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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Baerbock im Krisenmodus Es wird immer schlimmer
Der Kriegsdruck auf die Ukraine ist immens, und ein Flächenbrand im Nahen Osten näher als je zuvor. Bei der UN-Generalversammlung versucht sich Außenministerin Baerbock an der Trendwende – erlebt in New York allerdings auch das grüne Personalbeben.
Aus New York berichtet Patrick Diekmann
Es gibt während einer UN-Generalversammlung in New York regelmäßig Momente, an denen das Leben fast stillsteht. Immer dann, wenn Politikerinnen oder Politiker mit höchster Sicherheitsstufe die Straßen um das Hauptquartier der Vereinten Nationen passieren müssen, wird alles abgeriegelt. Wenn etwa US-Präsident Joe Biden oder auch sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj unterwegs sind, blockieren Polizei und Secret Service alle Straßen, bauen Gitter auf den Gehwegen auf. Es gibt kein Durchkommen für mindestens 20 Minuten, auch nicht für Fußgänger.
Das passiert in der Woche der UN-Generalversammlung mehrmals täglich. Die Amerikaner nennen es "Freeze" – in Anspielung auf das eingefrorene Leben, doch die Menschen in New York scheinen sich an die Momente des schleppenden Stillstands gewöhnt zu haben. Sie warten an den Absperrgittern, zücken Handys, um vielleicht den US-Präsidenten bei der Vorbeifahrt zu filmen, oder unterhalten sich mit den zahlreichen Polizisten, die sich oftmals für die Geduld der Menschen bedanken und sich für die Umstände entschuldigen.
Ein Moment des Innehaltens ist nicht immer ein Ärgernis. Auch die internationale Politik könnte im Angesicht zahlreicher Kriege und Krisen eine Verschnaufpause gut gebrauchen. Die Lage für die Ukraine im Krieg gegen Russland wird immer prekärer, die israelische Armee steht vor einer Bodenoffensive gegen die Terrororganisation Hisbollah im Libanon, im Sudan tobt ein blutiger Bürgerkrieg, und in Afghanistan haben die radikalislamischen Taliban vor allem gegen Frauen wieder zahlreiche Repressalien eingeführt.
Es ist gegenwärtig ein wahrer Feuersturm an Krisen, und aus westlicher Perspektive läuft aktuell der Trend bei zu vielen Konflikten in die falsche Richtung. Oder anders: In der Ukraine oder in Nahost wird die Lage eher schlimmer als besser – und das ist auch ein Problem für Annalena Baerbock.
Die deutsche Außenministerin ist in der UN-Woche im Krisenmodus, eilt von Treffen zu Treffen, mit verbündeten und rivalisierenden Staaten. Baerbock möchte Feuerlöscher sein, deeskalieren. Doch ausgerechnet in der Woche, in der der Fokus auch in Deutschland auf Krisendiplomatie und auf der Außenministerin persönlich liegt, forcieren die Grünen einen Personalwechsel an der Parteispitze. Auch das noch. Dieses parteiinterne Beben erschüttert auch die UN-Reise der Außenministerin.
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Eigentlich versuchte die Ministerin auf ihrer Reise nach New York die innenpolitischen Probleme möglichst außen vor zu lassen. Doch beim Rücktritt der Grünen-Parteispitze um Omid Nouripour und Ricarda Lang war eigentlich recht früh klar, dass sie sich nicht völlig würde wegducken können. Dafür war das Thema in Deutschland zu groß, und der Auslöser war das desaströse Wahlergebnis der Grünen bei der Landtagswahl in Brandenburg. In diesem Bundesland war Baerbock bis 2013 Landesvorsitzende, und sie hat die dortigen Grünen in diesem Wahlkampf unterstützt.
