Todestag von Jina Mahsa Amini im Iran Berichte: Regime eröffnet Feuer auf Demonstranten
Im Iran jährt sich der Tod von Jina Mahsa Amini und damit der Beginn der damit verbundenen Demonstrationen. Das Regime reagiert mit einer Drohkulisse.
Nach Berichten der Menschenrechtsorganisation Hengwa haben iranische Sicherheitskräfte am Samstagabend in der Stadt Saqqez das Feuer auf Demonstranten eröffnet. Über der Stadt würden zudem Drohnen fliegen. In der Stadt Abdanan sollen Einheimische den Strom in einigen Bezirken abgeschaltet haben, was zum Rückzug der iranischen Sicherheitskräfte geführt haben soll. Auch in anderen Städten soll es am Samstag zeitweise keinen Strom gegeben haben, darunter in Hazardar, Sarab, Kshetargaeh und Rajae. In der Stadt Mahabad soll es ebenfalls Schüsse gegeben haben, es wird von einem Verletzten berichtet.
Zuvor hatte der iranische Machtapparat mit strengen Sicherheitsvorkehrungen in den Kurdengebieten versucht, neue Straßenproteste am Todestag der Widerstandsikone Jina Mahsa Amini zu verhindern. Augenzeugen berichteten am Freitag, Militäreinheiten und andere Einsatzkräfte seien in Städte rund um Aminis Heimatort Saqqez verlegt worden. Auch viele neue Überwachungskameras seien installiert worden. Bewohner der Kurdengebiete sprachen zudem von verstärkten Kontrollen.
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Auch Aminis Vater wurde laut Menschenrechtsaktivisten kurzzeitig festgenommen, ist jedoch wieder auf freiem Fuß. Kurz nach seiner Festnahme durch Einheiten der Revolutionsgarden (IRGC) sei der Mann wieder nach Hause gebracht worden, berichtete die in Paris ansässige Gruppe Kurdistan Human Rights Network auf X, ehemals Twitter. Zuvor hatte die in Norwegen ansässige Menschenrechtsorganisation Hengaw die Festnahme gemeldet. Die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete, Amdschad Amini sei nicht in Haft. Sie ließ in ihrer Berichterstattung allerdings offen, ob er zeitweise in Gewahrsam genommen oder ob ihm gedroht wurde.
Irans Staatsmedien wiesen die Nachricht dann als "Falschmeldung" zurück. Die staatliche Nachrichtenagentur IRNA berichtete unter Berufung auf "informierte Kreise", dass Aminis Vater zu Hause sei. Laut den kurdischen Aktivisten wurde der Mann jedoch kurzzeitig verhört – so wie es in den vergangenen Tagen bereits vier Mal geschehen sein soll. Auch soll Aminis gesamte Familie unter enormen Druck des Regimes stehen. So befinde sich etwa ein Onkel Aminis seit Dienstag in Gewahrsam des Regimes. In den sozialen Medien hieß es zudem, rund um das Haus der Familie seien Regimekräfte positioniert worden.
Jahrestag der Proteste im Iran
An diesem Samstag jährt sich erstmals der Tod Aminis, der im Herbst 2022 die schwersten Proteste im Iran seit Jahrzehnten ausgelöst hatte. Die sogenannte Sittenpolizei des islamischen Regimes hatten die damals 22-Jährige wegen eines angeblich nicht richtig getragenen Kopftuchs gewaltsam festgenommen. Anschließend fiel die junge Frau ins Koma und starb in einem Krankenhaus. Zu Aminis Beerdigung strömten damals Tausende Menschen. Ausgehend von den kurdischen Regionen verbreiteten sich die Proteste wie ein Lauffeuer.
Vor allem die junge Generation ging in der Folge unter dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" gegen die repressive Politik der islamischen Führung auf die Straße. Die Staatsmacht ließ die Proteste, die das Land über Monate hinweg in Atem hielten, gewaltsam bekämpfen. Auf Geheiß der iranischen Justiz wurden sieben Männer im Zusammenhang mit den Demonstrationen hingerichtet. Als Zeichen des stillen Protests ignorieren bis heute viele Frauen die Kopftuchpflicht – in diesem Ausmaß hat es das im Iran zuvor nicht gegeben.
Berichte von Scharfschützen und Festnahmen
Aminis Heimatort Saqqez wurde vor ihrem Todestag abgeriegelt, wie Bewohner der Region berichteten. Aus Sorge vor einem erneuten gewaltsamen Vorgehen der Regimekräfte gab es dort zunächst keine Protestaufrufe. Videos, etwa von der kurdischen Menschenrechtsorganisation Hengaw, zeigen, wie ein Helikopter über der Stadt kreist. Auch wurden demnach Scharfschützen in der Stadt gesichtet.
