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80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz: Das wird eine Warnung sein


Tagesanbruch
Das wird heute die Warnung sein


Aktualisiert am 27.01.2025 - 07:26 UhrLesedauer: 6 Min.
Demonstration vor dem Brandenburger Tor: Nicht nur in Berlin gingen am Wochenende Zehntausende auf die Straße, um gegen den Rechtsruck zu protestieren.Vergrößern des Bildes
Demonstration vor dem Brandenburger Tor: Nicht nur in Berlin gingen am Wochenende Zehntausende auf die Straße, um gegen den Rechtsruck zu protestieren. (Quelle: Achille Abboud/imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

manchmal zeigt sich die Bitterkeit der Weltlage auf einen Blick. Als ich am Wochenende die "Süddeutsche Zeitung" vor mir liegen hatte, schauten mich links oben Amerikas Tech-Oligarchen an, in ihrer Mitte Elon Musk, der Mann, der sich nicht geniert, zweimal den Hitlergruß zu zeigen. Rechts daneben ein Porträt von Eva Szepesi, 92 Jahre alt, und eine der letzten Überlebenden des Holocaust. Und darunter eine Nachricht aus Deutschland: Wackelt die Brandmauer zur AfD?

Was ich aus journalistischer Sicht als feine Komposition der Kollegen schätzen kann, macht gleichzeitig schmerzhaft klar: Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus fällt in eine Zeit, in der extremistische Ideologien Demokratien weltweit ins Wanken bringen. Florian Harms hat es in seinem Tagesanbruch vom Freitag beschrieben: "Der Abstieg von der Normalität zur Entmenschlichung war steil und kurz." Wer dem Hass nicht frühzeitig Widerstand leistet, erhöht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich Geschichte wiederholt.

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Das wird auch heute bei der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz die Warnung sein. Delegationen aus mehr als 40 Ländern werden in der Gedenkstätte erwartet; Deutschland ist mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger vertreten. Auch mein Kollege Marc von Lüpke ist vor Ort, seinen Bericht finden Sie gegen Abend bei uns auf der Seite.

Bei der diesjährigen Gedenkfeier werden erstmals keine Politiker sprechen, stattdessen haben die Überlebenden das Wort. Man wolle die Erinnerung nicht durch politische Instrumentalisierung gefährden, sagte Paweł Sawicki, stellvertretender Sprecher der Gedenkstätte Auschwitz. Und: "Diese Veranstaltung wird vermutlich die letzte sein, bei der wir eine sichtbare Gruppe von Überlebenden dabeihaben. Deshalb ist es so wichtig, sie in den Mittelpunkt zu stellen."

Voraussichtlich 50 Überlebende werden heute an der Zeremonie teilnehmen – vor zehn Jahren waren es noch 300, vor 20 Jahren 1.000. Auch Eva Szepesi wird wieder nach Auschwitz reisen. An den Ort, an dem ihre Mutter und ihr Bruder ermordet wurden und den sie selbst als damals Zwölfjährige nur knapp überlebte.

Drei Monate war Szepesi in Auschwitz, vom November 1944 bis zum 27. Januar 1945. Dann wurde das Konzentrationslager von der Roten Armee befreit. Von den etwa 232.000 Kindern, die dorthin deportiert wurden, lebten zu dem Zeitpunkt weniger als 500 unter 15 Jahren. Insgesamt wurden allein in Auschwitz etwa 1,1 Millionen Menschen getötet. Für Szepesi ist klar: Die Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden habe nicht erst mit Auschwitz begonnen, sondern "mit dem Schweigen und dem Wegschauen der Gesellschaft".

Es ist gut und wichtig, dass Jahrestage genutzt werden, um die Erinnerung wachzuhalten. Doch Erinnern allein reicht nicht. Die Aufgabe ist eine dauerhafte. Wie fragil Demokratien sind, lässt sich derzeit in vielen Ländern besichtigen. Auch Deutschland ist trotz seiner dunklen Geschichte nicht vor dem Erstarken rechtsextremer Kräfte gefeit. Zwar ist die heutige Demokratie stärker als jene der Weimarer Republik, doch alle theoretische Wehrhaftigkeit taugt nichts, wenn sie nicht angewendet wird.

