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Zum journalistischen Leitbild von t-online.65-jähriges Jubiläum Ist Deutschlands Rentensystem veraltet?
Die gesetzliche Rente in ihrer heutigen Form wird 65 Jahre alt. Zeit zurückzuschauen: Wie zukunftsfähig ist das Rentensystem, das Konrad Adenauer 1957 umgekrempelt hat?
Wilfrid Schreiber dürfte nur den allerwenigsten Menschen ein Begriff sein – und doch kommen die meisten Deutschen mit seinem Lebenswerk früher oder später in Berührung. Der Kölner Wirtschaftstheoretiker, verstorben 1975, war der Schöpfer des Umlagesystems, auf dem heute noch die Rentenkasse aufbaut.
Seine Idee damals: Wer arbeiten geht, zahlt die Rente derer, die zur selben Zeit schon aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind; die eigene Rente finanzieren alle künftigen Arbeitnehmer. Deshalb ist auch von einem Generationenvertrag die Rede.
Am heutigen Freitag feiert das System seinen 65-jährigen Geburtstag. Am 21. Januar 1957 beschloss der Bundestag die größte Rentenreform in der Geschichte der Bundesrepublik, die auf Schreibers Plan basiert. Höchste Zeit also, zurückzuschauen – und nach vorne: auf die Zukunft des Rentensystems.
Wie entstand die Umlagerente?
Nach dem Zweiten Weltkrieg lag nicht nur Deutschland in Trümmern, sondern auch das Rentensystem. Nach und nach baute der Bund es wieder auf und stellte das frühere kapitalgedeckte System wieder her.
Das heißt: Die Rücklagen der Rentenversicherung wurden am Kapitalmarkt angelegt – beispielsweise in Staatsanleihen. Das Problem: Zum Start gab es praktisch keine Geldreserven. Daher mussten von 1952 bis 1956 zwischen 36 und 47 Prozent der Rentenausgaben über Steuermittel aus dem Bundeshaushalt getragen werden.
Das war aber nicht das einzige Manko des damaligen Systems. Denn die Rente hatte lediglich eine Art "Unterstützungsfunktion". Die Altersvorsorge sollte lediglich die Familienabsicherung ergänzen. Sie verfolgte nicht das Ziel, den Lebensstandard im Alter zu sichern.
Hinzu kam: Viele Nachkommen, die den späteren Ruhestand hätten finanzieren sollen, waren im Zweiten Weltkrieg gestorben. Ältere Menschen waren folglich oftmals auf die staatliche Rente angewiesen. Und die fiel äußerst schmal aus: Im Durchschnitt erhielten Senioren 1950 pro Monat nur 60,50 D-Mark und damit nur rund 10 Mark mehr als die Mindestrente von 50 Mark.
Adenauer war zum Handeln gezwungen
Am Wirtschaftsaufschwung in den 1950er-Jahren partizipierten die Rentner zudem gar nicht, weil die Renten nicht an die Lohnentwicklung gekoppelt waren. Sie beruhten lediglich auf einer einheitlichen Summe plus einem geringen Steigerungsbetrag. Die Unzufriedenheit unter Deutschlands Senioren wuchs.
Der damalige Kanzler Konrad Adenauer musste also handeln, auch um die Wahlen nicht zu verlieren. Gegen Widerstände der Wirtschaftsverbände und Einwände aus dem Finanz- und dem Wirtschaftsministerium setzte er eine Neuordnung der gesetzlichen Rente durch. Zahlreiche Ökonomen und Wissenschaftler machten Vorschläge – doch nur die Idee von Wilfrid Schreiber wurde verfolgt.
Diese Punkte umfasste die Rentenreform von 1957
Adenauers Regierung erarbeitete auf dieser Basis eine Rentenreform, die es in sich hatte. Die wichtigsten Punkte im Überblick:
- Der heute fast berühmte Generationenvertrag wird eingeführt. Fortan wird die Rentenkasse Schritt für Schritt auf eine Umlagefinanzierung umgestellt.
