Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Konflikt zwischen Israel und Hisbollah Erst die Wutrede, dann die Explosion
Kurz nachdem Benjamin Netanjahu in der UN-Generalversammlung zum Rundumschlag gegen seine Kritiker ausgeholt hat, lässt er Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah ermorden. Damit droht nun der Flächenbrand, den auch Deutschland unbedingt verhindern wollte.
Aus New York berichtet Patrick Diekmann.
Schon wieder der verflixte Schuh. Außenministerin Annalena Baerbock ist am Freitag zum Ende der UN-Woche in New York auf dem Weg in ein Café zu einem Treffen mit der kanadischen Außenministerin Mélanie Joly. Baerbock und Joly verstehen sich gut, zwischen den beiden Außenministerinnen hat sich in den vergangenen Jahren eine Freundschaft entwickelt. Deswegen treffen sich beide wahrscheinlich nicht in einem kühlen Konferenzraum, sondern sprechen unter vier Augen in einem Café an einem kleinen Tisch.
Nur auf dem Weg dorthin passiert Baerbock ein kleines Malheur. Der Absatz ihres rechten Schuhs bricht plötzlich. Die Grünen-Politikerin berät sich mit ihrem Protokoll, setzt den Weg dann mit beschädigtem Absatz fort. Baerbock nimmt's gelassen, zeigt Joly den ruinierten bordeauxfarbenen Schuh. Die Kanadierin hat gut lachen: Sie ist in Turnschuhen gekommen. Es ist nicht der erste Absatzunfall für Baerbock in New York: Bereits vor zwei Jahren fiel ein Absatz den unebenen Gehwegen der Millionenmetropole zum Opfer.
Die Schuhpanne ist eine kleine Randanekdote einer UN-Woche, die einige Höhen, aber auch viele Tiefen hatte. Die Vereinten Nationen ringen im Angesicht zahlreicher Kriege und Konflikte mit ihrer DNA als Frieden-stiftende Institution. Während Russland die Ukraine angreift und sich der Krieg zwischen Israel und der Hamas auf den Libanon ausweitet, findet die UN nur wenig Antworten, die tatsächlich zur Deeskalation führen könnten.
Das Fazit der diesjährigen UN-Generalversammlung ist deshalb: Es bewegt sich etwas, es wird gesprochen, aber zu langsam, um den Hunderten Menschen das Leben zu retten, die aktuell in diesen Kriegen sterben.
Diese Erkenntnis ist durchaus bitter für die internationale Staatengemeinschaft. Einige ihrer Mitglieder möchten ihre Interessen aktuell mit Krieg und militärischer Stärke durchsetzen. Während Kremlchef Wladimir Putin in der Ukraine über Leichen geht, setzt der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu weiterhin auf Eskalation, obwohl die USA und auch Deutschland einen großen Krieg im Nahen Osten befürchten.
Netanjahu reicht in New York seinen Kritikern nicht die Hand, sondern er streckt ihnen die Faust entgegen – und er untermauert seine aggressive Rede vor den Vereinten Nationen am Ende mit Taten. Ein großer israelischer Angriff auf Beirut, der unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen könnte.
- Baerbock im Krisenmodus: Es wird immer schlimmer
- Krieg in der Ukraine: Hinter Putins Wut steckt eine bittere Wahrheit
- UN-Streit um Ukraine-Krieg: Russland verliert die Nerven
- Baerbock in New York: Der Schaden für China wird größer
- Baerbock bei UN-Generaldebatte: Es fängt an mit einem Knall
Netanjahu spielt Hamas und Hisbollah in die Karten
Die Rede von Netanjahu war am Freitag das Finale einer UN-Woche, die vor allem gezeigt hat, wie tief gespalten die internationale Gemeinschaft im Nahostkonflikt ist. Bereits Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte am Donnerstag Israel scharf attackiert und zum Verlassen der besetzten Palästinensergebiete aufgefordert. "Stoppt dieses Verbrechen. Stoppt es sofort. Stoppt das Töten von Kindern und Frauen. Stoppt den Völkermord. Stoppt die Waffenlieferungen an Israel", sagte er vor der UN-Vollversammlung.
Netanjahu konterte am Freitag mit einer wütenden Kriegsrede. "Israel hat das Recht, dieser Bedrohung ein Ende zu setzen und dafür zu sorgen, dass seine Bürger in Sicherheit nach Hause zurückkehren können", sagte er vor der UN-Vollversammlung. Solange Israel nicht wie andere Nationen behandelt werde, "solange der antisemitische Sumpf nicht ausgetrocknet ist", würden die Vereinten Nationen von rechtschaffenen Menschen als eine "verachtenswerte Farce" betrachtet werden.
Keine Spur von Deeskalation. Netanjahu kündigte an, dass Israel den Krieg gegen die Hisbollah weiterführen und gewinnen werde. Israel erfuhr in der internationalen Gemeinschaft nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 viel Rückhalt. Diesen hat die israelische Führung durch das Blutbad im Gazastreifen mit Zehntausenden zivilen Todesopfern verspielt. Wenn also Netanjahu von einem antisemitischen Sumpf spricht, hat er selbst mit seinem Vorgehen die Abneigung vieler muslimischer Gesellschaften gegen Israel befeuert.
Eben das spielt Terrororganisationen wie der Hamas und der Hisbollah in die Karten. Es stärkt das verbrecherische Mullah-Regime im Iran, weil das sich nun als kooperativ und gesprächsbereit inszenieren kann.
Ausweitung des Krieges macht Israel nicht sicherer
Deswegen verlieren immer mehr Länder auch in Europa die Geduld mit der israelischen Regierung. Als Netanjahu am Freitag ans Rednerpult in der UN-Vollversammlung trat, verließen zahlreiche Delegierte aus Protest den Saal. Trotzdem hält Netanjahu in diesem Rahmen eine nationalistische Rede, die die Kriegsmoral zu Hause in Israel hochhalten soll. Es gab kaum eine Spur der internationalen Verständigung.
Doch damit nicht genug. Nach seiner Wutrede soll der israelische Ministerpräsident in sein Hotelzimmer gegangen sein, um einen massiven Luftangriff auf ein Hisbollah-Hauptquartier in Beirut zu verfolgen. Der Angriff galt Hassan Nasrallah, dem Chef der Terrorgruppe. Am Tag darauf ist klar: Nasrallah war tatsächlich vor Ort und kam bei der Attacke ums Leben. Das könnte die Situation in der Region weiter eskalieren lassen.
Keine Frage. Die Hisbollah ist der verlängerte Arm des Iran in der Region und schießt immer wieder Raketen in Richtung Israel ab. Trotzdem zweifeln die meisten westlichen Diplomaten in New York daran, dass sich die Sicherheitslage für die Menschen in Israel verbessert, wenn Netanjahu diesen Krieg völlig eskalieren lässt und möglicherweise auch noch den Iran in den Konflikt hineinzieht.
Ein Schlag ins Gesicht der UN
Dieser Angriff wenige Momente nach seiner UN-Rede ist dementsprechend eine Respektlosigkeit gegenüber der UN, die für Frieden und Dialog steht. Es ist ein Schlag ins Gesicht der Staaten, die sich in den vergangenen Monaten mit großem diplomatischem Aufwand für eine Deeskalation eingesetzt haben – etwa Deutschland und die USA. Außenministerin Baerbock war bislang elfmal seit dem 7. Oktober in der Region, auch ihr US-Amtskollege Antony Blinken setzte sich massiv für eine Waffenruhe ein. Ohne Erfolg.
In den vergangenen Tagen hatten Vertreter westlicher und arabischer Staaten unter Geheimhaltung an einer Initiative gearbeitet, die einen großen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah sowie eine israelische Bodenoffensive verhindern sollten. Dafür machte auch US-Präsident Joe Biden noch einmal Druck auf Netanjahu, endlich einer Waffenruhe zuzustimmen.
Aber der israelische Ministerpräsident scheint all die Friedensvorstöße und all den Druck seiner letzten verbliebenen Verbündeten zu ignorieren. Stattdessen setzt er auf einen Kriegssieg und malte in seiner UN-Rede eine Welt, die nur aus Schwarz und Weiß besteht. Frei nach dem Motto: All die Staaten, die nicht für Israel sind, sind Antisemiten, die an der Seite von Terroristen und Verbrechern stehen.
Für die Vermittlerstaaten im Nahostkonflikt ist das ein schwerer Rückschlag. Auch Baerbock sprach seit Tagen in New York immer wieder davon, dass die Welt eben nicht nur aus Freunden und Feinden besteht. Damit wollte sie Brücken bauen, im Ukraine-Krieg und auch im Nahostkonflikt. Und während sich die Grünen-Politikerin am Freitagmittag vor die Presse stellt und für die Deeskalation zwischen Israel und der Hisbollah plädiert, enthauptet die israelische Armee die schiitische Miliz. Wenn Netanjahu seine Freunde so behandelt, bleiben Israel am Ende nur noch wenig Freunde, selbst wenn es den Krieg gewinnt. Baerbock scheint gegen Windmühlen zu kämpfen.
- Begleitung von Außenministerin Baerbock zur UN-Generaldebatte nach New York
- Eigene Recherche