Ein Versuch, das zu tun, ist der Antrag zur Prüfung eines AfD-Parteienverbots, der voraussichtlich diesen Donnerstag im Bundestag debattiert werden soll. Allein: Dass er in der letzten Sitzungswoche vor der Neuwahl auch tatsächlich beschlossen wird, ist unwahrscheinlich. Und auch sonst ist der Zeitpunkt unglücklich – wirkt es doch so, als falle den demokratischen Parteien nichts anderes mehr ein, um die AfD kleinzubekommen.

Mindestens irritierend war auch die Aussage von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, er werde in dieser Woche mehrere migrationspolitische Anträge in den Bundestag einbringen, und zwar "unabhängig davon, wer ihnen zustimmt". Im Klartext: Merz ist bereit, auch die Zustimmung der AfD in Kauf zu nehmen. Bei vielen entstand der Eindruck, dass damit die Brandmauer zu der in Teilen gesichert rechtsextremen Partei brüchig wird. Zwar grenzte sich die Union am Wochenende von der AfD ab: Die Partei sei "kein Partner, sondern unser politischer Gegner", heißt es in einem Papier, in dem die CDU/CSU-Fraktion ihre Forderungen für eine schärfere Migrationspolitik konkretisiert. Doch wie glaubwürdig ist das? Und wie wahlkampftaktisch klug waren Merz' markige Worte?

Zwei Perspektiven dazu bieten Ihnen heute t-online-Politikchef Christoph Schwennicke und unser Kolumnist Gerhard Spörl: Während Schwennicke Merz' "Grenzen endlich dicht"-Manöver zwar für riskant, aber "in Abwägung aller Für und Wider" für vollkommen richtig hält, sieht der Schwenk für Spörl "eher nach Verzweiflung" aus denn nach Souveränität. Aber lesen Sie am besten selbst: Die Kolumne von Christoph Schwennicke finden Sie hier, die von Gerhard Spörl hier.

Teilen der Bevölkerung machte die harte Reaktion der Union auf die Messerattacke von Aschaffenburg jedenfalls solche Sorgen, dass am Wochenende Zehntausende in mehreren Städten demonstrierten – an erster Stelle gegen den Hass und die Hetze der AfD, aber zum Teil eben auch gegen eine befürchtete Zusammenarbeit zwischen ihr und der Union. Ob auch dieser Protest dazu beigetragen hat, dass Merz die rote Linie zur AfD noch einmal nachgezogen hat?

Sicher ist jedenfalls eins: Auch solch friedlicher Protest ist gelebte Wehrhaftigkeit, auch die Gesellschaft kann eine Brandmauer bilden. Eva Szepesi hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den nachfolgenden Generationen den Mut zum Widerstand mitzugeben. Die Verantwortung des "Nie wieder" gelte für die gesamte Gesellschaft, sagte sie bereits im vergangenen Jahr, als sie im Bundestag vor dem Wiedererstarken des Antisemitismus und Rechtsextremismus warnte. "Jede und jeder kann und muss dazu beitragen. Diese Verantwortung verjährt nicht."


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Gedenken auch in Deutschland: Quer durch die Bundesrepublik finden Aktionen und Veranstaltungen zum nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus statt – von Andachten in Kirchen über Kranzniederlegungen, Lesungen und Vorträge in Schulen und auf Marktplätzen bis zu Uraufführungen von Stücken, die den Holocaust thematisieren.


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Zum Schluss

Grenzen dicht machen mal anders.

Ich wünsche Ihnen trotz allem einen zuversichtlichen Start in die Woche! Morgen schreibt wieder Florian Harms für Sie.

Herzliche Grüße

Christine Holthoff
Redakteurin Finanzen

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Mit Material von dpa.

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