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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kanzlerkandidaten im TV-Quadrell Bei diesem Thema steht Weidel ganz allein

Erstmals sind die vier Kanzlerkandidaten im TV aufeinandergetroffen. Für wen lief's gut – für wen eher nicht?
Ganze zwei Stunden lang diskutierten Olaf Scholz (SPD), Friedrich Merz (CDU), Robert Habeck (Grüne) und Alice Weidel (AfD) am Sonntagabend. Es war das erste Mal, dass die vier Kanzlerkandidaten in diesem Wahlkampf eine Woche vor der Wahl aufeinandertrafen. In einem durchaus munteren TV-Quadrell, moderiert von Pinar Atalay und Günther Jauch, wurden Unterschiede und auch einige Gemeinsamkeiten deutlich.
Wie haben sich die Kanzlerkandidaten geschlagen? Die Einzelkritik:
Friedrich Merz (CDU): Die Nummer Sicher
Performance und Strategie: Für Friedrich Merz ist es insgesamt ein solider Auftritt. Er tritt im Quadrell so auf, wie man es von einem Spitzenreiter in den Umfragen erwarten würde. Merz ist selbstsicher, riskiert aber nichts. Von Zuspitzungen sieht er ab, stattdessen setzt er auf sein großes Wahlversprechen – den "Politikwechsel". Immer wieder betont Merz die Leerstellen, die die Ampel in Wirtschaft, Migration oder außenpolitisch hinterlassen habe. Olaf Scholz und Robert Habeck hätten etwa "die größte Wirtschaftskrise der deutschen Nachkriegsgeschichte zu verantworten".
Gleichzeitig grenzt Merz sich bewusst immer wieder deutlich von der AfD und ihrer Spitzenkandidatin Alice Weidel ab. "Sie sind eine rechtsradikale Partei", sagt er über die AfD und spricht ihr immer wieder Kompetenzen ab, etwa bei der Wirtschafts- und Steuerpolitik. Weidel könne sich auf ihre Wähler berufen, soviel sie wolle, es werde "keine Zusammenarbeit" zwischen der Union und der AfD geben, so Merz.
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Bester Moment: Besonders gut läuft es für Merz, als es um mögliche Friedensgespräche mit Blick auf die Ukraine geht. Auf eine Einlassung von Alice Weidel, Russland gewinne zunehmend den Eindruck, Deutschland sei nicht mehr "neutral", hält der CDU-Chef ein flammendes Plädoyer. "Nein, Frau Weidel, wir sind nicht neutral. Wir stehen nicht dazwischen, wir sind auf der Seite der Ukraine", sagt Merz und unterstreicht bei der Gelegenheit noch einmal, warum er eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehne. Deutschland verteidige mit der Ukraine die eigene politische Ordnung. Merz macht in diesem Moment, in dem er auch Emotionen zeigt, nicht nur seine klare Haltung gegenüber der Ukraine deutlich, sondern auch seine innere Haltung zur AfD.
Schwächster Moment: Als es um die Entlastungen im Programm der Union geht, offenbaren sich zwei Schwachstellen im Wahlkampf. Scholz weiß sie beide zu nutzen – und Merz kann sie nicht wirklich abwehren. Zum einen wirft Scholz Merz vor, er wolle besonders die Besserverdiener entlasten. Der CDU-Chef kontert nur, das sei doch "die alte Leier", widerlegt das Argument aber nicht. Auch auf die Frage nach der Gegenfinanzierung seiner Wahlversprechen bleibt der Kanzlerkandidat eine Antwort schuldig.
Olaf Scholz (SPD): Kanzler im Kampfmodus
Performance und Strategie: Scholz' Strategie ist ähnlich wie im TV-Duell gegen Merz vor einer Woche: alles auf Angriff. Der Kanzler zeigt sich kämpferisch, lässt Emotionen zu, provoziert seine Gegner. Es ist ein Olaf Scholz, den die Deutschen in den letzten drei Jahren eher selten zu Gesicht bekommen haben. Aber sie finden ihn gar nicht schlecht, wie die Zuschauerumfragen zeigen. Auffällig: Scholz setzt als einziger seine Körperhaltung taktisch ein. Er nutzt das Podium wie eine Art mobile Startrampe für seine Attacken: Mal stellt er sich an den linken Rand, mal an den rechten, den anderen Kandidaten immer direkt zugewandt. Es wirkt provokant und selbstbewusst.
