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Löst Israel mit Pager-Angriff auf Hisbollah großen Krieg aus?


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Tagesanbruch
Um Gottes willen!

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 20.09.2024Lesedauer: 7 Min.
Die Explosionen kommen einer Kriegserklärung gleich!", wettert Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah.Vergrößern des Bildes
"Die Explosionen kommen einer Kriegserklärung gleich!", wettert Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. (Quelle: ap/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Kommunikation kann riskant sein. Nicht nur muss man auf seine Worte und Zeichen achten, sondern manchmal auch auf das Ding, das sie weiterreicht. Am Mittwoch explodierten zeitgleich Hunderte tragbare Funkgeräte, am Tag zuvor Tausende Pager: Geräte aus der Zeit vor dem Smartphone, als Fax und Festnetztelefon die Welt beherrschten. Die Truppen der Hisbollah im Libanon, eine der schlagkräftigsten Armeen der Region, hatten auf die alte Technik gesetzt, weil sie nicht digital zu hacken ist. Aber explodieren, das kann sie. Mit dieser Erkenntnis endet im Nahen Osten eine Woche, die dem Drehbuch eines Geheimdienst-Thrillers entsprungen sein könnte.

Aus der Explosionskaskade lassen sich Lehren ziehen, die nicht nur im Dauerkonfliktherd Israel/Palästina/Libanon von Bedeutung sind. Sondern auch dafür, was westliche Politik in der Region bewirken kann und sollte. Aber zunächst einmal müssen wir aufräumen und die wesentlichen Details sortieren: Was ist dort eigentlich genau passiert?

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Außer Frage steht, dass Israel den Schlag gegen die Hisbollah geführt hat – das "mutmaßlich" darf man sich mittlerweile sparen. Dass die Attacke als filmreifer Coup daherkommt, über den man ungläubig den Kopf schüttelt, verleitet dazu, die Tragweite des Angriffs zu unterschätzen. Tausende Hisbollah-Kommandeure und -Kämpfer, auch wichtige Kontaktpersonen der Organisation wie der iranische Botschafter im Libanon, wurden verletzt, viele schwer verstümmelt. Die Pager piepten, scheinbar mit einer Nachricht aus der Zentrale, kurz bevor sie explodierten – in der Hand und vor den Augen derer, die zu ihrem Gerät griffen. Bei anderen zündeten sie in der Hosentasche oder am Gürtel. Klaffende Wunden in Gesichtern, Extremitäten, Genitalien waren die Folge. Die Terrororganisation ist hart getroffen. Sie muss nun auch eine Antwort auf die Frage finden, wie sich ihre Leute überhaupt noch untereinander verständigen können.

Im Februar hatte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah alle Kämpfer aufgefordert, ihre Handys auszuschalten, wegzuschließen, zu vergraben. Denn Israel könne sie hacken und orten. Kommandeure der Truppe waren zuvor gezielten israelischen Angriffen zum Opfer gefallen. Also wurden Pager und Funkgeräte bestellt. Geliefert hat sie der israelische Geheimdienst, verborgen hinter einer Reihe von Scheinfirmen, wobei hier noch Aufklärung nötig ist. Die Akkus scheinen mit einem hochexplosiven Sprengstoff ummantelt gewesen zu sein. Nach deren Detonation hat die Hisbollah nicht nur einen Teil ihrer personellen Schlagkraft verloren, sondern auch die Fähigkeit, auf Distanz miteinander zu kommunizieren. Zettel, Brieftauben, laut rufen: Viel mehr ist zur sicheren Verständigung derzeit nicht mehr drin. Der erwartete Vergeltungsschlag gegen Israel dürfte deshalb noch eine Weile auf sich warten lassen.

Damit ist es an der Zeit, sich dem israelischen Kalkül zuzuwenden. Dieses birgt einige Erkenntnisse über den Moment hinaus. Zum Beispiel die: Man kann taktisch brillant und zugleich strategisch orientierungslos sein. Der Coup des Mossad dürfte als eine der spektakulärsten Geheimdienstoperationen in die Geschichte eingehen, die keine grundlegende Wirkung entfaltet hat. Die Hisbollah und Israel befinden sich in einem Abnutzungskrieg auf kleiner Flamme. Aus dem Libanon fliegen Raketen und Mörsergranaten in die Dörfer im Norden Israels – israelische Jets nehmen dafür Ziele auf der anderen Seite unter Feuer. Immer wieder sterben Menschen, darunter viele Zivilisten. Die Endlosschleife dieses Schlagabtauschs trägt die Züge eines ebenso blutigen wie sinnlosen Rituals.

