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Protestierende im Iran
"Diese Diktatur wird zusammenbrechen"


Aktualisiert am 18.09.2023Lesedauer: 7 Min.
Ein junges Mädchen steht bei einer Trauerfeier in Kurdistan auf einem Auto (Archivbild): Die Zeremonien für die Menschen, die durch das Regime getötet wurden, ziehen immer wieder viele Menschen an.Vergrößern des Bildes
Ein junges Mädchen steht bei einer Trauerfeier in Kurdistan auf einem Auto (Archivbild): Die Zeremonien für die Menschen, die durch das Regime getötet wurden, ziehen immer wieder viele Menschen an. (Quelle: instagram/@1500tasvir)

Das Regime hat sie geschlagen, beschossen und festgenommen – dennoch geben sie nicht auf: Bei t-online berichten acht Menschen aus dem Iran von ihrem Kampf für die Freiheit.

Es begann vor genau einem Jahr: Mit dem Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini entbrannte am 16. September 2022 erst in der Provinz Kurdistan, dann im ganzen Iran ein Protest der Bevölkerung gegen das islamische Regime. Die 22-jährige Amini war nach einer gewaltsamen Festnahme durch die sogenannte Sittenpolizei gestorben. Landesweit gingen die Menschen auf die Straßen, Frauen verbrannten ihren Hidschab, Arbeiter und Händler schlossen sich Streiks an.

Das Regime reagierte mit unerbittlicher Gewalt. Mehr als 20.000 Menschen ließen die Mullahs im Zuge der Proteste verhaften, darunter zahlreiche Journalistinnen und Journalisten. Regimekräfte erschossen mehr als 500 Menschen auf den Straßen, zahlreiche Menschen wurden verletzt. Die anfangs lauten Proteste sind seitdem leiser geworden – doch alltäglicher.

Viele Frauen tragen den obligatorischen Hidschab nicht mehr, Männer solidarisieren sich mit ihnen, tragen – entgegen den Regeln des Regimes – kurze Hosen. Aktivistinnen und Aktivisten sprühen Parolen an Häuserwände. Weniger gefährlich ist der Widerstand dennoch nicht. Gerade mit dem Jahrestag der Proteste hat das Regime sein Vorgehen gegen Kritiker und Protestierende wieder verschärft.

t-online hat zu zahlreichen Anhängern der Protestbewegung Kontakt aufgenommen. Um sie vor der Gewalt des Machtapparates zu schützen, verlief die Kommunikation schriftlich und teils über Mittelsleute. Auch hat t-online ihre Namen zu ihrem Schutz geändert. Die Nachrichten liegen t-online in Persisch und Kurdisch vor. Die Redaktion hat sie übersetzen lassen. Die Schilderungen sind teils sehr explizit und zeugen von Gewalt und Tötungen durch das Regime.

"Sie waren nicht bereit, nach Hause zurückzukehren"

Shirko, männlich, 32 Jahre alt, aus Mahabad, Provinz Kurdistan

"Ich war Zeuge vieler Verletzungen von Demonstranten, einschließlich mir selbst. Etwa 70 Schüsse einer Schrotflinte trafen meinen Körper, aber ich hatte trotzdem ein seltsames Gefühl von Freude und Stolz. Nachdem ich die meisten Kugeln entfernt hatte, kehrte ich auf die Straße zurück. Ich sah Leute, deren Körper voller Schüsse waren, aber sie waren nicht bereit, nach Hause zurückzukehren. [...]

In einer anderen Nacht sah ich einen jungen Mann, dessen Bein durchschossen wurde. Einem anderen waren die Eingeweide aus dem Bauch geschossen worden. Diese Nacht war eine schreckliche Nacht. Das Einzige, was wir hatten, waren Steine, die wir im Fluss gefunden hatten. Aber die Regierung verhielt sich so, als ob sie in einer Front mit einem hoch entwickelten militärischen Gegner kämpfen müsste. [...]

Ich weiß nicht mehr, was wann passiert ist. Woran ich mich aber gut erinnere, ist [...] dieses angenehme Gefühl von Freiheit, das Gefühl der Zugehörigkeit zu den Menschen, Mut und Beständigkeit. [...] Solange das Unterdrückungs- und Tyranneisystem, die Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Armut, Diskriminierung, soziale Kluft, Korruption, Arbeitslosigkeit und Repression existieren, protestieren wir weiter."

"Wo sind diese westlichen Menschenrechte?"