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Den Todestag Aminis wollten Menschen in den Kurdengebieten dennoch würdigen, etwa durch Ladenschließungen. Laut Hengaw befinden sich derzeit etwa 13 Städte der Provinz Kurdistan im Streik. Damit diese Informationen nicht ins Ausland dringen, hat das Regime offenbar erste Maßnahmen eingeleitet: In den frühen Morgenstunden seien mehrere Personen festgenommen worden, die Fotos und Videos von Geschäften aufgenommen hätten, berichtete die Nachrichtenagentur Tasnim am Samstag unter Berufung auf den Geheimdienst des Landes. Tasnim gilt als Sprachrohr der Revolutionsgarden (IRGC) des islamischen Regimes.
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Auch in anderen Städten traf der Machtapparat Vorkehrungen gegen mögliche neue Proteste. Während in den vergangenen Tagen tagsüber weitgehend Alltag herrschte, waren vor allem nach Einbruch der Dunkelheit vermehrt Polizisten rund um öffentliche Plätze zu sehen. Auch berichtet Hengaw von Checkpoints, die die Regimekräfte auf den Straßen um kurdische Städte herum errichtet hätten. Etwa in Kamyaran und Piransharhr wurden demnach auch Militärfahrzeuge gesichtet.
Während Demonstrantinnen und Demonstranten im Iran um ihre Sicherheit fürchten, sind in Deutschland und anderen Ländern Kundgebungen und Demos anlässlich des Jahrestags geplant.
USA und EU verhängen weitere Sanktionen gegen Regime im Iran
Die USA und die EU verhängten im Vorfeld des brisanten Datums neue Sanktionen im Zusammenhang mit der brutalen Niederschlagung der Proteste. In Washington wurden am Freitag Strafmaßnahmen gegen 25 iranische Personen, drei vom iranischen Staat unterstützte Medien sowie ein iranisches Unternehmen bekannt gegeben, das Nachforschungen im Internet anstellt.
Die USA handelten dabei in Abstimmung mit Großbritannien, Kanada, Australien und anderen Partnern, die diese Woche ebenfalls Sanktionen verhängen wollten, teilte das Außenministerium mit. Zudem habe man Visabeschränkungen gegen 13 iranische Beamte verhängt, die an der Verhaftung oder Tötung friedlicher Demonstranten sowie an der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit beteiligt gewesen seien. US-Präsident Joe Biden hatte zuvor zum ersten Todestag Aminis den Protestierenden anhaltende Unterstützung zugesichert.
Von den EU-Strafmaßnahmen sind nach Angaben vom Freitag vier Personen sowie sechs Einrichtungen und Unternehmen betroffen. Dabei geht es unter anderem um zwei ranghohe Polizisten, einen Vertreter der Eliteeinheit der iranischen Streitkräfte sowie mehrere Gefängnisse und die staatliche Nachrichtenagentur Tasnim. Dieser wird von der EU unter anderem vorgeworfen, sie veröffentliche falsche Geständnisse von Protestteilnehmern.
Baerbock: "Werden die Verhältnisse im Iran von außen nicht ändern können"
Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock persönlich sprach den Menschen im Iran weitere Unterstützung aus. "Jina Mahsa Amini musste vor einem Jahr sterben, weil ein paar Haarsträhnen zu viel von ihr im Sonnenlicht tanzten", kritisierte Baerbock. Auch wenn die Proteste nun aus den Schlagzeilen verschwunden seien, lasse man die Menschen im Iran nicht allein, versicherte die Grünen-Politikerin am Freitag. Baerbock ergänzte: "Wir setzen die Schicksale der Menschen im Iran in Brüssel, New York und Genf auf die Tagesordnung."
Mit den EU-Partnern sanktioniere man "diejenigen, die im Iran die Rechte und Würde der Menschen weiter mit Füßen treten". Man habe dafür gesorgt, dass die Vereinten Nationen die Menschenrechtsverletzungen untersuchten, damit die Fälle dokumentiert und Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen würden. Doch: "So sehr es das Herz bricht: Wir werden die Verhältnisse im Iran von außen nicht ändern können", so Baerbock. "Trotzdem werden wir nicht ablassen, den Menschen im Iran eine Stimme zu geben."
- Nachrichtenagentur dpa und Reuters
- twitter.com: Hengaw_English