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Schock nach US-Wahl: Wegschauen hilft nicht gegen Donald Trump


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Tagesanbruch
Wegschauen hilft nicht

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 08.11.2024Lesedauer: 7 Min.
Der gewählte US-Präsident Donald Trump will Deutschland bezahlen lassen.Vergrößern des Bildes
Der gewählte US-Präsident Donald Trump will Deutschland bezahlen lassen. (Quelle: Brian Snyder/REUTERS)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

eine wilde Woche geht zu Ende. Auf sie folgt: die nächste wilde Woche. Trump zurück, Ampel aus, Nachrichten im Minutentakt. Vielleicht wünschen Sie sich einen Moment der Ruhe, um zur Besinnung zu kommen. Oder Sie sehnen sich nach mehr als bloß einer Atempause. Das Chaos, die Unsicherheit, all das Negative, der Stress: Für manche von uns wird das News-Dauerfeuer zu viel. Ich verstehe das. Aber es ist gefährlich.

Um Ihnen zu verdeutlichen, warum es gefährlich ist, möchte ich Sie heute zu einem Gedankenspiel einladen: Was passiert eigentlich, wenn man den Rückzug ins Private, in die kleine Welt, tatsächlich umsetzt? Kann man die Politik vor die Haustür verbannen oder kommt sie dann durchs Fenster wieder rein? Und was hat sich verändert, wenn das geschieht?

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Schon die bloße Frage trägt dazu bei, die Reizüberflutung und das Chaos ein wenig zu sortieren. Klar: Es kann Stress auslösen, so viele umwälzende Ereignisse zu verfolgen. Doch was uns diese Woche in Form von Eilmeldungen um die Ohren fliegt, ist extrem. Das Drama in den USA zerrt an den Nerven – ebenso das in Berlin, allerdings nicht in derselben Intensität.

Der Bruch der Ampelkoalition sorgt für Unsicherheit zum ungünstigsten Zeitpunkt. Nach Trumps Wahl zum US-Präsidenten schaltet ganz Europa hektisch, teilweise auch panisch, in den Krisenmodus. Ausgerechnet das größte Land der Gemeinschaft gerät in diesem Moment zum Totalausfall. Die unerträgliche Streiterei in der Ampeltruppe macht nun dem Wahlkampf Platz. Der ist zugegebenermaßen auch eine Form der Streiterei, aber immerhin eine mit werbender Absicht. Am Ende winkt ein Neuanfang. Der Kollaps in Berlin – ausgerechnet jetzt – ist ein Problem, aber zugleich eine Chance.

Es wäre schön, wenn man das beim Blick über den Atlantik auch behaupten könnte. Doch Trumps Rückkehr ins Weiße Haus ist ein gewaltiges Problem und sonst leider nichts. Anstrengend und kräftezehrend wird seine zweite Amtszeit werden – und wenn das schon alles ist, können wir froh sein. Der Hass, das GESCHREI IN GROSSBUCHSTABEN, die irren Tweets, das Stakkato der Skandale, Provokationen, Atemlosigkeit, Lügen, Lügen und noch mehr Lügen, der grenzenlose Egoismus … Wenn man auch nur anfängt, sich an die letzte Präsidentschaft Trumps zu erinnern, möchte man tatsächlich die Tür zumachen. Und zweimal abschließen.

Genau das probieren wir jetzt aus. Die weite Welt bleibt einfach draußen. Wir stellen uns ein unpolitisches Leben vor, in der sicheren Burg unseres Zuhauses, in einem kleineren und erfreulich überschaubaren Mikrokosmos. Dort geht der Alltag seinen Gang: tagsüber Small Talk mit den Kollegen, abends ein bisschen fernsehen, aber bitte nur Unterhaltung. Beim Gong der Tagesschau sofort weiterzappen. Wir treffen Freunde und reden über Persönliches – die Familie vielleicht, Geschichten von der Arbeit. Auf dem Handy wandern Smileys hin und her, lustige Videos werden geteilt, bei Politik sind wir raus. Das schont die Nerven. Die Stimmung ist gut. Läuft bei uns.

Eines Tages tauchen bei der Arbeit allerdings Leute vom Management auf, alle mit düsteren Mienen. Auf die "Gesamtlage" verweist jemand in der Versammlung, von "schwerwiegenden Einschnitten" ist die Rede und dem Bemühen um eine "weitgehend sozialverträgliche" Lösung für den leider unumgänglichen Stellenabbau. Angesichts des "herausfordernden globalen Umfeldes" gehe es einfach nicht weiter wie bisher. Selbst die Arbeitnehmervertreter nicken bei diesem Satz. Nach der Versammlung ereifern sich ein paar Kollegen über den "Scheiß Trump" und reden von irgendwelchen Zollschranken, von Auftragsflaute durch den eingebrochenen Export, manche erwähnen einen Handelskrieg und dass das alles ja kein Wunder sei. Egal. Zum Glück habe ich gehört, dass meine Abteilung von den Kündigungen verschont bleibt. Einen Riesenschrecken hat mir die Ankündigung trotzdem eingejagt. Job weg: Das hätte gerade noch gefehlt! Das Geld wird ja auch so schon immer knapper.

Ja, überhaupt ist das schon komisch, am Monatsende bleibt immer weniger übrig, man muss ganz schön rechnen. Auf der Gehaltsabrechnung sieht das Brutto eigentlich so erfreulich aus wie immer, aber was hinterher auf dem Konto landet, scheint immer weniger zu sein. Im Büro meckert ständig jemand über die steigenden Abzüge. Ich habe das Gefühl, das könnte noch eine Weile so weitergehen. Neulich habe ich aufgeschnappt, wie jemand zu einer möglichen Mehrwertsteuererhöhung seinen Senf abgab – wird in Berlin wohl gerade debattiert. Andere Kollegen wurden dann ganz aufgeregt. Sofort war von krassen Verteidigungsausgaben und hektischen Rüstungsbemühungen die Rede und von "der Sache mit der Nato". Die hat wieder irgendwas mit dem "Scheiß Trump" zu tun und auch mit dem "Scheiß Putin". Das wurde mir aber zu politisch, da war dann Schluss für mich.

In der Straßenbahn, das ist mir vor ein paar Tagen mal wieder aufgefallen, wird übrigens immer öfter sowas Osteuropäisches gesprochen. An der Supermarktkasse unterhielt sich der Kassierer mit einer Kundin auch in so einer Sprache. "Aus der Ukraine", haben meine Freunde gesagt, als ich ihnen das erzählt habe, da "sind jetzt ja noch mal richtig viele gekommen". Sei aber auch klar, meinten sie, nachdem das da den Bach runterging. Schon schlimm, was mit dem Selenskyj am Ende passiert sei. Ob man da nicht doch mehr hätte machen können, auch ohne die Amis? Eine Schande sei das gewesen, warf meine Cousine noch ein. Aber ich habe sie von dem Thema zum Glück schnell wegbekommen, als ich nach dem Fortschritt des Hauses gefragt habe. Ihr Mann und sie, die bauen nämlich gerade.

Bessere Laune hat meine Cousine dadurch aber nicht bekommen. Man müsse an immer mehr denken, es werde auch immer teurer dadurch. Die Bauvorschriften seien ja längst nicht alles. Angesichts der Zukunftsaussichten reiche das nicht mehr, schließlich sollen die Kinder das Haus auch noch bewohnen können. Dann hat sie lange von Wasserableitung bei plötzlichem Starkregen und dem überflutungssicheren Keller erzählt, über Ventilationsmöglichkeiten und Hitzetoleranz geredet, und natürlich ging es irgendwann mit ihrem Politikfimmel wieder los: wegen der Klimaziele, die ja jetzt alle in der Tonne seien, woran wieder mal der "Scheiß Trump" schuld sei, aber wohl nicht alleine. Jedenfalls habe ich mich dann verabschiedet.

Zum Glück interessiert mich das alles nicht mehr. Das mit dem weniger Netto vom Brutto ärgert mich allerdings gewaltig. Die Osteuropäer überall – ach, Entschuldigung, die "Ukrainer" – gehen mir mittlerweile auch auf den Keks. Wer bezahlt denn für die? Na, wer wohl? Eine Frechheit ist das! Die kommen einfach hierher, und bei uns gehen die Lichter aus! Zwischen den Witz-Videos auf TikTok sieht man auch immer mehr Leute, die sowas sagen. Da ist schon was dran. Einer muss endlich mal das Ruder rumreißen!

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Mit meiner Cousine, der blöden Kuh, habe ich mich deshalb schon heftig gezofft. Die behauptet einfach, das sei ganz schön beängstigend mit "Putins Marionetten", die jetzt in der Ukraine regieren. Angeblich können die Leute hier nicht einfach wieder zurück, und dann schwafelt sie von Weltlage und ausgehöhltem Nato-Bündnis und gefährlich, gefährlich, huuu! Krise! Alarm! "Heul doch!", hab ich zu ihr gesagt. "Hier muss bloß mal einer richtig aufräumen!" Ich weiß auch schon, wer. Ich sehe immer wieder deren Videos in meinem TikTok-Feed, find ich gut. Die fackelt nicht lange, die Alternative.