Beide Seiten haben es bisher tunlichst vermieden, sich in einen großen Krieg zu verstricken. Die Hisbollah hat vor Israels Schlagkraft gehörigen Respekt. Umgekehrt gilt das aber auch. Denn die Terrormiliz hat mehr als 100.000 Raketen auf Lager, darunter auch Langstreckenwaffen: ein Arsenal für Attacken, vor denen Israels Raketenabwehrschirm keinen Schutz mehr bietet. Zudem kann der Generalstab in Tel Aviv, solange die Kämpfe in Gaza weitergehen, einen Zweifrontenkrieg überhaupt nicht gebrauchen. Trotzdem wird beiderseits permanent mit den Säbeln gerasselt und weitergekämpft. Denn Einfluss und Anerkennung der Hisbollah hängen davon ab, dass die Truppe sich militärisch stark und mit dem Schicksal der Palästinenser in Gaza solidarisch zeigt. Israelische Politiker wiederum stehen unter Zugzwang, Zehntausenden Israelis, die aus dem Norden vor dem Beschuss geflohen sind, die Rückkehr nach Hause zu ermöglichen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Hisbollah nach der israelischen Attacke gedemütigt klein beigibt und von weiteren Angriffen absieht, liegt bei null. Terrorchef Nasrallah bezeichnete die Angriffe gestern Nachmittag als "Kriegserklärung". Die explodierende Gerätelandschaft hat Israel in der entscheidenden Frage deshalb rein gar nichts gebracht. Nur als Auftakt zu einer Bodenoffensive hätte die Geheimdienstaktion einen Sinn gehabt, aber dafür gibt es bisher keine Anzeichen. Stattdessen verdichten sich die Hinweise, dass der Geheimdienst befürchtete, die Manipulation an den Geräten sei kurz davor, entdeckt zu werden. Daraufhin sei die Entscheidung gefallen, lieber den Zündknopf zu betätigen als das Zerstörungspotenzial ungenutzt "verfallen" zu lassen. Ein derart planloses Vorgehen würde ein Argument bestätigen, das man aus Diskussionen um die Risiken militärischer Rüstung kennt: Eine Waffe, die auf dem Tisch liegt, verleitet zur Nutzung. Die israelischen Interessen hat die Aktion nicht vorangebracht, dafür aber das Risiko einer unkontrollierten Eskalation erhöht. Das Ende der Hisbollah-Angriffe auf Nordisrael oder gar eine Verhandlungslösung rücken in noch weitere Ferne. Ein Irrwitz? Durchaus.

Sinn kann man dem Wahnsinn allerdings dann einhauchen, wenn man die Perspektive wechselt – und das nationale Interesse den persönlichen Zielen gegenüberstellt, die das Personal an der Spitze antreibt: Israels Premier Benjamin Netanjahu muss nämlich befürchten, nicht nur am Ende seiner politischen Karriere, sondern auch vor den Toren einer Haftanstalt anzukommen, sobald unkontrolliert Frieden ausbricht. Seine harte Haltung als Kriegstreiber – auf Kosten der israelischen Geiseln, die in Gaza gefangen gehalten werden – hat erhebliche Teile der israelischen Gesellschaft auf die Barrikaden getrieben. Sein Versuch, den Rechtsstaat auszuhebeln, um sich vor dem Zugriff der Justiz zu schützen, drohte Israel vollständig zu spalten. Vor den Korruptionsermittlungen flüchtete er sich ins Regierungsamt. Um seine Zukunft ist es deshalb nicht gut bestellt, sobald die Zwangslage des Krieges vorüber ist. Kaum verwunderlich also, dass Netanjahu bisher immer einen Weg gefunden hat, die Bemühungen um einen Waffenstillstand ins Leere laufen zu lassen.

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Die Aufgabe für westliche Politiker ist damit klar umrissen: Sich für eine Verhandlungslösung einzusetzen, ist lobenswert und den Versuch immer wert – doch zugleich muss man sich darüber im Klaren sein: Ein Ende der Kämpfe ist unter Premier Netanjahu auf absehbare Zeit kaum zu erreichen. Der Mann hat seine Gründe. Umso wichtiger ist es, den Handlungsspielraum seiner Regierung zu begrenzen und den diplomatischen Druck auf ihn zu verstärken.

Dadurch hört der Krieg zwar nicht auf. Aber es sollte um Gottes willen reichen, um zu verhindern, dass auch noch der Libanon in Flammen aufgeht. Ein Glück also, dass sich heute der UN-Sicherheitsrat in einer Dringlichkeitssitzung mit der Eskalation im Nahen Osten befasst.


Wahlkampfendspurt in Brandenburg

Es sind zwei taktische Manöver, mit denen der brandenburgische SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke um seine Wiederwahl kämpft: Zum einen verbat sich der populäre Landeschef jegliche Unterstützung seiner Berliner Genossen und ging auf Distanz zum angeschlagenen Kanzler Olaf Scholz. Zum anderen knüpfte er sein Weitermachen nach der Landtagswahl am kommenden Sonntag an die Bedingung, dass seine Partei auf Platz eins vor der AfD landet – andernfalls will er seinen Posten räumen. Tatsächlich ist ihm mit dieser Zuspitzung eine Aufholjagd gelungen, die Verdrängung der Rechtsextremisten von der Spitzenposition in den Umfragen allerdings noch nicht.

Für den heutigen Wahlkampfabschluss ergibt sich daraus ein bemerkenswertes Szenario: Während Woidke im Wassersportclub Möwe in Oranienburg um letzte Stimmen ringt, tourt Scholz als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter des Potsdamer Wahlkreises 61 auf einer Sommerreise durchs Land. Die skurrile Pointe: Sollte Woidke mit seinem Anti-Scholz-Wahlkampf Erfolg haben, dürfte das dem Kanzler erst mal Luft verschaffen.


Von der Leyen in Kiew

Positive Signale für die kriegsgebeutelte Ukraine: Während die Bundesregierung trotz knapper Haushaltslage an einem weiteren Waffenpaket im Wert von 1,4 Milliarden Euro arbeitet, reist EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heute nach Kiew. Bei ihrem Treffen mit Präsident Wolodymyr Selenskyj soll es um Hilfe bei der Energieversorgung vor dem Winter gehen. Wegen russischer Terrorangriffe auf Kraftwerke, Heizwerke und Übertragungsnetze steht die Infrastruktur des Landes vor dem Zusammenbruch. Für den Wiederaufbau will die EU 160 Millionen Euro aus den Zinsen eingefrorener russischer Vermögen zur Verfügung stellen – den Großteil für mobile Gasturbinen.


Bundesweiter Klimastreik

Angesichts der aktuellen Hochwasserlage sollte Klimaschutz eine für jeden Bürger ersichtliche Notwendigkeit sein. Doch das öffentliche Interesse daran hat abgenommen. Diesem Trend stellen sich die Aktivisten von "Fridays for Future" entgegen: Heute ruft die Bewegung in 110 deutschen Städten zu Protesten auf.

Wie das Gehirn des Menschen ihn vor Problemen schützt und sie gleichzeitig verschlimmert, erklärt Sara Schurmann in ihrer Klimakolumne.


Ohrenschmaus

100 Jahre ist es her, dass in Italien die weltweit erste Autobahn eröffnet wurde: Die Autostrada dei Laghi verband Mailand und Varese. Kein Wunder, dass dieses wunderbare Land bis heute die besten Autobahn-Raststätten besitzt. Davon kündet dieser ulkige Song.


Lesetipps

Die AfD wird immer stärker, ihre Ideologie setzt sich in der Mitte der Gesellschaft fest. Was dagegen hilft, erklärt der Humangeograf Daniel Mullis in dem Interview, das Marc von Lüpke und ich mit ihm geführt haben.


Das Bündnis Sahra Wagenknecht fordert einen Untersuchungsausschuss im Bundestag, um die Coronazeit aufzuarbeiten. In dem Antrag steckt Sprengkraft, berichtet unser Reporter Carsten Janz.


Tief am Meeresgrund verlaufen Unterseekabel für das weltweite Internet. Jetzt gibt es dort besorgniserregende russische Vorgänge, schreibt mein Kollege Jakob Hartung.


Donald Trump braucht dringend Geld für seinen Wahlkampf. Bald könnte er Milliarden Dollar einstreichen, weiß mein Kollege Mauritius Kloft.


Zum Schluss

Die Ampelleute sind ganz vorn dran.

Ich wünsche Ihnen einen harmonischen Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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