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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gundula Roßbach "Wir werden eine ordentliche Rentenerhöhung sehen"
Die Rentenkasse schlittert auf ein Finanzierungsproblem zu, wegen des demografischen Wandels. Rentenpräsidentin Roßbach sieht das System gut aufgestellt – und hat dennoch Wünsche an die Ampel.
Sie sorgt mit ihren Mitarbeitern dafür, dass Rentenanträge bearbeitet und Rentenbescheide ausgestellt werden und dass die mehr als 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner ihr Geld bekommen: Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung (DRV).
t-online hat mit ihr gesprochen: über die aktuellen Herausforderungen in der Corona-Pandemie, die Pläne der Ampelkoalition für Deutschlands Rentner – und die Zukunft der gesetzlichen Rente überhaupt.
t-online: Frau Roßbach, die Corona-Fallzahlen steigen rasant. Bedroht die Omikron-Welle auch die Auszahlung der Renten?
Gundula Roßbach: Wir bereiten uns seit Beginn der Pandemie auf alle möglichen Szenarien vor, auch auf eines, in dem viele unserer Angestellten gleichzeitig erkranken. Diese Notfallpläne gibt es. Oberste Priorität hat dabei die Auszahlung der Renten sowie die Bearbeitung neuer Rentenanträge. Das ist sichergestellt. Die Menschen können sich auch in Corona-Zeiten auf die Rentenversicherung verlassen.
Das liegt auch am System der umlagefinanzierten Rentenversicherung. Die feiert am heutigen Freitag ihren 65-jährigen Geburtstag. Wie lang wird es sie noch geben?
Sehr lange!
Was macht Sie da so sicher?
Die umlagefinanzierte Rentenversicherung hat bereits viele Krisen überstanden. Das war nur deshalb möglich, weil sie so anpassungsfähig ist.
- 65-jähriges Jubiläum: Welche Zukunft hat Adenauers Rentensystem noch?
Wie meinen Sie das?
Nehmen wir als Beispiel die Deutsche Einheit. Millionen Menschen, die vorher noch nicht oder nicht direkt in die Rentenversicherung eingezahlt haben, konnte der Staat sofort in das bestehende System integrieren. Anders hätte es bei einer Altersvorsorge ausgesehen, die nur über eine Kapitaldeckung geregelt wäre. Denn hier hätte zunächst Kapital angelegt werden müssen, Auszahlungen wären schwierig geworden. Wir sind gut durch die Finanzkrise gekommen und auch in der Corona-Pandemie merken wir, wie schnell sich die umlagefinanzierte Rentenversicherung neuen Umständen anpassen kann.
Gundula Roßbach, 1964 geboren, ist seit Anfang 2017 Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund. Die studierte Juristin wechselte nach Tätigkeiten beim Landkreistag Brandenburg und der früheren Bundesversicherungsanstalt für Angestellte 2006 zur Rentenversicherung Berlin-Brandenburg, wo sie ab 2009 Geschäftsführerin war. 2013 wurde sie ins Direktorium der DRV Bund gewählt.
Wie lange hält die Rentenkasse den aktuellen Krisenmodus denn noch durch?
Wir sind als Rentenversicherung gut durch die Pandemie gekommen. In einer solchen Krise sieht man gut, wie der Arbeitsmarkt und die Sozialversicherungssysteme ineinandergreifen. Auf Kurzarbeit werden zum Beispiel auch Beiträge für die Rente gezahlt. Im Jahr 2021 hat sich so die Reserve nach ersten Daten noch auf 39 Milliarden Euro erhöht.
Sie meinen die Nachhaltigkeitsrücklage?
Genau. Wir hatten gerade im Dezember hohe Beitragseinnahmen, noch deutlich mehr, als wir im Oktober erwartet haben. Im Vergleich zu 2019 sind die Einnahmen aus den Pflichtbeiträgen Erwerbstätiger im Jahr 2021 um 4,8 Prozent gestiegen, auf rund 232,7 Milliarden Euro. Wegen der Corona-Pandemie entsteht keine Lücke in der Rentenkasse.
Bei den Rentnern selbst sieht es aber anders aus. Sie spürten die Corona-Krise im Geldbeutel, vergangenes Jahr fiel die Rentenerhöhung wegen der Pandemie aus. Dafür können Senioren dieses Jahr laut Sozialminister Hubertus Heil ein "kräftiges" Rentenplus erwarten. Womit rechnen Sie?
Die Berechnung der Rentenanpassung findet erst im Frühjahr statt. Deshalb lässt sich gerade noch gar nicht genau sagen, wie groß oder klein das Plus am Ende wirklich ausfällt – wir können nur schätzen. Dennoch glaube auch ich: Wir werden eine ordentliche Rentenerhöhung sehen. Die aktuellen Prognosen machen mich zuversichtlich.
Heil geht davon aus, dass es dieses Jahr 4,4 Prozent mehr gibt.
Diese Größenordnung ergibt sich aus der aktuellen Prognose, wenn man den Nachholfaktor berücksichtigt. Ob sie eintritt, müssen wir abwarten.
Warum?
Da geht es um Daten des Statistischen Bundesamtes, die zum Teil noch gar nicht vorliegen. So ist zum Beispiel noch unklar, wie die Entwicklung der Kurzarbeit Ende 2021 sich auf die Durchschnittslöhne ausgewirkt hat. Wenn es keine Überraschungen gibt, dürfen wir aber mit einer ordentlichen Rentenerhöhung rechnen. Wie hoch genau sie ausfällt, wissen wir aber wirklich erst in ein, zwei Monaten.
Immerhin dürfte das Plus damit die aktuell hohe Inflation ausgleichen. Was halten Sie von der Idee, die Renten grundsätzlich an die Teuerungsrate zu koppeln statt an die Löhne?
Das ist ein Gedanke, den Länder wie Österreich verfolgen. Die Rentenkommission hatte ebenfalls einen solchen Vorschlag diskutiert, sich aber am Ende dagegen entschieden. Es spricht einiges dafür, dass die Renten an die Löhne gekoppelt sind, weil auch die Einnahmen der Versicherung aus den Löhnen kommen.
Seit Dezember regiert uns eine Ampelkoalition. Schaut man sich ihre Vorhaben zur Rente im Koalitionsvertrag an, muss man festhalten: Viel soll sich gar nicht ändern. Wie sehr enttäuscht Sie das?
Überhaupt nicht. Im Gegenteil: Ich habe mich über das klare Bekenntnis zur gesetzlichen Rentenversicherung im Koalitionsvertrag gefreut. Die spannende Frage wird nun sein, wie die Regierung die Rentenversicherung langfristig aufstellen will. Einiges ist schon gemacht, um auf die demografische Entwicklung zu reagieren, wie etwa die schrittweise Anhebung der Altersgrenze auf 67 Jahre oder die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors.
Was erwarten Sie denn von der Ampel?
Ich gehe davon aus, dass sich die Koalition noch einmal intensiv mit der Rente beschäftigt. Ich wünsche mir, dass die Koalition Vorschläge machen wird, wie das System auf lange Sicht weiterentwickelt werden kann.
Wäre es da nicht sinnvoll, wenn es einen parteiübergreifenden Konsens zur Rente geben würde – für eine große Rentenreform wie 1957?
Ich denke, es kann nicht die eine Jahrhundertreform geben, sondern Reformschritte, wie in der Vergangenheit auch. Wir haben ein anpassungsfähiges System, das immer wieder an die sich verändernden Herausforderungen angepasst werden muss. Doch die Rentenversicherung muss sicher nicht von Grund auf erneuert werden.
Das heißt aber auch, dass es für die Beitragszahler ungemütlich wird – weil sie wegen des demografischen Wandels mehr in die Rentenkasse einzahlen müssen, oder?
Es ist absehbar, dass der Beitragssatz durch den Renteneintritt der Babyboomer steigen wird, bis 2030 wird nach den Prognosen die im Gesetz festgelegte Obergrenze von 22 Prozent beim Beitragssatz aber spürbar unterschritten. In der Diskussion wird sicherlich sein, wie hoch der Beitragssatz langfristig sein kann, oder inwieweit Steuermittel in die Rente fließen.
Neben dem Beitragssatz gibt es als Stellschraube noch das Renteneintrittsalter, das sich mit steigender Lebenserwartung erhöhen ließe.
Bis 2031 steigt die Regelaltersgrenze bis zum 67. Lebensjahr. Im Schnitt gehen die Deutschen derzeit mit 64,2 Jahren in Rente. Das heißt: Im Moment arbeitet nur ein Teil der Menschen bis zur Regelaltersgrenze, viele gehen früher in Rente. Diesen Fakt dürfen wir nicht außer Acht lassen.
- Renteneintritt: Wann kann ich in Rente gehen?
Mit "wir" meinen Sie die Ampel?
Die Politik sollte sich genau anschauen, wie viele Menschen tatsächlich früher in Rente gehen und wie viele länger arbeiten. Das ist eine wichtige gesellschaftspolitische Frage.
Eine andere Möglichkeit wäre, die Rentenabschläge für Frührentner anzupassen.
Wir als Rentenversicherung berechnen die Abschläge aus versicherungsmathematischer Sicht. Das, was Sie jetzt meinen, wäre ein politischer Abschlag. Denn er würde eine bestimmte, politisch gewollte Lenkungswirkung haben und bestimmte Gruppen bevorzugen und andere benachteiligen.
Die neue Ampelregierung plant die Hinzuverdienstgrenze für Frührentner dauerhaft auf 46.060 Euro zu belassen. Was halten Sie davon?
Das wird dazu führen, dass sicherlich mehr Menschen die Flexirente beantragen und früher in Rente gehen. Hierzu läuft zurzeit eine Evaluierung durch die Bundesregierung. Auf der Grundlage der Ergebnisse sollte man entscheiden, ob es Sinn macht, auch nach der Pandemie an den großzügigeren Hinzuverdienstregeln festzuhalten. Ich stehe einer solchen Diskussion aufgeschlossen gegenüber.
Aber führte das nicht dazu, dass Sie weniger Beitragseingänge hätten?
In der Tendenz eher nicht, denn die Menschen werden dann im Zweifel trotz Rentenbezugs bis zur Hinzuverdienstgrenze weiterarbeiten, was zu mehr Beitragseinnahmen führen kann. Insofern mache ich mir da keine großen Sorgen um die Finanzlage der Rentenversicherung.
Viele Menschen offenbar schon, sie sorgen stattdessen für sich selbst vor. Ein beliebtes Mittel sind computergesteuerte Aktienfonds, die breit gestreut Geld anlegen. Haben Sie persönlich eigentlich Aktien?
Ich habe einen Riester-Vertrag.
Künftig könnte es aber passieren, dass Sie und Ihre Kollegen einen Fonds verwalten müssen, aus dem die Rente zum Teil bezahlt wird – die Ampel plant eine solche Aktienrente. Kann die DRV Börse?
Zunächst einmal ist noch gar nicht klar, ob die geplante unabhängige Stelle überhaupt bei uns im Haus sein wird. Und dann dreht sich ein kapitalgedecktes System nicht nur um die Börse. Aktuell haben wir unsere Reserve bereits am Finanzmarkt angelegt – unter ganz strengen Bedingungen. Dahinter stehen ebenfalls umfangreiche Finanzprodukte, um die wir uns kümmern müssen. Wir haben also schon einige Erfahrung beim Anlegen von Geldern.
Das heißt, Sie trauen es sich zu, die Verwaltung des Fonds zu übernehmen?
Das kommt ganz darauf an, was die Koalition erreichen will. Das Ziel ist noch nicht klar definiert: Soll es ein Fonds werden, von dessen Erträgen wir die Renten zahlen? Wie lange soll das Geld angelegt werden? Und welches Risiko wäre in Ordnung? Das sind Fragen, die wichtig sind, bevor entschieden werden kann, wo dieser Fonds angesiedelt wird: Ob bei uns oder besser bei einer anderen Stelle.
Zunächst sind zehn Milliarden Euro dafür geplant. Ist das genug?
Aktuell belaufen sich die Rentenausgaben der Rentenversicherung auf knapp 300 Milliarden Euro pro Jahr. Da können Sie sich ausrechnen, für wie lange ein solcher Kapitalstock reichen würde: Mit 10 Milliarden Euro können wir aktuell elf Tage unsere Renten auszahlen.
Ein Lösungsvorschlag für die Rente ist stets, dass mehr Menschen einzahlen sollen – beispielsweise Beamte. Was hielten Sie davon?
Ehrlich gesagt wäre ich erst einmal froh, wenn wir alle Menschen einbeziehen, die derzeit noch gar nicht abgesichert sind. Ich fände es positiv, wenn die Ampel ihren Plan zeitnah umsetzt und Selbstständige pflichtversichert. Schnell ginge eine Einbeziehung der Beamten allerdings nicht, wie man in Österreich sieht: Hier gibt es eine Übergangsphase von bis zu 40 Jahren.
Auch das Einwanderungssystem soll vereinfacht werden. Reicht es, wenn wir genug Einwanderer nach Deutschland holen?
Allein seit 2000 sind rund vier Millionen Menschen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit nach Deutschland eingewandert, die in unser Rentensystem eingezahlt haben. Das hat sehr geholfen: Ein stabiler Arbeitsmarkt führt zu einer stabilen Rente. Auch die in den letzten Jahren deutlich gestiegene Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen hat zu mehr Beitragseinnahmen geführt.
Gegen den Fachkräftemangel wäre Einwanderung ebenfalls wichtig.
Sie sagen es. Wir werden die Menschen nicht nur für die Sozialversicherungen brauchen, sondern insbesondere auch für die Dienstleistungen. Der Fachkräftemangel ist real. Das hat man in der Corona-Krise gesehen.
Frau Roßbach, wir danken Ihnen für das Gespräch.
- Videointerview mit Gundula Roßbach