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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nachholfaktor greift wieder Darum macht sich die Ampel bei Millionen Rentnern unbeliebt
Im nächsten Jahr sollten nach einer offiziellen Schätzung die Renten deutlich steigen. Daraus wird aber wohl nichts. Die Ampelkoalition plant, den Nachholfaktor bald wieder zu aktivieren. Was das heißt.
Jedes Jahr zum Juli freuen sich Millionen Rentner auf eine Mitteilung der Rentenversicherung: die Anpassung der Rente. Zwar fällt die Rentenerhöhung 2021 wegen der Corona-Krise im Westen Deutschlands aus, während die Bezüge in den neuen Bundesländern nur minimal wachsen. Mehr dazu lesen Sie hier.
Dafür könnten die Renten jedoch in den kommenden Jahren steigen, nächstes Jahr steht im Westen mit 5,2 Prozent womöglich die größte Erhöhung seit 40 Jahren an. Dass nun aus dieser drastischen Erhöhung wohl nichts wird, hängt mit dem sogenannten Nachholfaktor zusammen – und Plänen der Ampelkoalition. t-online erklärt Ihnen, wie dieser Faktor in der Rentenanpassungsformel wirkt und was das für Ihre Rente bedeutet.
Was ist der Nachholfaktor – und wofür ist er gut?
Der Nachholfaktor klingt zwar sehr theoretisch, ist aber ein wichtiger Teil der sogenannten Schutzklausel in der Rentenanpassungsformel. Das ist die Formel, die bestimmt, wie hoch die jährliche Rentenanpassung zur Mitte des Jahres ausfällt. Der Faktor wirkt gemeinsam mit der staatlichen "Rentengarantie", die besagt, dass Rentenkürzungen gesetzlich ausgeschlossen sind.
Der Nachholfaktor sorgt dafür, dass eine nötige "theoretische Rentenkürzung" in den kommenden Jahren nachgeholt wird. Der Grund: Die Rentenkasse soll geschont werden.
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Gut zu wissen: Die Rentenanpassungsfomel ist eine komplizierte Rechnung. Sie besteht noch aus weiteren Faktoren, etwa dem Riesterfaktor oder dem Nachhaltigkeitsfaktor.
So funktioniert der Nachholfaktor genau
Der Nachholfaktor verrechnet die eigentlich nötige Senkung mit möglichen Erhöhungen in den kommenden Jahren, sodass diese geringer ausfallen – allerdings maximal bis zur Hälfte. Wenn der Ausgleichsbedarf noch nicht vollständig "abgebaut" ist, wird er ins darauffolgende Jahr mitgenommen. Das gilt, bis die ausgebliebene Rentenkürzung vollständig ausgeglichen ist.
Der Nachholfaktor ist aber seit 2018 ausgesetzt – Stand jetzt bis einschließlich 2025. Grund sind die 2009 eingeführten doppelten Haltelinien, die durch den Nachholfaktor gefährdet seien, so das Arbeits- und Sozialministerium. Die Haltelinien sorgen dafür, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent fällt und der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigt.
Doch die Ampelkoalitionäre wollen den Nachholfaktor "rechtzeitig vor den Rentenanpassungen ab 2022 wieder aktivieren und im Rahmen der geltenden Haltelinien wirken lassen", wie es im Koalitionsvertrag heißt. Das hat Folgen für Rentner (siehe unten).
Was würde ein aktivierter Nachholfaktor für Rentner bedeuten?
Wenn der ausgesetzte Nachholfaktor tatsächlich vor den Rentenanpassungen 2022 wieder greift, wie es die Ampelparteien planen, dürfte das ein Wermutstropfen für Millionen Rentner sein. Denn sie hatten sich eigentlich auf eine satte Rentenerhöhung eingestellt – unter anderem bedingt durch den ausgesetzten Nachholfaktor. Die könnte nun geringer ausfallen als gedacht.
Bislang war es so: Durch den ausgesetzten Nachholfaktor wurden theoretische Rentenkürzungen nicht mehr nachgeholt – für Senioren hieße das: Ihre Rente im Jahr 2022 würde sich deutlich stärker erhöhen als mit dem Nachholfaktor.
Aber warum ist das so? Im Jahr 2021 hätten die Renten eigentlich gekürzt werden müssen, weil die Löhne wegen der Corona-Pandemie gesunken sind. Die Rentengarantie verhindert das. Stattdessen fiel die Rentenanpassung im Westen aus, im Osten stiegen die Renten minimal um 0,7 Prozent.
Im Jahr 2021 erholten sich die Löhne aber wieder, weil die Wirtschaft anzog. Im Vergleich zu 2020 steigen sie deutlich. Letztlich gleichen sich die Löhne aber nur dem Vorkrisenniveau an.
Rentenanstieg fällt geringer aus als erhofft
Wenn der Nachholfaktor wieder aktiviert ist, dürfte der Rentenanstieg um etwa 0,8 Prozentpunkte verringert werden, erwartet der geschäftsführende Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).
Dass die Wiederaktivierung des Nachholfaktors die Rentenerhöhung nicht um mehrere Prozentpunkte reduziert, liegt unter anderem daran, dass die Haltelinien noch greifen sollen. Sprich: Dass das Rentenniveau nicht unter das Niveau von 48 Prozent fallen soll. Lesen Sie hier mehr zum Rentenniveau.
Was ist die Kritik an der Aussetzung?
Ökonomen kritisierten schon länger, dass die Rentenkasse belastet wird, wenn man den Nachholfaktor aussetzt – weil Renten auch steigen, wenn die Löhne nicht anziehen, sondern sich nur dem Vorkrisenniveau angleichen.
Die Rentenkasse steht ohnehin vor einem großen Finanzproblem. Auf immer mehr Rentner kommen immer weniger Beitragszahler. Wie die Ampelkoalition die Rente zukunftssicher machen will, lesen Sie hier.
Der Bund, genauer das Arbeits- und Sozialministerium unter Hubertus Heil (SPD), hielt bislang jedoch an der Aussetzung des Nachholfaktors fest – immerhin hatte Heil sie umgesetzt. Wenn der Nachholfaktor wieder greifen sollte, wäre das also ein Kurswechsel.
Auch die Koalitionäre stellen auf die Generationengerechtigkeit ab. "So stellen wir sicher, dass sich Renten und Löhne im Zuge der Corona-Krise insgesamt im Gleichklang entwickeln", heißt es. Man stärke "die Generationengerechtigkeit ebenso wie die Stabilität der Beiträge in dieser Legislaturperiode".
- Eigene Recherche
- Koalitionsvertrag 2021 – 2025
- Bundesregierung: "Schutzklauseln in der Rentenformel"
- Bundeszentrale für politische Bildung
- FAS: "Corona steigert die Rente"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters