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Angst vor Atom-Krieg | Expertin: Die Deutschen sind in Schockstarre


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Angst vor einem Atomkrieg
"Albtraumhafte Gefühle, dass der Weltuntergang bevorsteht"


09.03.2022Lesedauer: 5 Min.
Menschen bei einer Friedensdemonstration in Berlin: "Die Ohnmachtsgefühle sind sehr ausgeprägt".Vergrößern des Bildes
Menschen bei einer Friedensdemonstration in Berlin: "Die Ohnmachtsgefühle sind sehr ausgeprägt". (Quelle: Stefan Trappe/imago-images-bilder)

Tag für Tag grausame Bilder aus der Ukraine und die Frage: Was kommt da noch? Erreicht der Krieg auch Deutschland? Eine Expertin erklärt die Stimmungslage im Land – und wie wir mit Ängsten fertig werden.

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt seinen Angriffskrieg in der Ukraine mit steigender Brutalität fort. Ohnmacht und Angst machen sich breit. Das renommierte Rheingold-Institut untersucht die Stimmungslage der Deutschen. t-online hat mit einer Mitarbeiterin, der Psychologin Birgit Langebartels, über die Erkenntnisse gesprochen.

t-online: Frau Langebartels, Sie haben tiefenpsychologische Interviews mit einer repräsentativ ausgewählten Gruppe von Menschen zum Ukraine-Krieg geführt. Auf welche Stimmungslage sind Sie getroffen? Wie geht es den Deutschen derzeit damit?

Birgit Langebartels: Wir sind auf Menschen in Schockstarre getroffen, mit albtraumhaften Gefühlen, dass der Weltuntergang bevorstehen könnte. Es gibt eine große Angst vor der Eskalation des Konfliktes, vor dem Einsatz von Atomwaffen oder der atomaren Bedrohung durch den Angriff auf die ukrainischen Atomkraftwerke.

Aber es herrschte keine Panik in den Gesprächen mit den Menschen. Vor allem in den jüngeren Altersgruppen gab es auch eine große Besonnenheit, mit der auf die Besessenheit von Putin reagiert wurde. Unter dieser Besonnenheit wurde jedoch nach genauerem Nachfragen eine tiefe Angst deutlich.

Dieser Krieg kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Menschen bereits zwei Jahre Pandemie-Erfahrung unter Corona hinter sich haben. Was bedeutet das für uns?

Die Menschen sind zermürbt. Sie haben das Gefühl, sich in einer Endlosschleife aus Katastrophen zu befinden. Die Ohnmachtsgefühle sind sehr ausgeprägt. Ein junger Mann äußerte zum Beispiel, er habe das Gefühl, sich als Teil einer schlechten Serie zu fühlen, die mit jeder Folge schlimmer wird. Die Corona-Verunsicherung ist der Boden, auf den diese Kriegsängste jetzt treffen. Erneut sind wir einer Bedrohung ausgesetzt. Das ist aufreibend.

Birgit Langebartels
Birgit Langebartels (Quelle: Rheingold-Institut)


Birgit Langebartels ist Diplom-Psychologin und forscht unter anderem auf den Gebieten Gesellschaft, Kultur und Gesundheit am Rheingold-Institut in Köln.

Was denken die Menschen über die Ukraine? Sie ist nicht weit weg, andere Konflikte waren weiter entfernt …

Ja, zwei Flugstunden von uns entfernt, heißt, dass dieser Krieg vor unserer Haustür stattfindet. Die Menschen dort sehen aus wie wir, sie haben dieselben Geschäfte, die Straßen sehen aus wie bei uns. Das ist nicht nur geografisch, sondern auch seelisch näher und bedeutet: Auch wir könnten betroffen sein. Es bestärkt die Ängste, dass Putin diesen Krieg ausweiten könnte.

Wie reagieren die Menschen auf diese Ängste und auch auf die Angst vor einem Atomkrieg?

Sehr unterschiedlich. Es gibt verschiedene Formen, darauf zu reagieren. Eine Person äußerte, dass sie sich die Entfernung ihrer Wohnung zum Kölner Dom angeschaut hatte, um abzuschätzen, ob sie bei einem Angriff auf die Innenstadt direkt betroffen wäre.

Manche Menschen haben gedanklich oder schon faktisch bereits gepackte Fluchtkoffer in der Wohnung. Ein Mann berichtete von Bargeld und Pässen, die er an einem Platz jetzt griffbereit hat. Andere möchten die Katzenboxen aus dem Keller holen, um die Tiere dort hineinpacken zu können, wenn man schnell fliehen muss.

Eine ältere Frau, die aus der ehemaligen DDR stammt, wiederum berichtete, sie versuche die Erinnerungen an die Russen beiseitezuschieben. Für die Älteren kann dieser Krieg retraumatisierend sein. Jüngere äußern häufiger, dass ihnen auch das Alter Putins Angst macht. Er könnte alle mit in den Abgrund reißen. Er hätte kaum etwas zu verlieren, was ihn persönlich angeht.

Was denken die Menschen darüber hinaus über Putin?

Putin ist für sie unberechenbar. Das ist in gewisser Weise eine Parallele zu dem Coronavirus, aber jetzt ist eine neue Eskalationsstufe erreicht und das Virus, auch wenn unsichtbar, wurde doch im Laufe der Pandemie fast berechenbar. Wir schauten uns die steigenden oder sinkenden Infektionszahlen jeden Tag an und konnten durch Hygiene, Abstand und Maske und zuletzt der Impfung dem Virus etwas entgegensetzen.

Nun hat zwar der Schrecken mit Putin ein Gesicht bekommen, ist jedoch nicht weniger unberechenbar geworden, eher noch mehr als das Virus. Wir fühlen uns ohnmächtig, können gegen das große Welt- und Kriegsgeschehen nichts ausrichten, können wenig tun, um die Situation zu ändern. Das versetzt die Menschen in diese Schockstarre.

Welche Bewältigungsstrategien beobachten Sie im Zusammenhang mit der Katastrophenangst?

Einige Menschen verfolgen die Nachrichten in einer Art Dauerschleife, updaten sich permanent. Oft steht der Wunsch dahinter, die erlösende, gute Nachricht vom Ende des Krieges zu empfangen. Doch eine schnelle Lösung wird es in diesem Konflikt wohl eher nicht geben.

Andere können sich besser abgrenzen. Es ist gut, sich aus dieser Dauerschleife auch mal rauszubewegen. Gehen Sie hinaus in die Natur, sprechen Sie mit anderen Leuten über Ihre Sorgen, aber auch mal über ganz andere Sachen. Es ist erlaubt, sich auch etwas Gutes zu gönnen. Etwas Gutes kochen oder die Frühlingssonne genießen. Das ist erlaubt, da muss niemand ein schlechtes Gewissen haben. Denn wir alle müssen eine Bewältigungsstrategie finden.

Was kann noch helfen?

Immer wieder machen Menschen die Erfahrung, dass Solidaritätsbekundungen und Hilfeleistungen für die Opfer nicht nur den Betroffenen, sondern auch den Helfern nützen. Wir nennen das die Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Man kommt aus der Starre heraus und wird aktiv. Jeder kann schauen, wo er aktiv werden kann. Das muss auch nicht unbedingt mit Flüchtlingen zusammenhängen, auch anderes ehrenamtliches Engagement hat diese Effekte.

Auch feste Strukturen im Alltag können helfen?

Ja, Alltag ist ein ganz wichtiger Aspekt in dem Zusammenhang. Auch Depressiven hilft es, feste Strukturen im Alltag zu schaffen, sich um ganz alltägliche Dinge zu kümmern. Das lenkt nicht nur ab, es hilft, aus der eigenen Lähmung herauszufinden. Es schafft Normalität für einen selbst. Generell gilt: Kommen Sie auch mal raus aus dem Digitalen, erleben Sie den analogen Alltag.

Machen sich die Menschen auch Sorgen aufgrund der steigenden Preise? Lebensmittelpreise und Energiekosten steigen, das stellt ja auch viele Menschen vor ganz handfeste Probleme?

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Generell gibt es die Erfahrung, dass das Leben, wie man es kannte und wollte, so nicht mehr selbstverständlich ist. Die Erzählung einer Frau ist mir in Erinnerung: Sie erzählte zum Beispiel, sie tanke jeden Tag ihr Auto voll, auch, wenn sie nur ein paar Kilometer gefahren war. Die Angst: Am nächsten Tag könnten die Preise weiter steigen. Ich denke aber, das ist ein Fall für die Solidargemeinschaft. Wenn einige Menschen ihren Alltag aufgrund der steigenden Preise nicht mehr stemmen können, muss es eine ausgleichende Gerechtigkeit geben. Diejenigen Menschen, die das kaum tangiert, müssen dann für die anderen mit einspringen.

Wann wird eine Kriegsangst eigentlich pathologisch? Wann braucht man einen Therapeuten?

Derzeit macht dieser Krieg natürlich vielen Menschen Sorgen und Angst, das ist normal. Wenn sich Menschen aber in einer gedanklichen Endlosschleife aufgrund der Geschehnisse befinden und ihren Alltag aufgrund dessen nicht mehr bewältigen können, wird es pathologisch. Im Grunde finden sich dann immer Ereignisse, die krankhaft Angst machen können. Die Themen sind da austauschbar. Menschen, die solche Personen in ihrem Umfeld erleben, sollten diese darauf ansprechen. Da kann eine Therapie helfen.

Kann es sein, dass – je länger dieser Krieg dauert – wir uns an ihn gewöhnen?

Wir werden einen Weg finden müssen, mit ihm und unseren Ängsten zu leben. Die momentane Schockstarre wird sich geben, aber der Krieg wird auch auf Dauer nicht einfach zu unserer Normalität werden.

Frau Langebartels, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Birgit Langebartels
  • Eigene Recherche
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