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Militärexperte Mangott über Nukleargefahr: "Das wäre für Putin Selbstmord"


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Funksprüche über Atomangriff
"Das wäre für Putin Selbstmord"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Patrick Diekmann und Daniel Mützel

Aktualisiert am 01.11.2022Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Präsident hat neben dem Ukraine-Krieg auch einen neuen Kalten Krieg entfesselt. (Quelle: IMAGO/Mikhail Metzel/Kremlin Pool)
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Ende 2021 sollen russische Offiziere bei einer Nuklearübung drei mögliche Ziele in Deutschland genannt haben. Der Militärexperte Gerhard Mangott erklärt, was dahintersteckt.

t-online: Herr Mangott. Wenige Wochen vor dem Überfall auf die Ukraine wurden Funksprüche der russischen Armee abgehört, in denen über Nuklearschläge auf Deutschland gesprochen wird. War das eine bewusste Drohung des Kremls?

Gerhard Mangott: Zunächst einmal ist es keine Überraschung, dass die russische Kommunikation bei diesem Manöver in der Ostsee abgehört wurde. Das heißt: Es ist wahrscheinlich, dass die russische Armee wusste, dass sie abgehört wird und ihre Kommunikation gezielt gesteuert hat und damit eine Botschaft an den Westen schicken wollte. Es ist auch üblich, dass im Rahmen von derartigen Manövern Atomschläge erwogen und simuliert werden.

Gerhard Mangott ist Professor für Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Internationale Beziehungen und Sicherheit im postsowjetischen Raum an der Universität Innsbruck.

Demnach passen die abgehörten Funksprüche gut zu der Drohkulisse, die Wladimir Putin aufgebaut hat, um den Westen zu verunsichern und die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen?

Absolut, aber die russischen Drohungen haben nicht erst im Dezember 2021 begonnen. In seiner großen Rede im März 2018 hat Putin neue nukleare Kapazitäten vorgestellt und mit der überlegenen russischen Technologie geprahlt. Die Drohungen sind nicht neu.

Trotzdem scheinen die Atomdrohungen Wirkung zu zeigen – auch auf die deutsche Politik.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird in Deutschland oft unterstellt, dass er im Ukraine-Konflikt zögert und zaudert. Es ist für mich unvorstellbar, dass Putin Scholz am Telefon mit dem Einsatz von Nuklearwaffen gegen Deutschland gedroht hat. Moskau könnte aber kommuniziert haben, dass es eine nukleare Eskalation in der Ukraine geben könnte. Dennoch ist es unrealistisch, dass Russland Atomraketen auf die Nato-Staaten schießen würde, die die Ukraine unterstützen. Das wäre für Putin Selbstmord.

Trotzdem scheint es in der Bundesregierung die Angst zu geben. Immerhin hat Scholz im April noch vor einem Atomkrieg gewarnt.

Natürlich kann Scholz in der Tat Furcht vor diesem Szenario haben. Aber ich bin davon überzeugt, dass es keine direkte atomare Drohung gegenüber Deutschland gegeben hat oder gibt. Das würde keinen Sinn ergeben, denn die Bundesrepublik gehört aus russischer Perspektive weiterhin zu den gesprächsbereiten Staaten in Europa. Deutschland mit der atomaren Vernichtung zu drohen, ist deshalb absurd und entspricht nicht der Logik, die Putin in diesem Konflikt verfolgt.

Welche Logik steckt denn hinter dem atomaren Säbelrasseln?

Russland sandte in den vergangenen Wochen intensiver das Signal, dass der Einsatz von Atomwaffen auf ukrainischem Territorium eine Möglichkeit werden könnte. Nun müssen wir aber aufpassen, dass wir die russischen Drohungen gegen die Ukraine nicht auf Deutschland und Europa ausweiten. Damit befeuern wir Putins Drohkulisse.

Aber verweigern Deutschland und die Nato-Verbündeten nicht auch aus Respekt vor einem nuklearen Szenario der Ukraine bestimmte Waffensysteme?

