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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ukraine-Streit mit China Baerbock blitzt ab
China ist der mächtigste Verbündete Russlands. Außenministerin Annalena Baerbock möchte in Peking verhindern, dass Staatschef Xi Jinping seine Unterstützung für Putins Ukraine-Krieg weiter ausbaut. Aber die Chancen stehen schlecht.
Es liegt erneut Ärger in der Luft. Die Beziehung zwischen Außenministerin Annalena Baerbock und China ist kompliziert, oft kam es zu Streit, manchmal sogar zu eher undiplomatischen Auseinandersetzungen. Schon bei ihrem Antrittsbesuch in der Volksrepublik äußerte die Grünen-Politikerin scharfe Kritik an der chinesischen Führung. Diese verbat sich daraufhin Belehrungen aus Deutschland. Im September desselben Jahres bezeichnete Baerbock den chinesischen Präsidenten in einem Interview mit dem amerikanischen Sender Fox News als "Diktator". Peking reagierte empört, bestellte den deutschen Botschafter in China ein.
Das ist der Grund, warum die deutsche Außenministerin innerhalb der politischen Führung Chinas kritisch gesehen wird. Deswegen schien es noch zu Beginn dieses Jahres laut chinesischen Diplomaten unwahrscheinlich, dass Baerbock noch einmal eine Einladung in die Volksrepublik bekommen sollte. Doch genau dies hat sich in den vergangenen Monaten geändert: Mehrere Gespräche zwischen Baerbock und ihrem chinesischen Amtskollegen Wang Yi haben dazu geführt, dass sich Pekings Haltung gegenüber einer Einladung Baerbocks änderte, heißt es.
Nun ist die Außenministerin zu einem zweitägigen Besuch in China, ein weiteres Kapitel in den komplizierten Beziehungen zwischen ihr und der Volksrepublik und eine Reise voller Stolpersteine.
Baerbock erwartet in China ein diplomatischer Spagat. Einerseits möchte Deutschland vor der Amtszeit des künftigen US-Präsidenten Donald Trump seine Beziehungen zu China verbessern. Andererseits geht es für die Bundesregierung auch um den Versuch, Xi weiter aus seinem Bündnis mit Wladimir Putin zu lösen und eine stärkere Unterstützung für Russlands Krieg in der Ukraine zu verhindern. Aber genau bei diesem Punkt beißt die Grünen-Politikerin auf Granit.
Konsequenzen für China?
Schon vor ihrer Peking-Reise erhöhte Baerbock den Druck auf die chinesische Führung. Bei einem EU-Treffen Mitte November in Brüssel sprach sie mit Blick auf den Ukraine-Krieg von "chinesischer Drohnenhilfe" für Russland und forderte: "Das muss und wird Konsequenzen haben." Ein EU-Beamter erklärte daraufhin: "Wir haben Berichte von Geheimdienstquellen über die Existenz einer Fabrik in China erhalten, die Drohnen herstellt, die nach Russland geliefert und im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden."
Doch der Vorstoß der Außenministerin war offenbar nicht mit dem Kanzleramt abgestimmt. Kalt erwischt sprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kurz vor einem bilateralen Gespräch mit Xi Jinping beim G20-Treffen in Rio de Janeiro lediglich darüber, dass er allgemein Staaten davor warne, "letale" Waffen an Russland zu liefern. Kein Wort des Kanzlers über China, über Drohnen und auch kein Wort darüber, dass die Bundesregierung weitere Maßnahmen gegen China prüfe.
Eines liegt auf der Hand: Der in Deutschland beginnende Wahlkampf stellt auch den außenpolitischen Burgfrieden zwischen Scholz und Baerbock vor neue Herausforderungen. Nach anfänglichen Richtungsstreitigkeiten in dieser Legislatur waren Kanzler und Außenministerin in den vergangenen Jahren eigentlich auf einer Linie. Aber die deutsche Außenpolitik aus einem Guss ist in Gefahr. Denn schon in dieser Frühphase des Wahlkampfs zeichnet sich ab, dass Baerbock und Scholz mit außenpolitischen Themen punkten und sich voneinander absetzen möchten, besonders mit Blick auf die Ukraine und Russland.
Deswegen war es ohnehin unklar, welche politische Schlagkraft Baerbock überhaupt gegenüber China hat. Denn auch die chinesische Führung preist in ihrer Diplomatie natürlich ein, dass die aktuelle Bundesregierung keine Mehrheit mehr im deutschen Parlament hat und Neuwahlen in Deutschland anstehen. Die gegenwärtige Ohnmacht der deutschen Politik nach dem Kollaps der Ampel in Berlin wird China nicht kompromissbereiter machen, im Gegenteil: Peking wird erst einmal abwarten, bis eine neue Bundesregierung im Amt ist.
