägen im Süden des Landes. Zuvor erschütterten Artillerieangriffe und Attacken von Flugzeugen und Hubschraubern die Gegend teils stündlich. Mehrere Quellen aus der Region berichten, vertriebene Einwohner seien bereits in einige Dörfer zurückgekehrt.
Syrien: Kämpfe im Norden und viel Ungewissheit
In Syrien ist bisher ungewiss, wie sich die Situation nach dem Fall des Assad-Regimes verändert. Dort haben Rebellengruppen unter Führung der islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Scham die Macht übernommen und versprechen, das Land inklusiv integrieren zu wollen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) war in der vergangenen Woche mit ihrem französischen Amtskollegen zu Gast in Damaskus und wurde ohne Handschlag begrüßt.
Doch auch militärisch ist die Lage in Syrien nicht ruhig. Insbesondere im Norden kommt es immer wieder zu Gefechten zwischen den kurdisch geführten Syrian Defence Forces (SDF) und den islamistischen und von der Türkei unterstützten Rebellengruppen der Syrian National Army (SNA).
Diese Kämpfe konzentrieren sich vor allem auf die Tischrin-Talsperre über den Euphrat, die beide Gruppen kontrollieren wollen. Sie stellt einen der beiden zentralen Nachschubwege für die pro-kurdischen Truppen dar, die sich gegen die Angriffe der von der Türkei unterstützten SNA verteidigen. Am Dienstag berichteten kurdische Telegramkanäle von mehreren Luftschlägen der SNA auf SDF-Einheiten, die die Talsperre derzeit kontrollieren.
Auch an der anderen zentralen Nachschublinie über den Euphrat, der Kara-Kosak-Brücke, gibt es Berichte über Kämpfe. Dort soll es Drohneneinheiten der SDF gelungen sein, einen Angriff der SNA mithilfe von sogenannten Selbstmorddrohnen abzuwehren – also mit Sprengstoff bestückten Drohen, die sich auf den Feind stürzen und explodieren. Insgesamt seien die Kämpfe um die Kara-Kosak-Brücke allerdings eher sporadischer Natur.
Insgesamt ist auch die Menschenrechtslage in Syrien nicht einfach. Unterstützende Staaten wie Deutschland oder Frankreich müssen mit den neuen Machthabern in Damaskus über Wege diskutieren, wie die dringend benötigte Hilfe die syrische Zivilbevölkerung in abgelegeneren Teilen des Landes erreichen kann.
Doch ob das kriegsgeplagte Land zur Ruhe kommen kann, ist fraglich. Denn neben dem Machtkampf in Damaskus gibt es auch noch Israel, das nach dem Fall des Assad-Regimes große Teile der syrischen Luftwaffe zerstört und einige Landstriche im Süden Syriens besetzt hat.
- israelpalestine.liveuamap.com: "Live News"
- unrwa.org: "UNRWA Situation Report #153 on the Humanitarian Crisis in the Gaza Strip and the West Bank, including East Jerusalem"
- ochaopt.org: "Humanitarian Situation Update #251 | Gaza Strip"
- unicef.org: "Statement by UNICEF Regional Director for the Middle East and North Africa Edouard Beigbeder on continued deaths of children in Gaza"
- reliefweb.int: "Gaza: Life in a death trap [EN/AR]"
- ochaopt.org: "Reported impact snapshot | Gaza Strip (31 December 2024)"
- france24.com: "US envoy says Israeli forces begin pullout from 2nd south Lebanon town"
- jns.org: "Hochstein: IDF begins withdrawal from south Lebanon town"
- Telegramkanäle "SY_zv", "Kurdish Front News", "Syria Horra", "Kurdish Revolution", "YPG Press Office"
- dw.com: "Middle East updates: Israel unclear on 'status of hostages'"
- deutschlandfunk.de: "So schwer wiegen die Vorwürfe Israels gegen das Palästina-Hilfswerk"
- aa.com.tr: "Yemen’s Houthis claim missile attack on power plant in northern Israel"
- intellinews.com: "Risk of Israel-Turkey war in new Syria assessed by Israeli government commission"
- newarab.com: "Israel must prepare for war with Turkey, gov committee warns"