Warum Bundeskanzler Scholz handelt, wie er handelt, weiß ich nicht genau. Natürlich kann es eine direkte Kommunikation mit Putin gegeben haben. Aber ich kann mir vorstellen, dass Scholz das Konfliktgeschehen logisch weitergedacht hat. Die Frage ist: Könnte Russland durch ein völliges militärisches Desaster in der Ukraine zum Einsatz von Nuklearwaffen getrieben werden? Die Basis für diese strategische Überlegung muss aber nicht in einer direkten Kommunikation mit Putin und in den abgehörten Funksprüchen liegen.

In den russischen Funksprüchen wurden Berlin, die Ramstein Air Base der US-Luftwaffe und der Fliegerhorst Büchel für russische Atomschläge genannt. Hat Sie die Auswahl überrascht?

Nein, diese Ziele stehen wahrscheinlich schon seit dem Kalten Krieg fest. Natürlich wissen die Nato und Russland, auf welche Ziele die gegnerischen Nuklearwaffen gerichtet sind. Das ist jahrzehntealtes Wissen und nicht überraschend.

Und die Manöver der Nato laufen wahrscheinlich ähnlich ab – auch mit derartigen Funksprüchen?

Ganz genau.

Warum schlägt es in Deutschland trotzdem so hohe Wellen?

Die Debatte über nukleare Drohungen in den deutschen Medien geht für mich aktuell teilweise in eine Richtung: Auch Deutschland ist bedroht und wäre ohne die USA grundsätzlich schutzlos gegenüber einem atomaren Angriff. Deshalb wird gelegentlich von Kommentatoren die Frage angedeutet, ob sich Deutschland nicht doch nuklear bewaffnen solle.

Wäre eine nukleare Bewaffnung Deutschlands realistisch, besonders in Anbetracht seiner Geschichte?

Nein, Deutschland wird sich nicht atomar bewaffnen. Dann müsste sich die Nato auflösen und die USA müssten explizit erklären, dass sie mit ihren Atomwaffen Deutschland und Europa nicht mehr schützen würden. Im Falle einer völligen Erosion der westlichen Sicherheitsordnung wäre eine nukleare Bewaffnung Deutschlands denkbar. Aber die Bundesrepublik ist Unterzeichner des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT) von 1970. Für mich ist dieses Szenario undenkbar.

Im russischen Staatsfernsehen wird öffentlich die Einsatzbereitschaft der russischen Atomstreitkräfte angezweifelt. Gibt es Anzeichen dafür, dass die russische Armee auch in diesem Bereich Defizite hat?

Nein, die gibt es nicht. Auch Russland hat seit 1996 vertraglich zugesichert, dass es auf den Test von Atombomben verzichtet. Seither wird die Einsatzfähigkeit von Nuklearwaffen am Computer simuliert und getestet. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass man bei einzelnen Systemen Fehler entdeckt. Aber keine Nuklearmacht würde das öffentlich zugeben, auch nicht indirekt.

Warum machen die Kreml-Propagandisten genau das?

Der Hintergrund ist, dass die angeblich so moderne und kampfstarke russische Armee in der Ukraine komplett entzaubert wurde. Russische Experten stellen sich nun die Frage, ob die Nuklearmacht Russlands ähnliche Defizite aufweist.

Aber warum stellen russische Propagandisten diese Fragen im Fernsehen und untergraben damit Putins Drohkulisse?

Sicherlich ist die öffentliche Debatte vom Kreml akzeptiert und so gewollt. Aber ich kann mir auch keinen Reim daraus machen, was Putin damit bezweckt. Es ist völlig kontraproduktiv, so etwas im Staatsfernsehen sagen zu lassen. Die Abschreckung beruht darauf, dass Russlands Gegner bei einem Angriff auf die Russische Föderation selbst mit der Zerstörung des eigenen Landes rechnen müssten. Die derzeitige Debatte in Russland untergräbt diese Logik.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Mangott.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Gerhard Mangott am 31.10.2022
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