t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikDeutschlandInnenpolitik

Baerbock verzichtet auf Vorsitz: Grüne macht schmerzvolles Eingeständnis


Verzicht auf Führungsrolle
Baerbock macht ein schmerzvolles Eingeständnis


05.03.2025 - 16:34 UhrLesedauer: 5 Min.
Annalena Baerbock: Die scheidende Außenministerin strebt vorerst kein führendes Amt in der Bundestagsfraktion der Grünen an.Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock: Die scheidende Außenministerin strebt vorerst kein führendes Amt in der Bundestagsfraktion der Grünen an. (Quelle: OLIVIER MATTHYS/getty-images-bilder)
News folgen

Die scheidende Außenministerin Annalena Baerbock verzichtet auf den Fraktionsvorsitz der Grünen im Bundestag – aus familiären Gründen. Aber ist ihr Abschied aus der ersten politischen Reihe endgültig?

Die vergangenen Jahre waren eine schwere Belastungsprobe, auch für viele Regierungsmitglieder. Krisen, Kriege, Katastrophen – ruhigere Fahrwasser sind in der internationalen Politik nicht in Sicht. Eher sorgt US-Präsident Donald Trump aktuell für das genaue Gegenteil.

Loading...

Deshalb ist diese Legislatur auch für die scheidende Außenministerin Annalena Baerbock mit besonders großen Belastungen verbunden gewesen. Sie reiste in die Ukraine, warb für mehr internationale Hilfe für das von Russland angegriffene Land. Oft war sie auch im Nahen Osten und setzte sich für eine Freilassung der von der Hamas entführten israelischen Geiseln und für eine bessere humanitäre Versorgung der Menschen im Gazastreifen ein.

Wie erfolgreich die deutsche Außenpolitik in dieser Zeit war, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch kaum bewerten. Nur eines liegt auf der Hand: Die deutsche Außenministerin steht im Sturm – und dieser hat schon deutliche Spuren hinterlassen.

Baerbock zieht nun die Konsequenzen daraus, möchte politisch vorerst etwas kürzertreten. So verzichtet sie auf den Vorsitz der Grünen-Fraktion im Bundestag, wie sie in einem Brief an die Fraktion und an ihren Potsdamer Landesverband mitteilt. Die 44-Jährige schreibt darin: Sie habe sich "aus persönlichen Gründen entschieden, erst einmal einen Schritt aus dem grellen Scheinwerferlicht zu machen und mich für kein führendes Amt in der Bundestagsfraktion zu bewerben."

Einerseits ist das ein schmerzvolles Eingeständnis. Andererseits muss Baerbocks Abschied aus der ersten politischen Reise nicht endgültig sein.

Richtungsstreit bei den Grünen

Nach dem enttäuschenden Ergebnis bei der Bundestagswahl geht es für die Grünen auch darum, ihren inhaltlichen Kurs neu zu justieren. Neben dem Vizekanzler und Kanzlerkandidaten Robert Habeck gehört Baerbock nicht nur zu den Galionsfiguren der Partei, sondern beide schoben die Partei auch inhaltlich weiter in Richtung der politischen Mitte. Die Strategie dahinter: Die Grünen sollten auch Wählerinnen und Wähler ansprechen, die vormals die CDU unter Angela Merkel gewählt haben. Und sie wollten ihre Partei anschlussfähiger machen, um auf Bundesebene mit der Union regieren zu können.

All das ging zumindest bei dieser Bundestagswahl schief, und nach nur 11,6 Prozent Zustimmung diskutieren die Grünen nun über Konsequenzen. Vertreter des linken Parteiflügels fordern unter Verweis auf Verluste an die Linkspartei eine liberalere Migrationspolitik und einen stärkeren Fokus auf soziale Themen. Realos hingegen betonen, dass gerade Habeck mit dem Mitte-Kurs der Partei noch im Wahlkampf einen Mitgliederboom beschert habe. Schließlich seien die Grünen nicht so schlimm abgestraft worden wie andere Ampelparteien.

Die Wahrheit liegt wahrscheinlich – wie so oft – irgendwo in der Mitte. Die Verantwortung für das Ergebnis übernahm trotzdem Habeck, der bereits kurz nach der Wahl angekündigt hatte, keine Führungsrolle in der Partei anstreben zu wollen.

Baerbock dagegen ließ sich diese Frage zunächst offen. Noch am Wahlabend war sie als wahrscheinliche neue Grünen-Fraktionschefin gehandelt worden, neben der amtierenden Katharina Dröge vom linken Flügel. Aus Kreisen der Grünen hieß es, dass Baerbock zugreifen müsse, wenn sie das Amt wolle. Sie tat es nicht, und nun dürften Dröge und ihre Co-Vorsitzende Britta Haßelmann, die gerade erst kommissarisch im Amt bestätigt wurden, die Fraktion gemeinsam weiter führen.

"Jahre auf Highspeed"

In ihrem Brief schreibt Baerbock nun, dass sie bis nach der Hamburg-Wahl mit ihrer Entscheidung warten wollte. "Nach Jahren auf Highspeed" habe sie ein paar Tage nachdenken wollen, "was dieser Moment für meine Familie und mich bedeutet", so Baerbock. In dem Zusammenhang nennt sie selbst einen gewichtigen Grund für ihren Verzicht: ihre Familie.

Baerbock erinnert daran, dass sie seit 2008 in unterschiedlichen Funktionen für die Grünen aktiv war. 2018 wurde sie Parteivorsitzende, 2021 die erste Kanzlerkandidatin der Grünen, und seit 2021 ist sie die erste Frau, die deutsche Außenministerin wurde. "In all dieser Zeit habe ich immer alles gegeben", schreibt sie. "Zugleich hatten diese intensiven Jahre auch einen privaten Preis. Daher habe ich mich aus persönlichen Gründen entschieden, erst einmal einen Schritt aus dem grellen Scheinwerferlicht zu machen und mich für kein führendes Amt in der Bundestagsfraktion zu bewerben."

In einer Interviewreihe, die das "Zeit Magazin" im Januar veröffentlichte, wurde deutlich, was sie mit dem "privaten Preis" meint. Darin machte sie die Belastungen öffentlich, die das Amt als Außenministerin für ihre Familie mit den beiden Töchtern bedeutete. Im Juli 2023 berichtete sie, ihre Kinder hätten zwischendurch auch Sicherheitsschutz benötigt. Sie habe sich gefragt: "Wie viel kann ich meiner Familie zumuten? Was bräuchte es eigentlich, damit ich aufhöre?"

Wie geht es für Baerbock weiter?

Im September schilderte Baerbock außerdem einen Vorfall mit einem Stalker, den eine ihrer Töchter miterleben musste. "Und natürlich schwirrt da wieder die Sorge, dass richtig was kaputtgeht oder schon kaputtgegangen ist."

Es waren immer diese Momente, die Baerbocks Amtszeit begleitet haben. Private Urlaube abgesagt, ein Leben aus Koffern, Töchter, die ihre Mutter vermissten. Aber nicht nur ihre Familie stand öffentlich in der Schusslinie, sondern auch Baerbock selbst wurde immer wieder mit Anfeindungen, Sexismus und Witzen unter der Gürtellinie gegen sich konfrontiert. Das reichte von Häme bei jedem ihrer Versprecher bis hin zu gefälschten Berichten über eine Affäre oder gefakte Nacktbilder der Außenministerin. Die zahlreichen Angriffe steigerten auch bei ihr die Unsicherheit und führten dazu, dass Baerbock ihre öffentlichen Auftritte stärker kontrollierte, berichten Mitarbeiter ihres Ministeriums.

Loading...
Loading...

Hinzu kommt, dass Baerbock und ihr Ehemann Daniel Holefleisch im November ihre Trennung bekannt gaben. Für die beiden Töchter, die heute neun und 13 Jahre alt sind, möchten beide weiter gemeinsam sorgen. Auch im gemeinsamen Zuhause in Potsdam wollte die Familie weiter wohnen.

Nun nimmt sich Baerbock also eine Atempause – für ihre Familie und wahrscheinlich auch für sich selbst.

Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass dieser Abschied aus der ersten Reihe endgültig ist. Immerhin ist sie nicht nur bekannt, sondern laut Umfragen auch weiterhin in der Bevölkerung beliebt und erst 44 Jahre alt. Auch eine Rolle als Bundestagsabgeordnete ist fordernd, aber so kann die Grünen-Politikerin in der nächsten Legislatur wahrscheinlich mehr Zeit in der Nähe von Potsdam verbringen, ihrem Zuhause. Natürlich kämen künftig für eine dann ehemalige deutsche Außenministerin auch andere Posten in der internationalen Politik infrage. Aber auch mit Blick auf eine mögliche Kanzlerinnenkandidatur der Grünen für die Bundestagswahl 2029 könnte Baerbock zu den Favoritinnen zählen, heißt es aus Parteikreisen.

Verwendete Quellen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



Telekom