Bei allem Willen bleibt Scholz an diesem Abend nur wenige Gelegenheiten, um aus sich herauszukommen. Das liegt an der Natur des Quadrells: Diesmal hat er nicht nur ein Gegenüber, sondern drei, entsprechend weniger Redezeit. Zumal Scholz das hohe Niveau nicht durchgehend hält. Immer wieder schimmert auch der andere Olaf Scholz durch: Er wirkt dann kühl und emotionslos, lobt sich selbst, spricht in Stanzen. Inhaltlich punktet der SPD-Kanzlerkandidat immer dann, wenn er auf der sozialdemokratischen Klaviatur spielen kann: höhere Steuern für Topverdiener, gerechte Löhne, stabile Renten.
Bester Moment: Seine stärksten Momente hat Scholz, wenn er sein Gegenüber im Duell stellen kann. Manchmal ist das Merz, häufiger Alice Weidel. In der Diskussion um günstigere Energiepreise greift der Kanzler Weidel frontal an. Die AfD-Chefin wird von den Moderatoren nach konkreten Konzepten gefragt – und verliert sich in Phrasen. Da grätscht Scholz rein: "Die Zuschauer haben ja zugehört. Die haben von ihnen nichts gehört, außer heiße Luft", sagt er. Scholz gerät richtig in Fahrt, lehnt sich provokant ganz außen an sein Podium, Weidel wirkt für einen Moment wie überrollt. Ein Kanzler im Kampfmodus – für Scholz der Höhepunkt der Debatte.
Schwächster Moment: Ganz anders am Anfang. Da hat Scholz Startschwierigkeiten. Das hat vor allem mit dem Thema zu tun: Asyl und Migration. Per se kein Gewinnerthema für die SPD, was angesichts der derzeitigen Stimmung im Land ein großes Problem darstellt. Scholz kann den Malus nicht ausgleichen. Nach einer Frage von Günther Jauch, warum der Kanzler seine Abschiebe-Versprechen nicht wahr machte, gerät Scholz in die Defensive, rappelt die Regierungsbilanz herunter, flüchtet sich in Details. "Wir bleiben dran und müssen auch dranbleiben." Ein Scholz'scher Nullsatz. Zusätzliche Wähler mobilisiert er damit eher nicht.
Robert Habeck (Grüne): Der Zurückhaltende
Performance und Strategie: Robert Habeck hat sich offensichtlich vorgenommen, sich aus Streit rauszuhalten und Alice Weidel zu ignorieren. Meist hält er sich einfach vornehm zurück, was ihn in munteren Phasen eher unsichtbar macht. Seine Stärke, die langen Linien seiner Politik ruhig zu erklären, kann er nur selten ausspielen. Als sich Merz und Scholz mit Weidel bei der Migration beharken, steht Habeck schweigend daneben. Er grinst oft nur, wenn sie etwas sagt. Oder reagiert ironisch, etwa wenn sie über Energiekosten und Atomkraftwerke spricht und Habeck spottet: "AKW, die sind ja richtig günstig!"
Darüber hinaus scheint Habeck an diesem Abend vor allem das linke Kernklientel der Grünen ansprechen und zur Wahl mobilisieren zu wollen. Bei der Migration etwa verteidigt er den Familiennachzug, als er gefragt wird, ob die Grünen denn damit mehr Migration wollten. Er verweist auch als einziger entschieden darauf, dass die Debatte sehr einseitig geführt werde und die Frage sei, wie man die Menschen, die ja nun da seien, gut integriere.