Für Baerbock war das Ausscheiden der Grünen aus dem Landtag also auch eine persönliche Niederlage, die schmerzhaft ist. Dass am Mittwoch Lang und Nouripour die Konsequenzen aus den drei Landtagswahlpleiten in diesem September zogen und zurücktraten, wurde kollektiv von führenden Grünen ähnlich kommentiert. Auch die Außenministerin vertrat in einem Statement am Mittwoch die Parteilinie: Die Rücktritte waren ein richtiger und mutiger Schritt, der allen Respekt abverlangen sollte.
Gleichzeitig sollen ihre beliebtesten Politiker – Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck – aus der Schusslinie gebracht werden. Immerhin – so die grüne Logik – habe man mit dieser Personalrochade schon viel mehr als andere Parteien getan, die auch nach Krisen, Niederlagen oder Skandalen weniger personelle Konsequenzen zogen.
Mehr sagte Baerbock in New York nicht zum Personalbeben in ihrer Partei. Es schien gar so, als sei sie nicht unbedingt traurig darüber, dass sie in den USA aktuell in einer anderen Zeitzone unterwegs ist. Aber das gilt eigentlich nicht nur für Baerbock.
Wie wird die Unterstützung für Habeck?
Deutschland braucht in dieser Zeit multipler Krisen eine funktionierende Außenpolitik, die vor allem möglichst beständig ist. Verbündete wie Frankreich, Großbritannien oder auch die Ukraine haben Außenminister, die vergleichsweise kurz im Amt sind und teilweise erst Vertrauen mit anderen Ländern aufbauen müssen. Schon bei ihrem Verzicht auf die Kanzlerkandidatur der Grünen im Juni begründete Baerbock ihren Schritt damit, dass die deutsche und europäische Außenpolitik Beständigkeit brauche und sie sich als Außenministerin bis zur Bundestagswahl vor allem auf die Bewältigung der Krisen konzentrieren wolle.
Aber klappt das auch? Immerhin wird auch die Außenministerin Teil des Wahlkampfs sein, und sie wird als Spitzenpolitikerin ihrer Partei natürlich auch versuchen, Einfluss auf die personelle Neuaufstellung der Grünen zu nehmen. Das ist an sich keine Besonderheit. Aber die Frage, inwiefern Baerbock für Habeck im Wahlkampf in die Bresche springen wird, ist unklar. Immerhin wirft ihr Lager dem heutigen Wirtschaftsminister vor, dass dieser im vergangenen Bundestagswahlkampf eben nicht alles getan habe, um Baerbock zu unterstützen. Nun könnte sich Baerbock eben nicht erbringen, weil sie Außenministerin sein muss.
Aber auch das hätte Grenzen. Denn je nach Größe eines politischen Bebens erreichen Erschütterungen natürlich auch die Außenministerin, wenn sich diese gerade im Ausland aufhält. Die innenpolitischen Erschütterungen wurden aber auch während der UN-Generaldebatte in New York oft gedämpft wahrgenommen. Immerhin sind die großen internationalen Krisen zahlreich – und auch Deutschland hat diplomatisch eine zentrale Rolle.
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Das gilt auch für Baerbock persönlich, die über die vergangenen Jahre in ihr Amt hineingewachsen ist. Dabei gab es durchaus Startschwierigkeiten: Zu Vertretern von deutschen Verbündeten wie etwa US-Außenminister Antony Blinken, der kanadischen Außenministerin Mélanie Joly oder dem ehemaligen ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba hatte sie zwar von Anfang an ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Bei Gegnern des Westens sah es allerdings anders aus. Vor allem in China löste sie Ärger aus, weil sie bei ihrem Besuch in der Volksrepublik die chinesische Führung scharf kritisierte oder erst im vergangenen Jahr den chinesischen Präsidenten Xi Jinping als "Diktator" titulierte. Der Missmut in Peking ist bis heute spürbar.
Es wuchs die Kritik, dass Baerbock zu undiplomatisch sei, besonders für eine Außenministerin. Vielleicht auch um dieser Kritik zu begegnen, hat die Grünen-Politikerin durchaus ihren Kommunikationsstil verändert.
