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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krieg in der Ukraine Frieden? China mischt sich ein
Beim Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in Peking schlägt die chinesische Führung eine Friedenskonferenz für den Ukraine-Krieg vor. Verliert Xi Jinping die Geduld mit Wladimir Putin und seinem Krieg?
Die Weltpolitik ist in Bewegung. Vieles hat sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs verschoben, das gilt auch für die Beziehungen zwischen China und Russland. Am Dienstag ist der russische Außenminister Sergej Lawrow in Peking. Wahrscheinlich soll er den Besuch von Wladimir Putin in China in diesem Sommer vorbereiten, aber Gesprächsbedarf gibt es reichlich. Russland ist durch den Ukraine-Krieg vom Westen entkoppelt und braucht auch deshalb die Rückendeckung aus China.
Deswegen bringt Lawrow vor allem eines in die chinesische Hauptstadt mit: Schmeicheleien. "Wir möchten Ihnen unsere höchste Anerkennung und Bewunderung für die Erfolge aussprechen, die Sie im Laufe der Jahre und vor allem im letzten Jahrzehnt unter Ihrer Führung erreicht haben", sagt Lawrow nach Berichten russischer Nachrichtenagenturen zum chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Chinas Präsident habe zu den Ersten gehört, "die dem gewählten Präsidenten Putin ihre Glückwünsche übermittelten, und wir sind unseren chinesischen Freunden für diese Unterstützung sehr dankbar."
Warme Worte. Auch China soll laut russischer Staatsmedien zugesichert haben, dass es die "starke Führung" von Putin unterstützen wird. Beide Seiten betonen, dass sie künftig noch enger zusammenarbeiten sollen. Aber die russische Charmeoffensive und der Umfang der Berichterstattung russischer Medien zeigen vor allem auch eines: Putin muss um die Rückendeckung aus Peking kämpfen, sie ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr – trotz der chinesisch-russischen Rivalität mit dem Westen.
Der westliche Druck durch mögliche Sekundärsanktionen auf die chinesische Wirtschaft steigt und Xi könnte sich auch deshalb gedrängt fühlen, sich in der Ukraine für Frieden zu engagieren. Peking schlägt nun überraschend einen Friedensgipfel vor. Eine Einladung, die Russland nicht ablehnen kann, weil es von China abhängig ist. Doch ob die erneute chinesische Initiative ernst zu nehmen ist oder sie nur als Feigenblatt für eigene Untätigkeit dienen soll – das genau ist die Frage.
Putin will keinen Frieden, aber Xi?
Kein Zweifel, Russland ist momentan in der Ukraine im Aufwind. Vor allem der Munitionsmangel führt dazu, dass die ukrainische Armee den Krieg verlieren könnte, wie Präsident Wolodymyr Selenskyj erst am Montag wieder betonte. Schuld daran sind vor allem die US-Republikaner, die weiterhin Ukraine-Hilfen im US-Kongress blockieren. Deswegen will der ehemalige US-Präsident Donald Trump laut Medienberichten die Ukraine besuchen. Aber hat Kiew noch so viel Zeit?
Russland droht den ukrainischen Widerstand langsam zu erdrücken. Kein Grund zum Verhandeln, das zumindest ist die russische Perspektive. Putin gibt sich im März in einem Interview siegessicher: "Sollen wir verhandeln, nur weil denen jetzt die Munition ausgeht?", fragte er. Das wäre "lächerlich".
Mehr als drei Wochen später schlägt China aber genau diese angebliche "Lächerlichkeit" vor, spricht sich für zeitnahe Verhandlungen aus. Der chinesische Außenminister Wang Yi schlage eine Konferenz vor, die die gleichberechtigte Teilnahme beider Länder anerkenne und auf der Friedensvorschläge auf Augenhöhe diskutiert werden könnten, teilt das Außenministerium der Volksrepublik am Dienstag mit.
Aber warum jetzt? Was steckt dahinter? China ist in der Weltpolitik der einzige Akteur, der Putin in die Schranken weisen könnte. Das ist eine Chance. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass Xi Jinping eben darauf bisher verzichtet hat. Peking verurteilt den Krieg nicht, sieht sich als neutral und lotet stets die Grenzen für die Unterstützung Russlands neu aus, um nicht ins Fadenkreuz westlicher Sanktionen zu geraten.
Chinesischer Friedensplan ohne Wirkung
Xi möchte nicht, dass die russische Armee den Krieg verliert. Die Volksrepublik teilt mit Russland eine 4.000 Kilometer lange Grenze und für die chinesische Führung wäre es ein Albtraum, wenn durch einen Putsch in dem Nachbarland politisches Chaos entstünde. Man sieht in Putin einen Garanten für Stabilität in Russland, obwohl man sich in Peking schon längere Zeit darüber wundert, dass der Kreml unfähig ist, den Ukraine-Krieg zu gewinnen. Das zumindest erfuhr t-online von westlichen Diplomaten.
Deswegen war es von Anfang an die chinesische Strategie, sich wegzuducken. Erst reagierte man nicht auf die russische Invasion in der Ukraine. Doch der Druck auf China wurde größer, sich als Supermacht für den Frieden einzusetzen. Das chinesische Interesse war bisher jedoch stets überschaubar. Peking entwarf Anfang 2023 einen Friedensplan, der lediglich allgemeine Floskeln beinhaltete und keinen Frieden brachte. Chinesische Gesandte führten zwar Gespräche mit allen Seiten, doch der Durchbruch blieb aus.
Bislang sind die chinesischen Vorstöße also eher als Versuch zu werten, überhaupt etwas zu tun. Ein klarer Wille, Frieden herbeizuführen, ist dahinter bisher nicht zu erkennen. Dabei könnte China, wenn es wollte. Seit der Entkopplung der russischen Wirtschaft vom Westen durch die Sanktionen ist die Volksrepublik die Lebensversicherung für Russland. Davon profitiert auch China, denn chinesische Unternehmen füllen die Löcher, die westliche Unternehmen in Russland hinterlassen haben.
Außerdem bekommt die russische Armee aus China Satellitenbilder zur besseren Aufklärung, die russische Rüstungsproduktion erhält sogenannte Dual-Use-Güter, die militärisch und zivil genutzt werden können. Nachdem Russland vom Zahlungsverkehr in Euro und US-Dollar ausgeschlossen wurde, ist der chinesische Yuan für russische Banken, Unternehmen und den Staat zur wichtigsten Reservewährung geworden.
China besorgt über mögliche Sekundärsanktionen
All das zeigt, welche Dimensionen die chinesische Unterstützung für Russland angenommen hat. Auch China spürt die Folgen des Krieges, etwa die Konsequenzen für die Weltwirtschaft oder den Druck aus dem Westen auf Peking. Das könnte der Grund sein, warum Xi nun auf die Bremse tritt. Denn die Volksrepublik kann sich eben nicht mehr hinter unglaubwürdigen Neutralitätsbekundungen verstecken und muss zunehmend den Preis für die Unterstützung Russlands zahlen.
Der Motor dahinter sind vor allem die USA. Die US-Regierung möchte im Verbund mit ihren Partnerstaaten Sekundärsanktionen umsetzen, die die Staaten bestrafen, die die Sanktionen gegen Russland umgehen. Dazu gehören vor allem China, die Türkei und auch Indien. Als mögliche Strafe könnten Unternehmen oder Banken der jeweiligen Länder vom Zahlungsverkehr in US-Dollar ausgeschlossen werden. Mehr dazu lesen Sie hier.
Das ruft in China Angst hervor, was sich vor allem auch daran zeigt, dass chinesische Banken ihre Finanzgeschäfte mit Russland entweder verzögern oder gänzlich beendet haben. Vor allem für Putin sind das schlechte Entwicklungen. Anfang April telefonierte Xi Jinping mit US-Präsident Joe Biden, und es gilt als wahrscheinlich, dass sich beide genau über diese Schritte unterhalten haben.
Schwachstelle der chinesisch-russischen Partnerschaft
Der Vorstoß Chinas, sich nun doch wieder um Frieden bemühen zu wollen, könnte genau diesen Hintergrund haben – wenn die Bemühungen denn ernst gemeint sind. Xi verliert die Geduld mit Putins Krieg, weil er in der aktuellen Lage eine Gefahr für die chinesische Wirtschaft sieht. Und auch die Aussicht auf einen möglichen Sieg von Donald Trump bei den US-Wahlen im November ist aus der Perspektive Pekings mindestens getrübt.
Während sich der Austausch zwischen Biden und Xi seit Ende des letzten Jahres deutlich verbessert hat, macht Trump kein Geheimnis daraus, dass er China für den Hauptrivalen der USA hält. Er kritisierte am Wochenende, dass der Westen Russland mit seiner Ukraine-Politik in die Arme Chinas treiben würde. Derartige Töne werden natürlich von der chinesischen Führung vernommen, und es könnte in der Volksrepublik der Entschluss reifen, dass es für China besser ist, mit Biden an einer Lösung zu arbeiten.
Russland dagegen sieht natürlich auch, dass die Zusammenarbeit mit China eben nicht ohne Vorbehalte funktioniert und dass sich aktuell durchaus Brüche auftun. Auch deshalb erinnert Lawrow am Dienstag in Peking an den gemeinsamen Kampf gegen den Westen für eine multipolare Welt und kritisiert westliche Sanktionen als "unrechtmäßig". "Diese Art der Politik wird zunehmend auch auf China angewendet", betonte der russische Außenminister. Der Westen behindere Chinas "wirtschaftliche und technologische Entwicklungsmöglichkeiten", um sich der Konkurrenz zu entledigen.
Die russische Strategie dabei ist klar: Der Kreml befeuert den Konflikt zwischen China und dem Westen, um Peking enger an sich zu binden. Doch Xi Jinping zeigt sich bisher davon ähnlich unbeeindruckt wie von den westlichen Maßnahmen gegen Russland. Er hat seine eigenen Interessen im Blick. Wenn es hart auf hart kommt, scheint China nicht gewillt zu sein, seine wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen zu opfern. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Putin und Xi und vielleicht die Schwachstelle der russisch-chinesischen Achse.
- tagesschau.de: Lawrow zu Gesprächen in Peking
- srf.ch: China für zeitnahe Verhandlungen zwischen Russland und Ukraine
- fr.de: China mischt sich in Ukraine-Krieg ein
- n-tv.de: Lawrow bereitet womöglich Putins China-Besuch vor
- deutschlandfunk.de: Chinas Friedensplan dient nur der Profilierung
- Nachrichtenagenturen dpa und rtr