Deutsche Hoffnungen sind gedämpft
Baerbock sieht in dieser Zeit mit multiplen Kriegen und Krisen ihre Aufgabe im Fortbestand einer aktiven Außenpolitik, und das wird sich natürlich auch auf den Wahlkampf der Grünen auswirken. Reisen wie diese nach China sind schon länger geplant und es ist wahrscheinlich, dass ihr aktueller Besuch in Peking schon vor dem Zusammenbruch der Bundesregierung organisiert wurde.
Auch deswegen schienen die Hoffnungen auf eine Bewegung Chinas in kritischen Fragen vor der Baerbock-Reise eher gedämpft. Europäische Diplomaten betonten eher die Wichtigkeit der Fortsetzung des Dialogs mit der chinesischen Führung. Diese Haltung ist keine Überraschung. Immerhin droht auch der Europäischen Union erneut ein Handelskonflikt mit den USA unter Trump, und das dürfte fast zwangsläufig zu einer Verbesserung der Beziehungen der Europäer zur Volksrepublik führen. Doch die chinesische Unterstützung für Putins Krieg in der Ukraine ist auch für die deutsch-chinesischen Beziehungen wie ein Stachel im Fleisch. Und das ist unheimlich schmerzhaft.
"Drohnen aus chinesischen Fabriken und nordkoreanische Truppen, die den Frieden mitten in Europa angreifen, verletzen unsere europäischen Kern-Sicherheitsinteressen", sagte Baerbock am Montag vor Journalisten nach einem Treffen mit ihrem chinesischen Amtskollegen Wang Yi. Sie sagte in ihrer Pressekonferenz an China gerichtet, ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats dürfe "Konflikte, die unserer aller Sicherheit bedrohen, nicht mit Unterstützung noch weiter befeuern".
Bereits vor ihrem Abflug nach Peking hatte die Grünen-Politikerin China für die Rolle des Lands im Ukraine-Krieg kritisiert. Die Bundesregierung könne in ihren Beziehungen zu China "nicht einfach ausblenden", dass Russlands "brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine" den Frieden in Deutschland "ganz unmittelbar" bedrohe.
China duckt sich weg
Doch die politischen Hebel, die Deutschland gegenüber der Volksrepublik hat, sind begrenzt. Zu groß sind die wirtschaftlichen Abhängigkeiten zwischen der Bundesrepublik und China, die zweit- und die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt kämpfen beide mit wirtschaftlichen Problemen. Deswegen blendete Deutschland bislang Pekings Unterstützung für Putin in der praktischen Politik eben doch aus.
In der EU wird indes das 15. Sanktionspaket gegen Russland vorbereitet. Unter anderem ist geplant, Unternehmen mit Sitz in China ins Visier zu nehmen, die an der Herstellung von Drohnen für Russlands Krieg beteiligt sind. Man würde hier also ein vergleichsweise eher stumpfes Schwert ziehen – und das, obwohl die betroffenen Unternehmen sicherlich nach dem Willen der chinesischen Regierung handeln.
Bislang blieb China im Ukraine-Krieg strategisch unkonkret. Die Volksrepublik betonte stets, neutral zu sein. Man inszenierte sich als verantwortungsvolle Supermacht, legte einen Friedensplan vor. Doch dies war eher eine diplomatische Rauchbombe, denn Xi erhöhte in keiner Phase des Krieges den Druck auf Putin. Bislang schienen die chinesischen Bemühungen also weder ernst gemeint, noch hatten sie einen tatsächlichen Effekt auf den Konflikt.
Auch deshalb versuchte Baerbock in China, erneut an die chinesische Führung zu appellieren. Die Außenministerin sagte, sie habe ihrem chinesischen Kollegen Wang "in diesem Sinne viele Fragen gestellt", und ergänzte: "Wie schon (der südafrikanische Menschenrechtsaktivist, Anm. d. Red.) Desmond Tutu sagte, in Zeiten von Angriffen und Opfern bedeutet Neutralität im Zweifel auch, man unterstützt den Aggressor." Sie habe mit Wang "intensiv" darüber gesprochen, "ob das wirklich im Sinne von Ländern ist in der Welt, die in ihrer eigenen Region im Zweifel auch Sicherheitsherausforderungen haben".
Ein Keil zwischen Putin und Xi?
