Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kurs mehr als verdoppelt Und der Stahl rollt

Vom Sorgenkind der deutschen Industrie zum Überflieger an der Börse: Trotz Wirtschaftsflaute, Autokrise und politischer Unsicherheit gewann die Aktie von Thyssenkrupp. Ist die Rally nun zu Ende?
Gut 100 Prozent Plus seit Jahresbeginn – von vielen unbemerkt, gehört die Aktie des Industriekonzerns Thyssenkrupp zu den am besten laufenden in diesem Jahr. Zum Vergleich: Seit Anfang des Jahres haben die einst viel gepriesenen Tech-Aktien wie Nvidia oder Tesla 40 beziehungsweise 30 Prozent an Wert verloren. Was spült den Stahlkonzern aber so weit nach oben auf den Kurslisten?
Ehrlicherweise ist die Aktie nun da, wo sie vor drei Jahren war – und dann eine Durststrecke durchmachte. Im Herbst 2024 kostete ein Anteilsschein noch 2,77 Euro. Wohl dem, der damals den Mut hatte, einzusteigen. Aber was sprach oder spricht für Thyssenkrupp? Gerade jetzt?
Zunächst war es eine klassische Hoffnung auf Erholung nach dem Motto: Der Boden ist erreicht, es kann nur aufwärtsgehen.
Milliardenverluste beim Stahlgeschäft
Denn über Jahre hatte Thyssenkrupp gelitten: an chinesischem Billigstahl in Europa und einer geringeren Nachfrage nach Stahl infolge der Pandemie bei gleichzeitig hochschnellenden Energiekosten. Die Stahlsparte machte einen Milliardenverlust.
Doch zu Jahresbeginn machte sich etwas Optimismus breit, aus drei Gründen: Europa muss in Rüstung investieren, seit die USA in Verteidigungsfragen nicht mehr verlässlich erscheinen. Außerdem plant die neue Regierung Milliarden an Investitionen für die marode Infrastruktur in Deutschland. Und wenn dann noch der Wiederaufbau der Ukraine anstehen sollte, verbessern sich die Perspektiven weiter. Für all das wird Stahl gebraucht …
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Aber nun bedrohen Zölle der USA die Konjunktur weltweit. Für viele Unternehmen sind sie zum unplanbaren Risiko geworden. Industrieunternehmen gehörten zu den ersten Betroffenen: Bereits Mitte März verhängten die USA Importzölle auf europäischen Stahl und Aluminium, inzwischen sind auch Autoimporte mit Zöllen belegt.
China hat bereits mit hohen Gegenzöllen auf die Zölle der USA geantwortet. Die Antwort eines weiteren wichtigen Handelspartners, der EU, steht noch aus. Ein Handelskrieg droht. Inwieweit das Industrieunternehmen wie Thyssenkrupp belasten wird? Unklar. Die klassischen Kunden wie Autohersteller müssen selbst erst einmal schauen, ob es bei dem Zollhammer bleibt und wo sie demnächst was und wie viel produzieren.

Zur Person
Antje Erhard arbeitet seit rund 20 Jahren als Journalistin und TV-Moderatorin. Ihr Weg führte sie von der Nachrichtenagentur dpa-AFX u. a. zum ZDF. Derzeit arbeitet sie für die ARD-Finanzredaktion in Frankfurt und berichtet täglich, was in der Welt der Börse und Wirtschaft passiert.
Stahlzölle tangieren Thyssenkrupp wenig
Immerhin – die bereits geltenden Zölle auf Stahl und Aluminium haben bislang kaum negative Auswirkungen auf Thyssenkrupp. Denn das Unternehmen hat seine Hauptabnehmer für Stahl mehrheitlich in Europa. Es exportiert nur wenig in die USA. Nach eigenen Angaben stammt der Umsatz in den USA aus dem Handelsgeschäft und der Automobil-Zuliefersparte. Und das passiert direkt vor Ort, in lokaler Fertigung.
Die Sorge ist eher eine andere: Was, wenn Millionen Tonnen an Stahl anderer Hersteller, die nicht mehr in die USA exportiert werden können, nun den europäischen Markt überschwemmen und somit die Preise verwässern? Die EU hatte dagegen bereits in der ersten Amtszeit von Donald Trump Quoten etabliert. Das heißt: Innerhalb der Quoten sind Stahlimporte zollfrei. Was über diese Quoten hinausgeht, wird mit 25 Prozent Zöllen belegt.
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Die EU wappnet sich
Jetzt legt die EU nach: Sie verschärfte zum 1. April die Regeln für Stahlimporte in die EU. Länder, die ihr Kontingent nicht ausgeschöpft haben, können dies ab 1. Juli etwa nicht mehr auf das nächste Quartal übertragen.
So will man die Einfuhren um 15 Prozent verringern. Zudem will die EU die europäische Stahlbranche besser gegen Billigstahl aus China schützen und zum Beispiel verhindern, dass China die EU-Zölle umgeht, indem sie den Stahl in Drittländern weiterverarbeiten lässt. Aber das dauert. Erst im Herbst soll ein Gesetzesvorschlag dafür auf den Tisch kommen.
Es bleibt abzuwarten, wie sich der Stahlpreis auf dem Weltmarkt entwickelt. Aber die Perspektiven für den europäischen Stahlsektor scheinen sich auf mittlere Sicht zu verbessern. Auch wenn man das angesichts des Zollhammers aktuell kaum glauben mag. Kurzfristig ergeben sich also viele neue Fragen. Nicht nur für Thyssenkrupp. Mittelfristig sind immerhin Perspektiven für die Branche absehbar.
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