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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umstrittene Abschiebungen Donald Trump findet seinen Gefängniswärter

Ein Richter wollte es noch stoppen, doch Trump setzte sich darüber hinweg. Er schob mehr als 200 angeblich kriminelle Venezolaner nach El Salvador ab. Dort sind sie in einem berüchtigten Gefängnis inhaftiert.
Es war ein Angebot, das Donald Trump nicht ablehnen konnte. Bereits Anfang Februar reiste US-Außenminister Marco Rubio nach Mittelamerika und in die Karibik. Bei seinem Stopp in El Salvador erklärte sich der dortige Präsident Nayib Bukele bereit, in den USA verurteilte Kriminelle in seinem Land zu inhaftieren. Die betroffenen Menschen sollen in einem Mega-Gefängnis mit rund 40.000 Plätzen eingesperrt werden. Rubio sagte dazu: "Kein Land hat jemals ein solches Freundschaftsangebot gemacht." Und die US-Regierung ließ nicht viel Zeit verstreichen, das Angebot anzunehmen.
Mitte März schoben die USA mehr als 200 Venezolaner nach El Salvador ab, die angeblich der kriminellen Organisation "Tren de Aragua" angehören. Einen richterlichen Segen hatte Trump dafür jedoch nicht. Er berief sich auf den Alien Enemies Act, ein Gesetz von 1798, das in der US-Geschichte erst dreimal angewendet worden war. Bundesbezirksrichter James Boasberg aus Washington ordnete die Absage der Abschiebeflüge an. Doch die US-Regierung behauptete, die Maschinen seien bereits in der Luft gewesen. So kamen die Venezolaner dennoch in Haft.
Bei seinem Besuch in El Salvador hatte Rubio die Vereinbarung mit Bukele als "das weltweit beispielloseste und außergewöhnlichste Migrationsabkommen der Welt" bezeichnet. Menschenrechtsorganisationen sowie Richter Boasberg sind jedoch anderer Meinung: Sie verweisen auf Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen in Bukeles Mega-Gefängnis. Doch warum hat der Präsident von El Salvador Trump überhaupt dieses Angebot gemacht? Und was erwartet die Inhaftierten in dem mittelamerikanischen Land?
Der Frieden unter Bukele war nicht von Dauer
Seit seinem Amtsantritt als Präsident im Juni 2019 hat Nayib Bukele El Salvador zu einem anderen Land gemacht. Einst galt der Sechs-Millionen-Einwohner-Staat als einer der gefährlichsten der Welt: 2015 erklomm die Mordrate die schwindelerregende Höhe von rund 107 Morden pro 100.000 Einwohner. Grund dafür war die Gewalt krimineller Banden, die Menschen oft schlicht umbrachten, wenn sie kein Schutzgeld zahlen wollten. Bukele stellte seine Präsidentschaft unter das Motto der Bekämpfung der Kriminalität.
Der damals 37-Jährige, der sich selbst als "coolsten Diktator der Welt" bezeichnet, galt als Hoffnungsträger – und als solcher versuchte er sich zu Beginn seiner Präsidentschaft wohl an einem "diplomatischen" Weg. Beobachter vermuten, dass Bukele geheime Absprachen mit den Banden – genannt Maras – traf, um die Kriminalität zu bekämpfen. Im Gegenzug soll er ihnen bessere Behandlung in Gefängnissen versprochen haben. Tatsächlich ging die Gewalt zurück: Bis 2022 sank die Mordrate auf 7,8 Morde pro 100.000 Einwohner. Doch der Frieden war nicht von Dauer.
Am Wochenende des 26. und 27. März 2022 gab es in El Salvador 87 Morde. Was der Auslöser für den Gewaltausbruch war, ist nicht endgültig erschlossen. Bukele erklärte jedenfalls daraufhin den Banden den Krieg und ließ das Parlament den Ausnahmezustand verhängen, der bis heute anhält. Verhaftungen sind dadurch ohne Haftbefehl möglich.
Zwischen März und November 2022 kamen so rund 58.000 mutmaßliche Bandenmitglieder ins Gefängnis. Um das hohe Aufkommen an Inhaftierten zu bewältigen, ordnete Bukele zudem den Bau eines riesigen Anti-Terror-Gefängnisses an, genannt Cecot.
Donald Trump sucht Gleichgesinnte in Lateinamerika
Der salvadorianische Präsident, der schon mit 18 Jahren eine Werbeagentur seines Vaters leitete, vermarktete das Gefängnis international. Er ließ das staatliche Presseamt Hochglanzaufnahmen und martialische Videos von der Einkerkerung der mutmaßlichen Bandenmitglieder in Cecot anfertigen. Besonderes Augenmerk legte man dabei auf die Tattoos der Inhaftierten, die sie angeblich als Maras identifizierten. Dabei hatten die Maras ihren Mitgliedern schon vor Jahren Tattoos untersagt, um nicht so leicht erkennbar zu sein.
Das Gefängnis mit Platz für bis zu 40.000 Insassen erregte offenbar auch die Aufmerksamkeit von Donald Trump. Der US-Präsident sucht seit seinem Amtsantritt im Januar die Zusammenarbeit mit lateinamerikanischen Staaten, damit diese Abgeschobene aus den USA aufnehmen. So akzeptierte etwa Panama zunächst 300 Abgeschobene, musste sie jedoch nach einem Gerichtsurteil wenig später wieder freilassen. Seitdem sind sie dort gestrandet. Nicht so in El Salvador.
Trotz der richterlichen Anordnung in den USA landeten Mitte März 238 Venezolaner in dem kleinen Land. Sie wurden sogleich in die Cecot-Anstalt rund 75 Kilometer von der Hauptstadt San Salvador entfernt gebracht. Bukele postete in Reaktion auf den US-Richterspruch an jenem Tag auf X: "Ups ... Zu spät." Außerdem teilte der Präsident ein martialisches Video vom Transport der Gefangenen durch Militärs und Polizeikräfte sowie ihrer Inhaftierung in Cecot. Auf den Bildern ist zu sehen, wie die Menschen unter Gewaltanwendung abgeführt, ihre Köpfe geschoren und alle in weiße Häftlingskleidung gesteckt werden. Wieder liegt der Fokus auf Tätowierungen der Personen.
Familienangehörige der Venezolaner bestreiten, dass die Inhaftierten der Organisation "Tren de Aragua" angehören, wie Trump es behauptet. Die venezolanische Regierung hat in El Salvador bereits Einspruch eingelegt, um ihre inhaftierten Staatsbürger freizubekommen.
Der dortige Machthaber Nicolás Maduro nennt diese "Entführte" und spricht über den Vorgang als "gewaltsames Verschwindenlassen", das Cecot-Gefängnis sei zudem ein "Konzentrationslager".
Bisher geht Bukeles Rechnung nicht auf
Bukele verkauft den Deal als Win-Win-Situation für sein Land und für die USA. "Die Vereinigten Staaten werden eine für sie sehr kleine Gebühr zahlen, die für uns aber sehr hoch ist", schrieb er auf X. Das Weiße Haus erklärte, dass für ein Jahr sechs Millionen US-Dollar an El Salvador gezahlt würden. Laut Bukele kann der Deal nach einem Jahr verlängert werden. Der salvadorianische Präsident scheint auf eine Verlängerung erpicht zu sein, denn sein riesiges Antiterror-Gefängnis verschlingt große Mengen an Geld.
Auf X gab Bukele an, die Cecot-Anstalt koste 200 Millionen Dollar pro Jahr. Er beabsichtigt, dieses Geld mittels der Produkte aus Zwangsarbeit der Insassen sowie der Zahlungen aus den USA wieder reinzuholen. Ob das funktioniert, bleibt fraglich – aus Washington kommt nur ein Bruchteil. Doch Bukele ist optimistisch: "Wie immer" mache sein Land Fortschritte beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Noch dazu aber helfe man nun seinen Verbündeten und trage dazu bei, dass sich die Kosten des Gefängnisses abgelten. "Und das alles in einem einzigen Streich."
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Bukeles ursprüngliches Angebot an die USA scheint daher auch aus der Not erwachsen zu sein. Laut der Menschenrechtsorganisation Cristosal ist die Zahl der Gefängnisinsassen in El Salvador seit Bukeles Amtsantritt von 38.000 auf schätzungsweise 120.000 Menschen angestiegen. Das entspricht etwa zwei Prozent der Gesamtbevölkerung, was El Salvador mit großem Abstand zum Land mit der weltweit höchsten Inhaftierungsrate macht. Dennoch sind in der Cecot-Anstalt bisher lediglich rund 20.000 der 40.000 möglichen Insassen eingesperrt. Noch trägt sich die Investition des Präsidenten also bei Weitem nicht.
Kaum ein Inhaftierter hat eine Anklage
Und das, obwohl Bukele kaum Nachsicht bei der Inhaftierung angeblicher Bandenmitglieder walten lässt. Laut Cristosal sind 85.000 Menschen ohne Haftbefehl eingekerkert. Außerdem gibt es auch keine Verhandlungstermine für sie. Die salvadorianischen Behörden planen, Massenprozesse mit mehr als 900 Angeklagten abzuhalten. Jedem von ihnen drohen Strafen von bis zu 40 Jahren Haft. Angaben der Menschenrechtsorganisation zufolge sollen zudem bereits mindestens 367 Menschen in Haft an den Folgen harscher Bedingungen und systematischer Folter gestorben sein.
Die Menschenrechtsorganisation interviewte Angehörige der Opfer. Dabei kam heraus, dass keines der Todesopfer zum Zeitpunkt des Todes Vorstrafen oder eine Anklage hatte. Die meisten von ihnen sollen demnach nicht einmal Verbindungen zur organisierten Kriminalität gehabt haben – außer dass sie in Armenvierteln lebten, die meist unter Kontrolle der Maras stehen. Selbst die Tätowierungen, nach denen Bukeles Schergen verstärkt fahnden, suchte man bei den Verstorbenen wohl vergebens.
Berufungsgericht weist Trumps Abschiebungen erneut als unrechtmäßig zurück
Mit dem Deal mit El Salvador senden Trump und die USA derweil ein klares Zeichen: Dem Kampf gegen die illegale Migration ordnen sie alles unter – auch die Menschenrechte. Dabei wird er sich wohl auch nicht davon stören lassen, dass ein US-Berufungsgericht den von dem Bundesrichter Boasberg angeordneten Stopp von Abschiebeflügen auf Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahr 1798 bestätigt hat. Das Bundesberufungsgericht der Hauptstadt Washington wies am vergangenen Mittwoch einen Antrag der Regierung von Präsident Donald Trump zurück, den Abschiebestopp aufzuheben.
Trump, der das Video der Inhaftierung der Venezolaner genauso teilte wie Außenminister Marco Rubio und Präsidentenberater Elon Musk, werden solche martialischen Bilder dabei womöglich ganz recht sein. Sie sind sowohl ein Symbol seiner Macht als auch Abschreckung für Migranten, die noch immer in die USA wollen. Unterstrichen wird das vom Besuch der US-Heimatschutzministerin Kristi Noem im Cecot-Gefängnis am Mittwoch.
Für Nayib Bukele kommt neben dem finanziellen Anreiz noch eine weitere Motivation hinzu: Er kann sein Land nun als wichtigen Partner der USA darstellen. Gleichzeitig stärkt er international sein Image als Präsident, der durchgreift – damit hatte er bereits in der Vergangenheit viele Anhänger gewonnen.
- Eigene Recherche
- foreignpolicy.com: "The Horror Inside the Salvadoran Prisons Where Trump Is Sending Migrants" (englisch, kostenpflichtig)
- cristosal.org: "El silencio no es una opción" (spanisch)
- apnews.com: "What to know about El Salvador’s mega-prison after Trump sent hundreds of immigrants there" (englisch)
- france24.com: "Así se construyó la figura de Nayib Bukele, la controversial sensación política en América Latina" (spanisch)
- cristosal.org: "Filtración de base de datos apunta a abusos a gran escala" (spanisch)
- oas.org: "CIDH publica informe sobre Estado de excepción y derechos humanos en El Salvador" (spanisch)
- state.gov: "Secretary of State Marco Rubio and Salvadoran Foreign Minister Alexandra Hill Tinoco at the Signing of a Memorandum of Understanding Concerning Strategic Civil Nuclear Cooperation" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP