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Diese Folgen hat Lula da Silvas Wahlsieg in Brasilien für uns


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Tagesanbruch
Gravierende Folgen für alle Deutschen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 01.11.2022Lesedauer: 7 Min.
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Abgeholzte Fläche im Amazonas-Gebiet: In einem rasanten Tempo schrumpfen die wichtigsten Regenwälder, wie der Zeitraffer verdeutlicht. (Quelle: t-online)
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"Das ist ja gerade noch mal gutgegangen": Für diese sieben Worte der Erleichterung gibt es inzwischen fast jede Woche einen Anlass. Wir leben in krisenreichen Zeiten, und der Maßstab des Erfolgs hat sich verschoben. Die Heizung heizt immer noch, in der Ukraine ist die nukleare Katastrophe bisher ausgeblieben, Corona dümpelt nur so rum, und die Sabotage-Angriffe auf Pipelines und Bahnkabel sind auch verpufft. Mit blauem Auge davongekommen: So sehen Siege heute aus.

In diesen Stunden können wir für Brasilien aufatmen, wo der lupenreine Faschist Jair Bolsonaro die Wahl gegen seinen linken Herausforderer Lula da Silva um Haaresbreite verloren hat. Noch müssen wir den Stoßseufzer allerdings täglich erneuern. Dass der Unterlegene tatsächlich das Feld räumt, ist erst sicher, wenn der Möbelwagen vollgepackt den Präsidentenpalast verlässt und wir den Ex-Präsidenten in der Fahrerkabine erkennen können. Bis dahin sind wir besser beraten, bis zur letzten Minute mit schmutzigen Tricks, Umsturzversuchen und Gewalt zu rechnen. Bolsonaros großes Vorbild, Donald Trump, hat das vor seinem Abschied aus dem Amt beispielhaft durchexerziert und sich am Sturm auf das Kapitol ergötzt. Das Drehbuch ist übertragbar. Der Ausgang könnte in Brasilien sogar schlimmer sein.

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Selbst ohne einen Putsch oder bürgerkriegsähnliche Zustände wird es der neugewählte Präsident Lula schwer haben. Der Hass zwischen den Lagern sitzt tief. Die Hälfte der Wähler hat sich für Bolsonaro entschieden. Seine Partei ist die größte in beiden Kammern des Parlaments. Auch wenn das für eine Mehrheit nicht reicht, bleibt Bolsonaros Einfluss weiterhin gewaltig. Seine Rückkehr bei den nächsten Wahlen ist sowieso locker drin. Sonnige Zeiten stehen erst einmal nicht ins Haus – und das betrifft auch uns im fernen Europa. Die Folgen der Wahl in Brasilien haben auch gravierende Folgen für uns.

Ob Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wurde, darüber kann man sich streiten. Aber dass Deutschlands Klima auch in Brasilien beschützt werden muss, ist leider Fakt. Das Amazonasbecken gehört zu den Regionen der Erde, die einen besonderen Einfluss auf das globale Gleichgewicht des Klimas und dessen zunehmende Schieflage ausüben. Das ist keine Entschuldigung dafür, dass wir hierzulande seit Beginn der Industrialisierung klimaschädlichen Dreck in die Atmosphäre gepustet haben, als gäbe es kein Morgen. Doch der Niedergang des Regenwalds kann dem verheerenden Trend nun entscheidenden Schub verleihen.

Bolsonaros Amtszeit war in dieser Hinsicht eine Vollkatastrophe. Bei der illegalen Brandrodung hat er nicht nur beide Augen zugedrückt, sondern sie nach Kräften ermöglicht. Den weit fortgeschrittenen Vernichtungsfeldzug im Amazonasbecken muss Präsident Lula nun unter Kontrolle bringen. Schon das ist keine leichte Aufgabe. Doch auch die Rückkehr der Brandschatzer-Banden und ihres Paten Bolsonaro ist auf längere Sicht nicht vom Tisch. Die Politik in Europa muss deshalb eine Antwort darauf finden, wie man mit einer existenziellen Bedrohung und extremer Verantwortungslosigkeit umgeht, die zwar geografisch weit entfernt erscheint, uns aber dennoch betrifft, als geschähe sie direkt vor unserer Haustür.

Was also tun? Auf den ersten Blick scheint die Sache ganz einfach: Wer beim Klimaschutz nicht mitmacht, wird eben abgestraft. Ein lukratives Handelsabkommen wie das zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Handelsblock Mercosur, dem auch Brasilien angehört, darf nur in Kraft treten, wenn der Schutz des Regenwalds sichergestellt ist. Unter anderem deshalb hat der jahrzehntelang verhandelte Mega-Deal in Europa noch nicht die Hürde der Ratifizierung genommen. Jetzt, da das Problem Bolsonaro endlich abgeräumt zu sein scheint, freuen sich Politiker in Brüssel und quer durch Europa bereits darauf, das Abkommen endlich unter Dach und Fach zu bringen. Ein großer Wurf wäre das, gut für Wirtschaft und Wachstum, hüben wie drüben. Und der Produktionsschub brächte nicht einfach nur mehr Dreck: Brasilien hat enormes Potenzial für saubere Energie und grünen Wasserstoff.

Doch man muss nur geringfügig die Perspektive wechseln, um einen Blick auf die Kräfte zu erhaschen, die an der Durchsetzung der Klimaziele zerren. Selbst die mächtige EU kann nicht als großherzige Gönnerin von Handelsvorzügen auftreten, die nach Belieben zusätzliche Bedingungen stellen kann. Die Union ist selbst im Zugzwang: Unsichere Lieferketten müssen gesichert werden – gegen die Engpässe, die uns die Corona-Pandemie beschert hat, aber auch gegen die übermächtige Stellung Chinas. Bei der Energieversorgung ist es dasselbe: Europa braucht vielfältigere Quellen und weniger Abhängigkeit von Russland. Diversifizierung tut also an allen Fronten not. Ohne ökonomische Schwergewichte wie Indien und Brasilien kommt man da nicht weit. Der Hebel, den man aus idealistischen umweltpolitischen Gründen eben noch kraftvoll ansetzen wollte, sieht dann auf einmal ganz schön kurz aus.

Deshalb gehören Klimapolitik und strategische Wirtschaftspolitik in einen gemeinsamen Topf. Man kann das eine nicht ohne das andere planen. Das ist kein harmonischer Prozess. Auf schmutzige Kompromisse muss man sich dabei leider einstellen: Nicht jeder Widerspruch zwischen Klima und Geschäft, zwischen sicherer Versorgung und sauberer Produktion lässt sich auflösen.

Umso dringender müssen endlich klare Leitlinien her. Erstens muss die Klimapolitik die oberste, nicht die zweitoberste Priorität haben, denn die Hütte brennt mittlerweile lichterloh. Hierzulande scheinen das bislang weder der Bundeskanzler noch der Bundespräsident noch der Oppositionsführer verstanden zu haben, anders ist die Zögerlichkeit nicht mehr zu erklären. Zweitens kann man problematische Abhängigkeiten nicht vermeiden, aber verteilen. Ein bisschen radikal-populistisches Indien, eine Portion problematisches Brasilien, ein Happen aus dem mörderischen Saudi-Arabien und die Solarzellen von der geopolitischen Krake in Peking: Unter ethischen Gesichtspunkten kann einem von diesem Potpourri übel werden, aber der Einfluss einzelner Handelspartner lässt sich verringern, wenn man mit mehreren Ländern Geschäfte macht.

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Damit das funktioniert, müssen die EU-Staaten jedoch endlich koordiniert vorgehen und gemeinsam handeln. Der wichtigste Adressat dieser Erkenntnis ist ausgerechnet Kanzler Olaf Scholz, der sich selbst für den besten Küchenchef hält und am liebsten sein eigenes deutsches Süppchen kocht. Erfolg oder Misserfolg in der Klimapolitik ist der Maßstab, an dem er sich messen lassen muss, alles andere ist nachrangig. Gefährlich warm wird es sowieso. Aber unsere Kinder sollen wenigstens sagen können, dass es gerade noch mal gutgegangen ist.


Wahlen in Israel und Dänemark

Man kommt ja kaum noch hinterher: Bereits zum fünften Mal in rund dreieinhalb Jahren wählt Israel heute ein neues Parlament. Während der amtierende Premierminister Jair Lapid, Ex-Boxer, Ex-Showmaster und als Architekt einer bunten Acht-Parteien-Koalition erst seit vier Monaten im Amt, gern Regierungschef bleiben würde, träumt der langjährige populistische Premier Benjamin Bibi Netanjahu seinerseits von der Rückkehr an die Macht. So würde er praktischerweise auch gleich einer Verurteilung im Korruptionsprozess entgehen.

Wessen Chancen besser stehen, ist schwer zu sagen: Laut Umfragen könnte Netanjahus Likud-Partei mit rund 30 Sitzen stärkste Kraft in der Knesset werden und dann im Bündnis mit ultrarechten und religiösen Parteien gerade so auf 61 der 120 Sitze kommen. Lapids liberaler Zentrumspartei wird Platz zwei prognostiziert – auch sie wäre wieder auf Koalitionspartner angewiesen, von denen einige jedoch an der Einstiegshürde von 3,25 Prozent fürs israelische Parlament scheitern könnten. Nicht unwahrscheinlich also, dass es erneut zu einem Patt zwischen den Blöcken kommt – und die Israelis bald schon wieder an die Urnen müssen. Schlimm, wenn ein Land derart gespalten ist, dass verlässliche Regierungsarbeit kaum noch möglich ist.

Einigermaßen vertrackt ist die Lage auch in Dänemark, wo sich die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen einer vorgezogenen Parlamentswahl stellt. Dazu wurde sie von den Sozialliberalen, eigentlich Unterstützer ihrer Minderheitsregierung, per Ultimatum gezwungen, nachdem sie während der Corona-Pandemie ohne Rechtsgrundlage alle Nerze im Land hatte keulen lassen. Prognosen zufolge deutet sich auch bei dieser Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den politischen Blöcken an.


Faeser inspiziert Katar

Als Innenministerin Nancy Faeser kürzlich Kritik am WM-Gastgeberland Katar übte, bestellte das Emirat gleich mal den deutschen Botschafter ein, um diesem eine Protestnote zu überreichen. In der Golfdiktatur mag man zwar gute Geschäfte, aber keine kritischen Worte. Heute will die für Spitzensport zuständige Ressortchefin von der SPD vor Ort mit dem katarischen Premier- und Innenminister Chalid bin Chalifa Al-Thani und mit dem Generalsekretär des WM-Organisationskomitees, Hassan al-Thawadi, über die dortige Menschenrechtslage sprechen. Begleitet wird Frau Faeser auf ihrer Reise von DFB-Präsident Bernd Neuendorf, nicht aber von der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Luise Amtsberg. Die Grünen-Politikerin hatte kurzfristig ihren Verzicht bekannt gegeben: Sie kann es sich nicht erlauben, Kritik an dem Unterdrückungsregime zu äußern, weil Deutschland ja nun auf Gaslieferungen aus Katar angewiesen ist. Was früher Putin war, sind heute die Scheichs.


Was lesen?

Der brutale Angriff auf den Ehemann der US-Demokratin Nancy Pelosi heizt die Angst vor Gewaltexzessen im Vorfeld der Kongresswahlen an. Amerika muss um seine politische Stabilität fürchten, berichtet unser Washington-Korrespondent Bastian Brauns.


Russische Offiziere sollen bei einer Atomraketenübung drei mögliche Ziele in Deutschland genannt haben. Der Militärexperte Gerhard Mangott hat meinem Kollegen Patrick Diekmann erklärt, was dahintersteckt.



In Hamburg braut sich ein Sturm über Innensenator Andy Grote zusammen. Auslöser sind Recherchen unseres Investigativreporters Carsten Janz.


Was amüsiert mich?

Bei diesem modernen Aktivismus kommt man ja ganz durcheinander.

Ich wünsche Ihnen stets gute Orientierung und allen Katholiken einen schönen Feiertag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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