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So lebt es sich mit bedingungslosem Grundeinkommen

  • Christine Holthoff
Von Christine Holthoff

Aktualisiert am 27.12.2021Lesedauer: 7 Min.
Dominic Schiffer: "Das Grundeinkommen hat mir eine neue Welt erschlossen."Vergrößern des Bildes
Dominic Schiffer: "Das Grundeinkommen hat mir eine neue Welt erschlossen." (Quelle: Christine Holthoff)
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1.200 Euro pro Monat – geschenkt. Für Dominic Schiffer und Linda Thiessen ist das seit diesem Sommer Realität. Drei Jahre lang sind sie Teil des Pilotprojekts Grundeinkommen. Was das mit ihnen macht und warum der Geldsegen nicht nur angenehm ist.

Die entscheidende Mail kommt beim Frühstück. Der Betreff ist kurz, aber eindeutig: "Du bist dabei!" Drei kleine Wörter, drei Jahre Geld. Bedingungslos.

Als Dominic Schiffer begreift, dass er gerade 43.200 Euro gewonnen hat, muss er erst mal aufstehen. "Ich war total fertig. Emotional kann man das gar nicht verarbeiten", erinnert sich der 25-jährige Rettungssanitäter an jenen Tag Anfang März.

Aus einer Laune heraus hatte er sich ein knappes Jahr zuvor als Teilnehmer beim Pilotprojekt Grundeinkommen beworben, der ersten deutschen Langzeitstudie, die die bedingungslose Geldzahlung empirisch testet. "Von dem Projekt habe ich im Radio gehört und es dann einfach mal probiert. Das 'Nein' hatte ich ja eh schon gekauft", sagt er.

Richtig daran geglaubt, aus mehr als zwei Millionen Bewerbern ausgewählt zu werden, hat Schiffer aber wohl nicht. Denn als er die Nachricht bekommt, dass er in der nächsten Runde sei, wundert er sich. "'Was denn für eine Runde?', habe ich mich gefragt", erzählt er heute. "Ich hatte das schon fast wieder vergessen."

Weitere drei Monate später, nach der Mail am Frühstückstisch, gibt es kein Vertun mehr: Der 25-Jährige aus Waldeck in Hessen zählt zu den 122 Menschen, die von Juni 2021 bis Mai 2024 jeden Monat 1.200 Euro auf ihr Bankkonto überwiesen bekommen. Das sind rund zwei Drittel seines normalen Gehalts im Rettungsdienst.

"Zunächst war ich super euphorisch. Es hat total Spaß gemacht, den Leuten die Zusage zu zeigen. Dann habe ich allerdings angefangen zu überlegen, was ich mit dem Geld anfange, und konnte zwei Nächte nicht schlafen", sagt Schiffer. "Das war alles zu viel auf einmal."

Rund eine Autostunde von Waldeck entfernt, im Kurort Bad Hersfeld, hat sich Linda Thiessen solche Gedanken gar nicht erst gemacht. "Ich fange nicht an, Geld zu verplanen, bevor es nicht auf dem Konto ist", sagt die 28-Jährige. Sie ist gerade auf der Arbeit, im Telefondienst bei der Spardabank, als sie die Zusage erreicht. Bevor sie den nächsten Anruf entgegennimmt, checkt sie schnell ihre Mails. Sie weiß, dass heute die Antwort kommen soll. "Ich war natürlich trotzdem total baff – und die Kollegin, die hinter mir sitzt, auch."

Erst wenige Wochen zuvor hat Thiessen ihren Job bei der Bank reduziert, um nebenbei als Paketlieferantin für Amazon zu arbeiten. Da kommen 1.200 Euro extra pro Monat ganz recht.

Thiessen glaubt, das Grundeinkommen werde ihr Sicherheit geben und die Freiheit, Neues zu wagen. Was sie aber auf gar keinen Fall tun möchte: sich mit dem Geld einen lauen Lenz machen. "Auf die faule Haut legen könnte ich mich nicht", sagt sie. "Das wäre so, als ob ich eine Chance bekomme, die ich nicht annehme. Was habe ich denn vom Leben, wenn ich nur auf der Couch bin?"

Königsdisziplin der Sozialforschung

Was die Teilnehmer vermuten, was das Geld mit ihnen macht, ist das eine. Was es wirklich verändert, das andere. Wie ein bedingungsloses Grundeinkommen tatsächlich auf das Verhalten und die Einstellung von Menschen wirkt – dies herauszufinden, ist Sache der Wissenschaftler. Ein Team aus Verhaltensökonomen, Psychologen und Gemeinwohlforschern hat die Studie so konzipiert, dass die Veränderungen erstmals ausschließlich auf die Geldzahlung zurückzuführen sind.

