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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Teuer-Welle Diese radikale Idee könnte die Inflation bekämpfen
Die Preise steigen und steigen. Und es scheint, als ließe sich diese Entwicklung nicht stoppen. Doch ist das wirklich so? Diese Möglichkeiten gibt es, um die Inflation einzudämmen.
Kaum ein Thema beschäftigt die Deutschen im Alltag so sehr wie die steigenden Preise. Ob an der Zapfsäule, im Supermarkt oder in der Nebenkostenabrechnung: Alles wird teurer. Im April stieg die Inflationsrate auf 7,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.
Gern verweisen Experten in diesem Zusammenhang auf die Europäische Zentralbank. Sie sei es, die als Hüterin der Preisstabilität allein dafür sorgen kann, dass die Inflation nicht ausufert, das Geld nicht noch stärker an Wert verliert.
Doch das ist zu kurz gegriffen. Auch der Staat hat eine Reihe von Instrumenten an der Hand, um die Inflation einzudämmen. Selbst Arbeitnehmer und Gewerkschaften können etwas dafür tun, dass die Preise nicht weiter durch die Decke schießen. t-online erklärt, welche Möglichkeiten und Ideen es gibt, um die Inflation zu bekämpfen.
Was die Zentralbank tun kann
► Geldmenge runter
Die Idee: Wenn weniger Geld im Umlauf ist, ist ein einzelner Euro mehr wert. Sinkt die Menge des zirkulierenden Geldes also, fallen die Preise. Zumindest theoretisch.
Gesteuert wird die Geldmenge von der Europäischen Zentralbank (EZB). Konkret macht sie das, indem sie über den Kauf von Staatsanleihen selbst gedrucktes Geld in den Umlauf bringt. Aktuell tut sie das in sehr hohem Maße. Umgekehrt kann die EZB dem Markt auch Geld entziehen – indem sie Staatsanleihen verkauft und das eingenommene Geld einbehält.
Wann kommt es dazu? Die Präsidentin der Notenbank, Christine Lagarde, hat am Mittwoch gesagt, dass die Anleihenkäufe der Notenbank voraussichtlich am Anfang des dritten Quartals enden werden, wohl im Juli. Einige Zeit danach seien Zinserhöhungen denkbar (siehe unten).
Was bringt's? Wenn die EZB ihre Anleihenkäufe zurückfährt, gerät zumindest weniger frisches Geld in den Umlauf. Entzöge sie darüber hinaus über den Verkauf von Staatsanleihen dem Markt zusätzlich Geld, könnte das die Inflation potenziell stark eindämmen.
► Zinsen rauf
Die Idee: Der Zins ist der Preis des Geldes. Hebt die EZB den Leitzins an und geben die Geschäftsbanken die höheren Kreditzinsen an ihre Kunden weiter, wird das Geld teurer. Die Folge: Die Nachfrage nach Geld sinkt, weil sich weniger Menschen und Firmen die Zinsen für das geliehene Geld leisten können. In der Konsequenz ist abermals weniger Geld im Umlauf, der einzelne Euro wird mehr wert, die Preise fallen.
Gleichzeitig bedeuten höhere Zinsen aber auch: Für Firmen würde es schwieriger, Investitionen zu tätigen und neue Jobs zu schaffen. Das Wachstum verlangsamte sich, die Wirtschaft kühlte sich ab.
Deshalb wandert die Notenbank bei ihrer Geldpolitik auf einem schmalen Grat: Denn die EZB kann nur an der Nachfrageschraube drehen, das Angebot kann sie nicht erhöhen – sprich: mehr Gas und Öl auf den Markt werfen, was die Preisentwicklung entschärfen würde.
- Geldpolitik der Zentralbank: Was der Leitzins der EZB mit Ihnen zu tun hat
Interessieren Sie sich noch mehr für das Thema Inflation? Lernen Sie mehr darüber in dieser Podcast-Folge, in der Moderatorin Lisa Fritsch mit t-online-Chefredakteur Florian Harms und dem Leiter des Ressorts für Wirtschaft und Finanzen, Florian Schmidt, diskutiert.
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Wann kommt es dazu? Tatsächlich ist diese Frage nicht so einfach zu beantworten, wie man vielleicht denken mag. Denn die EZB wird zunächst die großangelegten Anleihenkäufe zurückfahren, bevor sie den Leitzins anhebt (siehe oben).
Was bringt's? Wahrscheinlich sehr viel. Hebt die EZB die Zinsen allerdings zu schnell an, würde das der Wirtschaft einen schweren Schlag versetzen. Weil die Erholung nach der Corona-Pandemie noch nicht abgeschlossen ist. Eine Rezession würde drohen.
Die EZB muss also sehr vorsichtig agieren, um die Wirtschaft nicht zu früh und nicht zu deutlich abzuwürgen. Gleichzeitig muss sie angesichts der steigenden Inflation glaubwürdig bleiben und signalisieren, dass sie bereitsteht, wenn es nötig sein sollte.
Was der Staat tun kann
► Steuersenkungen
Die Idee: Da, wo der Staat selbst am Verkauf von Produkten mitverdient, kann er diesen Anteil reduzieren – und dafür etwa die Steuern für Energie senken.
Wann kommt es dazu? Voraussichtlich ab Juni soll die Energiesteuer auf Kraftstoffe für drei Monate auf das europäische Mindestmaß abgesenkt werden. Das ist Teil des zweiten Entlastungspakets der Bundesregierung, die Umsetzung ist aber noch offen.
Was bringt's? Aus ökonomischer Perspektive ergeben Steuersenkungen wenig Sinn. Denn eine Steuersenkung auf Sprit sorgt dafür, dass die Nachfrage nach Benzin womöglich sogar noch steigt – obwohl es gerade zu wenig davon gibt, die Preise steigen, weil das Angebot knapp ist.
Das Gleiche gilt für eine Steuersenkung auf Lebensmittel beispielsweise. Es könnten sogenannte Zweitrundeneffekte entstehen: Menschen, die übermäßig viel einkaufen, da es nun günstiger ist, und sich für die Zeit danach eindecken. Das würde aber wieder die Preise treiben.
Außerdem ist eine Steuersenkung recht teuer, da dem Staat Einnahmen flöten gehen – unabhängig davon, ob wir von Energie- oder Mehrwertsteuer sprechen.
Zudem profitieren im Falle der Energiesteuer auf Sprit nur Autofahrer davon; Menschen, die sich ohnehin kein Auto leisten, gehen entsprechend leer aus. Eine Steuersenkung hier ist also wenig zielgenau. Zu guter Letzt besteht die Gefahr, dass sich Mineralölkonzerne die gesenkte Steuer einfach selbst in die Tasche stecken – und sich der Preis an der Zapfsäule überhaupt nicht ändert.
► Transferleistungen
Die Idee: Der Gedanke bei Transferleistungen ist es, zielgenau anzusetzen bei den Menschen, die von der Energiekrise besonders betroffen sind, und sie zu entlasten. Daher verteilen Transferleistungen auch im Regelfall um, weil eben nur Haushalte sie bekommen, die es nötig haben.
Wann kommt es dazu? Deutschland zahlt finanzschwachen Haushalten einen Heizkostenzuschuss, zudem soll jeder einkommenssteuerpflichtige Erwerbstätige einmalig 300 Euro brutto bekommen.
Was bringt's? Das Problem bei den aktuellen Transferleistungen, die der Bund auf den Weg gebracht hat: Sie sind sehr teuer, besonders die Energiepauschale. Auch die gewünschte Zielgenauigkeit wird dabei etwas ad absurdum geführt, da jeder Erwerbstätige den Geldbetrag aufs Konto erhält.
Zudem werden bestimmte Gruppen nicht genau erreicht: Was ist mit Rentnern, die keinen Anspruch auf Wohngeld haben und somit weder vom Heizkostenzuschuss noch von der Energiepauschale profitieren? Was ist mit Studierenden, die ebenfalls durchs Raster fallen, weil sie etwa kein Bafög beziehen? Auf diese Fragen hat der Bund bislang keine Antwort.
► Preisdeckel
Die Idee: Verbraucher sollen nur noch einen Maximalpreis zahlen, zum Beispiel an ihren Gasversorger. Der Name ist dabei Programm: Ab einem gewissen Preis zieht der Staat einfach einen Strich und verbietet höhere Preise.
Wann kommt es dazu? Während ein Preisdeckel in anderen EU-Ländern schon Realität ist, so etwa in Frankreich, ist das in Deutschland unrealistisch. Ein Preisdeckel wird aktuell auch nicht diskutiert.
Was bringt's? Ein Preisdeckel würde arme Haushalte vergleichsweise mehr entlasten als reichere, weil sie nicht viel mehr als den Sockelbetrag verbrauchen.
Das zentrale Problem liegt aber auf der Hand. Bei einem Preisdeckel handelt es sich um einen starken Eingriff in den Markt, genauer: in die freie Preisbildung. Denn der Staat entscheidet, wie hoch der Preis maximal sein darf – und verzerrt damit das Preisbildungsprinzip aus Angebot und Nachfrage.
Je nach Modell ersetzt der Staat dem Gas- oder Stromversorger die Differenz zwischen Sockelbetrag und Marktpreis. In dem Fall würde der Preismechanismus immer noch funktionieren. Die Kosten für einen solchen Eingriff dürften dennoch sehr hoch sein.
► Lohnstopp
Die Idee: Eine, zugegeben, radikale Maßnahme wäre es, wenn der Staat einen Lohnstopp verhängen würde. Das heißt konkret: Der Bund würde verbieten, dass Firmen ihren Mitarbeitern die Löhne erhöhen.
Wann kommt es dazu? Wohl überhaupt nicht. Der Staat würde dann deutlich in die Tarifautonomie eingreifen und vorschreiben, wie Gewerkschaften und Arbeitgeber Tarifverträge abschließen. Fraglich also, inwiefern das realistisch ist.
Was bringt's? Ein Lohnstopp zielt auf die Furcht vor einer sogenannten Preis-Lohn-Spirale ab. Unter der Erwartung, dass die Preise weiter anziehen, setzen Gewerkschaften unter dem Druck der Arbeitnehmer höhere Löhne durch.
Wegen der gestiegenen Lohnkosten erhöhen die Unternehmen aber die Preise; eine Abwärtsspirale setzt sich in Gang, bei der sich Preise und Löhne immer weiter hochschaukeln. Durch ein Lohnstopp könnte der Staat das verhindern.
► Autofreie Sonntage und Tempolimit
Die Idee: Im Zuge des Ukraine-Krieges und der Debatte um ein Ölembargo werden aktuell autofreie Sonntage diskutiert, ebenso wie weitere Einsparungen. Klassisches Beispiel: ein Tempolimit.
Viele ältere Menschen dürften sich daran noch erinnern: Im Jahr 1973 durften an vier Sonntagen keine Autos fahren. Die Autobahnen waren wie leergefegt, statt Sonntagsausflug mit dem Auto schwang sich die Familie aufs Fahrrad. Hintergrund war ein Ölboykott, der von arabischen Staaten verhängt worden war.
Wann kommt es dazu? Wohl überhaupt nicht. Vor allem liberale Politiker dürften einen solchen Eingriff ablehnen. Zudem würden staatlich aufgezwungene Einsparungen besonders ärmere Haushalte überproportional treffen, was es zu vermeiden gilt.
Was bringt's? Aus ökonomischer Perspektive würden solche Einsparungen bei der Nachfrage ansetzen und eben nicht beim Angebot. Laut volkswirtschaftlichem Lehrbuch sind steigende Preise nämlich Ergebnis einer steigenden Nachfrage bei sinkendem Angebot.
Das Angebot an (russischem) Gas und Öl geht derzeit zurück, was den Preis treibt. Umgekehrt würde eine sinkende Nachfrage das Angebot nicht weiter verknappen, der Preis würde sinken. Denn der Verbrauch bei geringerem Tempo ist geringer als bei hoher Geschwindigkeit.
Aus einer gesellschaftspolitischen Perspektive gibt es außerdem noch ein Argument für Einsparungen: nämlich, dass die Deutschen dabei mithelfen könnten, Energie zu sparen –, selbst wenn die Auswirkungen nur gering wären.
► Kürzung der Staatsausgaben
Die Idee: Ebenso wie die Europäische Zentralbank kann auch der Staat versuchen, die Nachfrage zu dämpfen und eine Überhitzung der Wirtschaft zu vermeiden. Das geschieht durch eine Kürzung der Staatsinvestitionen.
Wann kommt es dazu? Derzeit gibt der Staat eher Geld aus als zu sparen, etwa für Entlastungen der Deutschen. Dass die Staatsausgaben systematisch gekürzt werden, ist fraglich.
Was bringt's? Der Staat soll weniger Geld für Firmen ausgeben, weniger Subventionen beispielsweise. Dann würden Unternehmen weniger Jobs schaffen, die Nachfrage der Deutschen würde zurückgehen.
Das Problem bei einer Kürzung der Staatsausgaben ist das gleiche wie bei der Geldpolitik der EZB (siehe oben): Deutschland ist aktuell noch auf Erholungskurs. Die Folgen der Corona-Pandemie haften immer noch an der deutschen Wirtschaft. Dazu kommt: Der Staat muss Milliarden in die Hand nehmen, um die Wirtschaft klimaneutral umzubauen.
Kürzt der Bund die Staatsausgaben nun zu radikal oder an den falschen Stellen, fällt das der Wirtschaft früher oder später auf die Füße – und Deutschland landet in einer Rezession. Das heißt, der Bund muss hier sehr klug agieren.
Was Arbeitnehmer und Arbeitgeber tun können
► Moderate Lohnabschlüsse
Die Idee: Gewerkschaften könnten nur Einmalzahlungen statt Tarifanhebungen fordern. Oder wenn, nur moderate Lohnabschlüsse durchsetzen.
Wann kommt es dazu? Das bleibt abzuwarten. Aktuell haben bereits einige Gewerkschaften angesichts der Inflation höhere Löhne gefordert. Allerdings ist fraglich, wie viel am Ende tatsächlich durchkommt.
Was bringt's? Experten fürchten angesichts der jetzt steigenden Inflationsraten eine Preis-Lohn-Spirale, auf die auch ein Lohnstopp abzielen würde (siehe oben). Um der zu entgehen, sollten Gewerkschaften und Arbeitnehmer klug agieren.
Eine Tarifeinigung, die deutlich über der derzeitigen Inflation liegt, würde über die aktuelle Inflationsentwicklung hinaus wirken und die Preis-Lohn-Spirale in Gang setzen. Und es ist schwer, dieser wieder zu entkommen.
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters