Supercomputer-Supermächte Was hinter dem digitalen Wettrüsten steckt
Die Leistung der Großrechner weltweit steigt rasant. Hinter den Mega-Computern stecken häufig militärische Zwecke. Oftmals geht es auch um digitale Muskelspiele.
Die 50. Ausgabe der „Top 500“ hatte große Neuigkeiten zu verkünden: Erstmals habe China im Ranking der schnellsten Supercomputer der Welt den Spitzenreiter USA vom Thron gestoßen, berichteten Medien. Sowohl in Leistung als auch in der Anzahl der Supercomputer habe China jetzt die Nase vorn. Aber was bedeutete das?
Auf jeden Fall ist es vorschnell, die Chinesen gleich zur neuen Supermacht in Computer-Technologien zu erklären. Das sagt zumindest der Direktor des High-Performance Computing Centers in Stuttgart (HLRS) Michael Resch. Denn die Supercomputer-Statistik sei nicht nur unvollständig, sondern basiere auch auf veralteten Tests.
Die Liste der „Top 500“ wird bereits seit 1993 im Halbjahresabstand aktualisiert. Als Bewertungsgrundlage dient der „Linpack-Benchmark“. Das ist eine Art Stresstest für den Computer. Das Programm misst, wie viele Rechenoperationen pro Sekunde (Flops) ausgeführt werden können.
Ursprünglich wurde der Standardtest eingeführt, um Forschungsteams einen aktuellen Überblick zu geben, wo die leistungsfähigsten Rechner der Welt stehen. Denn der Maßstab dafür, ab wann ein Rechner als Supercomputer bezeichnet werden kann, hat sich über die Jahrzehnte immer weiter verschoben.
Die Geschichte des Computers ist geprägt von einem exponentiellen Anstieg der Rechenleistung. Handelsübliche Heim-PCs rechnen heute mit einer Geschwindigkeit im Gigaflop-Bereich (mehrere Milliarden Rechenschritte pro Sekunde). Damit entsprechen sie dem Niveau der Supercomputer der frühen 90er Jahre. Moderne Supercomputer erreichen unterdessen Spitzenwerte im 17-stelligen Bereich, also mehrere Billiarden Flop pro Sekunde.
Supercomputer als Prestigeobjekte
Solche Werte machen natürlich Schlagzeilen. Das wissen auch die Architekten der Supercomputer. „Es geht in diesem Ranking ausschließlich um Prestige“, kritisiert Resch. Vor allem die beiden Atommächte USA und China beteiligen sich an dem digitalen Wettrüsten mit Supercomputern.
Und auf den ersten Blick scheint jetzt China als klarer Sieger daraus hervorzugehen. In der November-Ausgabe des Rankings schafften es insgesamt 202 Anlagen aus China in die Top 500. Aus den USA wurden dagegen nur 143 superschnelle Computer registriert. Den dritten Platz belegt Japan mit 35 Rechenanlagen, gefolgt von Deutschland (20), Frankreich (18) und Großbritannien (15).
Schaut man die Liste genauer an, fällt auf, dass weit mehr als die Hälfte der 202 in China gelisteten Superrechner von anonymen „Internet Unternehmen“ für die Statistik angemeldet wurden. Resch vermutet, dass diese Rechenzentren überwiegend für Server-Dienste genutzt werden. Mit eigentlichem Supercomputing hat das nur wenig zu tun. Auch ob die Rechner nun einem chinesischen Staatsbetrieb oder einem ausländischen Unternehmen gehören, bleibt unklar.
Auf der anderen Seite werden andere Hochleistungsrechenzentren von der Statistik nicht erfasst. Denn längst nicht jedes Institut beteiligt sich an dem zeit- und kostenaufwändigen Vergleichstest.
Die Hightech-Nationen zünden auf den Superrechnern virtuelle Atombomben
Unbestritten ist dagegen, dass die beiden schnellsten Supercomputer der Welt tatsächlich in China stehen – und diese Spitzenposition verteidigen sie schon seit Jahren.
Den ersten Platz belegt mit großem Abstand "Sunway TaihuLight". Die Anlage arbeitet im Supercomputer-Center in Wuxi und kommt auf eine Leistung von 93,01 Petaflops. Auf Platz zwei: "Tianhe-2" ("Milchstraße") am chinesischen Supercomputer-Center in Guangzho.
Beide Supercomputer dienen vor allem militärischen Zwecken. Auch in den USA werden die obersten Listenplätze von Maschinen aus der Militärforschung belegt.
Für die Atommächte spielen Supercomputer eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Erforschung ihrer Nuklearwaffen. Die Rechenriesen können Atomwaffentests nämlich realitätsnah simulieren. In Deutschland gelten für Supercomputer aus diesem Grund sogar die Gesetze zur Waffenexportkontrolle.
In Deutschland gibt es drei Hochleistungsrechenzentren, die ausschließlich zu zivilen Forschungszwecken genutzt werden, etwa zur Berechnung von Klimamodellen.
Am Forschungszentrum in Jülich steht der Supercomputer „Juqueen“, der mit 5 Petaflops auf Platz 22 des internationalen Rankings landet. Hier soll unter anderem im Rahmen des „Human Brain“-Projekts das menschliche Gehirn mit Hilfe eines Computers simuliert werden. Dafür brauchen die Forscher die Rechenpower von umgerechnet etwa 350.000 Standard-PCs.
Der aktuell schnellste Supercomputer Deutschlands steht am HLRS in Stuttgart. „Hazel Hen“ belegt mit 5,6 Petaflops den Platz 19 unter den Top 500. Auf dieser Maschine lassen sich komplexe Simulationen durchführen, also virtuelle Experimente, die man im echten Leben nicht durchführen kann – etwa, weil sie zu teuer, zu zeitaufwändig oder zu riskant wären.
Mensch gegen Maschine: Die Supercomputer sind uns haushoch überlegen
Man kann sich so eine Simulation wie eine Riesen-Matheaufgabe vorstellen, für deren Lösung die gesamte Menschheit etwa 20.000 Jahre lang rechnen müsste. Der Supercomputer am HLRS kommt in 20 Minuten zu einem Ergebnis.
Supercomputer sind ein wichtiger Treiber des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts. Doch es wird immer schwieriger, ihre Leistung weiter zu steigern. Das zeigt sich auch in den historischen Daten der Top 500-Liste: Vergleicht man die kombinierte Leistungsfähigkeit aller 500 gelisteten Superrechner seit 1994, stellt man fest, dass die Kurve seit einigen Jahren langsam abflacht. Ab 2021 sei mit einer Stagnation des Wachstums zu rechnen, sagt Resch.
Das liegt daran, dass es sich bei den modernen Supercomputern vor allem um Parallelrechner handelt. Das heißt, sie bestehen aus einer großen Anzahl miteinander vernetzter Computer. Doch je mehr Prozessorkerne im Spiel sind, desto schwieriger wird es, die Rechenprozesse sinnvoll zu koordinieren.
Das Phänomen kennen auch Heimanwender: Hersteller werben mit Dualcore, Quadcore und so weiter. Ein Laptop mit vier Prozessorkernen werde aber nicht automatisch vier Mal so schnell, sagt Resch. In der Praxis kommt es vielmehr darauf an, wie gut Soft- und Hardware aufeinander abgestimmt sind.
Supermacht zu bleiben hat seinen Preis
Auch bei den Kosten stellen die Riesenrechner immer neue Rekorde auf. Schon die Anschaffung schlage mit etwa 100 bis 200 Millionen Euro zu Buche, rechnet der HLRS-Direktor vor. Der Betrieb kostet noch einmal so viel. In den ersten fünf Jahren steigen die Kosten schnell auf 400 bis 500 Millionen Euro.
Doch das alles hält die Supermächte USA und China nicht davon ab, die nächste Etappe im Wettrennen um die schnellsten Computer in Angriff zu nehmen. Die ersten Exaflop-Computer mit Trillionen Rechenoperationen pro Sekunde sollen bereits 2020 aufgestellt werden.
Wem es als erstes gelingt, die Marke zu knacken ist ein Politikum – das interessiert den Wissenschaftler aber nur wenig. „Die viel spannendere Frage wird sein, ob diese Maschine auch praktisch nutzbar ist“, sagt Resch. Denn mehr Geschwindigkeit erkaufen sich die Erbauer durch einen höheren Spezialisierungsgrad. Diese Computer können also trotz all der Power nicht mehr jede Aufgabe lösen.
Mit solchen superspeziellen Superrechnern ist es dann ein bisschen so wie mit einem aufgemotzten Rennwagen, erklärt Resch: Unter der Haube stecken zwar genug PS, um mit 300 km/h über die Stadtautobahn zu sprinten. Aber dazu kommt es im normalen Gebrauch eigentlich nie.