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Russland: Ukraine-Krieg tobt auch im Land von Putin – Kreml verzweifelt


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Krieg tobt auch in Russland
Putin wütet


Aktualisiert am 08.04.2024Lesedauer: 6 Min.
Wladimir Putin: Der Kreml-Chef steht nach den Angriffen von Milizen auf russische Ortschaften unter Druck.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der Kremlchef steht nach den Angriffen von Milizen auf russische Ortschaften unter Druck. (Quelle: IMAGO / ITAR-TASS/ Reuters/reuters)

Paramilitärische Gruppen setzen ihre Kämpfe in Russland fort, halten weiterhin russische Ortschaften besetzt. Die russische Armee schafft es nicht, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Ein Problem für Wladimir Putin.

Russische Kampfflugzeuge bombardieren mit Gleitbomben Wohnviertel. Drohnen sind in der Luft, fliegen mit Sprengsätzen in Wohnhäuser. Explosionen, brennende Autos, Soldaten kämpfen in Häusern, Zivilisten ergreifen panisch die Flucht. All diese Bilder sind seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine im Februar 2022 Alltag, doch diese Nachrichten stammen dieser Tage auch aus der südwestlichen russischen Provinz Belgorod.

Seit über einer Woche kämpfen dort paramilitärische Einheiten gegen die russische Armee und gegen die Sicherheitskräfte des Kremls. Schon jetzt ist es ihnen gelungen, den Krieg weiter nach Russland zu tragen. Dabei tut sich die russische Armee erstaunlich schwer, die Kreml-feindlichen Milizen zu verjagen. Die Kämpfe werden zur Belastungsprobe für den russischen Präsidenten Wladimir Putin und seine Armee.

Video | Milizen greifen Putins Kämpfer in ihrem Versteck an
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Quelle: t-online

Der Angriff der bewaffneten Gruppen auf russischem Gebiet war aus Perspektive der Ukraine ein erfolgreicher Schachzug. Er zwingt Moskau dazu, Kräfte für den Kampf im eigenen Land zu mobilisieren. Auch der Zeitpunkt ist gut gewählt: Denn Putin ritt durch seinen Erfolg bei der Wahl und durch die Vorstöße der russischen Armee in der Ukraine auf einer Euphoriewelle. Doch plötzlich sieht es so aus, als habe der Kremlchef die Kontrolle über seinen Krieg verloren. Der Kremlchef wütet.

Kreml bricht mit seinem Kriegsnarrativ

Die Lage für Moskau ist durchaus ernst. Auch deshalb nimmt Kremlsprecher Dmitri Peskow ein Wort in den Mund, das die russische Führung seit zwei Jahren eigentlich vermeidet zu sagen: Krieg. "Wir befinden uns im Kriegszustand. Ja, das hat als militärische Spezialoperation begonnen, aber seit (...) der gesamte Westen aufseiten der Ukraine beteiligt ist, ist es für uns ein Krieg geworden", sagt er in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit der russischen Wochenzeitung "Argumenty i Fakty". "Ich bin davon überzeugt, und jeder muss das verstehen, um sich persönlich zu mobilisieren."

Das ist durchaus eine politische Kehrtwende. Immerhin wird Kritik an dem Ukraine-Einsatz der russischen Armee und die Verwendung des Wortes "Krieg" in diesem Zusammenhang in Russland mit Geld- und Gefängnisstrafen geahndet. Zwar sprach Putin selbst in der Vergangenheit schon von einem "Krieg", aber so öffentlich wie Peskow hat der Kreml seinen Strategiewechsel bisher nie erklärt.

Moskau gerät in Erklärungsnot, warum die durch die Propaganda über viele Jahre so hochgelobte Armee bisher nicht in der Lage war, den Ukraine-Krieg zu gewinnen. Das russische Narrativ: Die Armee kämpft eben nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen die Nato. Auch der Angriff der Kreml-kritischen Milizen auf Russland ist peinlich für Putin, weil seine Sicherheitskräfte die Ordnung im eigenen Land bisher nicht wiederherstellen konnten.

Der Kreml versucht, das Dilemma für sich zu nutzen. Die Botschaft: Russland werde von Nazis angegriffen und sei nun im Kriegszustand. Dadurch hofft Moskau auf eine weitere Mobilisierung in der eigenen Bevölkerung. Putin versucht, patriotische Gefühle bei vielen Russinnen und Russen zu nähren, deren Vorfahren schon im "Großen Vaterländischen Krieg" gegen Nazi-Deutschland ihr Land verteidigten.

Schwere Kämpfe in Russland

Dieses Narrativ fällt in Russland oft auf fruchtbaren Boden. Jedoch wird durch die aktuellen Angriffe auf Russland klar, wie verletzlich das Land ist. Es sind eben nicht nur paramilitärische Gruppen, die gegen Putin in Russland operieren. Die Ukraine schafft es auch immer wieder, mit Drohnen- und Raketenangriffen russische Infrastruktur, Flugplätze und Öldepots empfindlich zu treffen.

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Der russische Grenzort Kozinka ist nach einer Woche noch immer in den Händen der Milizen. Bei Beschuss der westrussischen Regionen Belgorod und Kursk durch die Ukraine hat es offiziellen Angaben zufolge mindestens eine Tote und mehrere Verletzte gegeben. In Belgorod sei eine Frau beim Ausführen ihrer Hunde durch einen Einschlag ums Leben gekommen, teilt Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow am Freitag auf Telegram mit. Zwei weitere Personen seien verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden; eine Frau mit Splitterverletzungen an den Beinen und ein Mann mit einem Schädeltrauma.