Möglich ist das dank der Königsdisziplin der empirischen Sozialforschung, der sogenannten Randomisierung. Neben den 122 Grundeinkommensbeziehern bilden noch 1.380 weitere Teilnehmer die Kontrollgruppe. Sie gleichen den Empfängern in Alter, Bildungsniveau und Wohnregion, erhalten aber außer einer Aufwandsentschädigung kein Geld.

Wissenschaftliche Erkenntnisse statt Stereotype

Beide Gruppen müssen innerhalb der drei Jahre im Abstand von sechs Monaten Online-Fragebögen ausfüllen. Ein kleiner Teil der Bezieher, zu dem auch Thiessen und Schiffer gehören, führt zudem regelmäßige Tiefeninterviews und darf mit Medien wie t-online sprechen. Von ihnen erhoffen sich die Forscher sogenannte qualitative Daten wie subjektive Einschätzungen und Erwartungen, um das Leben mit Grundeinkommen tiefer zu verstehen.

Die Antworten aus den Fragebögen hingegen fließen in die quantitative Erhebung ein, wie es in der Wissenschaftssprache heißt. Damit können die Forscher ihre Hypothesen prüfen. Um Verzerrungen zu vermeiden, analysieren sie dabei nur die anonymen Teilnehmer, die nicht in den Medien auftauchen. Die erste dieser Wiederholungsbefragungen ist gerade abgeschlossen. Erfahren darf man darüber aber noch nichts.

"Wir gehen erst mit Ergebnissen an die Öffentlichkeit, wenn diese robust sind", sagt Jürgen Schupp, Forscher am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der die Studie maßgeblich konzipiert hat. "Gerade am Anfang dürften die Teilnehmer signifikant zufriedener und risikobereiter sein, nach einer Weile tritt aber vermutlich auch ein Gewöhnungseffekt hinzu. Den wollen wir miteinbeziehen, bevor wir erste Ergebnisse präsentieren."

Schupp kennt sich aus mit Langzeitbefragungen. Er war jahrelang Leiter des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), einer repräsentativen Wiederholungsbefragung, bei der seit 1984 jedes Jahr dieselben etwa 15.000 Haushalte in Deutschland zu ganz unterschiedlichen Themenkomplexen befragt werden.

Sein Ziel für das neue Projekt ist es nun, die Debatte über das Grundeinkommen realistischer führen zu können. "Es gibt jede Menge Klischees und Stereotype und vielleicht auch überhöhte Erwartungen an das Grundeinkommen. Wir gehen da jetzt ergebnisoffen und mit wissenschaftlicher Neugier ran und verbessern die Diskussionsgrundlage", so der DIW-Forscher.

Pilotprojekt Grundeinkommen:
Angestoßen hat das Experiment der Verein "Mein Grundeinkommen", der regelmäßige einjährige Grundeinkommen von 1.000 Euro im Monat verlost. Finanziert wird das Pilotprojekt Grundeinkommen über Spenden von fast 200.000 Privatpersonen. Insgesamt werden so mehr als fünf Millionen Euro umverteilt. Die beteiligten Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, der Universität zu Köln und der Wirtschaftsuniversität Wien betonen, dass es sich nicht um eine Auftragsarbeit handelt, sie also unabhängig forschen können. Zeigt die nun laufende Studie deutliche Effekte, sollen zwei weitere Studien folgen: Bei der ersten Variante sollen die Einkommen der Bezieher – wie jetzt – lediglich um 1.200 Euro aufgestockt werden, bei der zweiten soll das Grundeinkommen mit simulierten Steuern verrechnet werden.

Macht das Grundeinkommen die Menschen unbesorgter?

Konkrete Fragen, die sich die Wissenschaftler stellen, sind zum Beispiel, ob Bezieher von Grundeinkommen überproportional oft ihren Job kündigen oder ihre Arbeitszeit reduzieren. Und wenn ja, was fangen sie mit der arbeitsfreien Zeit an?

"Uns interessiert primär das Erwerbsverhalten, aber das Grundeinkommen könnte auch zu psychosozialen Veränderungen führen wie besserem Schlaf oder weniger Sorgen", sagt Schupp. "Die Forschungsfragen reichen bis hin zum Vertrauen in den Staat und Demokratieverhältnis."

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Doch der Soziologe weiß auch um die Grenzen seiner Arbeit. "Wir würden eigentlich gerne unter einer abgeschotteten Käseglocke arbeiten, aber in den Sozialwissenschaften kann man nun mal nicht alle Umweltbedingungen unseres dreijährigen Feldexperiments kontrollieren." Ebenso wenig sei es möglich, eine Grundeinkommenswelt zu simulieren, also eine Welt, in der das Grundeinkommen bereits für jeden eingeführt ist. Über mögliche volkswirtschaftliche Folgen für Preise, Löhne oder das Steuersystem kann das Pilotprojekt daher nichts aussagen. Für das Leben von Einzelnen aber schon.

"Das Grundeinkommen befreit einen"

Für Dominic Schiffer hat das Grundeinkommen zunächst einmal vieles leichter gemacht. "Dank des Geldes konnte ich schneller mit meiner Freundin zusammenziehen", sagt er. "Allein das Sofa und der Schrank haben 2.500 Euro gekostet – das hätten wir uns niemals einfach so leisten können." Die erste gemeinsame Wohnung liegt in einem Haus am Hang in der Nähe des Edersees. Eine Gegend, in die andere kommen, um Urlaub zu machen.

"Das Grundeinkommen befreit einen. Man gewinnt dadurch Lebensqualität", sagt Schiffer und blickt vom Balkon auf die Felder und den angrenzenden Wald. "Man wird lockerer, das ist wirklich so. Plötzlich bin ich nicht mehr der, der bittet, sondern traue mich, im Job auch mal Kritik zu äußern."

Es ist der Montag nach der Bundestagswahl. Fünfmal hat Schiffer nun schon die monatlichen 1.200 Euro überwiesen bekommen. Und die sind auch nötig – nicht nur wegen des Umzugs. "Mein altes Auto ist ein wirtschaftlicher Totalschaden. Ohne Auto komme ich aber nicht zur Arbeit." Also muss das Grundeinkommen herhalten.

3.000 Euro kann er dadurch selbst für den neuen Wagen aufbringen, die Familie seiner Freundin steuert weitere 5.000 Euro bei. Dank des zusätzlichen Geldes will er den Privatkredit in zehn Monaten abzahlen. Ein Tempo, das vorher undenkbar gewesen wäre. "Früher habe ich oft nachts wach gelegen, weil das Geld nicht stimmte", sagt Schiffer. "Jetzt kann ich mich auf einmal mit Dingen beschäftigen, vor denen ich immer Angst hatte."

Altersvorsorge ist so ein Ding. Nicht nur, dass der 25-Jährige jetzt angefangen hat, ETFs zu besparen, und er endlich genug in seinen Riester-Vertrag einzahlen kann, um die staatlichen Zulagen zu bekommen; er ist auch selbst in die Beratung eingestiegen.

Neben seinem Job als Rettungssanitäter arbeitet Schiffer ein paar Stunden im Monat bei einem Finanzdienstleister und vermittelt Versicherungen. "Ich versuche, dort im kommenden Jahr weiter aufzusteigen, damit ich in zwei Jahren meinen Hauptjob reduzieren kann."

Bye-bye, Callcenter

Während Schiffer noch langfristige Pläne schmiedet, ist Linda Thiessen schon mittendrin, ihr Leben auf den Kopf zu stellen. An einem Tag im Oktober fasst sie sich ein Herz und ruft im Netz die Gelben Seiten auf. In das Suchfeld tippt sie nur ein Wort: "Schreinerei".

Das Verzeichnis spuckt ihr ein gutes Dutzend Betriebe im Umkreis aus. Sie telefoniert sie fast alle ab. Ob sie ein Praktikum machen könne, mal eine Bewerbung schicken dürfe?, will sie fragen. Ihr Ziel: einen Job zu finden, an dem ihr wirklich etwas liegt.

Oft antwortet nur die Mailbox, manche verneinen forsch, andere lehnen ab, weil sie für immer schließen. "Ich war schon total demotiviert", erinnert sich Thiessen.

Um zumindest noch einen annehmbaren Abschluss zu finden, startet sie einen letzten Versuch. Und siehe da: Es klappt. Eine Ein-Mann-Werkstatt in Haunetal, 20 Autominuten von Bad Hersfeld entfernt, gibt ihr eine Chance. Ab Mitte Januar wird Thiessen das Kundentelefon gegen die Stichsäge tauschen, befristet für sechs Monate. Den Job bei der Bank kündigt sie Ende November.

"Ohne das Grundeinkommen hätte ich das Praktikum nicht machen können. Ich kriege dafür kein Geld", erklärt Thiessen. "Ich wünsche mir das von Herzen, habe mich aber vorher nicht getraut." Dass sie das nicht nur so dahinsagt, zeigt ein Blick in ihre Dachgeschosswohnung. Mithilfe von Youtube-Tutorials hat sich 28-Jährige beigebracht, ein Regal zu bauen. Läuft das Praktikum gut, kann sie sich vorstellen, eine Ausbildung zu beginnen.

Thiessen will die letzten Tage des Jahres wieder nutzen, um sich Ziele für die kommenden zwölf Monate zu setzen – persönliche und berufliche. Vor einem Jahr, noch vor dem Grundeinkommen, hat sie mehrere Stichworte notiert: "Festlegen. Entscheidungen treffen. Mut." Und: "Eine Berufung finden und mich darin verwirklichen."

Es scheint, als sei sie auf einem guten Weg.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräche und Treffen mit Dominic Schiffer
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