Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Trump macht es wirklich
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Ab heute ist die Welt eine andere. Frei nach Mark Twain soll man mit Prophezeiungen bekanntlich vorsichtig sein, erst recht, wenn sie die Zukunft betreffen. Dass sich die Weltpolitik jetzt stark verändern wird, lässt sich jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen. Der 78-jährige Donald John Trump aus New York City ist gestern Abend deutscher Zeit zum zweiten Mal als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt worden; kein Vorgänger war bei Amtsantritt älter. Die kommenden vier Jahre dürften noch turbulenter und folgenschwerer verlaufen als seine erste Präsidentschaft.
In seiner Antrittsrede hat Trump seine Marschrichtung verkündet: "An jedem Tag meiner Regierung werde ich einfach Amerika an die erste Stelle setzen!" Und weiter: "Das goldene Zeitalter der USA beginnt jetzt!" Natürlich hat jeder Regierungschef die Belange seines Landes vorrangig im Auge. Doch was Trump tut, reicht viel weiter: Er verpasst den USA ein neues Antlitz und einen neuen Kurs. Diesen Regierungskurs könnte man N.A.N. nennen – Neuen Amerikanischen Nationalegoismus.
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Dieser N.A.N. wird die Weltpolitik ab jetzt prägen. Er entspringt nicht allein Trumps Ego. Er wurzelt in der Demütigung, die Millionen amerikanische Wähler angesichts verbreiteter Armut, verfallender Industriestädte und wohlstandsfressender Inflation peinigt. Jedes andere Land, ob Verbündeter oder Rivale, muss sich nun zum N.A.N. verhalten. Wer künftig etwas von den USA haben möchte – militärischen Schutz, Handelsabkommen oder schlicht einen kalten Frieden, muss zahlen. "Transaktionale Politik" nennen die Politikwissenschaftler dieses Prinzip, aber man kann auch einfach das Alte Testament zitieren: Wie du mir, so ich dir (und im Zweifel siegt der Stärkere). Dialogbereitschaft, Versöhnung oder gar eine Vermittlerrolle kommen in diesem Weltbild nicht vor. "Amerikas Niedergang ist vorbei!", raunte der mächtigste Donald aller Zeiten mit langem Blick in die Kameras der Weltpresse.
Sprach es und schaffte gleich Fakten: Als erste Amtshandlung im Weißen Haus hat Trump zahlreiche "Executive Orders" unterschrieben, mit denen er am Parlament vorbei regiert:
An der Südgrenze zu Mexiko hat er einen "nationalen Notstand" erklärt, Soldaten sollen illegale Grenzübertritte von Migranten verhindern. Zudem sind Razzien in mehreren Städten geplant, um Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung aufzugreifen und auszuweisen. Im Kampf gegen Großstadt-Gangs soll die Polizei härter zupacken. Ausländische Drogenkartelle werden als Terrororganisationen eingestuft. Um die Energiepreise zu senken, will Trump "nach Öl bohren, was das Zeug hält". Die Erklärung einer "nationalen Energienotlage" dient als Rechtfertigung. Aus dem Pariser Klimaabkommen ziehen sich die USA zurück. Wichtige Entscheidungen Joe Bidens zum Klimaschutz, wie die Elektroauto-Förderung, werden kassiert. Neue Zölle erheben die USA zwar nicht sofort, deutsche Firmen können kurz aufatmen. Doch Trump hat die Bundesbehörden angewiesen, die Handelsbeziehungen der USA unter die Lupe zu nehmen – wo sie ihm unvorteilhaft erscheinen, will er schnell eingreifen. Behörden sollen nur noch zwei Geschlechter anerkennen; staatliche Programme zur Förderung von Diversität werden beendet. "In den USA regiert nun eine neue politische Kälte", kommentiert mein Kollege Patrick Diekmann.
Trump legt im Eiltempo los, weil er liefern muss: Die Erwartungen seiner Anhänger sind riesig. Viele vergöttern ihn wie einen Messias, er hat ihren Glauben in seiner Antrittsrede genährt, als er an das Attentat während des Wahlkampfs erinnerte: "Mein Leben wurde gerettet, um Amerika wieder großzumachen!" Viele Bürger erwarten von ihm nicht nur abstrakt einen Wirtschaftsaufschwung und eine sinkende Inflation, Schranken gegen Armutseinwanderer und weniger Steuergeldausgaben für Kriege. Viele erhoffen sich von ihrem Idol persönlich ein besseres Leben: sofort mehr Geld im Portemonnaie, schnell höheren Lebenskomfort, einen attraktiveren Arbeitsplatz. Das ist die Botschaft hinter offiziellen Umfragen wie dieser:
Alle diese Hoffnungen von Millionen Amerikanern zu erfüllen, ist selbst einem Menschen unmöglich, der sich für Superman hält. Deshalb dürften der Präsident und seine Berater bald beginnen, Nebelkerzen zu werfen, um von ungelösten Problemen abzulenken. Während seiner ersten Amtszeit setzte Trump exzessiv auf diese Taktik und versuchte durch tägliche Schimpftiraden gegen wechselnde Opfer sein miserables Corona-Management vergessen zu machen. Heute kann man seine Annektierungsfantasien im Hinblick auf Grönland und den Panamakanal durchaus als Ablenkungsmanöver von dem gebrochenen Versprechen verstehen, den Krieg in der Ukraine "binnen 24 Stunden zu beenden". Die Ukraine erwähnte Trump in seiner Antrittsrede kein einziges Mal.
Die Taktik funktioniert: Sowohl in der Politik als auch in (a)sozialen und seriösen Medien überschlagen sich Kommentatoren und Kritiker, springen über jedes Stöckchen, das der Zampano ihnen hinhält. So treibt Trump die Öffentlichkeit vor sich her, schürt Begeisterung oder Wut, erschwert Vernunft, Pragmatismus und Kompromissbereitschaft, ohne die in der Politik nichts geht.
Will man schon zu Beginn von Trumps zweiter Amtszeit eine Lehre ziehen, ist es daher diese: Ja, man muss diesen Mann ernst nehmen. Ja, man muss seine Taten genau beobachten und laut widersprechen, wenn er Schwächere drangsaliert oder die demokratischen Grundfesten antastet. Aber man sollte sich zugleich von seiner Logorrhö nicht kirre machen lassen. Die wichtigste Eigenschaft im Umgang mit einem Disruptor wie Trump ist ein kühler Kopf. In anderthalb Jahren beginnt der Wahlkampf für die Kongresswahlen. Dann kann sich der Wind in Amerika schon wieder drehen.
Wie es die anderen sehen
Die Menschen in Europa schauen überwiegend skeptisch bis kritisch auf Trumps zweite Präsidentschaft, viele befürchten eine Schwächung des Westens. Anders sieht es andernorts aus: In vielen Ländern meint man eher eine Chance für den Frieden zu erkennen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des European Council on Foreign Relations und der Universität Oxford, für die 28.000 Menschen in 24 Staaten befragt wurden. Demnach glaubt in Indien, Saudi-Arabien, Brasilien, Südafrika und der Türkei eine Mehrheit, dass Trumps Politik eher gute Folgen haben werde. In Russland und China ist es ähnlich.
Die Autoren der Umfrage geben den Europäern deshalb eine Empfehlung: Sie sollten sich weniger über Trump beklagen, sondern lieber an ihrem eigenen Einfluss in der Welt arbeiten und neue Partnerschaften schmieden. Guter Rat ist gar nicht teuer.
Meeting der Mächtigen
Wo kann man neue Partnerschaften anbahnen? Zum Beispiel da, wo sich die einflussreichsten Strippenzieher aus Politik und Wirtschaft treffen: Zeitgleich mit Trumps Amtsantritt begann gestern in Davos das jährliche Weltwirtschaftsforum. In dem abgeriegelten Schweizer Alpenort diskutieren Staaten- und Firmenlenker aus ganz Europa, wie sie auf die Wachstumsschwäche ihrer Länder reagieren und wie sie amerikanische Zölle kontern könnten.
Antworten werden heute erwartet: Auf der Tagesordnung stehen Reden von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Noch-Kanzler Olaf Scholz und Noch-Oppositionsführer Friedrich Merz. Außerdem sprechen der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der israelische Staatspräsident Izchak Herzog. Aus China ist immerhin Vizepremierminister Ding Xuexiang angereist. Trump schaltet sich erst am Donnerstag per Video dazu.
An – aus – an
Die TikTok-Auszeit in den USA währte nur kurz. Rund zwölf Stunden lang konnten 170 Millionen amerikanische Nutzer am Wochenende nicht auf die Video-App zugreifen, weil das staatliche Verkaufs-Ultimatum an den chinesischen ByteDance-Konzern abgelaufen und ein Verbot in Kraft getreten war. Dank einer von Donald Trump angekündigten Fristverlängerung wurde die Plattform jedoch wieder freigeschaltet.
Und nun? Muss der von TikTok-Chef Shou Zi Chew umschmeichelte US-Präsident zügig einen geeigneten Käufer finden, den auch China akzeptiert. Dem Vernehmen nach haben sich vom KI-Startup Perplexity über den YouTube-Star Jimmy "MrBeast" Donaldson bis zum früheren Finanzminister Steven Mnuchin etliche Interessenten in Stellung gebracht. Auch eine Lösung, bei der TikTok nur bestimmte Teile seines US-Geschäfts abgibt und Trump am Ende trotzdem erklärt, dass es sich um die vorgeschriebene "qualifizierte Veräußerung" handle, erscheint denkbar. Das wäre zwar eine Biegung des Gesetzes, aber dafür ist der selbst ernannte "Dealmaker" ja bekannt.
Ohrenschmaus
Ein Song über amerikanische Macht, Privilegien und Ungerechtigkeit? Ja, den gibt es.
Grüne auf Abwegen
Der Skandal um die mutmaßlich erfundenen Belästigungsvorwürfe gegen den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar wird immer absurder – und kennt nur Verlierer: Während der öffentlich-rechtliche ARD-Skandalsender RBB sich fragen muss, wieso er sich offenbar leichtfertig täuschen und Sorgfalt in der Verdachtsberichterstattung vermissen ließ, ist die Krisenkommunikation der Grünen ebenfalls kein Ruhmesblatt. Und dass auf dem ursprünglich für Gelbhaar vorgesehenen Berliner Landeslistenplatz nun Andreas Audretsch steht, der Wahlkampfmanager des grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck, sieht auch nicht gut aus – selbst wenn er angibt, mit einer möglichen Intrige nichts zu tun zu haben. Was da wohl noch kommt?
Lesetipps
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Jurijs Saule hat als getaufter Jude einen Kinofilm über den Islam gedreht. Im Interview mit meiner Kollegin Simone Bischof erklärt er, wie weit Rache reicht.
Zum Schluss
Das kann ja heiter werden.
Bleiben Sie trotzdem fröhlich und zuversichtlich. Morgen kommt der Tagesanbruch von Bastian Brauns aus Washington, von mir lesen Sie am Donnerstag wieder.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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Mit Material von dpa.