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Gegen Putin und Trump: Die Stunde Europas schlägt


Tagesanbruch
Es geschieht Historisches

MeinungVon Mauritius Kloft

Aktualisiert am 06.03.2025 - 07:22 UhrLesedauer: 7 Min.
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Wolodymyr Selenskyj, Keir Starmer, Emmanuel Macron (v.l.n.r): Gemeinsam gegen Putin. (Quelle: IMAGO/Avalon.red / Avalon/imago)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt Wochen, die als historisch gewertet werden können. Die vergangenen sieben Tage zählen ohne Zweifel dazu.

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Freitag der Eklat im Weißen Haus. Sonntag der Friedensplan von Emmanuel Macron und Keir Starmer. Montag Donald Trumps Ankündigung, die Ukraine-Militärhilfe zu stoppen. Dienstag der Plan Ursula von der Leyens, Europa aufzurüsten. Abends die Zeitenwende 2.0 – CDU/CSU und SPD wollen noch vor Amtsantritt der neuen Regierung Hunderte Milliarden in die Verteidigung stecken.

Eine Woche voller politischer Entscheidungen, die die internationale Ordnung beeinflussen. Und am heutigen Donnerstag geht es gleich weiter. In Brüssel kommen Staats- und Regierungschefs der EU mit Vertretern der EU-Kommission zusammen. Auch Wolodymyr Selenskyj wird anwesend sein. Im Mittelpunkt steht die kurzfristige militärische Hilfe für die Ukraine, die sich seit mehr als drei Jahren gegen den russischen Aggressor verteidigt. Ebenso der Vorstoß von Macron, den französischen Atomschutzschirm auszuweiten. Der Europäische Rat, wie das Gremium der europäischen Staats- und Regierungschefs offiziell heißt, will zudem über den milliardenschweren Plan von der Leyens sprechen.

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Dieser Gipfel ist nicht nur eine weitere Konferenz von vielen. Auf dem Treffen könnte sich nicht weniger als die Zukunft Europas entscheiden. Der Ukraine läuft die Zeit davon – und den EU-Staaten ebenfalls.

Es waren deutliche Worte, mit denen von der Leyen am Dienstag ihren Plan vorstellte. Europa sei mit einer "klaren und gegenwärtigen Gefahr" konfrontiert, wie sie "keiner von uns in seinem Leben gesehen hat", betonte die Präsidentin der EU-Kommission in einem Schreiben an die europäischen Staats- und Regierungschefs. "Dies ist die Stunde Europas, und wir müssen ihr gerecht werden. Wir befinden uns in einer Ära der Aufrüstung, und Europa ist bereit, seine Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen."

Konkret geht es dabei um einen neuen Fonds von 150 Milliarden Euro, um die Verteidigungsinvestitionen in der EU zu erhöhen. Zudem schlug von der Leyen vor, die europäischen Schuldenregeln mittels einer nationalen Ausnahmeklausel zu lockern. Eine Kehrtwende im Vergleich zu früheren Jahren der Austerität. Die CDU-Politikerin hofft, dass ihr Vorschlag zusammen mit privatem Kapital und zusätzlichen Mitteln für die Europäische Investitionsbank nahezu 800 Milliarden Euro für die Verteidigung mobilisieren könnte.

Das geht allerdings nur mit dem Geld der Mitgliedsstaaten. Schließlich kann die EU keine eigenen Steuern erheben. Das Problem dabei: Weitreichende Entscheidungen müssen in der EU einstimmig getroffen werden. Christian Mölling, Direktor des Programms "Zukunft Europas" bei der Bertelsmann-Stiftung und Experte für europäische Sicherheitspolitik, glaubt, dass es harte Verhandlungen werden könnten. "Die Frage ist: Sind die Staaten bereit, Kompetenzen in der Verteidigungspolitik und so auch Kontrolle abzugeben? In der Vergangenheit war dies nie der Fall", sagt Mölling t-online. Er nennt drei Gebiete, in denen eine gemeinsame Verteidigungspolitik der EU Sinn ergeben würde.

  • Militärische Aufklärung: Also Drohnen, Flugzeuge, Satellitentechnik koordiniert nutzen – Informationen über den Angreifer und seine Armee sammeln.
  • Koordination der Beschaffung: Gemeinsame Verträge aushandeln, um etwa Panzer günstiger zu bestellen.
  • Investitionen in die Forschung: Milliarden in die Entwicklung von neuer Aufklärungs- oder Verteidigungstechnik stecken, um beim technologischen Wettkampf mit den USA und China die Nase vorn zu haben.

"Von der Leyen muss nun zeigen, dass sie die Milliarden sinnvoll investieren wird, um so das Vertrauen der Mitgliedstaaten zu gewinnen", sagt Experte Mölling.

Und genau das ist der Casus knacksus. Denn schon jetzt gibt es Widerstände gegen eine gemeinsame Schuldenaufnahme. Besonders Länder wie Deutschland, Schweden und die Niederlande haben lange darauf bestanden, dass Verteidigungsausgaben vorrangig aus nationalen Budgets bestritten werden – während andere Staaten auf eine europäische Lösung pochen.

Der designierte CDU-Kanzler Friedrich Merz fordert zwar mehr europäische Lösungen. Doch er muss auch seine Partei besänftigen. Schon jetzt steht er wegen des nationalen Schuldenmanövers in der Kritik.

Der Gipfel könnte zudem erneut Unstimmigkeiten innerhalb der EU in Bezug auf die Ukraine aufzeigen. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und sein slowakischer Amtskollege Robert Fico haben bereits ihren Widerstand gegen eine gemeinsame Gipfelerklärung zugunsten der Ukraine signalisiert.

Beide befürworten Trumps Kurs im Ukraine-Konflikt und pflegen enge Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin. Es ist kein Geheimnis, dass Orbán gezielt auf Blockade setzt – die Frage ist, ob er den Widerstand gegen die deutliche Mehrheit der EU-Mitglieder aufrechterhalten kann.

Und es zeichnet sich noch ein anderer Konfliktpunkt ab: zwischen den süd- und den osteuropäischen Staaten. Während Polen und die baltischen Länder entschlossen für eine massive militärische Unterstützung der Ukraine eintreten, wächst in Ländern wie Italien und Spanien die Sorge, dass soziale und wirtschaftliche Investitionen unter der Aufrüstung leiden könnten. "Es droht, ein Split durch die EU zu entstehen. Eine Spaltung der EU wäre ein weiteres Fest für Putin", erklärt Christian Mölling.

Von der Leyen steht unter immensem Druck, die Zeit drängt. Während Europa seine Ukraine-Politik neu justiert, nähern sich die USA unter Trump und Russland immer mehr an. Donald Trumps Ankündigung, die militärische Unterstützung für die Ukraine einzustellen, hat in Europa eine Schockwelle ausgelöst. Dies ist Teil seines Plans, den Krieg beenden zu wollen – koste es die Ukraine, was es wolle. Wolodymyr Selenskyj muss ihm entgegenkommen, auch weil er derzeit schlicht keine andere Option hat, wie mein Kollege Simon Cleven erklärt.

Auch deshalb muss Europa schnell handeln. Mölling fordert: "Die EU sollte nicht vor den USA kapitulieren. Ein Aufrüstungsplan und eigene Pläne für eine dauerhafte Waffenruhe in der Ukraine sind essenziell." Aktuell habe Putin bessere Karten als die Ukraine, Moskau "kann die Situation ausreizen", sagt er. "Ein Frieden kann so nicht entstehen, es wäre höchstens eine Unterwerfung für einen Waffenstillstand."

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Zumal eines klar ist: Sobald die Waffen nicht mehr feuern, keine Raketen mehr über die Ukraine fliegen, wird Putin weiter und wohl noch einmal deutlicher hochrüsten. Auch Experte Mölling weist darauf hin. "Ab da läuft die Zeit", sagt er. "Denn die russische Wirtschaft ist voll auf die Kriegsindustrie ausgerichtet. Putin kann nicht einfach auf die Bremse treten, er braucht den Krieg."

Es sei ein "Trugschluss", dass mit einer Waffenruhe ein dauerhafter Frieden eintrete, so Mölling. "Das Gegenteil ist der Fall: Sie verschafft Putin lediglich eine Atempause. Für uns alle steigt das Kriegsrisiko radikal. Es geht darum: Ist Europa schneller verteidigungsfähig, als Russland wieder angriffsfähig ist?"

Um diese Frage dreht es sich nun: Sind die Staaten und die Bürger Europas vor diesem Hintergrund bereit, einen anderen Weg in der Verteidigungspolitik einzuschlagen? Putin hofft auf die Müdigkeit der Europäer, auf Zögerlichkeit, auf Spaltung. Dieser Gipfel könnte die letzte Chance sein, das Gegenteil zu beweisen. Es geht dabei nicht nur um die Ukraine. Scheitert die EU, könnte sie in die Geschichte eingehen als das Bündnis, das zu schwach war, sich selbst zu beschützen.


Zitat des Tages

Welche bisweilen kuriose Dimension die aktuelle Weltlage angenommen hat, zeigt sich auch in der Aussage eines ehemaligen Außenministers der Bundesrepublik: Joschka Fischer. In einem Interview mit der "Zeit" erklärte der Grüne und Alt-68er den Westen für "beendet".

Um auf Donald Trump zu reagieren, ruft Joschka Fischer die EU dazu auf, eigenständig militärischen Schutz zu organisieren. Auch zuvor hatte er bereits für einen europäischen Atomschirm, die Wiedereinführung der Wehrpflicht und eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben plädiert. Nun sagte er Denkwürdiges: "Dass ich mal öffentlich für diese Dinge eintrete, hätte ich in meinen schlimmsten Albträumen nicht gedacht."


Was steht heute an?

Streiks in Kliniken: Im Tarifstreit des öffentlichen Diensts von Bund und Kommunen ist ein bundesweiter Warnstreik in Krankenhäusern und Pflegeheimen angekündigt. Zu der Arbeitsniederlegung ruft die Gewerkschaft Verdi auf. Nach ihren Angaben ist mit deutlichen Auswirkungen auf Patienten zu rechnen. Auch Rettungsdienste sind betroffen.


Millionenstrafe gegen Deutschland: Die Kommission hat Deutschland verklagt, weil es EU-Recht zum Schutz von Whistleblowern, anonymen Informanten, nicht umgesetzt habe. Gegen Deutschland steht eine Strafe von mindestens 17,2 Millionen Euro im Raum. Falls Deutschland die Richtlinie weiterhin nicht umsetzt, droht ein tägliches Zwangsgeld in Höhe von über 240.000 Euro. Peanuts – Kleinigkeiten – im Vergleich zu den Milliarden, die CDU und SPD aufnehmen wollen. Nun entscheidet der EuGH.


Bekanntgabe der Grimme-Preise: Aus mehr als 700 Einreichungen wurden 64 Produktionen und Einzelleistungen nominiert. Bis zu 16 Grimme-Preise sowie zwei Zusatzpreise für besonders gelungene TV-Produktionen werden vergeben. Dabei gibt es die vier Kategorien Information & Kultur, Fiktion, Unterhaltung sowie Kinder & Jugend. Allein: Das im Bereich Fiktion mögliche Kontingent wurde bei der Nominierung erneut nicht ausgeschöpft. Für den klassischen 90-Minüter fehlt es offenbar derzeit an Kreativität.


Historisches Bild

1987 sorgte die Katastrophe der "Herald of Free Enterprise" für Entsetzen. Mehr lesen Sie hier.


Was lesen?

Die scheidende Außenministerin Annalena Baerbock verzichtet auf den Fraktionsvorsitz der Grünen im Bundestag – aus familiären Gründen. Mein Kollege Patrick Diekmann begleitete Baerbock mehrfach auf Reisen zu diversen Gipfeln. Er schreibt, dass ihr Abschied aus der ersten Reihe nicht endgültig sein muss.


Mit einem Finanzpaket von historischer Größe wollen Union und SPD die Verteidigungsausgaben erhöhen. Welche Folgen die Milliardenschulden für Sparer, Rentner und künftige Generationen haben, zeigt Ihnen t-online-Finanzexpertin Christine Holthoff.


Donald Trump poltert, provoziert und polarisiert. Wie können Staatschefs ihm entgegentreten? Eine Verhandlungsstrategin erklärt meinen Kollegen Axel Krüger und Tim Wendisch im Video, mit welchen Mitteln man dem US-Präsidenten die Stirn bietet.


Milliarden auf Pump: Schwarz-Rot macht das, was die SPD schon seit Langem fordert. Bald-Kanzler Merz muss aufpassen, dass ihn die Sozialdemokraten nicht über den Tisch ziehen, findet Florian Schmidt, Leiter des Hauptstadtbüros.


Zum Schluss

Bittere Erkenntnisse kommen oft unverhofft.

Ich wünsche Ihnen einen verheißungsvollen Donnerstag. Am morgigen Freitag schreibt Ihnen wieder Florian Harms.

Ihr Mauritius Kloft
Ressortleiter Politik und Wirtschaft
X: @Inselkloft

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Mit Material von dpa.

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