Bester Moment: Einen starken Moment hat Robert Habeck, als es um die Steuerpolitik geht. Während sich Merz in komplizierten Zahlenspielen verliert, zeichnet Habeck das große Bild. Es gehe um eine grundsätzliche Entscheidung, sagt er: "Politik für die, die es haben oder für die, die es brauchen?" Bei Union und AfD profitierten die Reichen, bei den Grünen (und der SPD) die Menschen mit unteren Einkommen. Und die Union könne ihre Versprechen nicht mal finanzieren. "Das ist alles Voodoo-Ökonomie." Sehr reiche Menschen stärker zu besteuern, verteidigt Habeck hingegen energisch.
Schwächster Moment: Schwach ist Robert Habeck ausgerechnet bei der Wirtschaft und ihrer Krise. Als er gefragt wird, wie die Leute den Glauben an ihn als Wirtschaftsminister wiedergewinnen sollen, verliert er sich in der Beschreibung der Probleme. Seine Lösungen handelt er nur kurz in Stichpunkten ab. Und die Stichpunkte leitet er ausgerechnet ein, indem er sagt, sein Vorredner Merz habe das schon alles richtig benannt. Zur Klimapolitik sagt auch der Grüne an dieser Stelle: gar nichts. Obwohl die Grünen beides zusammen denken.
Alice Weidel (AfD): Böller gegen die Brandmauer
Performance und Strategie: Alice Weidels Hauptgegner in der Diskussion ist der Hauptkonkurrent ihrer Partei: die Union, die eine Koalition mit der AfD ablehnt. Immer wieder arbeitet Weidel Gemeinsamkeiten mit CDU/CSU heraus. Die AfD fordere beim Thema Migration "sichere Grenzen und konsequentes Abschieben", sagt sie zum Beispiel. Es sind zwei zentrale Punkte von Merz' Fünf-Punkte-Plan, den SPD und Grüne ablehnen. Immer wieder erhebt Weidel auch später scharf den Vorwurf gegen Merz, seine Versprechen nach der Wahl durch eine Kooperation mit SPD oder Grünen nicht halten zu können.
Völlig alleine steht Weidel in der Diskussion dann aber bei der zurzeit so relevanten Außenpolitik, speziell beim Ukraine-Krieg. Dort vertritt sie Positionen ganz im Sinne von Aggressor Wladimir Putin und der ideologisch Verbündeten der neuen Trump-Regierung in Washington. Unter anderem diese anti-europäische Haltung verhalf der AfD im Landtagswahlkampf im Osten im vergangenen Herbst zu Rekordwerten. Ob sie nun auch bei der Bundestagswahl auf das Konto der AfD einzahlen kann, ist fraglich. Die mit Abstand meisten Wähler leben schließlich im Westen des Landes und vertreten traditionell eine stärker pro-europäische Haltung.
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Bester Moment: Beim Thema Entlastungen fragt Weidel Friedrich Merz: "Wie wollen Sie eigentlich mit SPD und Grünen irgendeine Ihrer Forderungen umsetzen?" Und setzt noch einmal nach: "Wie wollen Sie es umsetzen? Einfache Frage!" Eine gute Antwort hat Merz darauf nicht.
Schwächster Moment: Weidel schwimmt wie üblich, als Rechtsextremisten und NS-Verharmlosung in ihrer Partei angesprochen werden. Günther Jauch fragt aber auch nach einem für Weidel persönlich noch unangenehmeren Thema: Wo die Kanzlerkandidatin der AfD eigentlich genau lebt und ihre Steuern zahlt. Weidel nämlich lebt mit ihrer Familie in der Schweiz, hat aber auch einen Wohnsitz in Überlingen in Baden-Württemberg gemeldet, wo ihre Eltern leben. Fraglich aber ist, wie oft sie sich dort überhaupt aufhält.
Wie eine am Sonntag veröffentlichte Straßenumfrage der "Bild" in Überlingen gezeigt hat, haben viele Überlinger sie dort noch nie oder äußerst selten gesehen. Weidel betont den Wohnsitz in Überlingen und sagt, sie zahle auf alle Einkünfte in Deutschland Steuern. Es bleibt aber der Eindruck: Ausgerechnet die Chefin der Partei, die so national und radikal viel ändern will im Land, hat bei dem Thema eine offene Flanke.
- Eigene Recherche