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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wirtschaft in Sorge "Das ist wirklich ein Problem"
Zwar ist die SPD in Brandenburg knapp vor der AfD stärkste Kraft geblieben. Doch die Wirtschaftsvertreter treibt vor allem eine Sorge um.
Bei der Landtagswahl in Brandenburg ist die AfD knapp hinter der SPD auf Platz zwei gelandet. Angesichts der hohen Zustimmungswerte von 29,2 Prozent für eine rechtsextreme Partei bleiben viele der zuvor geäußerten Sorgen aus der Wirtschaft dennoch bestehen: Wirtschaftsvertreter, Verbände und Wissenschaftler fürchten um die Zugkraft des Standorts Ostdeutschland.
Reint E. Gropp, der Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), sagt t-online: "Leider sieht man, dass Ostdeutschland auch durch die AfD-Wahlerfolge immer mehr an Attraktivität verliert." Ausländische Fachkräfte würden sich schon heute oft lieber für einen Job in Westdeutschland entscheiden. "Das ist wirklich ein Problem für den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland und das ist auch das Verdienst der AfD – aber wohl auch klar das Ziel dieser Partei", so Gropp.
Schrumpfende Wirtschaft würde jeden treffen
Dabei ist der Bedarf an ausländischen Fachkräften groß. Das Bundeswirtschaftsministerium spricht von 400.000 Personen, die jährlich nach Deutschland einwandern müssten, um diesen zu decken.
Gerade Ostdeutschland hat dabei eine besonders große Nachfrage, da viele junge Menschen von dort wegziehen und Stellen unbesetzt bleiben. "Wird dies unterbunden, dann wird die deutsche Wirtschaft zwangsläufig schrumpfen", so Gropp. Eine schrumpfende Wirtschaft wiederum könnte durch höhere Steuern und Abgaben zu einer Belastung für jeden Einzelnen werden. Es brauche daher nicht weniger, sondern strategische Zuwanderung, sagt Wirtschaftsforscher Gropp.
Dennoch kann der Ökonom den Wahlergebnissen auch etwas Positives abgewinnen. "Die Wirtschaft sieht ganz genau, dass die AfD sich bislang nicht durchsetzen konnte und dass die westdeutschen Bundesländer derzeit viel weniger anfällig für den Rechtspopulismus sind." Das bringe Ruhe und mehr Zuversicht in die Unternehmen. Das wiederum zeige sich in der guten Dax-Entwicklung.
Gewerkschaft: Rechtspopulisten bedrohen Industrie
Die Gewerkschaft IG Metall hingegen warnt deutlich vor den politischen Entwicklungen in Brandenburg. "Der Rechtsruck in Brandenburg besorgt mich zutiefst", sagt Dirk Schulze, Bezirksleiter für Berlin, Brandenburg und Sachsen. "Die starke Stellung der Rechtspopulisten im Potsdamer Landtag gefährdet die Demokratie und bedroht die Zukunft der Brandenburger Industrie."
Wie genau diese Gefährdung aussieht, führt er nicht weiter aus, aber Schulze appelliert an die demokratischen Parteien: "Sie müssen die Menschen mit konstruktiven Zukunftskonzepten für einen sozialen Umbau der Wirtschaft gewinnen." Für die IG Metall gehört dazu eine aktive Industriepolitik und eine Stärkung der Tarifbindung.
Gerade industriepolitisch ist die Lage in Ostdeutschland angespannt. Der Chipkonzern Intel etwa wollte mit hoher staatlicher Unterstützung ein Werk in Magdeburg bauen. Inklusive Zulieferer sollten so rund 10.000 Arbeitsplätze in der Region entstehen. Doch das Projekt liegt vorerst auf Eis; die Verwendung der Gelder wird in der Ampel diskutiert. Mehr dazu lesen Sie hier.
Die IG Metall nimmt in ihrer Wahlanalyse auch die Arbeitgeberseite in die Pflicht. "Statt gemeinsam mit den Beschäftigten konstruktiv Zukunftskonzepte zu erarbeiten, setzen zu viele von ihnen auf immer dieselben, alten Scheinlösungen: Stellenabbau, Standortschließungen, Verlagerungen ins Ausland. Das spielt den Rechtspopulisten in die Hände", so Schulze.
Verband fürchtet um wirtschaftliche Errungenschaften
Die Sektion Ost des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA Ost) fürchtet ebenfalls um die wirtschaftlichen Errungenschaften der vergangenen Jahre, die Unternehmer und Vorstandsmitglieder Mathis Kuchejda und Alexander Jakschik sagten dazu bereits im Vorfeld der Wahl: "Der industrielle Mittelstand hat einen großen Anteil an dieser erfolgreichen Transformation in Brandenburg, weil er auch im ländlichen Raum zu Hause und gerade dort ein wesentlicher Standortfaktor ist." Die beiden fordern daher: "Deshalb brauchen wir auch künftig eine Landespolitik, die Investitionen und Fachkräfte anzieht und kein Klima der Angst erzeugt."
Eine solche Wirtschaftspolitik sei nur aus der demokratischen Mitte heraus machbar. "Extremistische Parteien dagegen gefährden mit ihren Rezepten, die auf Abschottung und Nationalismus setzen, den weiteren Aufschwung Brandenburgs", so Kuchejda und Jakschik.
Bisherige Koalition nicht mehr möglich
Wie es in Brandenburg weitergeht, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Die Regierungsbildung wird allerdings nicht einfach. Neben der AfD hat vor allem eine Partei zugelegt: Das Bündnis Sahra Wagenknecht erreichte aus dem Stand 13,5 Prozent. Eine Weiterführung der aktuellen rot-schwarz-grünen Koalition ist nicht mehr möglich, da die Grünen dieses Mal an der Fünfprozenthürde gescheitert sind. Auch eine Große Koalition aus SPD und CDU hat keine Mehrheit.
"Wenn jetzt das BSW statt der Grünen in die Landesregierung eintreten sollte, dann kann man nicht dramatisch viele Änderungen erwarten", sagt Ökonom Gropp allerdings mit Blick auf die Wirtschaftspolitik. Die BSW wäre in einer möglichen Koalition mit der SPD der Juniorpartner und habe bislang weder ein ausgewiesenes Wirtschaftsprogramm für Deutschland noch für Brandenburg im Speziellen.
Auch mit direkten Auswirkungen der Brandenburg-Wahl auf die Ampelkoalition im Bund rechnet Gropp nicht, das Bundesland sei "nur ein sehr kleiner Baustein". Er fordert allerdings von der Ampel "eine strategischere, kohärentere und konsistentere Wirtschaftspolitik", denn dies könne weit mehr Einfluss haben als die Ergebnisse der AfD in Brandenburg.
- Eigene Recherche
- Anfrage an Reint E. Gropp (IWH)
- Pressemitteilung der IG Metall Brandenburg-Berlin-Sachsen
- Pressemitteilung VDMA Ost
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa