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Joe Biden: Ist der US-Präsident zu alt zum Regieren?


Meinung
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Tagesanbruch – Das Amerika-Update
Tattergreis-Alarm im Weißen Haus


Aktualisiert am 11.02.2024Lesedauer: 8 Min.
Joe Biden wirkt immer öfter fahrig und vergesslich.Vergrößern des Bildes
Joe Biden wirkt immer öfter fahrig und vergesslich. (Quelle: Michael Reynolds/POOL via CNP/INSTARimages/imago/imago-images-bilder)
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Liebe Leserin, lieber Leser,

manchmal stelle ich mir insgeheim eine ungewöhnliche Frage. Vorzugsweise dann, wenn sich in den Nachrichten wieder einmal die Schreckensmeldungen ballen. Der 71-jährige Wladimir Putin lässt ukrainische Zivilisten nachts in ihren Betten beschießen. Der 74-jährige Benjamin Netanjahu äschert zivile Wohngebiete im Gazastreifen ein. Der 62-jährige Hamas-Chef Ismail Hanija schickt Terrorkommandos gegen Israelis. Der 70-jährige Xi Jinping bedroht das demokratische Taiwan mit Kampfjets. Ich könnte die Liste fortsetzen, aber vielleicht ahnen Sie ja schon, welche Frage ich mir stelle: Was wäre eigentlich, wenn all die mächtigen Ämter in der Welt nicht von alten Männern, sondern von Frauen besetzt wären?

Auch Frauen können rücksichtslos handeln, schon klar. Aber jeder Biologe wird Ihnen erklären, welche Gefahr in einem Testosteronüberschuss stecken kann. Besäßen die oben genannten Senioren mehr Empathie und weniger Selbstsucht, mehr Kompromissbereitschaft und weniger Machtgier, wäre die Welt wohl friedlicher. Es mag holzschnittartig klingen, aber ich ahne, dass wir weniger Krisen in der Welt hätten und mehr Probleme rational und umsichtig gelöst würden, wenn mehr Frauen an den Hebeln der Macht säßen. Und auch mehr Jüngere würden wohl nicht schaden.

Bevor Sie nun diesen Newsletter gleich wieder wegklicken, weil Sie vielleicht auch schon einige Jahrzehnte auf Erden wandeln oder gar ein X- und ein Y-Chromosom in den Genen haben, warten Sie bitte noch einen Augenblick. Ich habe gestern nämlich mit unserem Amerika-Korrespondenten Bastian Brauns telefoniert. Er rief an und erwischte mich auf der Rückfahrt vom Fußballspielen. Ich hatte es tatsächlich gewagt, meine 50-jährigen Knochen in eine wilde Partie mit einer Horde Teenager zu werfen (ich habe es überlebt). So gesehen rief Bastian genau im richtigen Moment an, denn was er mir erzählte, hat auch etwas mit dem Alter zu tun. Und es ist wichtig. Sehr wichtig sogar, weil es Einfluss darauf hat, wer künftig das mächtigste Amt der Welt innehat. Deshalb mache ich jetzt hier Schluss und überlasse die weiteren Zeilen des heutigen "Amerika-Updates" unserem Mann in Washington.

Cheers!
Ihr jugendlicher Florian Harms


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Bastian Brauns berichtet aus Washington:

Es war eine tragische Situation, in die der amerikanische Präsident am Donnerstagabend im Weißen Haus geriet. Sie könnte dazu führen, dass Joe Bidens Wahlkampf implodiert, bevor er richtig begonnen hat. Ich war gerade wieder in meinem Büro angekommen, um mir das mehr als zwei Stunden lange Interview anzusehen, das der für seine Putin-Propaganda berüchtigte amerikanische Moderator Tucker Carlson mit dem russischen Präsidenten vor Ort in Moskau geführt hatte. Dieses aufmerksamkeitsumwitterte Gespräch war übrigens nicht mehr als eine widerliche Werbesendung für einen Kriegsverbrecher. Mein Kollege Marc von Lüpke hat es einem schonungslosen Faktencheck unterzogen.

Video | Experte analysiert Körpersprache: "Tucker Carlson ist völlig überfordert"
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Quelle: t-online

Nachdem ich eine halbe Stunde lang Putins ätzender Geschichtsstunde gelauscht hatte, herrschte plötzlich Alarm in der US-Hauptstadt. Nicht etwa wegen Tucker Carlsons Interview. Sondern wegen Joe Biden. Eine E-Mail des Weißen Hauses kündigte an, der Präsident werde sich noch am Abend an die Öffentlichkeit wenden. Als Journalist solle man sich fix anmelden, um dabei zu sein. So ein kurzfristiger Präsidentenauftritt passiert normalerweise nicht, außer etwas Gravierendes ist geschehen. Deshalb sprach mein erster Gedanke Bände: "Was, wenn er jetzt seinen Rücktritt ankündigt?"

Wieso ich auf diesen Gedanken kam? Weil wenige Stunden zuvor ein brisanter Bericht veröffentlicht worden war: Der Abschlussreport des Sonderermittlers Robert Hur entlastete Biden zwar in Bezug auf die in dessen Privathaus gefundenen Sicherheitsdokumente aus seiner Zeit als Vize-Präsident unter Barack Obama. Doch der Ermittler bezeichnete Biden als "einen sympathischen, wohlmeinenden, älteren Mann mit einem schlechten Gedächtnis". Demnach habe der amtierende US-Präsident sich nicht mehr an mehrere Vorgänge bezüglich der Geheimdokumente erinnern können. Außerdem wusste er nicht mehr, wann genau er Vize-Präsident gewesen und wann sein Sohn Beau Biden gestorben sei. Die nüchternen Sätze des Berichts schlugen hier in Washington ein wie eine Bombe: Wird das mächtigste Amt der Welt von einem dementen Tattergreis besetzt?

Seither attackieren nicht nur Donald Trump und führende Republikaner Joe Biden öffentlich dafür, mental nicht fit zu sein. Auch weite Teile der US-Medien haben diese Deutung übernommen: Ist der 81-Jährige noch fit genug, das Amt des US-Präsidenten auszufüllen?

Deshalb schoss mir der Gedanke durch den Kopf: Hat Biden rund neun Monate vor der Präsidentschaftswahl plötzlich ein Einsehen? Erkennt er, dass er nicht mehr kandidieren sollte? Ich entschied mich, trotzdem zu Hause zu bleiben und Bidens Stellungnahme per Livestream anzusehen. Denn so wie ich Präsident Biden hier in Washington und an anderen Orten im Land erlebe, passt ein sang- und klangloser Rücktritt einfach nicht zu ihm. "Der wird einen Teufel tun, und jetzt das Handtuch werfen", dachte ich.

Zur angegebenen Uhrzeit schaltete ich den Fernseher ein – und wurde Zeuge tragischer Szenen: Joe Biden war erkennbar wütend. Er rang um Fassung. Die anwesenden Reporter schrien ihm ihre Fragen entgegen: Ob sein Gedächtnis noch intakt sei? Schon das wirkte wie eine Demütigung des mächtigsten Mannes der Welt. "Mein Gedächtnis ist in Ordnung", rief der Präsident mit bebender Stimme. Schon als Zuschauer ließ es sich kaum ertragen, wie dieser alte Mann sich verteidigen musste.

Es wurde noch schlimmer. Biden passierte, was ihm öfter passiert, was aber auch Donald Trump immer wieder passiert: Er verhaspelte sich, als er ohne Not noch eine Frage zum Gazastreifen entgegennahm. Den Präsidenten von Ägypten, Abdel Fattah al-Sisi, nannte er zwar korrekt beim Namen – bezeichnete ihn jedoch als Präsidenten von Mexiko. Mit diesem Satz waren alle Beteuerungen, sein Gehirn funktioniere einwandfrei, natürlich dahin. Es ist ein Desaster. Für ihn. Für seine Kampagne. Für seine Partei.

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Video | Journalisten fragen Biden nach Gedächtnis – der reagiert wütend
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Quelle: t-online

Egal, ob es nur ein Versprecher war oder nicht. Dieser und viele andere Momente, die Joe Biden beim Zögern, beim Verhaspeln, beim Stolpern oder beim Stürzen zeigen, werden den Wahlkampf unerbittlich bestimmen. Es dauerte keine 24 Stunden, da hatte Donald Trumps Wahlkampfteam ein Kampagnenvideo zusammengeschnitten, das Biden als "Unfit for Office" erklärt.

Und nun? Der Tagesanbruch ist bekanntlich ein Format, das in die Tiefe geht, das hinter die Schlagzeilen schaut und versucht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Deshalb möchte ich Ihnen erklären, warum ich glaube, dass Mister Biden erstens nicht aufgeben wird, warum er zweitens auch (noch) nicht zu schwach ist für dieses Amt und warum er drittens trotzdem ein großes Problem hat.

Das Bild, das wir von Joe Biden bekommen, stammt vorwiegend aus den Medien. Es sind kurze Ausschnitte von Momenten, in denen er wirklich keine gute Figur macht. Das geht so weit, dass viele Leute sogar Angst haben, ihm könnte bei einem seiner zahlreichen Termine etwas zustoßen. Neulich habe ich mich mit der Verantwortlichen für Veranstaltungen in einem großen Hotel in Washington darüber unterhalten. Biden war für einen Auftritt vor einer großen Autogewerkschaft gekommen. Wochenlang musste sie mit dem Secret Service des Weißen Hauses die Sicherheitsvorkehrungen planen: Ein eigens abgedunkelter Tunnel wurde in der Tiefgarage des Hotels errichtet, damit der Präsident ungesehen in den Veranstaltungssaal gelangen konnte. 8.000 Äpfel aus den Lunchboxes für die Gäste mussten entfernt werden – denn sie hätten als Wurfgeschosse gegen den Präsidenten verwendet werden können oder es hätten gar Handgranaten in ihnen versteckt sein können. (Die Äpfel wurden später in der Hotelkantine als "Biden-Äpfel" angeboten.)