- Die Renten werden seither an der allgemeinen Lohnentwicklung ausgerichtet und regelmäßig angepasst. Das ist bis heute so geblieben.
- Zudem wird die Grundlage für die heutige Hinterbliebenenrente gelegt.
Die Umstellung auf die Umlagefinanzierung der Rentenkasse in den 1950er-Jahren und die Kopplung an die Lohnentwicklung setzte der Altersarmut von Millionen Menschen in Deutschland ein Ende. Zwischen 1957 und 2003 stiegen die Renten um das 8,5-Fache an.
Gut zu wissen: Den ursprünglichen Schreiber-Plan setzte Adenauer nur in Teilen um. So sah Schreiber etwa vor, dass Selbstständige in der gesetzlichen Rente pflichtversichert werden. Das ist bis heute nicht der Fall. Auch wandte er sich gegen Bundeszuschüsse an die Rentenkasse, die jedoch damals wie heute fließen.
Was sind die Vorteile der Umlagerente?
Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Rentensystem weiter. Ein großer Schritt war die Deutschen Einheit. In der Folge kamen Millionen Menschen in die Rentenversicherung, die vorher noch nicht oder nicht direkt eingezahlt hatten. Für vier Millionen Rentner aus der ehemaligen DDR wurden die Zahlungen sichergestellt.
Auch Rentenpräsidentin Gundula Roßbach sieht hier den zentralen Vorteil des Umlagesystems. "Die umlagefinanzierte Rentenversicherung hat bereits viele Krisen überstanden. Das war nur deshalb möglich, weil sie so anpassungsfähig ist", sagte sie im t-online-Interview.
2001 wurde die umlagefinanzierte Rente dann mit der Riester-Rente um eine kapitalgedeckte Säule erweitert. Lesen Sie hier mehr dazu.
Wie geht es jetzt weiter mit der Rente?
Das ist die entscheidende Frage. Das aktuelle umlagefinanzierte System steht vor einem Finanzierungsproblem. Auf immer mehr Rentner kommen immer weniger Beitragszahler, was die Grundidee des Systems infrage stellt.
Verschärft wird das Problem mit dem Renteneintritt der Angehörigen der Babyboomer-Generation in wenigen Jahren. Auch der Bund weiß um das aktuelle Problem. Die Ampelregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag daher den Einstieg in ein kapitalgedecktes System beschlossen: In einem ersten Schritt sollen zehn Milliarden Euro in einen Fonds fließen.
Bei Rentenausgaben von knapp 300 Milliarden Euro ist das jedoch viel zu wenig, sagt auch Roßbach. Offen ist ohnehin, wie der Fonds am Ende ausgestaltet sein wird – sprich, wie groß er sein wird und wer ihn verwaltet.
Kommt eine weitere Rentenreform?
Neben der Aktienrente soll die Rente kaum angefasst werden. Rentenniveau, Beiträge und Eintrittsalter sollen festgeschrieben werden, zumindest für die jetzige Legislaturperiode. Mehr dazu lesen Sie hier.
Rentenpräsidentin Roßbach fordert, dass die Ampel sich noch einmal Gedanken machen sollte – für die Zeit danach. "Ich wünsche mir, dass die Koalition Vorschläge machen wird, wie das System auf lange Sicht weiterentwickelt werden kann." Welche Ideen es gibt, um die Rente zu sichern, lesen Sie hier.
Denn das Renteneintrittsalter verharrt Stand jetzt trotz steigender Lebenserwartung ab 2031 bei 67 Jahren. Die Rentenbeiträge dagegen steigen die kommenden Jahre an, die Bundeszuschüsse dürften ebenfalls deutlich wachsen.
Eine weitere Jahrhundertreform wird es wohl trotzdem in nächster Zeit nicht geben. Roßbach meint auch, die sei nicht nötig – selbst 65 Jahre nach Einführung des Systems.
- Eigene Recherche
- Deutsche Rentenversicherung Bund
- Interview mit Gundula Roßbach
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- Bundeszentrale für politische Bildung
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa