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Rente: Top-Ökonomin Veronika Grimm erklärt wie Sie Ihre Zukunft sichern


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Top-Ökonomin
"All das fällt uns jetzt auf die Füße"

InterviewVon Mauritius Kloft

Aktualisiert am 26.09.2024Lesedauer: 5 Min.
Olaf Scholz und Wirtschaftsweise Veronika Grimm (Archivbild): Der Kanzler hatte zu Beginn seiner Amtszeit viel versprochen.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz und Wirtschaftsweise Veronika Grimm (Archivbild): Der Kanzler hatte zu Beginn seiner Amtszeit viel versprochen. (Quelle: JOHN MACDOUGALL/Getty)
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Die deutsche Wirtschaft rutscht zunehmend in die Rezession. Wie kann das Land den Weg aus der Krise schaffen? Top-Ökonomin Veronika Grimm erklärt es.

Die deutsche Wirtschaft hat ihre Talfahrt im September beschleunigt und steuert auf eine Rezession zu. Das Ifo-Geschäftsklima als wichtigstes Barometer für die Konjunktur in Deutschland sank auf 85,4 Zähler von 86,6 Punkten im Vormonat und damit das vierte Mal in Folge, wie das Münchner Ifo-Institut zu seiner Umfrage unter rund 9.000 Führungskräften mitteilte.

Auch die führenden Wirtschaftsinstitute senken ihre Prognose. t-online hat daher mit der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm gesprochen – und gefragt, wie Deutschland jetzt aus der Krise kommen soll.

t-online: Frau Grimm, welche Diagnose stellen Sie der deutschen Wirtschaft?

Veronika Grimm: Eine schlechte. Die Aussichten sind nicht rosig.

Erklären Sie das.

Wir warten seit Langem darauf, dass der Konsum zurückkommt und die Konjunktur anschiebt, aber es passiert nicht. Und das, obwohl die Realeinkommen deutlich gestiegen sind. Das heißt, die Menschen haben wieder mehr Geld in der Tasche, weil die Inflation etwa in den Lohnverhandlungen kompensiert wurde.

Warum geht es trotzdem nicht voran?

Wir haben strukturelle Probleme und stecken quasi fest. Hohe Energiekosten und zugleich fehlende Richtungsentscheidungen in der Energiepolitik führen zu Unsicherheit und Zurückhaltung bei den Investitionen. Hinzu kommt eine geringe Auslastung der Industrie, die auf fehlende Wettbewerbsfähigkeit hindeutet. Wir beobachten auch einen Rückgang bei der Arbeitsproduktivität, wohl auch weil die Arbeitskräfte nach der Corona-Krise nicht zu den produktiveren Firmen gegangen sind, sondern oft trotz geringer Auslastung in den Firmen gehalten wurden. Viele Mittelständler wandern bereits ins Ausland ab. Und immer mehr große Unternehmen bekommen Probleme.

Die Wirtschaftsprofessorin Veronika Grimm warnt vor der ausländerfeindlichen Stimmung durch die AfD.
Veronika Grimm. (Quelle: IMAGO)

Zur Person

Veronika Grimm, geboren 1971, gehört zu den führenden deutschen Ökonominnen. Die Volkswirtin und Professorin ist seit 2020 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, landläufig bekannt als die Wirtschaftsweisen. Dieser Rat erstellt jährlich ein Gutachten zur deutschen Wirtschaft.

Sie meinen VW?

Das ist ein Beispiel. Man kann nur hoffen, dass nicht wieder Kaufprämien kommen. Denn das ist teuer und ändert nichts an den strukturellen Herausforderungen. Profitieren würden dann vor allem ausländische E-Auto-Hersteller und wohlhabende Käufer. Außerdem stellen sich Unternehmen nicht nachhaltig auf, wenn sie bei jedem Problem auf staatliche Hilfe hoffen können. Das schafft dann eher Probleme.

Sie sehen die Schuld folglich nicht allein bei der Ampel?

Über lange Zeit ist viel verpasst worden – leider auch in den wirtschaftlich guten Jahren der Merkel-Regierungen. Hier wurde zu viel verteilt und zu wenig in die Zukunft investiert. Die aktuelle Bundesregierung reagiert nun nicht strukturiert auf die Probleme, sondern oft als Feuerwehr. Das schafft Orientierungslosigkeit. All das fällt uns jetzt auf die Füße.

Weil die finanziellen Spielräume nicht mehr da sind?

Genau. Für die akuten Krisen gab es in den Jahren 2020 bis 2022 zurecht die Möglichkeit der Verschuldung in der Notlage. Aber jetzt müssen wir uns den neuen Rahmenbedingungen stellen. Wir brauchen mehr Geld für Verteidigung und andere zukunftsorientierte Ausgaben und müssen die Ausgaben für soziale Sicherung in Einklang mit diesen Notwendigkeiten und den wachstumsbedingt geringeren Spielräumen bringen.

Sollten wir nicht die Schuldenbremse zukunftsfähig reformieren?

Man könnte einige Spielräume heben, aber das würde die Probleme nicht lösen. Und dafür, was gerade geplant ist, sollte man die Spielräume offen gesagt nicht einsetzen. Die Schuldenbremse verhindert aktuell, dass weitere Milliarden in kurzfristige Subventionen und eine Erhöhung der Sozialausgaben fließen. Beispiel: das Rentenpaket II...

… bei dem der Bund unter anderem das Rentenniveau dauerhaft auf 48 Prozent festsetzen will und das Generationenkapital einführt.

Dadurch wird die Tragfähigkeit des Rentensystems nicht erhöht, sondern nur die Ausgaben dafür. So bringen wir unsere junge Generation nochmals massiv in die Bredouille. Auch mit Blick auf die Energiepolitik sehen wir hohe kurzfristige Fördermaßnahmen. Die Mittel werden aber oft nicht zielgerichtet ausgegeben. Daher hat es auch sein Gutes, dass es eine Schuldenbremse gibt. Dadurch sind wir gezwungen, über Sinn und Zweck verschiedener Ausgaben zu diskutieren.

Was sehen Sie als Alternative?

Wir müssen den Haushalt strukturell umbauen. Mehr Raum für zukunftsorientierte Ausgaben und eine Anpassung der sozialen Sicherungssysteme – sodass der Staat seine Aufgaben langfristig erfüllen kann.

Sie reden etwa von der Rente. Was müsste da konkret passieren?

Die Wissenschaft mahnt schon lange Rentenreformen an. Das Rentenalter sollte an die erwartete Lebenserwartung gekoppelt werden. Die jährliche Anpassung der Bestandsrenten könnte man an die Inflation koppeln, anstatt an die Löhne. Die Einführung einer attraktiven kapitalgedeckten Rentenversicherung könnte mittelfristig das Umlagesystem ergänzen. Und Wahlgeschenke, wie etwa die Mütterrente oder die Rente mit 63, müsste man hinterfragen. Wir brauchen Spielräume im Haushalt, für Zukunftsausgaben und für die Verteidigung. Und in den Ländern höhere Ausgaben in der Bildung – gerade im frühkindlichen Bereich und in der Grundschule muss mehr geschehen. Wenn nicht alle die gleichen Chancen haben, erodiert die soziale Marktwirtschaft.

Trauen Sie das der Ampel noch zu?

Nein. Die Ampel steckt fest. Nach dem Rücktritt der Grünen-Spitze wird es nicht leichter werden. Die FDP ringt mit den Ergebnissen der Wahlen im Osten. Und der Kanzler fällt nicht dadurch auf, dass er vorprescht. Man muss auf ein Wunder hoffen.

Was erwarten Sie von einer neuen Bundesregierung?

Einer neuen Regierung muss es gelingen, die Menschen in der Breite mitzunehmen – wir brauchen im Land Zusammenhalt und den Willen, die Herausforderungen zu meistern. Lange hat die Bedrohung im Kalten Krieg, dann die Wiedervereinigung uns in Deutschland hinter einem Ziel vereint. Es gab Differenzen, um die in der Sache hart gestritten wurde, aber mit Lösungswillen. Rebellen von damals haben sich in die Mitte des politischen Spektrums vorgearbeitet. So ist es nicht mehr. Bei wichtigen Themen sind wir polarisiert – etwa beim Ukraine-Krieg oder der Migration.

Wie kann ein solches Narrativ aussehen?

Es braucht in Deutschland eine gemeinsame Fortschrittserzählung. Die AfD und das BSW bieten sehr einfache Lösungen auf, die am Ende nicht tragen würden. Aber das engt den Spielraum der demokratischen Parteien in der Mitte scheinbar ein. Irgendjemand muss den Mut finden, den Menschen reinen Wein einzuschenken: Wir müssen durch ein Tal, um wieder auf den Berg zu kommen – und das Tal wird umso tiefer, je länger wir warten und uns etwas vormachen. Das politische Risiko, die Menschen mitzunehmen, ist vielleicht gar nicht so hoch im Vergleich zum "Weiter-so" – denn ein Erstarken der Ränder ist auch kein rosiges Szenario und ein Tal, aus dem man vielleicht nicht so schnell wieder rausfindet. Die Hoffnung bleibt, dass sich jemand traut.

Frau Grimm, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Interview mit Veronika Grimm
  • Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters
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