Trotz all dieser Sicherheitsvorkehrungen hatte die Hotelmanagerin eine nicht unberechtigte Sorge: Sie sagte mir an diesem Tag, dass sie fürchtete, Joe Biden könne von der Bühne fallen, während er zu den anwesenden Mitgliedern der mächtigen Gewerkschaft sprach.

Und dann? Wie fast immer bei solchen Auftritten erlebten wir Zuschauer einen ganz anderen Joe Biden und auch ein ganz anderes Publikum: Der Präsident begnügte sich nicht mit ein paar dünnen Worten, sondern hielt eine flammende Rede. Die Zuhörer riss es von den Sitzen und sie jubeln ihm zu. Ähnliche Szenen habe ich vor ein paar Monaten auch beim Bundeskongress der amerikanischen Feuerwehr erlebt. "Sie sind der beste Präsident, den wir Feuerwehrleute jemals gehabt haben", rief dort der Feuerwehrpräsident von der Bühne. Joe Biden tigerte anschließend noch eine Stunde lang durch die Menschenmenge und machte munter Selfies.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Joe Biden umgeben ist von einer Entourage an Leuten, die rund um die Uhr nichts anderes tun als ihm zu assistieren. Kein US-Präsident stemmt all die Termine, Briefings und Entscheidungen allein. Es ist ein extrem forderndes Amt. Aber wäre Biden wirklich nicht im Vollbesitz seiner Kräfte, würde das in der jetzigen Zeit schonungslos auffallen. Schwächen wie etwa der Rollstuhl und die Lähmungen von Franklin D. Roosevelt oder die Depressionen von John F. Kennedy ließen sich heutzutage nicht mehr verstecken.

Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit absolviert Joe Biden tagtäglich nicht nur die Regierungsgeschäfte, sondern auch zahlreiche Wahlkampftermine. Vom 65-jährigen deutschen Bundeskanzler, der gerade in Washington weilte, hören wir, dass er weniger Termine pro Tag im Kalender hat. Als unbemerkt bezeichne ich Bidens Terminmarathon deshalb, weil er in der Regel reibungslos abläuft und darum eben keinen negativen Nachrichtenwert hat.

Bei jeder noch so kleinen Veranstaltung, an der Joe Biden teilnimmt, gibt es übrigens einen sogenannten "Holding Room". Das ist so etwas wie ein mobiler "Situation Room", in den sich der US-Präsident jederzeit zurückziehen kann, sollte es eine Lage der nationalen Sicherheit geben. Ich habe Ihnen ein Foto mitgebracht: Der Raum sieht gar nicht mal so schick aus, wie man es erwarten könnte. Aber einsatzfähig ist der Präsident der Vereinigten Staaten darin zweifellos.

Ein Problem haben Joe Biden und die Demokraten trotzdem: Egal, wie gut der Präsident seine Amtsgeschäfte offensichtlich nach wie vor erledigen kann – im Wahlkampf wird sein Alter mit jeder Panne und mit jedem weiteren Aussetzer zur Bürde. Erst vergangene Woche veröffentlichte der US-Nachrichtensender NBC eine Umfrage, der zufolge 76 Prozent der Befragten große oder mäßige Bedenken wegen Bidens Alter haben und eine Eignung für eine zweite Amtszeit in Zweifel ziehen. Aufgesplittet nach Parteien sagten das erwartbare 95 Prozent der republikanischen Wähler, aber auch 54 Prozent der Demokraten. Sorgen machen muss sich Bidens Wahlkampfteam vor allem um seine Stammwählerschaft. Denn die muss motiviert genug sein, um an die Wahlurnen zu gehen. Heikel sind darüber hinaus die gemessenen 81 Prozent bei den "Independents", also jenen potenziellen Wählern, die sich keiner Partei zugehörig fühlen. Die muss überzeugen, wer im November das Rennen um das Weiße Haus gewinnen will.

Ein hochrangiger EU-Diplomat wies mich in den vergangenen Tagen in Washington aber auf eines hin: Noch sind all das Zahlen, denen man nicht zu viel Beachtung schenken sollte. Denn der wahre Wahlkampf hat noch nicht begonnen. Während sich Donald Trump aufgrund seiner Gerichtsverfahren und den Vorwahlen gegen Nikki Haley bereits im Wahlkampfmodus befindet, haben Joe Biden und sein Team noch gar nicht mit dem Kämpfen begonnen. Rund neun Monate sind noch eine lange Zeit und es wird extrem spannend. Mit den Tagesanbruch-Sonderausgaben "Das Amerika-Update" werden wir Sie natürlich weiterhin über alle Wendungen informieren.

Nun wünsche ich Ihnen noch einen schönen Sonntag!

Ihr Bastian Brauns

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