Brandanschläge und geplanter Mord Putins Agenten zündeln in Europas Hinterhöfen
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Ein neuer russischer Militärgeheimdienst soll für hybride Attacken in Westeuropa verantwortlich sein. Geleitet wird die Abteilung offenbar von berüchtigten Agenten.
Brandsätze in Flugzeugen, Sabotageakte, Mordanschläge: Für seine verdeckten Operationen in Westeuropa hat Russlands Militärgeheimdienst GRU 2023 offenbar eine eigenständige Abteilung geründet, die Kompetenzen verschiedener Geheimdienste bündelt. Das berichtet das "Wall Street Journal" unter Berufung auf westliche und russische Sicherheitsbeamte.
Angesiedelt ist die "Abteilung für besondere Aufgaben" demnach im Hauptquartier des GRU am Stadtrand von Moskau, in einem gläsernen Gebäudekomplex mit dem Spitznamen "Aquarium". Die nach ihren russischen Anfangsbuchstaben SSD abgekürzte Einheit soll auch eine Abteilung des Inlandsgeheimdienstes FSB absorbiert haben, die mutmaßlich hinter dem gescheiterten Mordanschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter in Großbritannien 2018 steckte.
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Spektakuläre Anschläge in Europa
Nach Angaben westlicher Geheimdienstexperten hat die SSD vor allem drei Aufgaben: Mordanschläge und Sabotageakte im Ausland, die Unterwanderung westlicher Unternehmen und Universitäten sowie die Anwerbung und Ausbildung von Agenten in der Ukraine, aber auch in russlandfreundlichen Ländern wie Serbien oder Entwicklungsländern außerhalb Europas. Laut dem Bericht unterhält die SSD auch eine eigene Ausbildungsstätte für Eliteagenten.
Die "Abteilung für besondere Aufgaben" soll dem Bericht zufolge hinter mehreren spektakulären Aktionen in Europa stecken, darunter der geplante Mordanschlag auf Rheinmetall-Chef Armin Papperger, die Brandanschläge auf DHL-Frachtflugzeuge in Leipzig und in Birmingham sowie der mögliche Brandschlag auf den deutschen Waffenhersteller Diehl in Berlin. In letzterem Fall waren allerdings zuletzt die Ermittlungen eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaft geht inzwischen nicht mehr davon aus, dass der Brand gelegt wurde.
Berüchtigte Agenten leiten die SSD
Die Führungsebene der SSD besteht dabei offenbar aus berüchtigten Agenten des GRU, die für westliche Geheimdienste keine Unbekannten sind: Geleitet wird die Abteilung laut "Wall Street Journal" von Generalmajor Andrej Awerjanow, dem früheren Vizechef des GRU. Awerjanow, ein Veteran von Russlands Kriegen gegen die Teilrepublik Tschetschenien, wird in Tschechien gesucht wegen eines Anschlags auf ein Munitionslager im Jahr 2014, bei dem zwei Menschen getötet wurden.
Auch beim russischen Einmarsch auf die ukrainische Halbinsel Krim 2014 soll Awerjanow sich hervorgetan haben. Kremlchef Putin verlieh ihm für seinen Einsatz den Titel eines "Helden Russlands", die höchste Ehrung des russischen Staates. Auch Awerjanows Stellvertreter an der Spitze der SSD gilt als berüchtigter Agent Moskaus.
So soll Generalleutnant Iwan Kasianenko den Mordanschlag auf die Skripals 2018 koordiniert haben. Nach dem Tod des Wagner-Gründers Jewgeni Prigoschin im August 2023 soll Kasianenko zudem die Operationen der Söldnertruppe in afrikanischen Ländern übernommen haben.
EU und USA haben Bedrohung erkannt
Der 1975 in Kasachstan geborene Kasianenko gilt laut "Wall Street Journal" auch als wichtiger Verbindungsoffizier zwischen Moskau und Teheran. Der Iran liefert seinem Verbündeten Russland große Mengen an Kamikazedrohnen und Raketen, im Gegenzug liefert Moskau militärisches Wissen und Technologie. Der Persisch-Sprecher Kasianenko organisiert den Transfer offenbar an führender Stelle.
Die EU und die USA haben die "Abteilung für besondere Aufgaben" offenbar erst kürzlich als Bedrohung wahrgenommen. Laut "Wall Street Journal" hat die EU im Dezember Sanktionen gegen eine nicht genau benannte Einheit des GRU verhängt wegen der Organisation von "Staatsstreichen, Mord- und Sprengstoffanschlägen sowie Cyberattacken" in Europa und andernorts. Die US-Regierung habe ebenfalls im Dezember Belohnungen in Höhe von zehn Millionen US-Dollar ausgeschrieben für Hinweise auf Agenten der SSD, die für Cyberattacken in der Ukraine verantwortlich sein sollen.
"Russland sieht sich im Krieg gegen den 'kollektiven Westen'"
Die feindlichen Aktivitäten der SSD sollen im Sommer 2024 ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht haben. Seitdem sei die Zahl der Anschläge durch die Abteilung rückläufig. Eine mögliche Erklärung könnte nach Ansicht westlicher Geheimdienstexperten darin bestehen, dass sich Moskau diplomatische Freiräume für Verhandlungen mit der neuen US-Regierung unter Donald Trump schaffen will. Regelmäßige Attacken könnten dabei aus Sicht des Kreml wohl hinderlich sein. Entwarnung wollen westliche Beamte gleichwohl nicht geben.
Demnach sei es kein Zufall, dass die "Abteilung für besondere Aufgaben" immer wieder vor allem in Deutschland zuschlage. Russland betrachtet die Bundesrepublik offenbar als schwächstes Glied in der Nato wegen seiner früheren Abhängigkeit von russischem Gas, der Anfälligkeit der Deutschen für nukleare Drohungen des Kremls sowie der weitverbreiteten Sympathien für Moskau in Teilen der deutschen Politik und Bevölkerung.
"Russland sieht sich im Krieg gegen den 'kollektiven Westen' und verhält sich entsprechend", zitiert das "Wall Street Journal" den stellvertretenden Nato-Generalsekretär James Appathurai. "Als Antwort darauf müssen sich die USA und ihre Verbündeten gedanklich darauf einstellen, im Krieg zu sein. Wenn das nicht geschieht, wird es angesichts der russischen Aggression gefährlich."
- wsj.com: A New Spy Unit Is Leading Russia’s Shadow War Against the West
- wsj.com: Russian Saboteurs Behind Arson Attack at German Factory