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Trump und der Ukrainekrieg: Ein Deal auf Kosten Europas


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Tagesanbruch
Ein Deal auf Kosten Europas

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 27.11.2024 - 07:22 UhrLesedauer: 6 Min.
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Handschlag in Helsinki (Archivbild): Donald Trump und Wladimir Putin bei einem Treffen im Jahr 2018. (Quelle: picture alliance / newscom / DAVID SILPA)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

nach Donald Trumps Wahlsieg und dem Ampel-Aus ist die Krisendiplomatie in Bewegung geraten. Noch ergeben sie kein Gesamtbild, doch täglich werden neue Puzzleteile sichtbar, die einen Waffenstillstand in der Ukraine ermöglichen könnten. Für die Menschen in dem kriegsgeschundenen Land und auch für viele russische Männer, die als Soldaten an die Front geschickt werden, wäre so ein kalter Frieden ein Segen. Für Deutschland wäre er außerdem teuer.

Noch sagt es kein Spitzenpolitiker öffentlich, aber den Berliner Entscheidern droht ein heikler Jahresbeginn: Am 20. Januar wird Trump als neuer US-Präsident vereidigt, am 23. Februar findet die Bundestagswahl statt. Dazwischen liegt ein ganzer Monat, in dem Deutschland mit einer Minderheitsregierung herumeiert, während der neue Mann im Weißen Haus ruckzuck Fakten schaffen will. In "weniger als 24 Stunden" wolle er den Krieg beenden, hat Trump mehrfach getönt. Das mag man für eine seiner typischen Übertreibungen halten, doch sein Team arbeitet bereits an einem Sofortplan, der nun tröpfchenweise in amerikanischen Medien durchsickert.

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Dieser Plan hat es in sich: Die Regierung in Kiew soll für 20 Jahre auf den Nato-Beitritt verzichten. Die Frontlinie soll eingefroren und eine demilitarisierte Zone geschaffen werden – und diese Zone sollen europäische Soldaten überwachen.

Kann das funktionieren? Das Weiße Haus hält als größter Waffenlieferant der Ukraine alle Trümpfe in der Hand: Zieht es sich aus dem Konflikt zurück, könnten Putins Bataillone wohl die Ukraine überrennen, Hunderttausende Flüchtlinge würden gen Westen fliehen, Moldau und die baltischen Staaten müssten als Nächste mit russischen Aggressionen rechnen. Ein Horrorszenario für die EU-Staaten. Deshalb glühen nun die diplomatischen Drähte. "Im Hintergrund laufen bereits Gespräche zwischen westlichen Regierungen und den entscheidenden Akteuren der künftigen Trump-Administration", berichtet unser Reporter Patrick Diekmann vom Außenministertreffen der G7-Staaten.

Zwar lehnt es der Kreml bisher strikt ab, den Konflikt mit der Ukraine einzufrieren. Doch das könnte sich ändern, wenn Trump starken Druck erzeugt und Putin zugleich einen halbwegs gesichtswahrenden Ausweg anbietet. Zum Beispiel durch einen gemeinsamen Auftritt vor den Fernsehkameras der Weltpresse, bei dem sich die beiden Profilneurotiker als "geniale Dealmaker" präsentieren können. Aus Washington ist zu hören, Trump ersehne nichts mehr als den Friedensnobelpreis, um endlich mit Barack Obama gleichzuziehen. Aus Moskau ist nichts Derartiges zu hören, weil gut informierte Journalisten dort umgebracht werden, aber auch in Russland ist der Krieg mittlerweile unpopulär: Familien trauern um tote Männer, Söhne und Väter, die Lebensmittelpreise steigen, in den Geschäften fehlen wegen der Sanktionen viele Alltagswaren.

Trump und Putin servieren die Suppe – und die Europäer müssen sie auslöffeln? Kein demokratischer Regierungschef schickt gerne Soldaten in ein Kriegsgebiet. In Paris und London reißt sich deshalb niemand um das Himmelfahrtskommando; von einem "Schreckgespenst" schreibt mein Kollege Simon Cleven. Jedoch sind die menschlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Kosten nach bald drei Jahren Krieg auch in Westeuropa so hoch, dass der dringende Wunsch nach einem Ende des Abschlachtens hohe Kompromissbereitschaft erzeugt. Weil die Bundeswehr in ihrem gegenwärtigen Zustand noch nicht einmal in der Lage wäre, Frankfurt/Oder länger als 24 Stunden zu verteidigen, müssten wohl Briten und Franzosen den Großteil einer Friedenstruppe stellen – die im Zweifelsfall auch eingreifen könnte, falls die Kämpfe zwischen Russen und Ukrainern erneut aufflammen. Beide Armeen haben Kampferfahrungen in Afrika, im Irak und in Afghanistan gesammelt.

Und Deutschland? Müsste natürlich auch seinen Teil zur Sicherung des kalten Friedens in Europa leisten – und das könnte bedeuten: Die künftige Bundesregierung, egal ob mit Friedrich Merz, Olaf Scholz oder sonst wem an der Spitze, müsste das Portemonnaie sperrangelweit öffnen. Zweistellige Milliardenbeträge könnten für die Unterstützung eines europäischen Truppeneinsatzes notwendig sein – jährlich. Selbst mit einer Lockerung der Schuldenbremse – die bislang noch gar nicht auf der Agenda steht – wäre das ein enormer Kraftakt, der zwangsläufig harte Einschnitte bei anderen Haushaltsposten nach sich zöge. Denkbar, dass für Rentenerhöhungen, sozialen Wohnungsbau, Windräder, klimafreundliche Stromnetze und vieles Weitere dann schlicht kein Geld mehr da ist. Und dass an Steuererhöhungen kein Weg vorbeiführt.

Wohlgemerkt: Bislang ist all das nur ein Szenario. Aber dessen Plausibilität wächst.

Das wollen die Wahlkämpfer im Berliner Regierungsviertel natürlich nicht hören. Sie haben in den Wünsch-dir-was-Modus geschaltet und verkünden eifrig, welche Wohltaten sie den Bürgern zu gönnen gedenken, wenn man sie nur bitte schön wählt. Die Versprechungen von SPD und CDU, CSU und Grünen, BSW und so weiter mögen sich zwar inhaltlich unterscheiden, machen finanziell aber keinen wesentlichen Unterschied.

In normalen Zeiten ist so ein Verhalten verständlich. Während Wochen, in denen die Koordinaten der europäischen Sicherheitsordnung neu vermessen werden, ist es fahrlässig. Will Deutschland über seine Zukunft mitentscheiden, muss es schleunigst wieder sprechfähig werden. Bis Ende Februar zu warten, ist zu spät. Schon jetzt könnten sich die Kanzlerkandidaten Merz und Scholz vertraulich abstimmen. Tragisch, dass sie nicht mehr miteinander reden. Wirklich tragisch.


Zitat des Tages

"Wir wissen, dass die russischen Streitkräfte bis 2029, also in fünf Jahren, militärische Fähigkeiten anstreben, die sie in die Lage versetzen, neue Bedrohungen für Nato-Gebiete darzustellen. Ich stimme absolut zu, dass Russland im Moment und auch in Zukunft, soweit wir es absehen können, die größte Bedrohung für Westeuropa, Europa insgesamt, darstellt. Und wir sind uns darüber absolut im Klaren, dass das, was mit der Ukraine passiert, perspektivisch auch Europa und unseren östlichen Nachbarn passieren könnte."

Generalmajor Christian Freuding, Leiter des Lagezentrums Ukraine im Bundeskanzleramt, im Interview mit der ukrainischen Nachrichtenagentur "Ukrinform".


Klappt das noch?

Die Zahl ist schockierend und für Männer beschämend: Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist. Das geht aus dem soeben vorgestellten Lagebericht über "geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023" hervor. Das Werk enthält noch weitere Horrorstatistiken: Täglich werden mehr als 140 Frauen Opfer einer Sexualstraftat; im Bereich häusliche Gewalt wurden übers Jahr 180.715 weibliche Opfer erfasst. Um dagegen vorzugehen, hat die grüne Familienministerin Lisa Paus ein Gewalthilfegesetz ausarbeiten lassen, das die Finanzierung von Frauenhäusern unterstützen soll, einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung vorsieht – und den Bund von 2027 bis 2036 rund 2,2 Milliarden Euro kosten würde. Weil das dem bisherigen FDP-Finanzminister Christian Lindner zu teuer war, konnte die Ampelkoalition es nicht umsetzen.

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Nun aber ist das Dreierbündnis Geschichte, und der neue SPD-Finanzminister Jörg Kukies hat dem Vorhaben zugestimmt. Heute will das rot-grüne Restkabinett es beschließen. Da die noch amtierende Regierung keine Mehrheit mehr im Bundestag hat, müsste allerdings die Unionsfraktion mitziehen. Deren familienpolitische Sprecherin Silvia Breher verweist auf einen eigenen Antrag zum Thema und moniert – nicht ganz zu Unrecht – den knappen Zeitplan.

Unmöglich ist es jedoch nicht. Es gäbe zumindest noch zwei Bundesratssitzungen vor der nächsten Wahl, bis zu denen man sich im Bundestag einigen müsste: eine am 20. Dezember und eine am 14. Februar 2025. Das Thema hätte eine überparteiliche Zusammenarbeit unbedingt verdient!


Krisenstimmung bei Thyssenkrupp

Nicht nur die Autoindustrie und ihre Zulieferer stecken in massiven Schwierigkeiten, auch Thyssenkrupp hat einen Kahlschlag verkündet: Deutschlands größte Stahlfirma will in den kommenden Jahren Tausende Stellen streichen, Kapazitäten abbauen und den Standort Kreuztal-Eichen im Siegerland schließen. Hohe Energiepreise, eine schwache Nachfrage und billige Stahlimporte aus Asien belasten das Geschäft.

Bei den Mitarbeitern herrscht Krisenstimmung: Vor dem Werkstor von Thyssenkrupp Steel in Duisburg steht eine Mahnwache, heute findet eine außerordentliche Betriebsrätekonferenz aller Standorte und Tochtergesellschaften statt, an der auch der Vorstand teilnimmt. Die IG Metall hat starken Widerstand angekündigt. Fragen richten sich allerdings auch an die nordrhein-westfälische Landesregierung, die den Konzern mit Millionensummen förderte, ohne dies offenbar an den Erhalt von Arbeitsplätzen zu knüpfen.


Neue EU-Kommission steht

Es war ein zähes, von parteipolitischen Machtkämpfen geprägtes Ringen: Vor allem der Vizepräsidenten-Posten für den rechten Italiener Raffaele Fitto sorgte für Kontroversen. Nun aber ist es so weit: Die EU-Fraktionsspitzen haben sich geeinigt, heute stimmt das Europaparlament in Straßburg über die Besetzung der neuen EU-Kommission unter Ursula von der Leyen ab. Und dann kann die Behörde mit ihrem Apparat von rund 32.000 Mitarbeitern im Dezember endlich ihre Arbeit aufnehmen.


Ohrenschmaus

Ja, Politik ist ein tückisches Geschäft. Das wissen auch diese Herren aus London.


Lesetipps

Wenigstens ein bisschen Frieden: Noch-Präsident Joe Biden hat eine Waffenruhe im Libanon angekündigt, Israels Premier Netanjahu beugt sich. Hier sind die Details.


Bald-Präsident Trump will Kanada und Mexiko mit Zöllen bestrafen, weil zu viele Drogen in die USA einsickern. Wie stark der Schritt dem Welthandel schaden könnte, erklären die Kollegen von Tagesschau.de.


In ihren Memoiren erzählt Angela Merkel teils anrührend, über weite Strecken nüchtern ihr Leben. Doch etwas fehlt, meint unser Kolumnist Gerhard Spörl.


Zum Schluss

Originelle Geschenkideen sind nun wieder gefragt.

Ich wünsche Ihnen einen inspirierenden Tag. Morgen kommt der Tagesanbruch von Heike Vowinkel, von mir lesen Sie am Freitag wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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