Geländegewinne werden kleiner Diese Hoffnung bestätigt sich nicht
Zwei Wochen nach dem überraschenden Einmarsch der Ukraine in Russland rückt die Armee weiter vor. Doch bald könnte sich die Strategie ändern.
Die Ukraine rückt in der russischen Oblast Kursk weiter voran. Doch nach großen Geländegewinnen zu Beginn der Offensive am 6. August macht die Armee deutlich langsamere Fortschritte. Schon bald könnte die Ukraine ihre Strategie gänzlich ändern.
1.250 Quadratkilometer hat die Ukraine nach eigenen Angaben bereits in der Region Kursk erobert. Zuletzt sollen die Streitkräfte die Stadt Wischnewka 14 Kilometer hinter der Grenze eingenommen haben. Russische Militärblogger berichten zudem, dass die Ukrainer auch in Poretschnoje, Agronom und östlich von Spalnoje vorgerückt seien.
Fluss als neue Verteidigungslinie
An mehreren Orten soll es zudem aktuell Kämpfe geben. Das russische Verteidigungsministerium versucht derweil zu beschwichtigen und berichtet von abgewehrten ukrainischen Sabotage- und Aufklärungsversuchen.
Eine wichtige Rolle beim aktuellen Vorstoß spielt der Fluss Sejm. Dort hat die Ukraine bereits zwei Brücken zerstört, russische Militärblogger berichten von einer dritten. Weitere sollen zumindest beschädigt worden sein. Dies geschehe, "weil sich dieser Fluss als mögliche Verteidigungslinie gegenüber den russischen Angriffen anbietet", erklärte Markus Reisner, Oberst des österreichischen Bundesheeres, im Gespräch mit "ntv.de".
Gleichzeitig könnte es die Ukraine schaffen, "noch zusätzliches Gebiet entlang des Sejm in den Besitz zu nehmen". Mit diesem Vorgehen gehe das ukrainische Militär "von der Offensive zur Defensive" über, es bereite sich mit den bis zu 6.000 in Russland eingesetzten Soldaten nun auf die Verteidigung des eroberten Gebietes vor.
Wehrpflichtige im Kampf: Eltern wütend
Russland bewegt derweil Truppen in das umkämpfte Gebiet. Die bislang dort stationierten Einheiten bestanden vor allem aus Wehrpflichtigen. "Diese Einheiten haben die Ukrainer nach dem Grundsatz von Überraschung und Täuschung überrannt", erklärt Reisner. Nun benötige Russland mindestens 20.000 bis 25.000 Soldaten für einen Gegenangriff.
So hat etwa der tschetschenische Kommandant Apty Alaudinov Wehrpflichtige aufgefordert, an den Kampfhandlungen in Kursk teilzunehmen und damit den Zorn ihrer Eltern auf sich gezogen. Zuvor hatte er sich beschwert, dass Wehrpflichtige "umsonst das Brot des Staates essen … und dann nach Hause gehen". Alaudinov hat sich zuletzt immer wieder als Sprecher der russischen Verteidigung in der Oblast Kursk inszeniert, eigentlich aber kommandiert er die Akhmat-Spezialeinheit aus Tschetschenien.
Viele der Wehrpflichtigen wurden vom ukrainischen Angriff Anfang August überrannt und sind hinter die Verteidigungslinie geraten. So konnte die ukrainische Armee zu Beginn recht viele russische Gefangene nehmen.
Kein Einfluss auf die Lage in der Ostukraine
Die Hoffnung der Ukraine, dass Russland für die Verteidigung in Kursk auch Soldaten aus der Ostukraine abzieht, bestätigt sich derweil wohl offenbar nicht. Dort rückt die russische Armee weiter vor und gewinnt nach Angaben des ukrainischen Generals Oleksandr Syrskyj pro Tag 4,8 Kilometer.
Dort fehlen wiederum ukrainische Soldaten. Ein Kommandeur einer ukrainischen Artilleriebrigade in der Ostukraine erklärte der "Financial Times", dass der russische Vormarsch unter anderem darauf zurückzuführen sei, dass Kiew seine knappen Ressourcen nach Norden verlagert habe.
Die Umrüstung der ukrainischen Truppen in Kursk auf Verteidigung erweist sich allerdings als kompliziert, da die Ukraine kaum schweres Pioniergerät zum Anlegen von Panzer- und Schützengräben in Kursk zur Verfügung habe. Auch durch die ständigen Angriffe aus der Luft haben die Ukrainer nach Einschätzung von Experte Reisner nicht die Möglichkeit, "sich tatsächlich tief und nachhaltig einzugraben".
Plündernde russische Soldaten sorgen für Aufsehen
Trotz des verlangsamten Vorrückens der Ukraine in Russland fliehen weiterhin zahlreiche Menschen aus der Region. Mehr als 120.000 Russen haben angesichts der ukrainischen Offensive bereits ihre Häuser verlassen. Dabei klagten viele, die Evakuierung sei chaotisch abgelaufen, viele hätten sich selbst darum kümmern müssen.
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Dazu kommt offenbar die Wut über russische Soldaten, die die verlassenen Orte plündern, bevor die ukrainische Armee eintrifft. So kursiert ein Video aus dem Bezirk Gluschkowsky, das unter anderem durch das russische Exilmedium Mediazona verbreitet wurde. Das Video stammt von einer Überwachungskamera eines Elektronikfachgeschäftes. Dort bedienen sich die Soldaten und versuchen, eine Tür aufzubrechen. Der bekannte russische Militärblogger Wladimir Romanow schreibt etwa, dass die plündernden Männer bereits gefunden seien und sie nun "am Arsch sind".
Zuvor war bereits ein Video aufgetaucht, in dem ein russischer Soldat zu sehen war, der Privathäuser plünderte.
- wsj.com: "Behind Ukraine’s Russia Invasion: Secrecy, Speed and Electronic Jamming" (englisch/kostenpflichtig)
- ft.com: "Military briefing: Kursk incursion heaps pressure on Ukraine’s east" (englisch/kostenpflichtig)
- understandigwar.org: "Russian Offensive Campaign Assessment, August 19, 2024" (englisch)
- n-tv.de: "'Die Kursk-Offensive ist ein Hochrisikospiel der Ukraine'"
- n-tv.de: "Russen plündern wohl eigene Landsleute in Kursk aus"
- x.com: Post von @Ukraine