Sinnbildlich dafür steht das bilaterale Treffen mit dem iranischen Außenminister Abbas Araghtschi am Donnerstag. Für Baerbock war es ein schwieriger Spagat, weil eine feministische Außenpolitik eben eine politische Leitlinie von ihr ist und das iranische Mullah-Regime Frauenrechte mit Füßen tritt. Trotzdem stand sie vor Beginn des Gespräches da und streckte ihrem iranischen Amtskollegen die Hand entgegen. Dieser ergriff sie nicht, fasste sich stattdessen an die Brust. Die deutsche Außenministerin stand noch einige Momente mit ausgestreckter Hand da, bevor auch sie ihre Hand zurückzog.
Am Dienstag traf Baerbock auch den chinesischen Außenminister Wang Yi, ohne verbale Auseinandersetzungen. Der Grund für ihren Stilwechsel ist klar: Deutschland muss auch mit vermeintlichen Gegnern verhandeln und vor allem reden können.
Mit Blick auf die zahlreichen Krisen ist das besonders wichtig, auch das hat die UN-Woche gezeigt. Gespräche sind das Fundament, aber selbst wenn es die Bereitschaft dazu gibt, sind Erfolge in der Außenpolitik nie planbar. Die Ukraine steht aktuell militärisch im Krieg mit Russland massiv unter Druck. Sie bekommt zwar ein neues Hilfspaket aus den USA, aber die Reichweitenbeschränkung westlicher Waffen auf russischem Staatsgebiet wird auch weiterhin nicht aufgehoben.
Im Nahostkonflikt dagegen könnte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit einer Bodenoffensive im Libanon die gesamte Region in Brand setzen. Die USA und ihre Verbündeten machen zwar Druck auf Israel, aber es ist völlig unklar, ob eine weitere Eskalation noch verhindert werden kann. Den Vereinten Nationen gelingt also auch bei dieser Generalversammlung nicht die Trendwende. Bestenfalls sind es kleine Schritte in die richtige Richtung.
Ein möglicher Sieg Putins und ein großer Krieg im Nahen Osten. Das sind Szenarien, die auch Baerbock um jeden Preis verhindern möchte. Nun wächst natürlich auch die Angst vor dem Scheitern. Immer wieder hatte die Außenministerin für die Unterstützung der Ukraine geworben, elfmal ist sie in den Nahen Osten gereist, um zu deeskalieren. Am Ende könnten all diese Versuche scheitern, aber das würde eben auch zeigen, dass der internationale Einfluss Deutschlands seine Grenzen hat. Frieden braucht auch immer ein Momentum, und wenn Kremlchef Wladimir Putin weiterhin seine Kriegsziele militärisch erreichen möchte, hat Diplomatie kaum eine Chance.
Die UN-Generalversammlung hat gezeigt, dass die internationale Krisendiplomatie nur allein Schritte geht, eigentlich kaum vorankommt. Trotzdem gab es in New York auch positive Signale: Die Vereinten Nationen haben einen unter Federführung von Deutschland und Namibia ausgehandelten "Zukunftspakt" angenommen, der vor allem ein Bekenntnis zur multilateralen und friedvollen Zusammenarbeit ist. 143 Länder stimmten dafür, nur Russland mit sechs Staaten dagegen.
Das hebt noch einmal hervor, wie wenig enge Freunde Putin international noch hat. Außerdem ist es unter deutscher Federführung gelungen, dass mehrere Staaten die Taliban wegen Missachtung der UN-Frauenrechtskonvention vor den Internationalen Gerichtshof bringen. Das ist auch ein Erfolg der Bundesregierung. Baerbock sieht sich gerne in dieser Rolle: in der der Außenministerin, die internationale Bündnisse schmiedet.
- Begleitung von Außenministerin Baerbock zur UN-Generaldebatte nach New York
- Eigene Recherche