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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Folgen der US-Wahl Trump nimmt Deutschland ins Visier
Der Wahlsieg von Donald Trump löst in Berlin eine politische Schockwelle aus. Es wachsen Zweifel daran, ob Deutschland sich in den vergangenen Jahren ausreichend auf dieses Szenario vorbereitet hat. Die Bundesregierung steht vor einem Dilemma.
Es herrscht Katerstimmung im politischen Berlin. Vor allem die Bundesregierung hatte viele Monate gehofft, dass Deutschland diese Entwicklung am Ende erspart bleibt. Doch nun steht es fest: Donald Trump ist zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. Neben zahlreichen Krisen, Kriegen und allgemein einer wachsenden globalen Unordnung werden Deutschland und Europa auch ihr Verhältnis zu den USA und insbesondere zu einer weiteren Trump-Administration neu justieren müssen. Und darauf hätte Deutschland nur allzu gern verzichtet.
Ruhe bewahren, Deutschland sei gut auf Trump vorbereitet. Das ist die bestimmende Botschaft, die viele deutsche Politiker am Mittwoch im Bundestag kommunizieren. Aber hinter den Kulissen herrscht durchaus Ernüchterung, denn der Wahlsieg von Donald Trump wirft die transatlantischen Beziehungen um Jahre zurück und gefährdet das, was der amtierende US-Präsident Joe Biden nach Trumps erster Amtszeit mit Mühe wieder aufgebaut hatte.
Der Schock in Berlin sitzt dementsprechend tief, selbst bei jenen Politikern und Experten, die im Vorfeld einen Trump-Sieg für möglich gehalten haben.
Der Trump-Sturm wird kommen. Doch wie gut ist Deutschland auf vier weitere Jahre mit einem Präsidenten im Weißen Haus vorbereitet, der in der internationalen Politik als unberechenbar gilt? Alle politischen Schotten dicht, es wird in Europa nun um innere Geschlossenheit gehen. Das Sorgenkind dabei ist Deutschland, denn die Bundesrepublik steht nach dem Aus der Ampelkoalition mit einer Regierung ohne Mehrheit dar. Dabei wird Trumps Rückkehr ins Weiße Haus teuer, vor allem für Deutschland.
"Die Zeiten sind sehr ernst"
Mehr deutsche Souveränität in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Mehr Zusammenarbeit in Europa. Das sind die Botschaften, die deutsche Politiker am Mittwoch in Berlin fast schon mantraartig verbreiten. Über diese Ziele sind sich die ehemaligen Ampelparteien und die Union wahrscheinlich untereinander einig.
Doch am Tag nach der US-Wahl wird vor allem auch die Uneinigkeit zwischen den politischen Akteuren deutlich, wie dieses Ziel erreicht werden soll. In der politischen Debatte über die Konsequenzen der Trump-Rückkehr werden vor allem viele Gefäße auf den Tisch gestellt. In Deutschland werden Maßnahmen diskutiert, die nach Trumps Wiedereinzug ins Weiße Haus nötig seien. Doch wie diese politischen Gefäße konkret gefüllt werden können, bleibt am Tag nach der US-Wahl offen.
Auch Grünen-Chef Omid Nouripour bleibt eher vage: "Die Verwebungen und die Abhängigkeiten zwischen den USA und Europa sind groß und es wird sich herausstellen, ob unsere Maßnahmen ausreichend waren", sagt er im Gespräch mit t-online. "Ich glaube, dass wir noch deutlich mehr tun müssen, vor allem auf europäischer Ebene. Wir brauchen deutlich mehr Sicherheitsinvestitionen in diesem Land und mehr europäische Zusammenarbeit. Die Zeiten sind sehr ernst, das sehen wir alle."
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Der scheidende Grünen-Vorsitzende ist auch im Vorstand der Atlantik-Brücke, jenem Verein, der die transatlantische Zusammenarbeit stärken möchte und den Trump nun erneut vor immense Herausforderungen stellen wird. Gemeinsam nach einer Pressekonferenz am Mittwoch gibt Nouripour noch mehreren deutschen Fernsehsendern ein kurzes Interview, in dem er behauptet, dass Europa sicherheitspolitisch den Wegfall der Amerikaner mit Blick auf militärische Ausrüstung nicht kompensieren könne.
Nachdem Nouripour sein Statement beendet hat, wird er von Atlantik-Brücken-Chef Sigmar Gabriel angesprochen. "Wir können schon, wir müssen nur wollen", sagt Gabriel. Schließlich hätten Deutschland und Europa eine ausreichend hohe Wirtschaftskraft. "Und Trump würde uns nur allzu gerne seine Waffen verkaufen", meint Gabriel, als die Fernsehkameras bereits ausgeschaltet waren.
Die Zeit des Weltpolizisten ist vorbei
Diese Szene offenbart einen problematischen Diskurs, der in Deutschland nach der US-Wahl nun weiter befeuert werden wird: Kann die Bundesrepublik mit Blick auf die russische Aggression in Europa den sicherheitspolitischen Anforderungen gerecht werden und kann gleichzeitig die Schuldenbremse eingehalten werden? Und: Während die USA und China wirtschaftlich immer protektionistischer werden, sollte dann nicht auch Deutschland die eigene Wirtschaft subventionieren?
Die Ampel ist auch am Unwillen der FDP zerbrochen, in dieser Krisenzeit Ausnahmen bei der Schuldenbremse zu machen. Dabei liegt eines auf der Hand: Trump wird die Bundesregierung und andere europäische Regierungen zur Kasse bitten, mit Blick auf die Sicherheit Europas und auf die Verteidigung der Ukraine. Angesichts dieser geopolitischen Herausforderungen könnte der künftige US-Präsident von den Europäern mehr Verteidigungsausgaben fordern als die zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, auf sich die Nato-Länder geeinigt haben. Denn es wurde bereits im US-Wahlkampf deutlich, dass Trump den Ukrainekrieg als europäisches Problem sieht, für das er eigentlich nicht zahlen möchte.
Deutschland könnte mit der Zeitenwende und somit auch mit gestiegenen Rüstungsausgaben argumentieren, aber die Bundesregierung steht durchaus vor einem Dilemma: Denn der künftige Präsident möchte vor allem nach seinen großmundigen Forderungen im Wahlkampf, dass er selbst dafür verantwortlich ist, dass Deutschland mehr zahlt. Allgemein ist die Bundesregierung bereit, mehr Verantwortung zu tragen. Der ehemalige Außenminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel sagt t-online: "Ich bin für mehr europäische Souveränität." Eine starke europäische Säule in der Nato sei dringend nötig. "Dafür müssen wir nun auch mit den Briten sprechen."
Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Das hätte schon längst passieren können. Selbst unter einem US-Präsidenten wie Biden, der sich als Transatlantiker versteht, wurde deutlich, dass die USA eben nicht mehr die Sicherheit Europas bezahlen möchten. Viele Jahrzehnte war es der Kern der amerikanischen Außenpolitik, die Rolle des Weltpolizisten auszuüben. Auch, weil viele US-Regierungen nach dem Chaos des Zweiten Weltkriegs europäischen Mächten wie Deutschland nicht trauten.
Aber diese Zeiten sind vorbei, und das wären sie auch ohne Trump gewesen. Die USA werden die Sicherheit des europäischen Kontinents zunehmend den Europäern überlassen und sich den eigenen sicherheitspolitischen Interessen im Indopazifik und ihrer Rivalität mit China zuwenden. Trump wird zum Katalysator dieser Entwicklung werden.
Dialog mit dem Trump-Lager
Das wird die europäischen Nato-Verbündeten unter Zugzwang setzen und auch für Deutschland wird die Trump-Präsidentschaft vermutlich teuer werden. Zum Beispiel: Sollten sich die USA unter Trump aus der Ukraine-Unterstützung zurückziehen, müssten die Europäer mehr in die Verteidigung der Ukraine investieren, damit Wladimir Putin seinen Krieg nicht gewinnt. Und falls er gewinnen sollte, müsste Deutschland mehr in die eigene Sicherheit investieren, weil damit Russland eine größere Gefahr für die Ostflanke der Nato ausgeht und auf den Beistand der Amerikaner unter Trump eben kein Verlass mehr ist.
Es ist eben diese Unberechenbarkeit Trumps, die in Deutschland Angst schürt, besonders in sicherheitspolitischen Fragen. Bereits im US-Wahlkampf wetterte der künftige US-Präsident gegen die Bundesrepublik, monierte, dass die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mehr für Sicherheit ausgeben wollte. Ihm ist außerdem die deutsche Autoindustrie ein Dorn im Auge und schon während seiner ersten Amtszeit belegte er deutsche Automobile mit Zöllen. Schließlich würden in Deutschland keine amerikanischen Autos herumfahren, so Trump im Jahr 2019.
Das alles ist Gift für Deutschland, besonders inmitten einer Wirtschaftskrise und eines Krieges in Europa. Kanzler Olaf Scholz hat weniger Stunden nach Trumps Wahlsieg seinen Finanzminister Christian Lindner entlassen und die FDP wird aus der Ampel aussteigen. Ein innenpolitisches Chaos, das zur Unzeit kommt. Die Bundesregierung ist kraftlos und scheint sich in den vergangenen Jahren auch nicht gut auf das Trump-Szenario vorbereitet zu haben. Trump wird auch Deutschland testen und vor allem die Bereitschaft, sich gemeinsam gegen Druck aus dem Weißen Haus zu wehren. Das offenbart das nächste Dilemma: Die deutsche-französische Achse ist schwach wie selten und die Bundesregierung ist auch innenpolitisch instabil und zerstritten. Das könnte unter Trump teuer werden.
Somit wird es für die Bundesregierung in den kommenden Monaten darum gehen, die Beziehungen zu den europäischen Partnern zu verbessern. Es wird auch darum gehen, in den Dialog mit der kommenden Trump-Administration zu gehen und gleichzeitig die Zeit zu nutzen, in der Biden noch im Amt ist.
Deutschland und die Europäische Union haben bisher geschlafen und es gibt eben keinen Maßnahmenkatalog, den man nun aus der Schreibtischschublade holen kann – jetzt, wo Trump gewählt ist. Deshalb geht es jetzt darum, die Folgen des Trump-Sturms zu minimieren. Denn er wird kommen, so viel scheint nach der US-Wahl sicher.
- Gespräche mit Sigmar Gabriel und Omid Nouripour
- Eigene Recherche