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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gaskrise Allmählich macht sich die Angst breit
Die Deutschen erwarten einen harten Winter und suchen Tipps zum Energiesparen. Die Netzagentur sieht derweil Zeichen für eine Stabilisierung der Gaspreise.
Noch ist es warm, sehr warm. Auf Deutschland rollt eine Hitzewelle zu, Temperaturen von mehr als 40 Grad Celsius sagen Meteorologen für den kommenden Mittwoch voraus.
Und doch ist von Leichtigkeit, von Sommerlaune und Urlaubslust weniger zu spüren als sonst. Im Kopf, so scheint es, sind viele Menschen schon im Winter angekommen. Die Deutschen bereiten sich auf den drohenden Gas-Lieferstopp durch Russland vor – etwa indem sie sich Holzöfen zulegen oder Elektroheizungen kaufen (t-online berichtete).
Wie sehr die Energiekrise das Land beschäftigt, legen jetzt auch neue Zahlen des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) nahe, die der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegen. Demnach dürfte sich der Bedarf an Energieberatungen 2022 gegenüber dem Vorjahr um fast 50 Prozent erhöhen.
Immer mehr Energieberatungen
Bundesweit, so schätzt der Verband, werden die Verbraucherzentralen wohl rund 270.000 sogenannte Energietechnik-Beratungen durchführen. In den Gesprächen geben Experten Tipps, wo sich im Alltag wie viel Energie sparen lässt – erklären aber auch, für wen sich der Heizungstausch lohnt.
Zum Vergleich: 2021 fanden 178.000 Beratungen statt. 2019, vor der Corona-Pandemie, waren es nur knapp 100.000 Termine. Die Warteliste für die Gespräche sei lang, sagt Peter Kafke vom vzbv: "Wir arbeiten jetzt noch Anfragen vom Februar ab."
Bei vielen Stadtwerken geht die Nachfrage nach Beratungsterminen ebenfalls durch die Decke. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) berichtet von zahlreichen Mitgliedsunternehmen, die im ersten halben Jahr einen Nachfrageanstieg um mehr als 100 Prozent verbuchten, bei einigen ging es noch steiler nach oben.
Dreimal so hohe Kosten für Gas
Hintergrund für das enorme Interesse sind die schon jetzt stark gestiegenen Preise für Gas. Zwar dürften die meisten Deutschen noch über einen Liefervertrag mit langer Laufzeit und entsprechend niedrigeren Verbrauchspreisen verfügen.
Allerdings zeichnet sich angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine für den Herbst und Winter ein Gasnotstand ab. Dreht Russland Deutschland und Europa den Gashahn zu, drohen Rationierungen und extrem steigende Preise – die die Energiekonzerne, so sieht es das Energiesicherungsgesetz vor, auch an die Verbraucher weitergeben dürfen. (Mehr dazu lesen Sie hier.)
Die Energiekosten könnten sich im Zuge dessen für viele Haushalte schnell verdreifachen, warnte unlängst der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Ob und wenn ja wann es wirklich dazu kommt, ist zwar noch offen. Klar ist allerdings: Die Situation könnte sich schon bald deutlich verschärfen, womöglich bereits nächsten Donnerstag.
Dann nämlich sollen die regulären Wartungsarbeiten an der Gaspipeline Nord Stream 1 abgeschlossen sein. Dann entscheidet sich, ob Russland wie zuvor wieder Erdgas nach Deutschland schickt. Oder ob der Staatskonzern Gazprom die Lieferungen drosselt, womöglich gänzlich beendet.
"Gas-Preis-Plateau" erreicht?
Die letztgenannten Szenarien würden dazu führen, dass das Gasangebot in Deutschland und Europa drastisch sinkt, die Preise am Weltmarkt entsprechend stark anziehen. So zumindest die marktwirtschaftliche Theorie.
In der Praxis könnte es auch anders aussehen, meint dagegen Netzagentur-Chef Müller. Er halte es für möglich, dass die Gaspreise aktuell ein Plateau erreicht haben, sagte er in einem Interview mit der "Bild am Sonntag":
"Es hat in dieser Woche keinen signifikanten Preissprung mehr gegeben, obwohl Nord Stream 1 abgeschaltet wurde. Das könnte bedeuten, dass die Märkte den Ausfall russischer Gaslieferungen bereits eingepreist und wir ein Gas-Preis-Plateau erreicht haben." Ob diese höheren Preise, "die wir der russischen Gasreduzierung verdanken", kurzfristig weitergegeben werden müssten, sei auch aus diesem Grund noch nicht entschieden.
Gaszufluss reicht nicht aus
Gleichwohl gilt es weiterhin als sehr wahrscheinlich, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die nächste Stufe des sogenannten Notfallplans Gas im Laufe der kommenden Wochen und Monate ausrufen wird und damit Gaszuteilungen ermöglicht. Denn schon jetzt zeichnet sich ab, dass Deutschlands Gasspeicher nicht ausreichend gefüllt sind, der Zufluss an Gas kaum ausreichen wird.
Zuletzt meldete der Gasimporteur Uniper aus Düsseldorf, dass er seine Gasreserven anzapfen muss, um den Bedarf seiner Kunden, zu denen vor allem viele Stadtwerke zählen, zu decken. Auch deshalb stagnieren Deutschlands Gasvorräte diesen Sommer, statt wie sonst noch zuzunehmen.
Verkürzt bedeutet all das für diesen und wahrscheinlich auch noch den folgenden Winter: Deutschland startet mit hoher Wahrscheinlichkeit mit deutlich zu wenig Gas in die kalte Jahreszeit. Ohne Energiesparen wird es kaum gehen.
Zwei von fünf Deutschen sparen Energie
Das immerhin scheint bei vielen Menschen angekommen zu sein, wie die Ergebnisse einer repräsentativen Yougov-Umfrage im Auftrag der dpa belegen. Demnach gaben 39 Prozent der Teilnehmer an, ihren Energieverbrauch seit Ausbruch des Krieges reduziert zu haben – entweder gleich zu Beginn des russischen Angriffs (11 Prozent) oder in den vergangenen vier Wochen (28 Prozent).
Weitere 27 Prozent achten nach eigenen Angaben ohnehin auf einen reduzierten Energieverbrauch, haben diesen seit Kriegsbeginn aber auch nicht weiter gesenkt. Eine populäre Energiesparmaßnahme ist dabei, kürzer oder kälter zu duschen: 49 Prozent der Energiesparenden machen das. Gut die Hälfte (53 Prozent) hat die Zahl der elektrischen Geräte im Stand-by-Modus reduziert.
Mehr als ein Drittel der Energiesparer (35 Prozent) will seine Heizung überprüfen lassen oder hat das bereits getan. Das Streamen von Filmen oder Serien hat dagegen nur jeder Zehnte (10 Prozent) reduziert, 18 Prozent kochen weniger.
So viel bringt es, weniger zu heizen
Zu diesen Zahlen passen die Erfahrungen von vzbv-Experte Kafke. Ihm zufolge habe sich die Sicht der Verbraucher auf das Thema Energie grundlegend geändert. "Früher mussten wir das Thema Energiesparen anpreisen – die Menschen waren skeptisch und Komforteinschränkungen waren tabu." Heute sei das Interesse der Menschen an dem Thema hingegen sehr groß.
Wie aber kann man den im Herbst und Winter absehbaren Anstieg seiner Heizungskosten abbremsen? Weniger heizen und bewusster heizen – also nur da, wo es nötig ist, sagt Kafke. "Wenn es vier Grad weniger warm ist, spart man in Bezug auf die Raumheizung ein Viertel Energie." Häufig sei den Menschen gar nicht klar, wie warm sie es zu Hause hätten. "Wenn ein Raum 22, 23 oder sogar 24 Grad warm ist, dann ist das Einsparpotenzial groß." Dessen würden sich die Verbraucher allmählich bewusst.
Den Warmwasserverbrauch könne man absenken, indem man weniger und kürzer dusche. Generell sei es wichtig, dass dem Verbraucher das Thema Energiesparen präsent sei – "und dass man nicht vergisst, die Heizung runterzudrehen, wenn man die Wärme gar nicht braucht".
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa