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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umstrittener Deal Putin schickt russisches Uran nach Deutschland
Im niedersächsischen Lingen sollen Brennelemente für russische AKW gebaut werden. Die Sorge vor Putins Einfluss ist groß, es regt sich Widerstand.
Während in Deutschland 2023 die letzten Atomkraftwerke vom Netz gingen, gibt es weltweit weiter eine große Nachfrage nach Brennelementen. So groß, dass ein Werk für Brennstäbe in Lingen sogar größer werden soll.
In der beschaulichen Stadt in Niedersachsen sitzt die Advanced Nuclear Fuels GmbH, kurz ANF, mit 400 Mitarbeitern, ein Tochterunternehmen des französischen Konzerns Framatome. Der Plan des Mutterkonzerns: Künftig soll ANF neben quadratischen auch sechseckige Brennelemente bauen. Diese werden vor allem in russischen Atomkraftwerken, sogenannten VVER-Reaktoren, benötigt. Die Verbindung nach Russland allein ist heikel, aber hinzukommt, dass Framatome mit der russischen Atombehörde Rosatom zusammenarbeitet und ein gemeinsames Joint Venture gestartet hat, also eine Unternehmenskooperation. Rosatom ist unter anderem seit der Eroberung russischer Truppen für den Betrieb des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja zuständig.
Kritiker fürchten daher, dass Russland – und damit Wladimir Putin – Einfluss in Deutschland bekommen könnte. Doch noch ist der Antrag vom zuständigen Ministerium nicht final gebilligt, und ein Gutachten zeigt neue rechtliche Möglichkeiten auf.
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Kritik aus Politik und von Umweltschützern
Vehemente Kritik an dem Vorhaben kommt auch von Umweltschützern. "Rosatom ist ein russischer Staatskonzern, der direkt dem Kreml unterstellt und aktiv am Krieg gegen die Ukraine beteiligt ist", sagt Armin Simon von der Organisation .ausgestrahlt. "Der Atomriese bündelt den gesamten militärischen und zivilen Atomsektor Russlands, vom Uranbergbau bis zu den Atomwaffen. Mit dem Bau von AKW in zahlreichen Ländern schafft er jahrzehntelange Abhängigkeiten und setzt so geopolitische Ziele des Kremls um."
Auch die Bundesregierung äußert sich mittlerweile skeptisch. "Dass Framatome die Zusammenarbeit mit dem russischen Staatskonzern Rosatom intensiviert, ist aus Sicht des Bundesumweltministeriums daher der völlig falsche Weg", sagte ein Sprecher dem NDR.
Im Auftrag des Bundes ist das niedersächsische Umweltministerium für die Prüfung des Projekts zuständig. Aktuell liegt der Genehmigungsantrag zur Erweiterung des Werks im niedersächsischen Umweltministerium und online aus. Bis zum 3. März können Einsprüche gegen das Vorhaben eingereicht werden.
Das Interessante dabei: An der Spitze des Ministeriums ist mit dem niedersächsischen Umweltminister Christian Meyer (Grüne) ein deutlicher Kritiker. "Geschäfte mit Putin sollten beendet werden, das gilt auch und gerade für den Atombereich", sagte er der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Ist damit die Ablehnung also sicher?
So einfach ist es wohl nicht. Es gehe nicht um persönliche Meinungen, sagte der Ministeriumssprecher dem NDR. Der Antrag werde wie alle anderen auch auf vorgeschriebenem Wege geprüft.
Enge Verbindungen bestehen bereits
Die Unternehmen Framatome und Rosatom arbeiten schon seit Jahren zusammen, auch im Bereich der VVER-Reaktoren. Laut der Unternehmenswebsite wurde eine entsprechende Vereinbarung über eine Zusammenarbeit im Bereich Produktion von nuklearem Brennstoff und automatischen Steuerungssystemen bereits im Jahr 2021 unterschrieben.
Aktivisten gehen davon aus, dass schon seit einiger Zeit russisches Uran zur Verarbeitung nach Lingen geliefert wird. In der zweiten Februarwoche konnte ein Atomkraftgegner-Bündnis – eigenen Angaben zufolge – erstmals den Transport von russischem Uran von der Ankunft eines Frachters über die Weiterfahrt mit drei Lastwagen bis nach Lingen verfolgen. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung bestätigte den Transport.
Rechtlich ist das kein Problem: Die Erlaubnis zur Beförderung des Materials in Deutschland wird vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) erteilt. Doch ohne entsprechende Sanktionen besteht für das BASE keine rechtliche Handhabe, bereits erteilte Genehmigungen aufzuheben.
Mehrere EU-Länder auf Brennstäbe angewiesen
Derzeit besteht für Kernbrennstoffe – ebenso wie für Gas – auf EU-Ebene kein Einfuhrverbot aus Russland. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich zwar für ein Uran-Importverbot ausgesprochen, doch das sehen einige europäische Staaten kritisch.
Deutschland ist bislang als einziges Land aus der Kernenergie ausgestiegen. Andere europäische Länder wie die Slowakei, Bulgarien oder Ungarn sind für den Betrieb ihrer Meiler auf Brennelemente nach russischer Bauart angewiesen. Diese beziehen sie zum Großteil von Rosatom.
Sollte sich Deutschland gegen das Projekt aussprechen, könnte das zu innereuropäischen Spannungen führen. Nicht zuletzt auch zwischen Deutschland und Frankreich, zwei Länder, die in Fragen der Atomkraft kaum weiter auseinander liegen könnten, für die Netzstabilität aber füreinander unverzichtbar sind.
Gutachten könnte entscheidende Argumente liefern
Ob also demnächst Brennelemente für russische AKW in Deutschland gefertigt werden, ist noch unklar. Wenn Anfang März die Frist für Einsprüche endet, werden diese durch das niedersächsische Umweltministerium geprüft. Lange Zeit galt es auch vor allem aus rechtlichen Gründen als schwierig, dem Ausbau eine Absage zu erteilen. Denn die Genehmigungsvoraussetzungen nennen vor allem technische Anforderungen, und es herrschte Unsicherheit darüber, inwiefern andere Gründe für eine Absage rechtlich Bestand haben könnten.
Doch in der vergangenen Woche stellte der Atomrechtsexperte Gerhard Roller sein Gutachten für das Bundesumweltministerium vor. Darin wird angeführt, es sei nicht ausgeschlossen, dass die Zusammenarbeit von ANF mit Rosatom die innere oder äußere Sicherheit Deutschlands gefährden könne. Roller kommt zu dem Schluss: "Auch dann, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen, [kann] die Behörde die Genehmigung [...] versagen". Dieser Spielraum liege nur bei unvorhergesehenen Umständen vor, was aber durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine gegeben sei.
Entscheidend sei hierbei laut Roller der Zugang von Mitarbeitern der Rosatom-Tochter zum Werk in Lingen. Er verweist auf die begrenzten Informationsmöglichkeiten deutscher Sicherheitsbehörden in Bezug auf russische Staatsbürger und auf faktische Durchgriffsmöglichkeiten Russlands auf das Unternehmen. Der Zugang für bestimmtes Personal wäre durch eine Auflage zu untersagen. "Wäre dies kein ausreichendes Mittel, um entsprechende Risiken auszuschließen, käme auch eine Genehmigungsversagung in Betracht", heißt es in Rollers Gutachten.
ANF-Manager hatten zuvor bei einer Befragung vor dem Umweltausschuss Lingens eingeräumt, dass Fachkräfte aus Russland bei der Produktion der Brennelemente eingesetzt werden sollen. Auf Nachfrage des "Spiegel" hieß es lediglich, dass ein "regelmäßiger" Zugang "weder vorgesehen noch erforderlich" sei; wie genau der Einsatz der russischen Mitarbeiter erfolgen soll, ließ das Unternehmen offen.
Für Umweltminister Meyer könnte das Gutachten die entscheidende Argumentation liefern. "Das Gutachten bestätigt uns in der Auffassung, dass Fragen der inneren und äußeren Sicherheit Gegenstand des Genehmigungsverfahrens sind – und nicht nur Fragen des Brandschutzes und der Gebäudesicherheit", sagte er.
- Eigene Recherche
- spiegel.de: "Macht sich Putins Atomkonzern im Emsland breit?"
- ndr.de: "Brennelementefabrik: Arbeitet Russland bald in Lingen mit?"
- ndr.de: "Für Osteuropa-Kraftwerke: Ausbau der Brennelementefabrik Lingen?"
- taz.de: "Rosatom fasst im Emsland Fuß"
- Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz: Brennelementfertigungsanlage Lingen
- Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz: Sachstandsinformation Brennelementfertigungsanlage (BFL), Lingen/Ems
- framatome.com: Fertigung Brennelemente Lingen ANF
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa