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Ukraine-Krieg: Putin hat jetzt ein Ziel fest im Visier


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Krieg in der Ukraine
Putin opfert Teile von Russland


21.08.2024Lesedauer: 5 Min.
Ukrainische Artillerie feuert auf Ziele im Oblast Donezk: Während die ukrainische Armee Teile Russlands besetzt, rücken Putins Truppen in Donezk immer weiter vor.Vergrößern des Bildes
Ukrainische Artillerie feuert auf Ziele im Oblast Donezk: Während die ukrainische Armee Teile Russlands besetzt, rücken Putins Truppen in Donezk immer weiter vor. (Quelle: UKRAINIAN ARMED FORCES/reuters)

Während sich die ukrainische Armee im Süden Russlands festsetzen kann, sind russische Truppen in Donezk weiter auf dem Vormarsch. Die Ukraine steht im Osten des Landes kurz vor einem schweren Rückschlag.

Ein russischer Soldat klettert in die zweite Etage eines zerstörten Hauses. Das Dach fehlt, überall liegen Trümmer. Der Mann schwenkt eine russische Fahne, während über ihm eine Drohne schwebt, um ein Video für Wladimir Putins Propaganda zu drehen.

Die Aufnahmen sollen aus der Nähe der von Russland kürzlich eroberten Kleinstadt Mykolajiwka stammen. Sie kursieren seit Sonntag in den Telegram-Kanälen einiger russischer und ukrainischer Militärblogger. Moskau wollte eigentlich mit diesen Bildern dokumentieren, dass die russische Armee im Osten der Ukraine erneut ein Dorf eingenommen hat, weiter auf dem Vormarsch ist.

Doch nachdem der russische Soldat von dem Gebäude abgestiegen ist, stürzt sich eine ukrainische Kamikazedrohne auf ihn, und das etwa 35 Sekunden lange Video endet mit einer Explosion. Derartige Vorfälle zeigen, unter welch großem Risiko russische Soldaten das Propagandamaterial für den Kreml drehen müssen.

Wladimir Putin aber muss dringend Erfolge präsentieren. Er wirkt in dieser Phase seines Angriffskrieges schwach, so, als könne er Russland nicht verteidigen. Denn immerhin hat die ukrainische Armee Teile der russischen Provinz Kursk besetzt und damit Moskau völlig überrascht.

Doch der russische Präsident hat ein anderes Ziel fest im Visier: die komplette Eroberung der Oblast Donezk. Deswegen möchte die russische Führung der Ukraine nicht den Gefallen tun und Soldaten aus dem Donbass abziehen, um die Region Kursk zurückzuerobern. Dafür ist Putin sogar bereit, Teile Russlands für den Moment aufzugeben.

Ein risikoreicher Plan, der am Ende aufgehen könnte. Denn Putin steht vor der Eroberung der ukrainischen Stadt Pokrowsk – und das wäre für Russland ein großer militärischer Erfolg.

Aktuell geht es für den Kreml allerdings noch darum, den Schlamassel in Kursk herunterzuspielen. Für Putin ist es keine feindliche Armee, die Teile von Russland erobert hat – er spricht von "Terroristen". "Wir wissen sehr gut, dass aus dem Ausland nicht nur versucht wurde, das ungeheure Verbrechen zu rechtfertigen, sondern dass von dort den Terroristen auch jegliche Hilfe geleistet wurde: moralische, politische, informative und finanzielle", sagte der Präsident am Dienstag im russischen Nordkaukasus. Er versicherte: Russland werde die "Neonazis" besiegen. Die Mitglieder der ukrainischen Regierung wurden seit Beginn des russischen Angriffskrieges vom Kreml immer wieder als Nazis bezeichnet.

In Kursk schafft es Russland nur sehr langsam, ausreichend Reserven zusammenzuziehen, um den ukrainischen Vorstoß zu stoppen. Stattdessen schickte Russland bisher vor allem tschetschenische Verbände und vergleichsweise unerfahrene Reservisten, um Kursk zurückzuerobern. In Zusammenarbeit mit der russischen Luftwaffe und mithilfe von Drohnen konnten sie auch tatsächlich die ukrainische Offensive verlangsamen – mit großen Verlusten auf beiden Seiten.

Aber die Zeit in Kursk läuft gegen Moskau: Denn die ukrainische Armee kann sich im Südwesten Russlands immer weiter festsetzen und konnte laut Berichten viele Brücken über den Fluss Sejm zerstören. Dadurch wird eine mögliche Eroberung der Region Kursk für Russland deutlich verlustreicher werden.

Laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wollte die Ukraine mit der Offensive in Kursk eine Pufferzone errichten, um vor allem die ukrainische Oblast Charkiw vor russischen Angriffen zu schützen. Das ist aber wahrscheinlich nur ein Teil der Wahrheit. Für die Ukraine ging es sicherlich auch darum, den russischen Vormarsch in Donezk zu stören, bis weitere ukrainische Reservisten ihre Ausbildung beendet haben.

Russische Armee intensiviert Offensive

Dieser Plan ging bisher nicht auf. Die Ukraine wartet weiterhin auf einen russischen Truppenabzug nach Kursk, entweder im Donbass oder auch in der Region Cherson in der Südukraine. Diese Schwäche will Kiew für einen eigenen Vorstoß ausnutzen, aber bislang tut Moskau der ukrainischen Armee diesen Gefallen nicht. Im Gegenteil.

Putin ließ seine Angriffe in Donezk noch einmal intensivieren. Er nutzt damit aus, dass die Ukraine ihre Kräfte wiederum in Kursk einsetzte und nicht mit ihnen – wie geplant – die Front im Osten verstärkte. Die Folgen wiegen schwer: Der russischen Armee gelingt es immer schneller, in Donezk Gelände zu gewinnen und Dorf um Dorf zu erobern.

Diese Fortschritte versucht die russische Propaganda für sich nutzbar zu machen. Die Ukraine inszeniert ihre Erfolge auf russischem Staatsgebiet, demonstriert ihre Gegenschlagfähigkeiten und wirbt damit erfolgreich im Westen um weitere Waffenlieferungen. Für Russland dagegen liegt der Schwerpunkt der Propaganda auf der Offensive in Donezk. Im Hintergrund läuft also auch immer der Kampf zwischen der Ukraine und Russland um die Deutungshoheit im Informationsraum.

Das könnte sich spätestens in der kommenden Woche noch einmal intensivieren. Denn die russische Armee steht nur noch wenige Kilometer von Pokrowsk entfernt, und die Einnahme der strategisch wichtigen Stadt würde dem Kreml-Despoten und seiner Propaganda Rückenwind geben.

Angriff auf Pokrowsk steht bevor

Pokrowsk hatte vor dem Krieg mehr als 60.000 Einwohner. Die Stadt ist vor allem deswegen von großer militärischer Relevanz, weil hier zwei wichtige Autobahnen verlaufen, über die die Ukraine ihren Nachschub für die östliche Front organisiert. Eines liegt auf der Hand: Für Putin wäre die Einnahme der Stadt der größte militärische Erfolg seit der Einnahme von Bachmut im Mai 2023. Putins lange Durststrecke wäre vorbei.

Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. Im urbanen Raum hatten die ukrainischen Verteidiger oft einen Vorteil, auch der Kampf um Bachmut dauerte immerhin knapp zehn Monate. Aber Russland hat seitdem seine Kriegstaktik deutlich verändert. Es verfügt an dieser Frontlinie nicht nur über eine deutlich höhere Artilleriefeuerrate, sondern die Ukraine findet bislang auch kein Mittel gegen den Einsatz von Gleitbomben durch die russische Luftwaffe.

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Deswegen herrscht bereits vor Beginn der Schlacht um Pokrowsk auf ukrainischer Seite durchaus Pessimismus. Kiew hat bereits vor Tagen Zivilisten und die Regionalregierung aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Selenskyj räumte ein: Die Lage im Osten, speziell im Raum um die Städte Pokrowsk und Torezk, sei schwierig. "Die Verteidiger tun alles, um die Okkupanten zu vernichten." Die Ukraine wird die Städte also keinesfalls kampflos aufgeben, aber im Vorfeld der Kämpfe ging es zunächst darum, die Zivilbevölkerung in Sicherheit zu bringen.

Der Militärexperte Carlo Masala sagte im Gespräch mit der "Berliner Morgenpost": "Es ist sehr gefährlich." Die Stadt Pokrowsk sei ein wichtiger Versorgungsknotenpunkt. "Die Russen stehen nach jüngsten Informationen zehn Kilometer vor der Stadt. Noch etwa eine Woche, dann kämpfen sie vermutlich um die Randbezirke." Auch Masala rechnete der Ukraine eher geringe Chancen aus, Pokrowsk zu halten. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Russen die Stadt eroberten, sei "relativ groß".

Selenskyj und Putin stehen unter Druck

Ein Verlust von Pokrowsk wäre ein massiver Rückschlag für Selenskyj. Das würde wahrscheinlich in der Ukraine erneut die Debatte um die Frage befeuern, ob der Angriff auf Kursk die richtige Entscheidung war. Denn viele ukrainische Einheiten, die seit vielen Monaten im Donbass kämpfen, hatten auf eine Atempause gehofft. Zudem hat die ukrainische Armee allgemein nicht mehr genügend Personal an der östlichen Front, um sie in voller Länge gut verteidigen zu können.

Trotzdem schickte die ukrainische Führung Tausende Soldaten nach Russland, auch das war ein risikoreicher Plan. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob dieser Schuss nach hinten losgeht oder nicht.

Letztlich stehen sowohl Selenskyj als auch Putin unter Druck. Sollte die ukrainische Armee noch näher in Richtung Kursk marschieren, würde der Kreml immer mehr mit dem Rücken zur Wand stehen. Die Stadt hat nicht nur mehr als 400.000 Einwohner, sondern sie hatte auch eine besondere Rolle in der sowjetischen Geschichte. So wurde die Panzerschlacht von Kursk im Juli 1943 zum Mythos, der – zusammen mit dem Kampf um Stalingrad – zum Wendepunkt im "Großen Vaterländischen Krieg" gegen Nazi-Deutschland wurde.

Auch wenn Putin aktuell anderen Frontabschnitten größere Priorität gibt, muss er Angriffe auf Kursk aus symbolischen Gründen verhindern. Das wäre eine Ohrfeige, die er sich innenpolitisch nicht erlauben kann.

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