Rojin, weiblich, 32 Jahre alt, Urmia, Provinz West-Aserbaidschan

"Personen aus meiner Familie, Freunde und Bekannte wurden von Gummigeschossen verletzt, und ins Gefängnis geworfen. Meine Erfahrung in Kurdistan war sehr bitter, da die Unterdrückung dort verschärft und intensiviert war. Heute sehe ich Menschen in meiner Umgebung, deren Kinder, Väter oder Brüder immer noch im Gefängnis sind und ich sehe täglich ihr Leiden. Für uns ist die Bewegung nicht nur nicht beendet, sondern wir sind noch entschlossener, den islamischen faschistischen Staat vollständig zu zerstören. [...]

Die Unterdrückung ist jedoch sehr intensiv. Die Zahl der Verhaftungen und Entführungen ist insbesondere in Kurdistan und Belutschistan sehr hoch. Obwohl wir zu Hause sitzen, suchen wir nach Lösungen und organisieren uns selbst. Wir haben nicht so viel Blut vergossen, um aufzugeben. [...] Die Regierungen westlicher Länder sollten ihre Appeasement-Politik gegenüber dem unterdrückerischen Regime beenden. Die Zukunft Kurdistans und des Iran wird die Zukunft des Nahen Ostens beeinflussen.

Die westlichen Regierungen, die Demokratie und Menschenrechte predigen, haben in der Jina-Revolution gezeigt, dass sie ihre Interessen über das Leben unschuldiger Menschen stellen. Ihre Worte sind oft nur symbolisch. Das islamische Regime hat in den vergangenen 44 Jahren, insbesondere während der Jina-Bewegung, die brutalsten und grausamsten Verbrechen an Frauen, Jugendlichen, Arbeitern und unterdrückten Völkern begangen. Sie haben Kinder getötet, Frauen vergewaltigt und gefoltert. Wo sind diese westlichen Menschenrechte?"

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Quelle: dpa

"Er wurde wegen Hupens aus nächster Nähe erschossen"

Mehrdad Saboori, männlich, 34 Jahre alt, Sanandaj, Provinz Kurdistan

"Nach dem Tod von Jina Amini und den Zeremonien in ihrer Heimatstadt Saqqez war die Stadt Sanandaj die erste, die in rebellischer Stimmung aufstand. Die Sicherheitskräfte griffen mit Tränengas, Gummigeschossen und Verhaftungen von Frauen und Männern ein. [...] Ich und andere setzten Mülltonnen in Brand, um die Regimekräfte zu stoppen. Jugendliche motivierten die Fahrer, durch Hupen ihren Protest auszudrücken. An diesem Tag wurde der Protestierende Peyman Manbari wegen Hupens aus nächster Nähe erschossen. [...]

In den folgenden Tagen besetzten Streitkräfte die Hauptstraßen und verboten Versammlungen. Mehrere Personen wurden festgenommen. [...] Die Basij-Milizen griffen mit den Geheimdienstkräften die Häuser an. In den Nächten, in denen aufgrund der hohen Anzahl von Verhaftungen Straßenproteste kaum möglich waren, schrieben wir Parolen auf Türen und Wände. Es gab Berichte, dass Regimekräfte aus diesem Grund einige Jugendliche töteten. [...]"

"Es floss eine Woche lang Blut aus allen Ecken"

Shahro, männlich, 30 Jahre alt, Sanandaj, Provinz Kurdistan

"In Sanandaj floss eine Woche lang Blut aus allen Ecken, weil diese Gegend abgesperrt war. Ich verlor zwei meiner Freunde und die Regimekräfte nahmen mich ebenfalls fest. Ich war circa 30 Tage im Gefängnis der Sicherheitsbehörde. [...] Doch ich protestiere noch immer und bin gegen die Ideologien der Islamischen Republik Iran und werde es immer sein. [...]

Ich bitte die westlichen Regierungen, insbesondere Deutschland, den iranischen Flüchtlingen in dieser Zeit mehr zu helfen. Denn wir sind an der Frontlinie eines Kampfes, der der Kampf der ganzen Welt ist."

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Video | "In den Kliniken werden sie direkt verhaftet"
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Quelle: t-online

"Sicherheitskräfte stürmten das Krankenhaus"

Roish Gesche, 33 Jahre alt, Bukan, Provinz Kurdistan

"Während der Jina-Revolution habe ich in der Stadt Bukan Verwundeten im Krankenhaus geholfen. Eines Nachts brachte eine Familie einen der Märtyrer (Anm. d. Redaktion: Einen Mann, der trotz der Gewalt des Regimes protestiert hatte und dabei von Regimekräften erschossen wurde.) von Bukan ins Krankenhaus. Zeitgleich stürmten Sicherheitskräfte das Krankenhaus und hinderten die Familie mit Gewalt daran, den Leichnam des Märtyrers zum Friedhof zu bringen. Die Regimekräfte nahmen den Leichnam mit.

Ich fordere Europa und insbesondere Deutschland dazu auf, die Stimme der Kämpfe des kurdischen Volkes zu sein und das revolutionäre Volk Irans zu unterstützen. [...] Es lebe Frau, Leben, Freiheit!"

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"Sie schossen gezielt Molotowcocktails auf unser Haus"

Reza, männlich, 50 Jahre alt, Kamyaran, Provinz Kurdistan

"Am 15., 16. und 17. November war die gesamte Stadt Kamyaran belagert und wir hatten die Hauptstraße mit Steinen und Reifen blockiert. Die Zivilbeamten und die gewalttätigen Sicherheitskräfte griffen uns von den Seitenstraßen mit Schusswaffen an. Ich wurde von einem Gummigeschoss im Gesicht und in der Brust getroffen. Sie schossen gezielt Molotowcocktails auf unser Haus und in unsere Fenster. [...]

Von westlichen Regierungen erhoffe ich mir Unterstützung für die Demonstranten und die Bereitstellung von Satelliteninternet wie Starlink, da die Regierung die Proteste oft durch die Abschaltung des Internets unterdrückt und kontrolliert."

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"Diese Diktatur wird, wie die Berliner Mauer, zusammenbrechen"

Maria, 54 Jahre alt, Teheran, Provinz Teheran

"Ich, meine Schwester und unsere Freunde gingen jeden Tag auf die Straße und riefen Parolen aus. Immer wieder griffen uns Basidsch (Anm. d. Red.: Mitglieder der Freiwilligenmiliz der Revolutionsgarde) an und zerstreuten uns mit Schlagstöcken, Kugeln und Tränengas. Überall waren unsere Körper mit Schusswunden und Spuren von Schlagstöcken übersät, aber wir gaben trotzdem nicht auf. [...]

Unsere Kinder protestierten jeden Tag an ihrer Universität. Oftmals wurden ihre Freunde vor ihren Augen verhaftet oder sie wurden mit Schlagstöcken, Kugeln und Tränengas angegriffen. [...] Wenn Eltern ihre Kinder unterstützen wollten, gingen die Regimekräfte mit Schusswaffen und Schlagstöcken gegen sie vor. Einmal wurde meine Hand durch die Schläge gebrochen.

Die Fundamente der Diktatur sind sehr wackelig. [...] Es kann lange dauern, aber irgendwann wird diese Diktatur, ähnlich wie die Berliner Mauer, zusammenbrechen. [...] Doch solange die westlichen Regierungen mit der diktatorischen Regierung des Iran kooperieren, werden wir nichts erreichen, egal wie sehr wir protestieren und kämpfen. [...] Wir fordern, dass sie ihre Freundschaft und Zusammenarbeit mit der Islamischen Republik aufgeben."

"Die USA verraten uns"

Narges, weiblich, 55 Jahre alt, Karaj, Provinz Alborz

"Ich wurde mit einem Schlagstock geschlagen. Mutig standen wir mit den jungen Mädchen und Jungen den Anti-Aufstands-Kräften gegenüber und hatten keine Angst. Ich erinnere mich an eine junge Frau, die sich mit einem Polizeioffizier angelegt hatte. Er schlug sie mit einem Knüppel, und das Mädchen verteidigte sich mit leeren Händen gegen ihn. [...]

Als ich verletzt war, schrie ich vom Dach aus, und wenn die Protestierenden losrannten, halfen wir ihnen, sich im Haus zu verstecken. Wir halfen ihnen, die Kugeln aus ihren Körpern zu entfernen. Die Anti-Aufstands-Kräfte waren nicht nur Iraner. Einer von ihnen, der auch bewaffnet war, bedrohte uns auf Arabisch. [...]

Ich glaube, dass diese Revolution letztendlich siegreich sein wird, auch wenn es bedeutet, dass unser eigenes Blut oder das Blut unserer Lieben vergossen wird. Der Wunsch von mir und allen Iranern ist, dass die europäischen Länder die Beziehungen zur Islamischen Republik abbrechen, die Revolutionsgarde zur terroristischen Organisation erklären und kein Geld mehr an die Islamische Republik überweisen, da es für terroristische Aktivitäten verwendet wird, sowohl im Inland als auch im Ausland. Die USA verraten uns. Das freigesetzte Geld kommt nicht bei den Menschen im Iran an. Wir leben in Armut."

(Anm. d. Redaktion: Die USA haben im Zuge eines Gefangenenaustausches mit dem Regime bislang eingefrorenes iranisches Vermögen in Höhe von fast sechs Milliarden Dollar wieder freigesetzt. Mehr zu dem Deal der USA mit Teheran lesen Sie hier.)

Verwendete Quellen
  • Anfragen an Personen im Iran
  • Menschenrechtsorganisation HRANA
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