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US-Wahl: Militarisierung, Manipulation, Fake News – gefährliche Zeiten


Tagesanbruch
Jetzt wird es ernst

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 24.10.2024 - 07:08 UhrLesedauer: 7 Min.
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Polizisten im Einsatz während des Sturms auf das Kapitol im Januar 2021: Die USA stehen vor einer großen Bewährungsprobe. (Quelle: Brent Stirton/getty-images-bilder)

Liebe Leserin und lieber Leser,

vor einigen Tagen gab es hier in Washington, D.C., eine Art Einsatzbesprechung. Und zwar im Foreign Press Center. Das ist eine eigene Abteilung des amerikanischen Außenministeriums, dem State Department. Deren Hauptaufgabe ist es, die vielen Hundert internationalen Korrespondenten im Land bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Die Beamten sorgen etwa dafür, dass ich zu politischen Veranstaltungen akkreditiert werde. Sie vermitteln jedoch auch häufig interessante Gesprächspartner, die wir allerdings nicht immer namentlich zitieren dürfen. Denn oft handelt es sich um Regierungsbeamte.

So war es auch bei der Lagebesprechung Anfang Oktober. Wir Korrespondenten konnten mit Beamten des U.S. Office of the Director of National Intelligence (ODNI) sprechen – und die schilderten eine bedrohliche Realität: Zahlreiche ausländische Akteure, hauptsächlich aus Russland, China, Iran, aber auch Kuba versuchen im Vorfeld der US-Wahlen, das Vertrauen in die demokratischen Prozesse der USA zu untergraben, die Wahlentscheidungen der Amerikaner zu beeinflussen und die Spaltung im Land zu verstärken.

So unterstützt Russland ganz gezielt Darstellungen, die sich gegen die Hilfe für die Ukraine richten. China verbreitet und verstärkt Desinformation bezüglich seiner Kerninteressen, insbesondere in Bezug auf Taiwan. Und die Aktivitäten des Iran richten sich hauptsächlich gegen US-Institutionen. Die Beamten des ODNI betonten, dass diese ausländischen Bemühungen voraussichtlich auch nach der Wahl fortgesetzt werden, vor allem dann, wenn die Ergebnisse umstritten sind.

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Doch die bevorstehenden US-Wahlen werden nicht nur von Fake News und Manipulationen aus dem Ausland geprägt. Sie kommen auch aus dem eigenen Land. Akteure wie der Milliardär Elon Musk und Donald Trump nutzen seit Wochen und Monaten ihre große Reichweite, um gezielt Lügen, Halbwahrheiten und Hetze gegen Minderheiten zu verbreiten. In diesem Umfeld von äußerer und innerer Sabotage am demokratischen Diskurs schlagen die US-Behörden nun Alarm.

Denn in der Folge dieser unerbittlichen Polarisierung eines reinen Freund-Feind-Denkens könnte es zu ganz realen Gewaltausbrüchen kommen. Wie schnell es schon bei kleinen Veranstaltungen zu Handgreiflichkeiten kommen kann, das haben mein Kollege David Schafbuch und ich zuletzt im "Swing State" Pennsylvania erlebt. Und die bereits verübten oder versuchten Attentate auf Donald Trump sind ein weiterer Beleg für die explosive Stimmung.

Aufgrund dieser Befürchtungen werden im Zuge der Wahlen die Sicherheitsvorkehrungen in den Vereinigten Staaten auf ein nie dagewesenes Niveau hochgefahren. Dazu gehören nicht nur Metalldetektoren bei allen politischen Veranstaltungen, bewaffnete Wachen in Wahllokalen, Betonbarrieren und Polizeischarfschützen. Selbst Überwachungsdrohnen fliegen inzwischen an vielen Orten ganz selbstverständlich durch die Luft.

Auch ich wurde als Journalist soeben zu einem routinemäßigen Sicherheitstraining im US-Senat eingeladen. Ich darf über diese Schulung nicht berichten, auch das hat ernsthafte Sicherheitsgründe. Nur so viel: In Schränken im Kapitol-Komplex liegen Notfallhauben, die im Zweifel auch gegen chemische Attacken schützen sollen. Und manche Räume sollen sogar gegen Nuklearangriffe geschützt sein. Wer einen Eindruck davon gewinnen möchte, wie die Sicherheitsbehörden hier versuchen, die Bürger auf Extremsituationen vorzubereiten, sollte sich dieses ziemlich verstörende Video des FBI ansehen.

Insgesamt deuten all diese Anzeichen auf eines hin: Die Sicherheitsbehörden müssen nicht mehr nur mit Eindringen von Flugzeugen ("aircraft intrusion") rechnen, wie nach den islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001, sondern auch mit Inlandsterrorismus. Ein Ereignis wie der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar soll nie wieder geschehen. Doch die Gefahr besteht. Und das Problem ist: Solche Revolten könnten nicht nur in der Hauptstadt, sondern überall im Land losbrechen.

Deshalb wurden Sicherheitsmaßnahmen in Staaten wie Arizona, insbesondere in dem bevölkerungsreichen Maricopa County, drastisch verschärft. Hier und auch in anderen Teilen des Landes steht der Schutz der Wahlhelfer im Mittelpunkt, denn die Bedrohungslage wächst. Aufgrund falscher Behauptungen über Wahlbetrug – hauptsächlich von Donald Trump nach seiner Niederlage der vergangenen Wahl geschürt – standen 2020 hier plötzlich Menschen vor den Wahllokalen, bewaffnet mit halbautomatischen Maschinengewehren, und bedrohten die Wahlhelfer.

Weil der psychische Druck und die realen Bedrohungen für Wahlbeamte und Wahlhelfer so groß sind, haben einige bereits aufgegeben und ihre Positionen geräumt. Sie möchten das Risiko nicht mehr eingehen. Schon auf kleinster, lokaler Ebene beschädigt dieses gewaltvolle Klima die Demokratie in einem bedrohlichen Ausmaß. Einige Schulen und Kirchen, die traditionell als Wahllokale dienen, haben sich in diesem Jahr sogar gegen eine Teilnahme entschieden – die Sicherheitsrisiken seien einfach zu hoch. Die anderen hingegen rüsten sich gegen Angriffe.

Diese Militarisierung der Wahllokale ist ein alarmierendes Zeichen dafür, wie sich die politische Landschaft in den USA verändert hat. Grundschulen, Büchereien oder Sportstätten ähneln heute eher Festungen als einfachen Orten der bürgerlichen Mitbestimmung. Was einmal ein Routineprozess der Demokratie war, wird nun von Betonbarrieren und bewaffneten Sicherheitskräften begleitet. Auch berittene Patrouillen stehen bereit, falls die Lage eskaliert.

Ein besonders eindrückliches Bild zeigt sich, wenn man sich die Schulungen für Wahlhelfer anschaut. Denn nicht nur Journalisten, sondern auch Menschen, die eigentlich nur sicherstellen wollen, dass ihre Mitbürger ihre Stimme abgeben können, müssen jetzt auf Schießereien und gewaltsame Übergriffe vorbereitet werden. Sie erhalten Erste-Hilfe-Sets für Notfälle – für den Fall, dass es zu Schussverletzungen kommt. Sogenannte Panic-Buttons, also Notfallknöpfe, werden installiert, um bei Gefahr die Polizei alarmieren zu können.

Und wie gesagt, nicht nur die reale Gewalt ist ein Problem. Man kann sich leicht vorstellen, wie sehr die allgegenwärtige Desinformation und gezielte Manipulation den Wahlhelfern zusetzen. Schon kleinste menschliche Fehler am Wahltag könnten ihnen später als Beweis für großangelegten Betrug ausgelegt werden, was zu chaotischen Szenen und möglicherweise bewaffneten Protesten führen könnte. Und es müssen nicht mal Fehler sein. Ein eindrucksvolles Beispiel war bei der vergangenen Wahl eine Frau, die lediglich ein silbern eingewickeltes Bonbon in der Hand hatte. Rechtsextreme Trumpisten behaupteten, es sei ein USB-Stick gewesen, mit dem sie die Stimmzählung beeinflusst hätte.

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Auch die Infrastruktur zur Briefwahl steht im Fokus ausgiebiger Sicherheitsvorkehrungen. In Arizona werden etwa Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass jede eingehende Stimme korrekt überprüft wird. Computer analysieren Unterschriften auf den Briefwahlunterlagen, während 24-Stunden-Livestreams die Zählprozesse überwachen. Und trotzdem trauen schon jetzt viele Amerikaner dem System nicht mehr.

Sogenannte Wahlkampfgruppen wie "We the People AZ Alliance" verbreiten weiterhin haltlose Behauptungen über Wahlbetrug. Damit setzen sie ironischerweise republikanische Beamte unter Druck, die sich weigern, Trumps falsche Behauptungen zu unterstützen. Diese zunehmende Polarisierung innerhalb der eigenen Partei zeigt, wie tief die Gräben in der amerikanischen Gesellschaft inzwischen sind.

Die Stimmung in diesem Land, das seit jeher als Vorbild für Demokratie und Freiheit galt – sie löst im Jahr 2024 Beklemmung aus, begleitet von einer beispiellosen Militarisierung, von Misstrauen und Angst. Ein Bekannter von mir, selbst Demokrat, erzählte mir, er habe Freunde im Westen der USA, die sich entgegen ihrer politischen Einstellung zum Waffenrecht nun selbst Gewehre angeschafft hätten. Der Grund: Sie befürchten, sich im Zweifel nur selbst schützen zu können.

In den USA ist es mit der Ruhe vorbei. Das lässt sich hier zwei Wochen vor dem entscheidenden Wahltag mehr und mehr spüren. Es bleibt die drängende Frage: Wie wird die amerikanische Gesellschaft auf diese tiefen Risse reagieren? Werden sich die Wähler von den Schrecken der Gewalt und Desinformation einschüchtern lassen, oder wird die Wahlbeteiligung als Ausdruck eines ungebrochenen Glaubens an die Demokratie sogar steigen?

Viel spricht derzeit dafür, dass die Wahlbeteiligung sogar höher sein wird als je zuvor. Die Menschen beider Seiten haben offenkundig das Gefühl, dass alles auf dem Spiel steht. Und beide politischen Lager haben den Eindruck, das Land steuere bei einem Wahlsieg der Gegner in einen Abgrund.

Diese Wahl ist mehr als nur ein politischer Wettbewerb. Sie ist ein Lackmustest für den Zustand der amerikanischen Demokratie. Der Ausgang dieses Experiments ist ungewiss, aber er wird uns alle betreffen. Das Vertrauen in die grundlegenden Institutionen der USA steht auf dem Spiel – und die ganze Welt schaut gebannt zu.


Termine des Tages

Bundeskanzler Scholz reist zu den deutsch-indischen Regierungskonsultationen nach Neu-Delhi. Beim Treffen am Freitag geht es um bilaterale Themen und internationale Politik, insbesondere den Umgang mit Russland. Indien könnte als Vermittler im Ukraine-Konflikt eine Rolle spielen.


Abschluss des 16. Brics-Gipfels in Russland: Neben Kremlchef Putin nehmen die Staatschefs von Indien, China und Südafrika teil. Brasiliens Präsident fehlt aufgrund einer Verletzung. Putin will mit dem Gipfel zeigen, dass er trotz westlicher Sanktionen nicht isoliert ist und eine neue Weltordnung ohne US-Dominanz anstrebt.


Bundesfinanzminister Christian Lindner ist in Washington gelandet. Dort nimmt er an der jährlichen Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds teil. Von dort aus wird er heute über die Ergebnisse der Steuerschätzung berichten.


Historisches Bild

1963 blickte ganz Deutschland nach Lengede, wo ein schweres Unglück mit einem "Wunder" endete. Lesen Sie hier mehr.


Lesetipps

Eine Geschichtskommission sollte Versöhnung zwischen Deutschland und Russland stiften. Doch Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine machte die Hoffnung endgültig zunichte. Nun sollen der Kommission die Mittel gestrichen werden, berichtet mein Kollege Marc von Lüpke.


Für Reisen nach China empfehlen hochrangige Sicherheitsbeamte: Nehmen Sie lieber kein Handy von Huawei mit. Zu groß sei die Gefahr der Spionage. Der Tech-Riese aus Shenzhen gilt als Sicherheitsrisiko und hat nun offenbar PR nötig. Der Konzern erhält dazu diskrete Unterstützung von gut vernetzten ehemaligen Journalisten um Ex-"Bild"-Chef Kai Diekmann, berichtet mein Kollege Jonas Mueller-Töwe.


Auf politischen Wettmärkten wie Polymarket werden inzwischen viele Millionen Dollar auf den Ausgang der US-Wahl gesetzt. Donald Trump scheint dort uneinholbar vor Kamala Harris zu liegen. Aber sind Wetten wirklich genauer als Umfragen? Dazu habe ich den amerikanischen Prognose-Experten Koleman Strumpf interviewt.


Ohrenschmaus

Barack Obama ließ es sich bei seinem Auftritt in Detroit diese Woche nicht nehmen, die Lyrics von Eminem zu performen. Kinder, wie die Zeit vergeht, dachte ich mir da nur. Darum heute ein Flashback von 2002 aus meiner frühen Jugend: Eminem mit "Lose Yourself".


Zum Schluss

So ist sie also, die Jugend von heute.

Ihr

Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns

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Mit Material von dpa.

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