Im Moment liegt der Kontakt zu meiner Cousine übrigens auf Eis. Ich interessiere mich neuerdings auch wieder mehr für Politik. War ja schon lange nicht mehr der Fall. Hab ich was verpasst?

So, damit beenden wir unser kleines Gedankenspiel. Aber nicht, ohne uns noch rasch die Frage zu stellen: Warum noch mal haben in den USA so viele Wähler dem irren Hetzer Trump ihre Stimme gegeben? Im Alltag interessieren sich viele Menschen dort nicht die Bohne für Politik. Die gestiegenen Lebenshaltungskosten allerdings treiben die Leute um. Und was geschieht, wenn beides zusammenwirkt? Die Antwort lautet: siehe oben. Also machen Sie bitte nicht den Fehler, keine Nachrichten mehr zu lesen. Es gibt übrigens auch Lichtblicke. Hier beschreibe ich sie.


Ohrenschmaus

Was hilft gegen düstere Nachrichten? Natürlich Liebe.


Neuwahlen wann?

Geht es nach dem Fahrplan von Olaf Scholz, wird der Kanzler am 15. Januar die Vertrauensfrage stellen und so eine vorgezogene Bundestagswahl Ende März herbeiführen. Der angezählte Regierungschef würde gern bis Weihnachten noch alle Gesetzentwürfe zur Abstimmung stellen, die aus seiner Sicht "keinerlei Aufschub" dulden: Steuerentlastungen, das Rentenpaket, die Regeln zum europäischen Asylsystem und Hilfen für die kriselnde Industrie.

Dass das schwierig zu realisieren ist, dürfte aber auch ihm selbst klar sein: Schließlich wäre er dabei nach dem Bruch seiner Ampelkoalition auf die Unterstützung von CDU und CSU angewiesen. Und die haben naturgemäß kein Interesse, der politischen Konkurrenz auf den letzten Metern beim Aufpolieren der Bilanz zu helfen. Deshalb drängt CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz auf die Vertrauensfrage schon in den kommenden Tagen und einen Neuwahltermin in der zweiten Januar-Hälfte. Wie ein Gespräch der Kontrahenten gestern verlief, berichten Ihnen unsere Reporter Sara Sievert, Johannes Bebermeier und Daniel Mützel.


Meloni versucht’s wieder

Der erste Versuch der italienischen Rechtsregierung, Asylbewerber nach Albanien auszulagern, endete in einer Blamage: Nach einem Gerichtsurteil mussten Migranten aus Ägypten und Bangladesch, die in den neuen Aufnahmeknästen untergebracht waren, doch nach Italien gebracht werden, weil ihre Herkunftsländer als unsicher eingestuft waren. Nun versucht es Ministerpräsidentin Giorgia Meloni erneut: Nachdem sie per Erlass eine aktualisierte Liste von 19 vermeintlich sicheren Herkunftsländern festgesetzt hat, soll heute ein italienisches Marineschiff mit acht (!) Menschen in Albanien ankommen. Mal sehen, was die Justiz dieses Mal sagt.


Lesen und gucken

Diese Rede ist ebenso provokativ wie entlarvend: Was der Historiker Marko Martin beim Empfang zum 35. Jahrestag der Friedlichen Revolution in der DDR dem Bundespräsidenten ins Gesicht geschleudert hat, sollten Sie hören.


Olaf Scholz hat seinen Vertrauten Jörg Kukies zum neuen Finanzminister gemacht. Der steckt im Sumpf des Cum-Ex-Skandals, schreibt unser Rechercheur Carsten Janz.


Donald Trumps Wahlsieg hat in Berlin eine politische Schockwelle ausgelöst. Die Bundesregierung hat sich kaum auf das Szenario vorbereitet, berichtet mein Kollege Patrick Diekmann.


Brechen nun unsichere Zeiten für die Demokratie an? Der Historiker Volker Ullrich, Experte für die Weimarer Republik, erklärt im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke, welche Fehler jetzt unbedingt vermieden werden müssen.


Zum Schluss

Herr Wissing bleibt Minister.

Bleiben Sie trotz allem zuversichtlich.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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