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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Dramatischer Appell an Trump Das ist die letzte Chance vor der Eskalation

Jetzt schlagen schon zwei US-Gerichte Alarm: Mit beispiellos scharfen Urteilen werfen sie der Trump-Regierung Rechtsbruch und Missachtung der Verfassung vor.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Mit zwei aufsehenerregenden Entscheidungen gehen in dieser Woche gleich zwei bedeutende Bundesgerichte auf Konfrontationskurs zur Trump-Regierung. Beide Gerichte werfen der amerikanischen Exekutive vor, die verfassungsmäßige Ordnung gezielt zu untergraben.
Sowohl das Bezirksgericht in Washington, D.C., als daraufhin auch das Berufungsgericht des Fourth Circuit mit Sitz in Richmond, Virginia, beschuldigen die Regierung in außergewöhnlich scharfen Urteilen der bewussten Missachtung gerichtlicher Anordnungen – ein Vorgang, der in der US-Geschichte seinesgleichen sucht.
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Der Vorsitzende Bundesrichter in Washington, James E. Boasberg, ließ in seinem Urteil vom 16. April 2025 keine Zweifel an der Schwere der Vergehen: Die Handlungen der Regierung würden "eine willentliche Missachtung der gerichtlichen Anordnung demonstrieren", schreibt er. Das Gericht komme darum zu dem Schluss, "dass hinreichende Gründe für ein Strafverfahren wegen Missachtung des Gerichts vorliegen."
Im Kern geht es bei der Angelegenheit um die umstrittene Anwendung des mehr als 200 Jahre alten sogenannten Alien Enemies Act von 1798. Diesen nutzt die Trump-Regierung, um tatsächliche, aber auch nur vermeintliche Bandenmitglieder ohne ordentliches Verfahren abzuschieben. Darunter auch der Fall von Abrego Garcia, eines Mannes aus dem Bundesstaat Maryland.
Hunderte Menschen aber wurden inzwischen nicht nur außer Landes gebracht, sondern in einen hochumstrittenen, weil menschenunwürdigen Massenknast in El Salvador gesteckt – trotz einer richterlichen Anordnung, die genau dies untersagte. Für einige Menschen legte die US-Regierung zwar Nachweise für deren Kriminalität dar. Für viele andere aber eben nicht.
Besonders skandalös ist das Vorgehen, weil die Betroffenen einfach aufgegriffen, verhaftet und ohne Anhörung abgeschoben wurden. Richter Boasberg stellt unmissverständlich klar: "Die Verfassung duldet keine willentliche Missachtung gegenüber gerichtlichen Anordnungen – insbesondere nicht durch Regierungsbeamte, die einen Eid auf die Verfassung geschworen haben."
Ein Berufungsgericht in höchster Alarmbereitschaft
Noch dramatischer ist die Sprache des Berufungsgerichts des Fourth Circuit im Fall Abrego Garcia vom 17. April 2025. Die Richter warnen vor nichts weniger als einer drohenden Verfassungskrise: "Dies sollte nicht nur für Richter erschütternd sein, sondern für das intuitive Freiheitsempfinden, das Amerikaner, weit entfernt von Gerichtssälen, noch immer wertschätzen", schreibt der Richter des Fourth Circuit – James Wilkinson, ein Mann der einst von dem republikanischen US-Präsidenten Ronald Reagan ernannt wurde.
In der Regierungspraxis von Trump und seinen Ministern sehen sie einen gefährlichen Präzedenzfall. "Wenn die Exekutive heute das Recht für sich beansprucht, ohne ordentliches Verfahren Menschen abzuschieben … welche Garantie gibt es, dass sie morgen nicht auch US-Bürger deportieren oder ihre Macht gegen politische Feinde richten?", schreiben Wilkinson und die zwei weiteren Richter Robert Bruce und Stephanie Thacker.
Diese Warnung ist nicht nur juristische Rhetorik, sondern Ausdruck einer tiefen Besorgnis über die Aushöhlung des Rechtsstaats. Zumal Donald Trump mehrfach öffentlich angekündigt hat, dass er auch eigene Staatsbürger in das Hochsicherheitsgefängnis in El Salvador schaffen will, wenn er dafür einen rechtlichen Weg findet.
In Wahrheit hat er ihn bereits gefunden. Zumindest zeigen die Fälle von Migranten, dass die US-Regierung bereit ist, Fakten auch ohne vorgeschriebene Anhörungen und gegen richterliche Urteile zu schaffen. Sobald die Menschen wegen des illegalen Vorgehens der Regierung im Ausland sind, fühlt man sich schlicht nicht mehr zuständig und verweist auf den Präsidenten El Salvadors, Nayib Bukele, der wiederum von der US-Regierung mit Millionenbeträgen bezahlt wird, um die Abgeschobenen wegzusperren.
Ein Machtkampf ohne Sieger
Die Richter am Berufungsgericht zeichnen das bedrückende Bild eines institutionellen Zerfalls in den USA: Die Staatsgewalten seien dabei, einander zu zermahlen. Das bedeutet nicht weniger als eine Verfassungskrise, "bei der alle Seiten nur verlieren würden", ist in dem Beschluss zu lesen. Die Konsequenzen dieses Machtkampfs wären dramatisch.
Die Judikative werde künftig durch die ständigen Andeutungen ihrer Illegitimität durch die Exekutive nur noch in sehr spärlicher Weise reagieren können. Der Exekutive könne es damit zwar auf diese Weise eine Zeit lang gelingen, die Gerichte zu schwächen. Mit der Zeit würde aber eine tragische Kluft aufreißen, "zwischen dem, was war, und allem, was hätte sein können", so die Richter weiter. Das Endszenario zeichnen sie mit den Worten: "Das Recht wird mit der Zeit sein eigenes Grab schaufeln."
Das ungewöhnlich dramatische Urteil endet mit einem fast beschwörenden bis verzweifelten Appell an die Trump-Regierung, die sie als "unsere guten Brüder in der Exekutive" bezeichnen: "Doch wir klammern uns an die Hoffnung, dass es nicht naiv ist zu glauben, dass unsere guten Brüder in der Exekutive die Rechtsstaatlichkeit als unverzichtbar für das amerikanische Ethos betrachten", schreiben die Richter. Dieser Fall böte "ihnen die einmalige Chance, diesen Wert zu verteidigen und das Beste in uns zu wecken, solange noch Zeit ist".
Verfassungskrise als Realität
Die beiden Gerichtsurteile zeigen eines deutlich: Der Konflikt geht weit über den vermeintlichen Einzelfall Abrego Garcia hinaus. Es steht nichts weniger auf dem Spiel als die Gewaltenteilung – das Herzstück der amerikanischen Demokratie. Die Trump-Regierung setzt offenkundig nach wie vor auf die risikoreiche Strategie der Konfrontation mit der Justiz, während die Gerichte verzweifelt versuchen, ihre verfassungsmäßige Rolle zu behaupten.
Der Bundesrichter in Washington erinnerte daran, dass selbst rechtlich fehlerhafte Anordnungen befolgt werden müssen, bis sie von einem höheren Gericht aufgehoben werden. Boasberg formuliert es so: "Eine Partei kann wegen strafrechtlicher Missachtung eines Gerichts bestraft werden, sogar wenn diese Anordnung später im Berufungsverfahren aufgehoben wird." In dieser Angelegenheit gab am Ende aber sogar der Supreme Court den unteren Gerichten recht. Die Trump-Regierung scheiterte in allen Instanzen.
Die Richter am Berufungsgericht gehen in ihrem Urteil auch auf öffentliche Vorwürfe der Trump-Regierung ein, die Justiz dürfe die Exekutive nicht "mikromanagen", also nicht das Regieren und damit den demokratisch zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes durch ständige Einsprüche verhindern. Die Richter stimmen dem zu, sagen aber, sie dürften auch keine massive Aushöhlung des Rechtsstaats zulassen.
Eine bange Frage bleibt
Doch alle Appelle und Urteile nützen am Ende nichts. Denn eine Frage bleibt unbeantwortet: Welche Handhabe haben die Gerichte gegen eine Regierung, die bereit ist, Gerichtsentscheidungen einfach zu missachten? Vor allem mit einem Präsidenten, der Immunität für sich beansprucht?
Diese nächste Stufe der juristischen Konfrontation markiert schon jetzt einen Wendepunkt in der Geschichte der amerikanischen Demokratie. Es stellen sich nun Fragen, die bislang nie gestellt werden mussten. Nach bald 250 Jahren wirkt das lange Zeit vorbildhafte System der gegenseitigen Kontrolle erkennbar zerbrechlich. Denn eine der Staatsgewalten ist zurzeit nicht mehr bereit, die Grenzen der eigenen Macht zu akzeptieren: der Präsident und seine Regierung.
Die kommenden Tage und Wochen werden zeigen, ob diese deutlichen Appelle der Gerichte bei der Trump-Regierung noch Gehör finden oder ob die USA tatsächlich in eine Verfassungskrise stürzen. Im nächsten Schritt wird die Regierung aber wohl erneut den Supreme Court anrufen. Wenn dort erneut die Entscheidung gegen Trumps Vorgehen fallen sollte, kommt es wohl zum finalen Demokratie-Schwur.
- courtlistener.com: United States Court Of Appeals For The Fourth Circuit – No. 25-1404 (englisch)
- courtlistener.com: United States District Court For The District Of Columbia – Civil Action No. 25-766 (englisch)