Aber das ist eben das Problem. Die chinesische Führung sieht die Unterstützung Putins als ihr Sicherheitsinteresse an. Einerseits möchte Peking einen Machtwechsel in Moskau verhindern, weil China innenpolitisches Chaos in dem benachbarten Riesenreich befürchtet. Andererseits ist Russland durch den Ukraine-Krieg zum Juniorpartner Chinas geworden, Putin ist abhängig von Xi und die energiehungrige Volksrepublik hofft auch weiterhin auf billige Rohstoffe aus dem Nachbarland.
Vor dem Hintergrund, dass es nach über 1.000 Kriegstagen nun doch militärisch gut für Putin in der Ukraine aussieht, ist aus der Perspektive Chinas eine positive Entwicklung. Auch in Bezug darauf wird Xi weiterhin abwarten und schauen, was in der Ukraine und durch eine Trump-Administration in den USA geschieht.
Zwar gibt es auch für Peking rote Linien und gelegentlich stellt Putin diese auf die Probe – etwa bei der Drohung mit Atomwaffen oder mit dem Einsatz nordkoreanischer Soldaten und auch bei einer möglichen Hochrüstung des Kim-Regimes durch Russland. Es sind unterschiedliche strategische Ansätze zwischen China und Russland, die westliche Länder natürlich befeuern, um einen Keil zwischen Putin und Xi zu treiben. Scholz betonte bei seinem China-Besuch die chinesische Ablehnung eines möglichen Kernwaffeneinsatzes durch Russland, Baerbock thematisierte nun in Peking den Einsatz nordkoreanischer Soldaten für die russische Armee.
Baerbocks Appelle verhallen
Die Strategie erscheint klar: Die Unterstützung Chinas ist Putins Achillesferse. Sollte Xi die Geduld mit diesem Krieg verlieren, könnte der Kreml ihn wahrscheinlich nicht lange weiterführen. Baerbocks Appelle in Peking waren also vor allem ein diplomatischer Angriff auf Putins Rücken. Aber es ist aktuell sehr unwahrscheinlich, dass China sich politisch bewegt.
Hinzu kommt, dass die Ukraine nicht das einzige Streitthema zwischen Deutschland und China ist. Es gibt zum Beispiel Uneinigkeiten darüber, dass Peking sich nicht finanziell an der Bekämpfung der Klimakrise beteiligen möchte. Baerbock sprach außerdem angesichts drohender Handelsstreitigkeiten und Extrazölle der EU auf chinesische E-Autos über die Wirtschaftsbeziehungen der zweitgrößten und drittgrößten Volkswirtschaft der Welt. Und in dem dreistündigen Gespräch mit Wang ging es auch um die Einhaltung von Menschenrechten in China und fairen Wettbewerb.
Baerbocks Besuch in China blieb kompliziert in der Sache, aber freundlich im Ton. Die Volksrepublik und Deutschland betonten, dass sie trotz Differenzen in einigen Bereichen trotzdem zusammenarbeiten könnten. Doch besonders Peking blieb hier weiterhin vage: Wang rief Baerbock zu "Dialog und Zusammenarbeit" auf, was in Diplomatensprache, mit Blick auf den Ukrainekrieg, einem Vertrösten gleichkommt. Chinas Außenminister unterstrich außerdem nach chinesischen Angaben im Gespräch mit Baerbock, China und Deutschland müssten "als zweitgrößte und drittgrößte Volkswirtschaften der Welt" und "Großmächte in einer turbulenten internationalen Situation" ihre Beziehungen stärken.
Es ist im chinesischen Interesse, die Zusammenarbeit mit Europa zu verbessern und Europa ein Stück weit aus dem Bündnis mit den USA zu lösen. Aber Zugeständnisse möchte Peking nicht machen, auch Baerbock blitzte mit ihren Appellen ab.
Das war eigentlich keine Überraschung, aber ein erneuter diplomatischer Fehlschlag ist schon eine erneute Enttäuschung. Denn schließlich wartet das westliche Bündnis im Ukraine-Krieg schon lange auf einen Funken Hoffnung oder zumindest auf eine positive Nachricht. Doch das Warten wird wahrscheinlich auch nach Baerbocks China-Besuch weiter andauern.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen afp und dpa
- tagesschau.de: Klar die Konfliktlinien angesprochen
- handelsblatt.com: Baerbocks China-Kritik fällt leiser aus
- zdf.de: Baerbock: Ukraine-Krieg nicht befeuern
- tagesschau.de: Baerbock droht China mit Konsequenzen
- Eigene Recherche