Zudem sind laut Gladkow Wohnhäuser und Autos beschädigt worden. Auf dem Eintrag beigelegten Fotos ist zu sehen, dass durch die Druckwelle der Explosionen in vielen Gebäuden die Fensterscheiben zu Bruch gingen. Laut dem russischen Verteidigungsministerium erfolgte der Beschuss durch Mehrfachraketenwerfer des Typs "Vampire". Acht Raketen seien abgefangen worden. Diese Angaben waren zunächst nicht unabhängig zu bestätigen.

Nicht viele Kämpfer, aber große Wirkung

Die Strategie offenbart auch die momentan dramatische Lage für die ukrainische Armee im Osten ihres Landes. Denn die Angriffe durch kremlkritische Milizen sind vor allem als Ablenkungsmanöver zu verstehen. Wenn Moskau seine Kräfte für Rückeroberungen im eigenen Land verlegen muss, können diese eben für den Augenblick nicht mehr für Offensiven in der Ukraine eingesetzt werden. Die ukrainische Armee leidet momentan vor allem unter Munitionsmangel und muss Zeit gewinnen, bis zugesagte Lieferungen aus dem Westen eintreffen.

Der Kräfteansatz ist dabei durchaus überschaubar. Der Militärexperte Nico Lange geht im Gespräch mit "ZDFlive" davon aus, dass für die Milizen aktuell höchstens eine niedrige dreistellige Zahl von Kämpfern im Einsatz sind. Allerdings sind diese gut ausgerüstet, werden von Aufklärungs- und Kamikazedrohnen unterstützt und operieren bei Belgorod mit Wasserflächen im Rücken, sodass der Zugriff für russische Streitkräfte schwierig ist.

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Ihre militärischen Erfolge erzielten die Milzen vor allem auch mit einer List. Die Miliz des Russischen Freiwilligenkorps rief vor ihrem Angriff die Bewohner der Region Belgorod zur Flucht auf, in ihrer Telegram-Gruppe sprach sie sogar von einem "humanitären Korridor". Die Angriffe fanden zur gleichen Zeit statt wie Drohnen- und Raketenangriffe der Ukraine auf ein Öldepot und auf eine Geheimdienstzentrale des FSB in der Region. Alles sollte größer aussehen, als es in Wirklichkeit ist, um Panik zu schüren. Gleichzeitig veröffentlichten Kämpfer der Legion Freies Russland ein Video, das sie in den Grenzorten Tjotkino oder Gorkowskij zeigen soll. Aber all das war Fake, sollte die russischen Verteidiger auf die falsche Fährte locken und gleichzeitig in den sozialen Medien Angst in Russland verbreiten.

Die Angriffe der Milizen auf Russland sind also vor allem auch als Teil des Propagandakriegs zu werten.

Russland spielt dabei der Ukraine in die Karten. Die Versuche der russischen Sicherheitskräfte wirken auf der anderen Seite auch wenig professionell. Auf Videos, die teilweise von pro-russischen Militärbloggern auf Telegram geteilt werden, ist zu sehen, wie russische Truppen mit zivilen Fahrzeugen in die Ortschaften vorrücken und dann von Drohnen und den in den Häusern verschanzten Kämpfern der Milizen erfolgreich bekämpft werden. Das steigert den Unmut in Moskau und in der russischen Bevölkerung.

Es sind vor allem drei bewaffnete Gruppen, die sich seit dem vergangenen Jahr gegen Putin stellen. Darunter sind auch bekannte russische Rechtsextreme wie Denis Kapustin, auch bekannt als Denis Nikitin, Chef des Russischen Freiwilligenkorps. Er äußerte sich am Freitag zu den Operationen in Russland: "Der Einsatz geht in diesem Augenblick weiter. Wir werden nach Abschluss der Operation über unsere Verluste sprechen."

Strategie ist für die Ukraine nicht ohne Risiko

Bei den anderen beiden Gruppen handelt es sich um die Legion Freiheit Russlands und das Sibirien-Bataillon. Die Gruppen bestehen nach eigenen Angaben aus Russen, die die Regierung von Präsident Putin ablehnen. Demnach erhalten sie zwar Geheimdienstinformationen, Munition und logistische Hilfe von der Ukraine, agieren jedoch unabhängig von der Regierung in Kiew. Daraus macht die ukrainische Führung kein Geheimnis mehr.

Die Zusammenarbeit mit diesen Milizen ist für Kiew nicht ohne Risiko, denn die Gruppen sind ein Sammelsurium von Rechtsextremisten und Monarchisten. Eigentlich sind es Kräfte, mit denen man eher nicht zusammenarbeiten möchte, aber die Ukraine braucht eine derartige Aktion, um im Osten nicht weiter an Boden zu verlieren. Natürlich ist man sich in der Ukraine bewusst, dass diese Operation das russische Narrativ unterstützen könnte, sich in der Ukraine gegen Nazis zu verteidigen.

Aber angesichts der aktuellen Lage und des Mangels an Ausrüstung und Munition an der Front hat die ukrainische Führung wahrscheinlich kaum eine andere Wahl und sich am Ende für das kleinere Übel entschieden.

Ein strategisches Ziel hat die Ukraine in jedem Fall erreicht: Putin wollte am Montag eigentlich seinen Wahlsieg feiern, aber er muss durch die Angriffe über "Verräter" sprechen. Er nannte Russen, die gegen ihr eigenes Land kämpfen, "Abschaum" und hob hervor: "Wir werden sie unbegrenzt bestrafen, wo immer sie auch sein mögen." Aber genau diese Aussage setzt ihn nun unter Druck, denn bisher ist es seiner Armee nicht gelungen, und stattdessen verwandeln russische Bomber ihre eigenen Ortschaften in ein Kriegsgebiet. Das wird auch die Angst in der russischen Bevölkerung vor einer Eskalation des Konfliktes weiter steigern.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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