Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Märchen mit Makel "Da bin ich jetzt zu alt dafür"

Thomas Müller zeigt gegen Inter Mailand, wie entscheidend er für den FC Bayern immer noch sein kann. Die Diskussionen um seine Rolle nehmen eine überraschende Wendung.
Aus München berichtet Julian Buhl
Unter Standing Ovations der Zuschauer war Thomas Müller in der 74. Spielminute eingewechselt worden. Elf Minuten später schien das Müller-Märchen dann perfekt zu sein: Die Klub-Legende traf nach einer Flanke von Konrad Laimer aus kurzer Distanz per Volleyabnahme zum umjubelten 1:1-Ausgleich für den FC Bayern im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Inter Mailand.
Stadionsprecher Stephan Lehmann rief den Vornamen des Torschützen nicht wie sonst üblich nur dreimal, sondern gleich fünfmal ins Mikrofon. Die Fans schrien jedes Mal noch ein wenig lauter seinen Nachnamen zurück. Die Stimmung in der Allianz Arena bebte und hatte damit zweifellos ihren emotionalen Höhepunkt erreicht.
Die rührselige Geschichte der scheidenden Klub-Legende, die nun noch einmal zum großen Helden wurde, schien fast schon zu kitschig, um wahr zu sein. Das wurde sie am Ende auch nicht und Müller nur zu einem verhinderten Helden. Es folgte nämlich ein echter Stimmungskiller: Davide Frattesi verdarb den Bayern die Müller-Party noch, indem er eine kollektiv ganz schwache Abwehraktion der Münchner zum späten 2:1-Siegtreffer für Inter (88.) nutzte.
Müller: "Das war erst die erste Halbzeit"
Als Müller schon weit nach Mitternacht als letzter Bayern-Spieler in die Katakomben der Arena kam und dort vor die Kameras und die Reporter trat, hatte er schon ein wenig Zeit gehabt, diesen Tiefschlag zu verarbeiten. Schließlich war er zuvor noch für die obligatorische Dopingprobe ausgewählt worden.
"Das war erst die erste Halbzeit. Es ist nur ein Tor Unterschied, das ist im Fußball gar nichts. Wir lassen uns davon nicht unterkriegen", sagte er. Er war darum bemüht, ein "Jetzt erst recht"-Gefühl zu erzeugen. Die Mannschaft sei wild entschlossen, den Rückstand am Mittwoch im Rückspiel in Mailand zu drehen, kündigte er an: "Wir bleiben zusammen und kriegen das hin."
"Die Schilddrüse hat geackert wie blöd"
Die Erlebnisse auf dem Platz waren aber auch an Müller nicht spurlos vorübergegangen. Nach seinem Treffer wusste er ganz offensichtlich selbst nicht so richtig, wohin mit seinen Emotionen. Und gestikulierte recht wild bei seinem Jubel. Nach Toren habe er genau wie im Spiel nicht immer unter Kontrolle, in welche verschiedensten Richtungen seine Finger und sein ganzer Körper zeigen würden, erklärte er mit Augenzwinkern. Und was ihm dabei durch den Kopf gegangen sei? "Die Schilddrüse hat geackert wie blöd und hat irgendwas ausgeschüttet. Ansonsten habe ich nicht viel nachgedacht", sagte er und lachte.
Der Plan von Cheftrainer Vincent Kompany, mit Müller noch einmal Energien im Stadion sowohl bei den Zuschauern als auch bei den Mitspielern freizusetzen, war in diesem Moment voll aufgegangen – auch wenn das ganz große Happy End ausblieb.
Ob er selbst von der Wucht der Reaktionen auf sein nun offiziell beschlossenes Aus beim FC Bayern überrascht worden sei, wurde er noch gefragt. "Ich bin Rekordspieler, 700 Spiele", sagte er mit einem Augenzwinkern. Um genau zu sein, sind es jetzt sogar 744. "Wenn man mal ein bisschen auf den Putz hauen kann, dann da. Ich habe lang genug die Knochen hingehalten."
Müller: Es fühlt sich nicht nach Abschiedstournee an
Müller wehrte sich aber vehement dagegen, jetzt schon den großen Abgesang auf ihn anzustimmen. "Es fühlt sich nicht so an, als ob ich hier jetzt mitten in einer Abschiedstournee wäre", betonte der Weltmeister von 2014: "Wir sind mitten im Geschäft." Zuvor hatte er bereits am Spielfeldrand den Prime-Reporter mit genervtem Unterton auf eine entsprechende Frage gefragt: "Hatte ich heute mein Abschiedsspiel oder war das das Viertelfinal-Hinspiel? Ich bin ja nicht auf Farewell-Tour, ich bin Sportler." (Mehr dazu lesen Sie hier)
Und als solcher gerade nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Jamal Musiala (Muskelbündelriss) in der entscheidenden Saisonphase auch für seinen Chefcoach weiterhin ein enorm wichtiger Faktor. "Thomas hat das Gefühl, im engen Raum was zu machen. Ich hoffe, dass es noch oft passiert", sagte Kompany.
Am Saisonende ist für Müller aber definitiv Schluss als Spieler bei Bayern. Das stellte Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen noch einmal klar. "Wir haben eine Entscheidung gefällt", sagte Dreesen. Und öffnete Müller gleichzeitig nochmals die Tür bei Bayern für die Zeit nach der aktiven Karriere. "Wir werden einander immer verbunden bleiben, das hat er auch gesagt – in welcher Form auch immer. Es wird, glaube ich, noch viele gute gemeinsame Momente geben."
Auch Teamkollege Harry Kane war von Müllers Auftritt gegen Mailand beeindruckt, der das gesamte Stadion elektrisierte. Bereits unmittelbar vor seinem Tor gab Müller einen gefährlichen Schuss ab, der im letzten Moment noch geblickt wurde. "Er hat etwas bewirkt", sagte Kane. Nach dem emotionalen Empfang habe "Thomas den Fans etwas zurückgezahlt" und mit seinem Ausgleichstor "einen großen Gefallen" getan. "Thomas ist immer noch in einer Topverfassung, sowohl mental als auch körperlich", so Kane weiter. "Wann immer er Minuten bekommt, wird er gefährlich und hilft dem Team, genau wie heute."
"Da bin ich jetzt zu alt dafür"
Müller selbst hat die Zeichen der Zeit allerdings trotzdem längst erkannt. "Also da bin ich jetzt auch vielleicht zu alt dafür", sagte Müller auf die Frage, ob es nicht frustrierend für ihn gewesen sei, trotz Musialas Ausfall nicht in der Startelf gestanden zu haben. "Meine Rolle in der ganzen Saison war ja nicht, dass der Kader um mich herum aufgebaut wurde, sondern ich habe immer versucht, die Mannschaft zu unterstützen, egal mit wie viel Minuten", führte er aus.
Natürlich stehe er gerne auch für einen Startelfeinsatz zur Verfügung. Das sei aber bei jedem anderen seiner jüngeren Kollegen im Kader eben auch der Fall. Für ihn sei momentan besonders wichtig, betonte Müller, "dass ich auch ausstrahle, dass es ums große Ganze geht". Und trotzdem brauche es auch Spieler, "die reinkommen und dann Spiele entscheiden oder noch mal mit in die richtige Richtung lenken".
Mindestens als solchen wird Kompany Müller in jedem Fall auch am Mittwoch beim Rückspiel in Mailand wieder brauchen. Seine Geschichte als Rekordspieler des FC Bayern wird er dort weiterschreiben.
- Reporter vor Ort
- Mixed-Zone-Gespräche unter anderem mit Thomas Müller und Harry Kane.
- Aussagen von Vincent Kompany bei der Pressekonferenz