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Ampel-Aus und Wahl von Donald Trump: "Nicht die Zeit für taktische Spielchen"


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Historiker Volker Ullrich
"Zeigt besorgniserregende Parallelen"

InterviewVon Marc von Lüpke

07.11.2024Lesedauer: 12 Min.
Christian Lindner, Robert Habeck, Olaf Scholz: Die Ampelkoalition ist am Ende.Vergrößern des Bildes
Christian Lindner, Robert Habeck, Olaf Scholz: Die Ampelkoalition ist am Ende. (Quelle: IPON/imago-images-bilder)

Das Weiße Haus geht an Donald Trump, die deutsche Ampelkoalition ist gescheitert. Wie steht es um die Demokratie? Volker Ullrich, Experte für die Republik von Weimar, spricht im Interview über die Gründe für das Scheitern von Demokratien.

Am 9. November 1918 entstand die erste parlamentarische Demokratie Deutschlands, 1933 endete diese Republik von Weimar mit der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur. In unserer Gegenwart ist die Demokratie erneut weltweit gefährdet: In den USA kehrt etwa Donald Trump zurück ins Weiße Haus, in Deutschland erstarkt die AfD, während die Ampelkoalition zerbrochen ist.

Was lässt sich aus dem Scheitern Weimars für unsere Gegenwart lernen? Wie sollten Demokraten mit den populistischen und autoritären Herausforderungen umgehen? Warum ist jeder Einzelne zum Schutz der Demokratie aufgerufen? Diese Fragen beantwortet Volker Ullrich, Historiker und Autor des Buches "Schicksalsstunden einer Demokratie. Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik" im Gespräch.

t-online: Herr Ullrich, Donald Trump ist der Sieger der US-Präsidentschaftswahl. Was bedeutet das für die weltweit unter Druck stehende Demokratie?

Ich fürchte, dass die Wahl Trumps für die autoritären Herrscher in aller Welt, aber auch für die rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen in Europa eine starke Ermutigung darstellen wird. Gleichzeitig ist sie ein schwerer Schlag für das westliche Lager. Europa müsste jetzt enger zusammenrücken und sicherheitspolitisch von den USA unabhängiger werden, damit wir nicht zum Kollateralschaden dieser Wahl werden. Aber sind wir dazu in der Lage? Das Aus der Ampelkoalition ist in dieser historischen Situation natürlich alles andere als hilfreich. Und selbst wenn die europäischen Regierungen den Willen und die Ressourcen für eine Kurskorrektur aufbrächten: Wie lange würde das dauern? Man kann nur hoffen, dass sich irgendjemand das alte Hölderlin-Zitat zur Richtschnur nimmt: "Wo aber Gefahr ist, da wächst das Rettende auch."

Erleben wir gerade eine weitere "Schicksalsstunde einer Demokratie", wie Sie sie in Ihrem neuen Buch beschreiben?

Ja, absolut. Und wie schon in der Weimarer Republik, kommt es auch jetzt wieder darauf an, ob wir den Anforderungen, die sie stellt, gerecht werden oder nicht. Als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, war der allgemeine Tenor: Es wird schon nicht so schlimm kommen. Damals hat man sich gründlich geirrt. Ich hoffe nur, dass das diesmal nicht der Fall sein wird, weder bei uns in Europa noch in den USA selbst. Und ich hoffe, dass sich die amerikanische Demokratie als stark genug erweist, um die Herausforderung einer zweiten Amtszeit Trumps zu überstehen. Denn anders als in der ersten werden nun die Kräfte fehlen, die ihn dämpfen.

Demokratien sind fragile Gebilde, wie Sie zu Beginn Ihres neuen Buches über die untergegangene Republik von Weimar schreiben. Derzeit ist hierzulande viel die Rede von "Weimarer Verhältnissen" in unserer Gegenwart. Was halten Sie davon?

Man kann nur hoffen, dass in den USA nicht gerade ein neues Menetekel für das Scheitern einer Demokratie entsteht, wie es bislang vor allem Weimar war. Bezogen auf die Bundesrepublik wurde die Rückkehr von "Weimarer Verhältnissen" schon seit ihrer Gründung in regelmäßigen Abständen beschworen. Bislang immer vergeblich. Auch gibt es deutliche Unterschiede zwischen Weimar und der Bundesrepublik: etwa die trotz allem viel robustere Wirtschaft, eine auch ökonomisch im Vergleich nach wie vor starke Mittelschicht, eine stabile Verankerung der parlamentarischen Demokratie in der politischen Kultur und in den Wertvorstellungen der Bevölkerung, eine weitgehend friedfertige Gesellschaft und ein im Großen und Ganzen gewaltfreier politischer Wettbewerb. Nicht vernachlässigt werden sollte auch die völlig andere außenpolitische Lage – trotz der Herausforderungen, vor die der Wahlsieg Trumps uns stellt.

Zur Person

Volker Ullrich, Jahrgang 1943, ist promovierter Historiker und Journalist. Von 1990 bis 2009 leitete Ullrich das Ressort "Politisches Buch" bei der Wochenzeitung "Die Zeit" und ist selbst Autor zahlreicher historischer Werke, darunter eine zweibändige Hitler-Biografie "Die Jahre des Aufstiegs 1889–1939" (2013) und "Die Jahre des Untergangs 1939–1945" (2018). Im Juli 2024 erschien mit "Schicksalsstunden einer Demokratie. Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik" Ullrichs aktuelles Buch.

Gleichwohl werden derzeit Stabilität und Wehrhaftigkeit der liberalen Demokratie in Deutschland auf die Probe gestellt.

Ja. In jüngster Zeit gibt es Entwicklungen, die mich besorgter stimmen als noch vor wenigen Jahren: die zunehmende Aufsplitterung des Parteienwesens mit allen Problemen, die das für stabile Regierungsbildungen mit sich bringt, das Anwachsen der AfD mit ihrer Freund-Feind-Rhetorik, etwa der Rede von "Altparteien" und "Systemmedien", und ihrer Hetzkampagne gegen Geflüchtete – mich erinnert das an politische Mobilisierungsstrategien, wie sie auch die NSDAP verfolgte. Nicht zuletzt alarmiert mich aber auch die Flucht signifikanter Bevölkerungsteile in alternative Realitäten und eine neue Lust an der politischen Unvernunft, wobei die Entwicklung hierzulande noch nicht so fortgeschritten ist wie in den USA.

Die Frage, warum Demokratien scheitern, ist derzeit erschreckend aktuell: Woran scheiterte die am 9. November 1918 begründete erste deutsche Demokratie?

Es gibt ein ganzes Bündel von Ursachen. Für mich sind zwei besonders wichtig: zum einen die Tatsache, dass die Machtpositionen der vordemokratischen Eliten in rheinisch-westfälischer Schwerindustrie, ostelbischem Großgrundbesitz, Armee und Justiz nach 1918 im Wesentlichen unangetastet blieben; zum anderen der Umstand, dass es der Weimarer Republik gerade in den Krisenjahren 1930 bis 1933 an Rückhalt in der Zivilgesellschaft fehlte.

Als "Demokratie ohne Demokraten" hat Paul Löbe als langjähriger Präsident des Reichstages Weimar retrospektiv bezeichnet.

Die Rede von der "Republik ohne Republikaner" ist zwar eine Übertreibung, aber richtig ist, dass große Teile des konservativen Bürgertums von Anfang an in feindseliger Distanz zur Republik verharrten und sich ihre parlamentarische Vertretung, die Deutschnationale Volkspartei, in Fundamentalopposition übte und die Republik in der Endphase systematisch unterminierte. Nach 1945 wurde von konservativer Seite gern die These bemüht, die Weimarer Demokratie sei an sich selbst gescheitert. Das erinnert an einen Brandstifter, der behauptet, in Wahrheit hätten die Löschvorrichtungen des Hauses versagt.

In welchen Bereichen ist der historische Vergleich zwischen der Bundesrepublik der Gegenwart und der Weimarer Republik von damals sinnvoll?

Die Ampelkoalition vereinte drei inhaltlich recht unterschiedliche Parteien. Wir haben jetzt gesehen, was das für die Regierungsstabilität und die politische Handlungsfähigkeit bedeutet: Die Ampel ist gescheitert, und es ist nicht abzusehen, wie die Neuwahlen ausgehen werden. Angesichts der zunehmenden Aufsplitterung des Parteiensystems könnte es in Zukunft den Zwang zu noch heterogeneren Koalitionen mit noch mehr Parteien geben, wie gegenwärtig schon in einigen ostdeutschen Bundesländern zu besichtigen. Weimar liefert reichlich Anschauungsmaterial dafür, welche Probleme solche schwierigen Mehrheitsverhältnisse – bis hin zu negativen Mehrheiten – mit sich bringen.

Zum Ende der Weimarer Republik bildeten Nationalsozialisten und Kommunisten trotz ihrer ideologischen Feindschaft eine solche negative Mehrheit.

So ist es. Lohnenswert scheint mir auch der Blick auf die politische Rhetorik der Republikfeinde: Wie sie die Demokratie und ihre politischen Gegner abgewertet haben, wie sie es schafften, die beträchtlichen Leistungen der Weimarer Politik so zu vernebeln, dass zu viele nur noch Negatives sahen, wie sie die politische Unvernunft förderten und den rationalen Diskurs verächtlich machten – oder, in den Worten des ersten Nachkriegsvorsitzenden der SPD, Kurt Schumacher: Wie ihnen "die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit" gelang. All das beobachten wir heute auch, insbesondere in den sozialen Medien, wo gerade die AfD und ihre Unterstützer sehr erfolgreich agieren.

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Das Ende Weimars wird oft auf die Person Adolf Hitler zugespitzt: Warum sollten andere Akteure weit stärker betrachtet werden?

In der Phase der Agonie der Republik war Hitler nur ein Mitspieler im Poker um die Macht. Entscheidend war der Einfluss des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und seiner Berater, der sogenannten Kamarilla, sowie der Reichswehrführung unter dem intriganten General Kurt von Schleicher. Sie waren entschlossen, den Reichstag weitgehend auszuschalten und die Weichen in Richtung eines autoritären Regimes zu stellen. Mit der Installierung des Präsidialkabinetts unter dem Zentrumspolitiker Heinrich Brüning Ende März 1930 war die parlamentarische Demokratie faktisch am Ende. Es begann die "Auflösung der Weimarer Republik", wie sie der Historiker Karl Dietrich Bracher in seinem klassischen Werk von 1955 beschrieben hat.

Wie Sie in Ihrem aktuellen Buch ganz richtig schreiben, ging Weimar nicht mit einem "Knall" unter, sondern durch fortwährende Unterminierung: Welche Lehren können wir daraus ziehen?

Die wichtigste Lehre scheint mir zu sein, dass man den Anfängen rechtzeitig wehren muss. Das war in Weimar gerade nicht der Fall. Um ein Beispiel zu nennen: In Berlin hat man allzu lange zugesehen, wie sich Bayern nach 1919 zu einer rechten "Ordnungszelle", zu einem El Dorado für Republikgegner aus dem ganzen Reich entwickeln konnte. Es war alles andere als ein Zufall, dass es die bayerische Metropole war, in der der unbekannte Gefreite Adolf Hitler seine unheilvolle Karriere beginnen konnte. Schwäche und falsche Toleranz, so zeigt sich, spielen nur den Feinden der Demokratie in die Hände, die keinerlei Skrupel haben, die demokratischen Institutionen anzugreifen und für ihre Zwecke umzumodeln.

Nehmen wir das Beispiel Thüringen, das heute wieder besonders im Fokus steht: Welchen Schaden für die Demokratie richtete Wilhelm Frick dort seit 1930 als reichsweit erster Minister der NSDAP an?

Frick besetzte zwei Schlüsselressorts: das Innen- und Volksbildungsministerium. Er nutzte seine Befugnisse, um einerseits den Verwaltungsapparat von republiktreuen Beamten zu "säubern", und andererseits die Kulturpolitik des Landes strikt im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie auszurichten. Dazu gehörte zum Beispiel die Einführung völkischer Schulgebete und die Berufung des Rassentheoretikers Hans F. K. Günther auf einen Lehrstuhl der Universität Jena. Während seiner Amtszeit bot Frick einen Vorgeschmack dessen, was von einer Machtübernahme der Nationalsozialisten zu erwarten war. Thüringen diente als Experimentierfeld, auf dem zum ersten Mal die Eroberung einer Exekutive von innen erprobt wurde. Auch diese Erfahrung sollte eine Warnung davor sein, eine Partei wie die AfD auch nur auf der Ebene der Bundesländer an der Macht zu beteiligen.

Die Republik von Weimar wird seit ihrem Ende vor allem negativ beschrieben, ihr Untergang wäre geradezu zwangsläufig gewesen. In Ihrem Buch weisen Sie darauf hin, dass diese Sichtweise verkürzt ist.

Die Geschichte der Weimarer Republik zeigt, wie zerbrechlich Demokratien sind und wie rasch Freiheiten verspielt werden können. Andererseits aber lehrt das Beispiel Weimar auch: Es gab keinen Automatismus des Untergangs, sondern immer wieder Gelegenheiten, umzusteuern und die Weichen in eine andere Richtung zu stellen. Insofern kann gerade der Blick auf den Untergang der Weimarer Republik für Gefahren sensibilisieren und Abwehrkräfte mobilisieren. Er zeigt, was auf dem Spiel steht und wie sehr es auf konkrete Handlungen in bestimmten Situationen ankommt. Wir haben es in der Hand. Die Haltung jedes Einzelnen zählt.

"Jetzt nichts als Verzweiflung, keine Zukunft mehr", zitieren Sie den Romanisten und Zeitgenossen Victor Klemperer. Leiden wir in der Gegenwart auch darunter, dass angesichts der vielen Krisen eine positive Zukunft nicht mehr erkennbar ist?

Wir leben in der Tat in einer Zeit multipler Krisen: Klimakrise, Energiekrise, Migrationskrise, Krieg in der Ukraine, Krieg im Nahen Osten. Daraus resultiert ein großes Gefühl der Verunsicherung und der Zukunftsangst. Ich kann verstehen, wenn gerade Vertreter der jungen Generation dagegen aufbegehren und sich, manchmal auch mit zweifelhaften Aktionen, gegen den drohenden Klimakollaps wenden. Weniger verständlich ist mir allerdings, warum junge Menschen, wie neue Umfragen belegen, sich in großer Zahl politisch nach rechts orientieren und mit der AfD sympathisieren. Denn von dieser Partei ist mit Sicherheit keine einzige Lösung der Probleme zu erwarten.

Was könnte gegen die Zukunftsaversion getan werden?

Dazu kann ich als Historiker nur eine einzige Einsicht beisteuern, die aber vielleicht auch etwas Hoffnung zu stiften vermag, nämlich die Erkenntnis, dass die Zukunft in der Regel nicht so ausfällt, wie die Menschen sie sich vorstellen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat versucht, aus dem Scheitern Weimars zu lernen: Für wie wehrhaft halten Sie unsere liberale Demokratie?

Die Demokratie der Bundesrepublik hat sich bislang durchaus als wehrhaft erwiesen. So ist es auch richtig, dass Justiz und Polizei von Anfang an entschieden gegen radikale Islamisten und extreme Gruppierungen wie die "Reichsbürger" vorgegangen sind, die sich erklärtermaßen den Sturz der demokratischen Ordnung auf die Fahnen geschrieben haben. In der Weimarer Republik war die Justiz bekanntlich auf dem rechten Auge blind. So hart sie gegen radikale Linke vorging, so nachsichtig behandelte sie die Republikverächter von rechts. Und auch die großen Demonstrationen gegen die AfD nach den "Correctiv"-Enthüllungen zur "Remigration" zeigen, dass immer noch breite Bevölkerungskreise hinter der Demokratie stehen. Allerdings musste die zweite deutsche Demokratie noch nie eine so schwere wirtschaftliche Krise überstehen, wie sie die Weimarer Republik traf. Sollte das passieren, und das ist ja gegenwärtig nicht ausgeschlossen, dann erst wird sich erweisen, wie wirksam die "Lehren aus Weimar" tatsächlich sind.

"Brandmauern" sind heute wieder aktuell, damals kam es nicht dazu. Wie sollten Konservative vor dem Hintergrund Weimars gegenüber Rechtsaußen agieren?

In Thüringen hatten die bürgerlichen Parteien 1930 keine Probleme damit, die NSDAP in die Landesregierung aufzunehmen – mit den schon beschriebenen Folgen. Die CDU/CSU schließt dagegen bislang Koalitionen mit der AfD im Bund oder auf Landesebene aus. Man kann nur hoffen, dass sie an diesem Grundsatz festhält. Denn das Beispiel Thüringen lehrt, was passiert, wenn die "Brandmauer" gefallen ist. Wenn erst einmal das Tabu durchbrochen ist, dann wären die Konsequenzen für die Union, überhaupt für den politischen Konservatismus in der Bundesrepublik, verheerend.

Die AfD wird bisweilen mit der NSADP verglichen oder gleichgesetzt. Was halten Sie davon?

Die AfD weist einige ideologische Schnittmengen mit der NSDAP auf, und ihre Mobilisierungsstrategien zeigen gewisse Ähnlichkeiten. Dennoch gibt es einige wesentliche Unterschiede: Sie verfügt zum Glück nicht über eine charismatische Führungsfigur vom Schlage Hitlers; sie unterhält keine paramilitärische Bürgerkriegstruppe in Gestalt der SA, und mal ganz abgesehen davon, dass sie keinen Eroberungskrieg und keinen Völkermord plant, vertritt sie auch nicht, jedenfalls bislang nicht eindeutig, das Ziel einer gänzlichen Abschaffung der parlamentarischen Demokratie, sondern eher deren Transformation in eine "illiberale Demokratie", etwa nach dem Vorbild Viktor Orbáns in Ungarn.

Bisweilen wird eine "Entzauberung" der AfD durch Einbindung und Beteiligung ins Feld geführt: Was ist davon historisch zu halten?

Die AfD würde vermutlich durch eine Einbindung in die politische Verantwortung nicht "entzaubert", eher noch stärker als schwächer. Auch die Konservativen von Weimar glaubten 1933, die Hitler-Bewegung "zähmen" zu können, indem man sie an der "Regierung der nationalen Konzentration" beteiligte. Das sollte sich als eine grandiose Fehlrechnung erweisen. Hitler brauchte nur wenige Monate, um seine konservativen Bündnispartner an die Wand zu spielen und seine uneingeschränkte Diktatur zu errichten.

Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass Hitler an die Macht kam, als die NSDAP eigentlich bereits im Abschwung begriffen war.

Ende 1932 war Hitlers Stern tatsächlich im Sinken. In der Reichstagswahl von Anfang November verlor die NSDAP erstmals massiv an Stimmen, die Partei befand sich in einer schweren Krise. Viele kluge Beobachter waren damals der Meinung, dass Hitlers Aufstieg gebremst und sein Abstieg unaufhaltsam sei. Dass er dann doch noch an die Macht kam, lag nicht an der mangelnden "Ausdauer" der Demokraten, allen voran der Sozialdemokratie, der eigentlichen Staatspartei der Weimarer Republik, die zäh und manchmal bis an die Grenze der Selbstverleugnung um den Bestand der Demokratie kämpfte. Die Machtübertragung an Hitler war das Ergebnis eines finsteren Ränkespiels hinter den Kulissen, bei dem die Kamarilla um Reichspräsident Hindenburg die Strippen zog.

Hitler war kein "Betriebsunfall" schreiben Sie und weisen auf die Bedeutung der Entscheidungen von Einzelpersonen in konkreten Situationen hin. Was ist Ihr Rat an unsere gegenwärtig politisch Handelnden?

Mein erster Ratschlag wäre, den Gegner nicht zu unterschätzen. Hitler kam auch deswegen an die Macht, weil die Kamarilla um Hindenburg meinte, ihn sich für ihre eigenen Zwecke "engagieren" zu können. Björn Höcke mag wie eine Witzfigur wirken, harmlos ist er nicht. Es braucht Wachsamkeit und klare Kante gegen die Gegner der Demokratie. Auch in Bezug auf Donald Trump sollte man sich nicht darauf verlassen, dass es schon nicht so schlimm kommen werde, sondern sich für Eventualitäten rüsten. Meine zweite Empfehlung betrifft die Zusammenarbeit zwischen bürgerlichen und linken Parteien. Der Gründungskompromiss Weimars beruhte auf der Zusammenarbeit der Sozialdemokratie mit den gemäßigten Parteien des Bürgertums, also des Zentrums und der DDP. In der sogenannten "Großen Koalition" zwischen 1928 und 1930 hatten diese Parteien zusammen mit der rechtsliberalen DVP die Chance auf eine Regierung ohne die Nationalisten und die konservativen Gegner der Republik.

1930 war damit aber Schluss, es folgten die sogenannten Präsidialkabinette, die allein auf das Wohlwollen des Reichspräsidenten angewiesen waren?

Dass die Kamarilla um Hindenburg die Ära der Präsidialkabinette einläuten konnte, lag auch daran, dass sich die "Große Koalition" nicht über ein paar Prozentpunkte bei der Arbeitslosenversicherung einig werden konnte. Das sollte den Demokraten eigentlich nicht noch einmal passieren. Doch zeigt der Bruch der Ampelkoalition besorgniserregende Parallelen, auch wenn die Konsequenzen noch nicht so gravierend sind wie 1930. Denn damals wie heute ging es im Kern um die Frage nach der Finanzierung und dem Umfang des Sozialstaats. Und damals wie heute lag die Sollbruchstelle zwischen der Sozialdemokratie und einer rechtsliberalen Partei. Im Interesse des Ganzen muss man in den Schicksalsstunden einer Demokratie über den eigenen Schatten springen und von kleinlichen Parteiinteressen absehen. Das Aus der Ampel verdeutlicht, dass diese Lehre noch nicht überall verstanden worden ist. Auf die Zukunft bezogen heißt das: Jetzt ist nicht die Zeit für Prinzipienreiterei oder taktische Spielchen. Jetzt ist die Zeit für mutige und pragmatische Initiativen aller demokratischen Parteien.

Wie schätzen Sie das neu entstandene Bündnis Sahra Wagenknecht ein?

Es wird sich in den nächsten Monaten erweisen, welche Rolle Wagenknecht und ihre Partei in der deutschen Politik spielen wollen: die der KPD in der Weimarer Republik, die zusammen mit der NSDAP eine negative Mehrheit bildete und deren erstes Ziel es war, die Weimarer Republik zu destabilisieren? Oder doch die einer trotz allem am Ende systemstabilisierenden Partei, die hilft, Mehrheiten gegen die Rechtspopulisten zu ermöglichen.

Eine letzte Frage: Warum ist es falsch, die Republik von Weimar nur von ihrem Ende her zu betrachten?

Weil man dann übersieht, welche Handlungsspielräume und Alternativen es gegeben hat, und dass der Ausgang offener war, als es eine allein auf den Untergang fixierte Perspektive nahelegen möchte. Man fördert also, überspitzt gesagt, eine fatalistische Einstellung und verfehlt die eigentliche Lehre der Weimarer Republik, nämlich dass es darauf ankommt, um die Demokratie zu kämpfen. Und man würde, nebenbei gesagt, auch den frappierenden Widersprüchen nicht gerecht, die diese Epoche in sich vereinigte. Es war ja nicht nur eine Zeit krisenhafter Erschütterungen und politischer Instabilität, sondern auch eine glanzvolle Ära in Kultur und Wissenschaft, die bis heute nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt hat.

Herr Ullrich, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Schriftliches Interview mit Volker Ullrich
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