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Kreml mit Drohnen angegriffen: Inszenierung und "False-Flag"-Manöver?


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Manöver unter falscher Flagge?
Diese Anzeichen deuten auf Russland als Täter hin


Aktualisiert am 05.05.2023Lesedauer: 4 Min.
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Angriff auf den Kreml? Videos sollen die Drohnenattacke zeigen. (Quelle: t-online)

Zwei Drohnen explodierten in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch am Kreml in Moskau. Könnte der Vorfall ein False-Flag-Manöver des russischen Staates sein?

Nach der Explosion zweier Drohnen in der Nacht zu Mittwoch auf und über dem Dach des Kreml reißen die Diskussionen zur Ursache nicht ab. Kein Wunder, schließlich ist der Gebäudekomplex in Moskau die Schaltzentrale der russischen Macht und das symbolische Herz des Landes. Besonders in den sozialen Medien verbreiten sich zahlreiche Spekulationen.

Die zunächst augenscheinlichste russische Lesart des Vorfalls: Die Ukraine habe, so der Vorwurf Russlands, einen Mordanschlag auf Wladimir Putin, den Präsidenten des Landes, verüben wollen. Dessen ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj wies die Schuld dafür am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Helsinki von sich. "Wir greifen weder Moskau noch Putin an", sagte er.

Wie aber schätzen Experten den mutmaßlichen Angriff auf den Kreml ein? Können ukrainische Drohnen wirklich bis nach Moskau fliegen? Oder handelt es sich um ein sogenanntes False-Flag-Manöver, das Russland geplant hat und nun der Ukraine anlasten will? t-online hat die Meinungen einiger wichtiger Experten zum Thema gesammelt.

Was spricht für ein False-Flag-Manöver?

Das amerikanische Institute for the Study of War (ISW) macht zwei wesentliche Faktoren aus, die für eine von Russland inszenierte Aktion sprechen könnten. Einerseits habe Russland seit Januar 2023 die Luftverteidigung in Moskau deutlich verstärkt. So gibt es Bilder aus dem Januar, die zeigen, wie Panzir-Luftabwehrsysteme auf verschiedenen Dächern der russischen Hauptstadt installiert wurden.

Der aus dem Englischen stammende Begriff False-Flag-Manöver lässt sich mit "Manöver unter falscher Flagge" übersetzen. Gemeint ist eine militärische oder geheimdienstliche Operation, die die wahre Urheberschaft eines Angriffs dem vermeintlichen Gegner in die Schuhe schieben soll.

Hätten es Teile der ukrainischen Streitkräfte wirklich geschafft, eine Drohne durch diese engmaschige Luftverteidigung zu lenken, wäre das laut ISW eine Überraschung für Russland gewesen – und die Drohne hätte womöglich einen deutlich größeren Schaden angerichtet. Die Reaktion aus Moskau erfolgte allerdings unmittelbar, koordiniert und kohärent, was den Experten zufolge auf eine von Russland geplante Aktion hindeuten kann.

Ein weiterer Punkt, der für ein Manöver unter falscher Flagge spricht, ist laut dem ISW die unmittelbare Verbreitung anti-ukrainischer Narrative durch die russische Staats- und Militärspitze. Russland könne die Explosionen demnach nutzen, um kurz vor der Parade am 9. Mai, mit der Russland den Sieg der Sowjetunion über Nazideutschland feiert, eine existenzielle Bedrohung für den russischen Staat vorzutäuschen.

Diese Erzählung vom Krieg als existenzsichernde Maßnahme könnte dem Kreml dazu dienen, angesichts der ausbleibenden militärischen Erfolge in der Ukraine die Mobilisierung der russischen Bevölkerung voranzutreiben.

Experte: "Die Kameras stehen unter der Kontrolle des Kreml"

Auch Sergej Sumlenny, der von 2015 bis 2021 Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew war, geht von einem False-Flag-Manöver aus. Sumlenny begründet seine Meinung mit den Überwachungskameras in der Nähe des Kreml, deren Aufnahmen die Explosionen am Regierungspalast zeigen. "Die Kameras stehen unter hundertprozentiger Kontrolle des Kreml", schreibt der Experte auf Twitter. Ohne dessen ausdrückliche Erlaubnis könne niemand ihre Aufnahmen veröffentlichen.

Und noch einen weiteren Punkt deutet er als Anzeichen für eine von Russland inszenierte Aktion: Der Kreml bestätigte die Explosionen innerhalb weniger Stunden. Der ehemalige Leiter der ukrainischen Heinrich-Böll-Stiftung erklärt, bei früheren "Rückschlägen" im Krieg, wie der Zerstörung der Moskwa, des Flaggschiffs der Schwarzmeerflotte, habe Russland Ausreden gefunden. So habe die Staatsführung nicht zugeben müssen, dass der Krieg in der Ukraine nicht nach Plan laufe.

Für den Militärexperten Marcus Keupp ist ein weiterer Umstand entscheidend. Es habe zwei Flugkörper gegeben, die aus verschiedenen Richtungen zum Kreml geflogen seien, sagt er im Interview mit dem "Deutschlandfunk". Bereits kurz nach der ersten Explosion hätten zwei Menschen auf dem Dach des Kreml das Feuer gelöscht. "Der zweite Flugkörper hat danach gar keinen Schaden mehr angerichtet", erklärt Keupp.

"Das wahre Opfer"

Außerdem sei die Explosion im Verhältnis zur Größe der Flugkörper sehr klein gewesen, sagt der Experte. "Wenn Sie wirklich den Kreml schwer treffen wollen würden, würden Sie mehr Explosivkörper auf die Flugobjekte packen", so Keupp.

Ähnlich sieht es der amerikanische Historiker und Osteuropakenner Timothy Snyder: "Warum sollte Russland den Vorfall im Kreml inszenieren? Das ist ganz einfach: um zu versuchen, die Russen zur Unterstützung des Krieges zu bewegen und um zu behaupten, dass Russland das wahre Opfer ist und tun darf, was es will", schreibt Snyder in seinem Blog. Ein inszenierter Angriff könne ein Versuch sein, das Volk hinter der Politik Putins zu einen, gerade vor den Feierlichkeiten am 9. Mai. Dann gedenkt Russland des Sieges der Sowjetunion gegenüber Deutschland im Zweiten Weltkrieg.

Was spricht gegen die Theorie vom False-Flag-Manöver?

Andere Experten glauben wiederum nicht an die Theorie des False-Flag-Manövers. "Russland brauchte keine inszenierte Aktion, um mit 300.000 Soldaten in die Ukraine einzumarschieren", schreibt Journalist Neil Hauer auf Twitter. Außerdem passe eine Explosion in der russischen Schaltzentrale der Macht nicht in das sonst verbreitete Narrativ der Stärke, das Russland stets bemühe.

Nico Lange, Teil der Zeitenwende-Initiative bei der Münchner Sicherheitskonferenz, glaubt ebenfalls nicht an eine inszenierte Aktion: "Ich kann nicht erkennen, welchen Sinn eine False-Flag-Aktion hätte", sagte er am Mittwochabend im ZDF. Die Bilder, die um die Welt gingen, seien "extrem peinlich" für Wladimir Putin. Allerdings gibt er zu bedenken: Bislang sei schlichtweg zu wenig bekannt. Man könne derzeit nicht sagen, ob von der Ukraine gelenkte Akteure in Russland oder russische Partisanen dafür verantwortlich seien, so Lange.

Auch für den Militärexperten Carlo Masala deutet "viel darauf hin, dass hier ein massives Versagen der russischen Politik vorherrscht", wie er am Mittwochabend im ZDF sagte. Dabei sei es egal, wer letzten Endes für die Explosionen verantwortlich sei. "Eine Explosion am Kreml lässt Russland schwach aussehen", so Masala. Dass die Aktion ein gezielter Angriff auf das Leben Wladimir Putins gewesen sei, schließt er allerdings aus. "Dazu hätte die Ukraine oder andere Kräfte gezielte Informationen gebraucht, wo sich Putin wirklich aufhält".

Verwendete Quellen
  • Twitterprofile @sumlenny, @NeilPHauer
  • understandingwar.com: "RUSSIAN OFFENSIVE CAMPAIGN ASSESSMENT, MAY 3, 2023"
  • youtube.com: "heute journal am 03.05.23: Drohnen-Vorfall, Razzia gegen Mafia-Gruppierung, Klimadialog"
  • theguardian.com: "False flag or genuine attack? What we know about the Kremlin drone incident"
  • zdf.de: "Experte: Ziel war, 'den Kreml zu blamieren'"
  • share.deutschlandradio.de: "Militärexperte: Die Frühjahrsoffensive hat längst begonnen"
  • snyder.substack.com: "Explosion over the Kremlin" (englisch)
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